Beschluss vom Bundessozialgericht (10. Senat) - B 10 LW 17/12 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Mit Urteil vom 23.5.2012 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheides vom 3.5.2011 verneint, mit dem die beklagte Alterskasse die ab 1.10.2008 erfolgte Bewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung aus der Alterssicherung der Landwirte für die Zeit vom 1.3.2009 bis 31.8.2010 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse rückwirkend aufgehoben hatte. Der dem Kläger zuerkannte Rentenanspruch habe in dem streitigen Zeitraum geruht, weil dieser als Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH eine gewerbliche Tierhaltung (Schweinemast) auf einer Teilfläche seines ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmens betrieben habe (§ 30 Abs 2 S 1 3. Alt iVm § 21 Abs 2 S 4 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte - ALG -).

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) geltend.

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II. Die Beschwerde ist unbegründet.

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Soweit sich der Kläger auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft, hat er den Zulassungsgrund nicht in der gesetzlich gebotenen Form dargelegt (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

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Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muss nach § 160a Abs 2 S 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst darzulegen, welcher bestimmten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des Rechtsstreits. Die Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 181). Des Weiteren ist erforderlich, dass ausgeführt wird, inwiefern die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (sog Breitenwirkung). Die Rechtsfrage darf sich nicht auf den Einzelfall in dem Sinne beschränken, ob das LSG nach unrichtigen rechtlichen Maßstäben entschieden habe (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 58). Weiter hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich ist, sodass hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16).

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Eine grundsätzliche Bedeutung ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage nicht mehr geltendes Recht betrifft und nicht erkennbar wird, dass noch eine erhebliche - grundsätzlich genau zu bezeichnende - Anzahl von Fällen nach der betreffenden Vorschrift zu entscheiden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; BSG Beschluss vom 26.10.1998 - B 2 U 252/98 B - HVBG-Info 1999, 875; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 61 und 187 mwN; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 347; Becker, SGb 2007, 261, 266) oder dass die Rechtsfrage für das neue Recht weiterhin von Bedeutung ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 58; BSG Beschlüsse vom 26.11.1996 - 3 BK 4/96 -, 31.3.1999 - B 7 AL 170/98 B - und 6.5.1999 - B 11 AL 209/98 B). Dabei sind die Darlegungsanforderungen unterschiedlich, je nachdem ob ein Leistungsträger oder ein Anspruchsteller die Beschwerde führt. Sie steigen zudem, je länger das Außerkrafttreten der anzuwendenden Rechtsnorm zurückliegt (Krasney/Udsching, aaO, RdNr 61; Kummer, aaO, RdNr 348).

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Der Kläger hat folgende - hinreichend bestimmte - Rechtsfragen bezeichnet:

        

Ist einer einzelbetrieblichen gewerblichen Tierhaltung im Sinne von § 21 ALG gleichzustellen, wenn der frühere Landwirt nicht einzelbetrieblich gewerbliche Tierhaltung betreibt, sondern Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH ist, die die Tierhaltung betreibt?
Ist § 21 Abs 2 S 4 ALG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung geltenden Fassung in der Weise auszulegen, dass nur eine kontinuierlich betriebene Tierhaltung auf den einzellandwirtschaftlich genutzten Flächen abgabeschädlich ist?

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Die grundsätzliche Bedeutung dieser Fragen hat er nur behauptet, aber nicht in der gebotenen Form dargestellt.

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Hinsichtlich der erstgenannten Rechtsfrage hat sich der Kläger überhaupt nicht dazu geäußert, inwiefern die angestrebte revisionsgerichtliche Entscheidung noch Breitenwirkung haben kann, nachdem der im vorliegenden Fall - iVm § 30 Abs 2 S 1 ALG - einschlägige S 4 des § 21 Abs 2 ALG durch Art 4 Nr 5 Buchst a Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 12.4.2012 (BGBl I 579) mit Wirkung vom 19.4.2012 aufgehoben worden ist.

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Bezüglich der zweitgenannten Rechtsfrage hat der Kläger zwar vorgetragen, dass "nach seiner Kenntnis" weitere Verfahren vor den Sozialgerichten anhängig seien, bei denen es um die Frage gehe, inwieweit die Aufnahme bzw Fortführung einer gewerblichen Tierhaltung auf einstmals landwirtschaftlich genutzten Flächen abgabeschädlich sei. Zum Beleg dafür hat er auf ein Verfahren vor dem SG Münster - "S 14 LB 17/10" - (gemeint wohl: S 14 LW 17/10) verwiesen und dabei auf seinen Schriftsatz vom 22.5.2012 Bezug genommen, mit dem er dem LSG den Bescheid der Landwirtschaftlichen Alterskasse Nordrhein-Westfalen (LAK NRW) vom 1.6.2010 überreicht habe. Nach dem vom Kläger als Gegenstand des betreffenden Verfahrens beim SG Münster bezeichneten Bescheid der LAK NRW vom 1.6.2010 geht es dort nicht um die hier aufgeworfene Rechtsfrage der Rentenschädlichkeit eines "kontinuierlichen" Betreibens von gewerblicher Tierhaltung. Dem dortigen Kläger wurde vielmehr die Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte verweigert, weil er seinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht abgegeben hatte und dies auch nicht beabsichtigte. Der Hinweis auf den Rechtsstreit vor dem SG Münster belegt somit nach dem eigenen Vorbringen des Klägers die Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage für weitere Verfahren nicht.

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Ganz ohne konkrete Angaben ist die Behauptung einer noch bestehenden Anhängigkeit einschlägiger Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren nicht ausreichend. Zwar liegt der Wegfall des § 21 Abs 2 S 4 ALG erst wenige Monate zurück, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es noch offene Fälle gibt, in denen es auf die Beantwortung der vom Kläger gestellten Frage ankommt. Nachdem sich aus dem Urteil des Senats vom 30.8.2007 - B 10 LW 4/06 R - (SozR 4-5868 § 30 Nr 1) für ehemalige Landwirte die (rechtlich gesicherte) Möglichkeit einer abgabeunschädlichen gewerblichen Tierhaltung oder Tierzucht auf bisher nicht zum landwirtschaftlichen Unternehmen gehörenden Flächen ergibt, dürfte es eher selten gewesen sein, dass bis zum 18.4.2012 der im Hinblick auf § 21 Abs 2 S 4 ALG aF rechtlich riskante Weg beschritten worden ist, auf zuvor abgegebenen Flächen nach Ablauf einer gewissen Zeit eine gewerbliche Tierhaltung oder Tierzucht zu betreiben.

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Soweit der Kläger sich ferner auf eine Divergenz des angefochtenen Urteils (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, mag er diese zwar iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet haben, indem er sowohl dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz entnommen hat und diesem - vermeintliche - Rechtssätze aus dem Urteil des BSG vom 30.8.2007 (aaO) wie folgt gegenübergestellt hat: Das LSG sei davon ausgegangen, dass das Gesetz allein zwischen einer gewerblichen Tierhaltung, die auf früher landwirtschaftlich genutzten Flächen betrieben werde, und einer solchen unterscheide, die auf anderen Flächen betrieben werde. Das BSG habe dagegen entschieden, dass nur der bloße Übergang von einer landwirtschaftlichen Nutzung der Fläche zu einer gewerblichen Tierhaltung abgabeschädlich sei, zumal der in § 21 Abs 2 S 4 ALG verwendete Begriff "weiterhin" eine Kontinuität der Bewirtschaftung voraussetze.

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Die damit behauptete Divergenz liegt jedoch nicht vor, weil das BSG in dem zitierten Urteil die ihm vom Kläger zugeschriebenen Rechtssätze nicht in dem vom Kläger verstandenen Sinn aufgestellt hat. Soweit der Kläger meint, das BSG habe zu § 21 Abs 2 S 4 ALG aF ausgesprochen, dass nur der zeitlich "nahtlose" Übergang von einer landwirtschaftlichen Nutzung der Fläche zu einer gewerblichen Tierhaltung oder Tierzucht abgabeschädlich sei, ist ein solcher Rechtssatz dem betreffenden Urteil des BSG nicht zu entnehmen.

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Zwar hat der erkennende Senat dort durchaus formuliert (BSG aaO, RdNr 27), dass § 21 Abs 2 S 4 ALG "wie sich aus der Wortwahl 'weiterhin' ergibt, den Übergang zu dieser nichtlandwirtschaftlichen Nutzung (ausnahmsweise) nicht als Abgabe ansieht". Er hat indes diesen so bezeichneten "Übergang" nicht ausdrücklich in dem Sinne eingegrenzt, dass damit nur ein zeitlich lückenloser Anschluss der gewerblichen Tierhaltung oder Tierzucht an die bisherige Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer gemeint sei. Zu einer derartigen rechtlichen Festlegung bestand auch keinerlei Anlass; denn im dort entschiedenen Fall hatte die Klägerin, der nach Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens zum 1.7.1998 und nach Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1.4.2000 Altersrente zuerkannt worden war, die gewerbliche Schweinemast auf von einem Dritten neu gepachteten Flächen am 1.5.2000 begonnen.

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Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

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