Beschluss vom Bundessozialgericht (1. Senat) - B 1 KR 11/14 B

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2013 wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Der bis zum 30.4.2007 bei der beklagten Krankenkasse versichert gewesene und seither bei der Beigeladenen versicherte Kläger erhielt am 19.9.2001 eine Lebendnierenspende. Die in der Charité in Berlin vorgenommene Transplantation verlief erfolgreich. Der Kläger muss sich seither in größeren zeitlichen Abständen Kontrolluntersuchungen in einem Transplantationszentrum, zunächst in der Charité in Berlin (einmal im Quartal) und sodann - aus Fahrkostengründen - in der Universitätsklinik in Halle (einmal im Halbjahr), sowie bei einem Nephrologen in Q (einmal im Monat) unterziehen. Seit 2004 übernahm die Beklagte die dabei entstehenden Fahrkosten für die Benutzung eines privaten PKW nicht mehr, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt seien. Der Kläger ist mit seinem Kostenerstattungsbegehren für stattgefundene und zukünftige Fahrten ab dem Jahr 2004 zu den Transplantationszentren nach Berlin und Halle beim SG erfolgreich gewesen. Im Übrigen hat das SG, soweit der Kläger Fahrkostenerstattung für Fahrten zum niedergelassenen Nephrologen begehrt hat, die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 23.1.2013).

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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt G, hat Prozesskostenhilfe (PKH) für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beantragt und zugleich ausdrücklich erklärt, dass das Beschwerdeverfahren nur bei der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe durchzuführen sei. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 16.12.2013 PKH bewilligt und Rechtsanwalt G, B, beigeordnet (B 1 KR 5/13 BH). Der Prozessbevollmächtigte hat durch Empfangsbekenntnis bestätigt, dass er den Beschluss vom 16.12.2013 am 2.1.2014 erhalten hat. Mit Senatsschreiben vom 6.2.2014 ist der Prozessbevollmächtigte davon in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Beschwerde noch nicht vorliegt. Ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Kläger hat Beschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (Eingang am 11.2.2014).

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II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen (dazu 1.). Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem LSG-Urteil ist abzulehnen (dazu 2.).

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1. Die Beschwerde des Klägers ist wegen Verfristung unzulässig. Nach § 160a Abs 1 S 2 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils - hier: 8.3.2013 - einzulegen. Der Kläger hat die Beschwerde jedoch nicht innerhalb der am 8.4.2013 abgelaufenen Frist eingelegt, sondern erst am 11.2.2014.

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2. Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde zu gewähren.

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Zwar ist einem Antragsteller, der - wie hier der Kläger am 3.4.2013 - innerhalb der Rechtsmittelfrist ordnungsgemäß einen PKH-Antrag gestellt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Rechtsmittel binnen eines Monats nach Zustellung des PKH bewilligenden Beschlusses formgerecht eingelegt wird (BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 12 f mwN). Der Kläger hat jedoch nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung - hier die Beschwerdeeinlegung beim BSG - nachgeholt (§ 67 Abs 2 S 3 und 4 SGG). Wegfall des Hindernisses ist hier die Zustellung der Entscheidung über die Bewilligung von PKH (2.1.2014), worauf der Vorsitzende des erkennenden Senats den Prozessbevollmächtigten ausdrücklich hingewiesen hat (Hinweis vom 17.12.2013, zugestellt am 2.1.2014). Der Kläger hat erst am 11.2.2014 Beschwerde eingelegt. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) wegen Versäumung der innerhalb der einmonatigen Antragsfrist des § 67 Abs 2 S 1 SGG nachzuholenden Rechtshandlung (Wiedereinsetzung nach schuldlos versäumter Wiedereinsetzungsfrist) sind nicht erfüllt.

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Der Kläger versäumte die Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung nicht schuldlos. Die Nichteinhaltung der einmonatigen Frist zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung beruht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Er hat es nach seinem Vorbringen und den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen versäumt, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen, obwohl er verpflichtet ist, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen.

8

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und Abs 2 S 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl zB BSGE 1, 227, 232; BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 42; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 5 mwN; BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO; vgl BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 19 S 50 mwN und SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14). Das Verhalten des Prozessbevollmächtigten ist dagegen nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BFH Beschluss vom 11.2.2003 - VII B 118/02 - BFH/NV 2003, 801, 802; BSG Beschluss vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - Juris RdNr 7; vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 24.1.2013 - B 1 KR 104/12 B - RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.5.2013 - B 1 KR 3/13 B - RdNr 5; s ferner Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl 2014, § 233 RdNr 23 mwN, Stichwort Büropersonal und -organisation).

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Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts verlangt in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (vgl BGH Beschluss vom 13.7.2010 - VI ZB 1/10 - NJW 2011, 151 RdNr 6 mwN).

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Die von einem Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die Wahrung von Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen zu verlangende äußerste Sorgfalt ist zudem nicht beachtet, wenn die Führung des Fristenkalenders im Anwaltsbüro nicht so geregelt ist, dass sich immer nur eine bestimmte Person für verpflichtet und befugt halten darf, Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen einzutragen (vgl BGH Beschluss vom 5.7.1960 - VI ZB 8/60 - VersR 1960, 945, 946). Von einem für die Fristversäumung ursächlichen anwaltlichen Organisationsverschulden ist danach auszugehen, wenn nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht festgestellt werden kann, dass nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es möglich ist, dass mehrere Personen hierfür zuständig sind (vgl BGH Beschluss vom 20.11.1980 - IVa ZB 12/80 - VersR 1981, 276, 277; BGH Beschluss vom 8.7.1992 - XII ZB 55/92 - NJW 1992, 3176; BGH Beschluss vom 6.5.1999 - VII ZR 396/98 - VersR 2000, 515, 516; BGH Beschluss vom 6.2.2006 - II ZB 1/05 - NJW 2006, 1520 RdNr 5; BGH Beschluss vom 17.1.2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 RdNr 12 f; BGH Beschluss vom 3.11.2010 - XII ZB 177/10 - NJW 2011, 385 RdNr 9; dem sich anschließend BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 9 S 25; s ferner Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 67 RdNr 8c; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 67 RdNr 32). Ist es nach dem Vorbringen des Rechtsanwalts möglich, dass mehrere oder alle Angestellten hierfür zuständig sind, eröffnet die dadurch bedingte Überschneidung von Kompetenzen Fehlerquellen, weil die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall einer auf den anderen verlässt (vgl BGH Beschluss vom 8.7.1992 - XII ZB 55/92 - NJW 1992, 3176; vgl auch BGH Beschluss vom 6.5.1999 - VII ZR 396/98 - VersR 2000, 515, 516, zum ein Organisationsverschulden nicht ausschließenden anwaltlichen Vortrag, dass zwei Mitarbeiter für die Fristnotierung im Kalender und die Überwachung der Fristen einschließlich ihrer Löschung verantwortlich seien). Zu einer einwandfreien Büroorganisation gehören danach auch Anweisungen des Rechtsanwalts, durch die der Aufgabenbereich der mit der Behandlung von Fristsachen befassten Angestellten abgegrenzt wird und durch die die Verantwortlichkeit klargestellt wird. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn die Zuständigkeit für die Fristenkontrolle - auch innerhalb eines Arbeitstages - wechselt, etwa nach Dienstschluss der zunächst zuständigen Fachkraft. Dann ist lediglich sicherzustellen, dass keine Unklarheiten - etwa durch zeitliche Überschneidung der Zuständigkeiten - darüber entstehen können, welcher Fachkraft die Fristenkontrolle zu einem gegebenen Zeitpunkt obliegt. Hierfür reicht eine formlose, aber eindeutige Übergabe des Aufgabenbereichs von der zunächst zuständigen Fachkraft auf die anschließend zu ihrer Vertretung berufene Fachkraft aus (vgl BGH Beschluss vom 17.1.2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 RdNr 11 ff).

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Eine Büroorganisation, die diesen Voraussetzungen genügt, ist dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zu entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte legt schon nicht dar, dass er organisatorisch sichergestellt hat, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden. Er trägt vielmehr vor, dass ihm der PKH-Beschluss - nach Erhalt der Ausfertigung des PKH-Beschlusses vom 16.12.2013 und des Hinweisschreibens vom 17.12.2013 mittels Zustellung am 2.1.2014 - nicht am 7.1.2014 "wie sonst vorgelegt" worden sei. Er macht nicht glaubhaft, dass er Sorge dafür getragen hat, dass die gebotene Eintragung am Tag der Zustellung, hier also am 2.1.2014, erfolgte.

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Auch im Übrigen legt er in der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags und mit den zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seiner Angestellten M
(ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte) und E (ausgebildete Justizfachangestellte) nicht schlüssig dar, dass er ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) einzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte verweist lediglich darauf, dass die Angestellten M und E sich bei der Behandlung von Zustellungen und Fristen sowie der Führung des Fristenkalenders als zuverlässig erwiesen hätten und regelmäßig von ihm überwacht würden. Hingegen benennt er keine von ihm vorgegebenen Regelungen über die Zuständigkeit für die Führung des Fristenkalenders im oben aufgezeigten Sinne. Er führt lediglich aus, er habe davon ausgehen dürfen, dass die Ermittlung und Notierung der zu beachtenden Frist durch seine Angestellten M und E im Fristenkalender vorgenommen worden seien. Auch aus den eidesstattlichen Versicherungen der beiden Angestellten ergibt sich, dass keine von beiden ausschließlich, und sei es alternierend, für die Führung des Fristenkalenders zuständig war. Frau M gibt an, dass die Fristwahrung in ihre Verantwortung übertragen worden sei. Frau E teilt mit, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe ihr die Führung des Fristenkalenders übertragen. Beide teilen übereinstimmend aber mit, dass sie im konkreten Fall wohl keine Absprache getroffen bzw Abstimmung vorgenommen hätten; mit anderen Worten: jede der beiden verließ sich auf die jeweils andere, sodass es auch deswegen zu einer Nichterfassung der Vorfrist und der Frist nach § 67 Abs 2 S 3 SGG kam. Bei einer vom Prozessbevollmächtigten klar angeordneten ausschließlichen Zuständigkeit wäre dieser Fehler vermeidbar gewesen.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

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