Beschluss vom Bundessozialgericht (9. Senat) - B 9 SB 81/13 B

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr Rechtsanwältin S. aus K. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Die Klägerin begehrt die Erstattung des bereits entrichteten Eigenanteils von 60 Euro für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr für die Zeit von November 2011 bis Oktober 2012.

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Die Klägerin ist angolanische Staatsangehörige. Sie ist 2004 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in das Bundesgebiet eingereist und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet. Sie bezog zunächst ua Jugendhilfeleistungen. Seit Mai 2011 bezieht sie Leistungen nach §§ 3 ff Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 vH festgestellt sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B (Bescheid vom 7.9.2009). Die Klägerin beantragte die Ausstellung eines kostenfreien Beiblatts zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Als die Beklagte dies ablehnte (Bescheid vom 13.10.2011), zahlte die Klägerin 60 Euro zur Erlangung der 1-Jahres-Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr ab November 2011, erhob Widerspruch gegen die Entscheidung der Beklagten und begehrte die Erstattung der gezahlten 60 Euro. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011). Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 15.1.2013). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht. Die unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke iS des § 145 SGB IX sei nicht in Betracht gekommen, da die der Klägerin gewährten Leistungen nicht den hierfür vorausgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe des (damals) einschlägigen § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX entsprächen. Auch eine entsprechende Anwendung sei anders als in den Fällen der Analogleistungen nach § 2 AsylbLG nicht geboten. Das BSG (Urteile vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R und B 9 SB 7/10 R) habe zwar im Rahmen der Ausnahmebestimmung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) auch die Bezieher von Analogleistungen den Empfängern von Sozialhilfeleistungen gleichgestellt, hierfür jedoch ausdrücklich darauf abgestellt, dass dieser Personenkreis anders als die Bezieher von Leistungen nach § 3 AsylbLG wesentlich dem Sicherungssystem der Sozialhilfe zugeordnet sei. Auf die wirtschaftliche Lage oder Zweckidentität der Leistungen kommen es hingegen nicht an. Dies gelte umso mehr als das BVerfG in seinem Urteil vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 ua) zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Asylbewerberleistungen das AsylbLG im Übrigen als eigenes Sicherungssystem nicht in Frage gestellt habe. Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums lasse sich nach der Rechtsprechung des BSG mit Blick auf die nur moderate Relativierung der Mobilitätsförderung durch den aufzubringenden Eigenanteil nicht feststellen. Ebenso wenig bestünden angesichts der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sicherungssystemen sachliche Gründe, die einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Diskriminierungsverbot der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ausschlössen. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Abgrenzungskriterien nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG seien gegenüber den entsprechenden Leistungsbescheiden geltend zu machen (Urteil vom 16.10.2013).

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Mit ihrer Beschwerde, für die sie zugleich Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

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II. 1. Der Antrag der Klägerin, ihr PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. für die von ihr eingelegte und begründete Beschwerde zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig (dazu 2.).

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2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG.

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a) Die Klägerin legt die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar seien sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

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Die Klägerin führt zwar als Rechtssatz des LSG an, dass nur Personen, die Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII unmittelbar oder entsprechend erhalten, dem System des Sozialhilferechts zuzuordnen seien. Sie legt aber die bewusste Abweichung von einem Rechtssatz des BSG nicht dar, sondern führt hierzu im Gegenteil an, das LSG gehe davon aus, mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen zu sein. Im Übrigen setzt sie ihre eigene Interpretation der Rechtsprechung des BSG an deren Stelle, wenn sie meint, nach der Rechtsprechung des BSG seien auch Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG Leistungen "nach den gleichen Voraussetzungen" wie Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, weil sie nach der Rechtsprechung des BVerfG übergangsweise nach den Regelsätzen des SGB XII zu berechnen seien und deshalb ein Unterschied von Leistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG nicht mehr bestehe. Soweit sie in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass LSG habe die Tragweite der Rechtsprechung des BSG verkannt, wendet sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung. Diese ist indessen nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

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b) Die Klägerin legt auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

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Die Klägerin wirft sinngemäß zusammenfassend die Fragen auf,

        

ob bei der Einbeziehung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG in den Kreis der von den Kosten der Wertmarke befreiten Personen nach § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) zwischen Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG und den Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG unterschieden werden darf, oder die Einbeziehung des zuletzt genannten Personenkreises nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 ua) aus verfassungsrechtlichen Gründen oder wegen des Diskriminierungsverbots der UN-BRK geboten ist oder dies jedenfalls für den Personenkreis anzunehmen ist, der sich offensichtlich nicht mehr nur kurz und vorübergehend im Bundesgebiet aufhält und damit offensichtlich nicht zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach § 1 AsylbLG gehört.

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Der Senat lässt dahingestellt, ob die Klägerin mit der Vielzahl ihrer aufgeworfenen Fragen insgesamt hinreichend konkrete Rechtsfragen bezeichnet. Jedenfalls zeigt sie weder die Klärungsfähigkeit noch den Klärungsbedarf auf.

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Hinsichtlich des zuletzt beschriebenen Personenkreises setzt sich die Klägerin mit der Klärungsfähigkeit schon deshalb nicht auseinander, weil sie nicht darlegt, ob und inwieweit die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet als Anknüpfungstatsache für Asylbewerberleistungen grundsätzlich im Verfahren nach dem AsylbLG geltend zu machen wäre, der bestandskräftige Bezug bestimmter Asylbewerberleistungen mithin im Verfahren der Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke vorausgesetzt wird (vgl nur BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 54 ) und von den Versorgungsämtern (§ 69 Abs 5 SGB IX) deshalb grundsätzlich nicht nachträglich korrigiert werden kann.

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Die Klägerin legt auch den Klärungsbedarf nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist nicht nur dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich entschieden ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage vielmehr auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichend Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). So verhält es sich hier angesichts der vom erkennenden Senat aufgezeigten Grundunterscheidung der Leistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG (vgl BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 56, 57, 60, 73, 77).

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Soweit die Klägerin demgegenüber auf die identische Zweckausrichtung der Leistungen nach dem AsylbLG verweist, hat der erkennende Senat bereits verdeutlicht, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG am ehesten eine Auslegung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) gerecht wird, die Personen erfasst, welche dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnende Leistungen erhalten und hierzu die Leistungen nach § 2 AsylbLG zählen, weil nach § 2 Abs 1 AsylbLG "abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG" das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigen nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden ist (BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 56, 57, 60, 73, 77).

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Soweit die Beschwerdebegründung ferner die zeitlich spätere Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 für den von ihr behaupteten Klärungsbedarf anführt, fehlt nicht nur eine Beschäftigung damit, dass das BVerfG zwar die Leistungshöhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG als mit dem Verfassungsrecht unvereinbar angesehen, die Zuordnung dieser Grundleistungen zu einem eigenen Sicherungssystem indessen unberührt gelassen hat ( 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, RdNr 97 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 123 ff; hieran anschließend BSG SozR 4-3520 § 7 Nr 2 RdNr 29, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen ). Die Klägerin legt für den von ihr eingenommenen Standpunkt der Gleichstellung von Asylbewerberleistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG auch die Entscheidungserheblichkeit nicht dar, nämlich ob und inwieweit die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG angesichts der dort getroffenen Übergangsregelungen zur Höhenberechnung überhaupt Rückwirkungen auf ihren am 29.8.2011 gestellten und hier allein streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer kostenfreien Wertmarke für die Zeit ab November 2011 bis Oktober 2012 bzw Erstattung des diesbezüglich aufgewendeten Eigenanteils von 60 Euro zu entfalten vermag. Insoweit hätte sich die Klägerin damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit der Bezug nachträglich unter Rückgriff auf §§ 5 bis 8 Regelbedarfs- und Ermittlungsgesetz erhöhter Leistungen nach § 3 AsylbLG ( BVerfGE 132, 134 RdNr 102 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 128 ff) bereits bei Antragstellung iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (jetzt § 145 Abs 1 S 10 Nr 2 SGB IX) nachgewiesen war (zum Nachweis vgl Oppermann in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 145 SGB IX, RdNr 15).

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Nicht zuletzt fehlt eine Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung des BSG zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UN-BRK und insbesondere zur (beschränkten) Reichweite des geltend gemachten Diskriminierungsverbots aus Art 5 UN-BRK (vgl hierzu BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 29). Die von der Klägerin aufgegriffene Anspruchsberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer auf Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft und ihre Untermauerung durch die UN-BRK (vgl BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2, RdNr 43) ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

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3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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