Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 12/16 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars des Klägers für die Quartale I/2009 bis IV/2009. Der Kläger ist als Facharzt für Neurochirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Zusammenhang mit der Festlegung des Regelleistungsvolumens (RLV) ordnete die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) den Kläger der Gruppe der Chirurgen zu. Gegen die auf dieser Zuordnung beruhenden Honorarbescheide legte der Kläger Widerspruch, insbesondere mit der Begründung ein, dass er als Neurochirurg nicht der Gruppe der Chirurgen zugeordnet werden könne und dass außerdem seine besondere Behandlungsausrichtung zu berücksichtigen sei. Die Fallwerte der Fachgruppe seien viel zu niedrig und würden nicht einmal die Grundpauschale abdecken.

2

Die Beklagte hat den Widerspruch des Klägers im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Honorarverteilungsvertrag bei der Bildung des RLV die Zuordnung der Fachärzte für Neurochirurgie zur Gruppe der Chirurgen vorsehe. Leistungen, die als Praxisbesonderheit bewertet werden könnten, hätten einen Anteil von deutlich weniger als 30 % am Fallwert, sodass eine Erhöhung aufgrund von Praxisbesonderheiten nicht in Betracht komme.

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Das SG hat der Klage im Sinne einer Verurteilung zur Neubescheidung stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass jedenfalls im Bereich der Beklagten so erhebliche Unterschiede zwischen den Fachärzten für Neurochirurgie einerseits und den Fachärzten für Chirurgie, für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie und für Herzchirurgie auf der anderen Seite bestünden, dass diese nicht derselben Gruppe zugeordnet werden könnten. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Unterschiede zwischen der Arztgruppe der Chirurgen und der Arztgruppe der Neurochirurgen nicht so gewichtig seien, dass sie einer zusammenfassenden Beurteilung bei der Festlegung des RLV entgegenstehen würden. Ferner habe die Beklagte eine Erhöhung des RLV aufgrund von Praxisbesonderheiten zu Recht abgelehnt.

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Mit ihrer gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG erhobenen Beschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist - soweit sie zulässig ist - jedenfalls unbegründet. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor.

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1. Eine grundsätzliche Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Von einer Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren muss erwartet werden können, dass sie in einer bisher nicht geschehenen, jedoch die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise die Rechtseinheit herstellen, wahren oder sichern oder die Fortbildung des Rechts fördern wird (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 53 sowie § 160a Nr 31, 39 und 65). Ein über den Einzelfall hinausgehendes, die Allgemeinheit betreffendes Interesse wird in aller Regel für die Auslegung und Tragweite von bereits außer Kraft getretenen Vorschriften oder von Übergangsvorschriften nicht angenommen (BSG Beschluss vom 2.12.1998 - B 2 U 256/98 B - Juris RdNr 3 mwN). Etwas anderes gilt nur dann, wenn entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen bzw auslaufenden Rechts zu entscheiden ist, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; ebenso zB Senatsbeschlüsse vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - Juris RdNr 32, vom 5.11.2003 - B 6 KA 69/03 B - mwN, vom 20.7.2006 - B 6 KA 32/06 B - RdNr 8 mwN, vom 23.5.2007 - B 6 KA 5/07 B - RdNr 5 und vom 29.8.2007 - B 6 KA 26/07 B - RdNr 9 mwN).

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Der Kläger fragt,

        

"1. War der Bewertungsausschuss (hier als eBewA) verpflichtet, bei der Bestimmung des Verfahrens zur Berechnung und zur Anpassung der RLV nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V im Rahmen seines Beschlusses vom 27./28.8.2008 die Berechnung des arztgruppenspezifischen Anteils am RLV-Vergütungsvolumen bei Erstellung der Vorgaben der Honorarverteilung zwischen Chirurgen und Neurochirurgen so zu differenzieren, dass die Neurochirurgen eine eigene Honorargruppe darstellen beziehungsweise einen eigenen Fachgruppentopf erhalten?
2. War innerhalb der Fachgruppe der Neurochirurgen beziehungsweise hilfsweise Chirurgen/Neurochirurgen so zu differenzieren, dass konservative Praxen im Fall unbilliger Härten einen Anspruch auf eine stützende Honorierung haben?
3. Waren die Vertragspartner des HVV 2009 verpflichtet, zwischen den RLV-relevanten Arztgruppen Chirurgen und Neurochirurgen zu differenzieren und eine Zuordnung des Klägers in die eigene Honorargruppe der Neurochirurgen vorzunehmen?"

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Zur Begründung macht er insbesondere geltend, dass der gemäß § 87b Abs 4 Satz 1 SGB V aF zur Bestimmung des Verfahrens zur Berechnung und Anpassung der RLV berufene Bewertungsausschuss in seiner Sitzung am 27./28.8.2008 einen Beschluss gefasst habe, der die Bildung einer einheitlichen Arztgruppe für Chirurgen und Neurochirurgen vorsehe. Mit dieser Zusammenfassung bei der Bildung des RLV werde gegen das aus Art 12 Abs 1 GG iVm Art 3 Abs 1 GG abzuleitende Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstoßen. Zwei Gruppen, die sich in verschiedener Lage befänden, dürften nur beim Vorliegen zureichender Gründe gleichbehandelt werden.

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Es ist bereits fraglich, ob es für die Entscheidung auf die genannten Fragen der Fachgruppenzuordnung ankommt, weil der Kläger auch geltend macht, dass eine Zuordnung zur Gruppe der Neurochirurgen seinem Anliegen aufgrund seiner singulären Spezialisierung nicht gerecht würde. Das Vorbringen des Klägers kann aus Sicht des Senats insofern nachvollzogen werden, als gerade die Gruppe der Neurochirurgen typischerweise nicht nur konservativ tätig wird, sondern auch Operationen durchführt. Damit stellt sich aber die Frage, aus welchem Grund gerade durch die Zuordnung zur Arztgruppe der Chirurgen Rechte des nur konservativ neurochirurgisch tätigen Klägers verletzt sein sollen.

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Im Ergebnis kommt es darauf indes nicht an. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen sind jedenfalls nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich auf die Auslegung von ausgelaufenem Recht beziehen. Weder die vom Kläger in Bezug genommene Verpflichtung des Bewertungsausschusses aus § 87b Abs 4 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) vom 26.3.2007 (BGBl I 378), das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV zu bestimmen, noch der auf dieser Grundlage ergangene in der Sitzung am 27./28.8.2008 unter Teil F gefasste Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses (DÄ 2008, A-1988) gelten fort. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz) vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) hat der Gesetzgeber nicht nur die Verpflichtung des Bewertungsausschusses zur Regelung bundeseinheitlicher Vorgaben für die Bildung von RLV (§ 87b Abs 4 Satz 1 SGB V), sondern darüber hinausgehend die Vorgabe, dass arzt- und praxisbezogene RLV zu bilden sind (§ 87b Abs 2 SGB V aF) gestrichen. Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Frage, ob für jedes in der Weiterbildungsordnung genannte Gebiet eine eigene Arztgruppe zu bilden ist (verneinend bezogen auf § 85 Abs 4 Satz 7 SGB V idF des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003, BGBl I 2190: Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Mai 2016, § 85 RdNr 270; ebenso zur Festlegung einheitlicher Fallpunktzahlen im Rahmen von RLV für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten: BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 69) und ob eine Zusammenfassung von Chirurgen und Neurochirurgen bei der Bildung des RLV gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt, keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Senat kann keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die vom Kläger aufgeworfenen Fragen zur Rechtmäßigkeit der genannten Regelung zur Bildung der Arztgruppen aus den Beschlüssen des Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben, und der Senat geht auch nicht davon aus, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen zu entscheiden ist, in denen es auf die Auslegung gerade dieser Regelung ankommt.

11

Soweit der Kläger die oben wiedergegebene dritte Frage (S 2 der Beschwerdebegründung) auf Seite 25 seines Schriftsatzes vom 22.4.2016 abweichend wie folgt formuliert:

        

"3. Ist die Anerkennung einer honorarrelevanten Praxisbesonderheit auch dann möglich, wenn eine fachliche Spezialisierung nicht zu einer Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30% führt?"

wird die Beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend begründet; sie ist deshalb insoweit unzulässig. Der Kläger macht zur Begründung geltend, dass die Partner der Gesamtverträge nach Ziffer 3.4 Satz 5 des Honorarverteilungsvertrages (HVV) aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung eine von der 30 %-Grenze abweichende Regelung hätten treffen müssen. Bei den in der Beschwerdebegründung angeführten Bestimmungen des HVV handelt es sich nicht um Bundesrecht, und der Kläger bezeichnet auch keine bundesrechtliche Bestimmung, gegen die die genannte Regelung im HVV oder deren Umsetzung verstoßen würde. Im Übrigen kommt es auf die Frage, ob eine Praxisbesonderheit bereits bei einem Anteil von 20 % und nicht erst von 30 % vorliegt (zur 20 %-Grenze vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 23 mwN; BSG Beschluss vom 28.8.2013 - B 6 KA 24/13 B - Juris), hier nicht an, weil der Anteil der Spezialleistungen des Klägers nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen im Urteil des LSG 20 % deutlich unterschreitet. Dies gilt unabhängig davon, ob die von der Beklagten berücksichtigten Leistungen (Physikalisch-therapeutische Gebührenordnungspositionen nach Nr 02510 und 02512 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen und die Anleitung zur transkutanen elektrischen Nervenstimulation nach Nr 30712 EBM-Ä) überhaupt als Spezialleistungen angesehen werden können. Die Entscheidung der Beklagten, die vom Kläger abgerechneten Grundpauschalen nach den Nr 16210 bis 16212 sowie die Diagnostik und/oder Behandlung von Erkrankungen der Wirbelsäule nach Nr 16232 EBM-Ä nicht als Spezialleistungen zu berücksichtigen, ist jedenfalls ersichtlich zutreffend, weil es sich dabei um Kernleistungen der Neurochirurgen handelt. Auch andere Leistungen, die auf eine besondere Praxisausrichtung hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich. Der Kläger kann allein mit dem Umstand, dass er nicht operiert, sondern ausschließlich konservative Leistungen erbringt, zwar nachvollziehbar begründen, dass er sich von der Mehrzahl der Neurochirurgen unterscheidet. Eine Spezialisierung, die zudem geeignet sein könnte, eine signifikante Überschreitung des Fallwerts der Fachgruppe zu begründen, wird allein daraus aber nicht deutlich, und der Kläger bezeichnet auch keine weiteren Leistungen, die er im Gegensatz zu anderen Ärzten seiner Fachgruppe erbringt.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger auch die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

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3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.

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