Beschluss vom Bundessozialgericht (2. Senat) - B 2 U 123/16 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. sind nicht zu erstatten.

Der Streitwert für das Klage-, Berufungs- und Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beigeladene zu 1. einen Arbeitsunfall erlitten hat.

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Die Beigeladene zu 1. beaufsichtigte auf Bitte des Klägers während seines Urlaubs dessen Hund. Am 30.7.2006 verletzte der Hund sie durch Bisse in Gesicht und Hals. Der Kläger wird deshalb von der Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 1., der Beigeladenen zu 2., auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der beklagte Unfallversicherungsträger lehnte gegenüber dem Kläger die Anerkennung des Ereignisses vom 30.7.2006 als Arbeitsunfall ab, weil die Beigeladene zu 1. im Unfallzeitpunkt nicht zum Kreis der versicherten Personen gehört habe (Bescheid vom 19.12.2011). Die Versorgung des Hundes sei eine Gefälligkeitsleistung gewesen und die Beigeladene zu 1. habe eigenwirtschaftlich im Rahmen ihres Hobbys gehandelt. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.6.2012). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.8.2013) und das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 12.4.2016).

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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger eine Abweichung des Urteils des LSG von Urteilen des BSG iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG sowie das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

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II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist unzulässig. Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie des Vorliegens von Verfahrensmängeln, auf denen die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nicht in der gebotenen Weise bezeichnet.

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Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist dann ausreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde aufzeigt, dass das LSG mit einem sein Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz von einem tragenden Rechtssatz einer Entscheidung des BSG, des gemeinsamen Senats der obersten Bundesgerichte oder des BVerfG abgewichen ist. Hat das Berufungsgericht einen rechtlichen Gesichtspunkt lediglich unberücksichtigt gelassen, liegt darin ein Rechtsanwendungsfehler, der allein nicht zur Zulassung der Revision führen kann. Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Es genügt deshalb nicht, in der Beschwerdebegründung aufzuzeigen, dass das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die eines der genannten Gerichte aufgestellt hat, sondern es muss dargelegt werden, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat (stRspr, vgl zB BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Zwar legt sie dar, dass und warum nach Auffassung des Klägers das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht oder unzutreffend angewandt haben könnte, nicht jedoch - wie es erforderlich wäre -, dass das LSG dieser Rechtsprechung widersprochen, eigene abweichende Rechtssätze entwickelt und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben könnte.

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Den als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gerügten Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG zeigt der Kläger ebenfalls nicht hinreichend auf. Der Kläger führt zwar aus, das LSG hätte in den Entscheidungsgründen seines Urteils begründen müssen, warum eine Versicherung der Beigeladenen zu 1. als Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht vorgelegen habe, zeigt damit einen Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG jedoch nicht hinreichend auf. Der Kläger weist selbst in seiner Beschwerdebegründung vom 19.7.2016 auf Seite 4 darauf hin, dass das LSG diese Frage als zwischen den Beteiligten nicht streitig angesehen hat. Er hätte deshalb näher aufzeigen müssen, aus welchen Gründen es dennoch einer weiteren Begründung durch das LSG zur fehlenden versicherten Beschäftigung nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bedurft hätte. Einem Urteil fehlen nicht schon dann ausreichende Entscheidungsgründe, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz fasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, behandelt, es sei denn, es befasst sich überhaupt nicht mit einer von den Beteiligten aufgeworfenen, entscheidungserheblichen und ggf streitigen Rechtsfrage (vgl BSG vom 10.8.1995 - 11 RAr 91/94 - BSGE 76, 233, 234 = SozR 3-1750 § 945 Nr 1 S 3 mwN).

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Schließlich wird auch die als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gerügte Verletzung des § 128 Abs 2 SGG nicht hinreichend aufgezeigt. Der Kläger rügt, das LSG habe seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. der Verrichtung eines "Doc-Sitters" vergleichbar sei, die typischer Weise auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht im Rahmen einer Beschäftigung, sondern als selbstständige Tätigkeit angeboten werde. Hierzu habe er sich nicht äußern können. Die Beschwerde hätte hier aber dazu vortragen müssen, inwiefern eine Überraschungsentscheidung vorliegen kann, wenn - wie dem Urteil des LSG zu entnehmen ist - bereits das SG seine Klageabweisung hierauf gestützt hatte. Weil eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung nur vorliegt, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl zB BVerfG vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 RdNr 18 mwN), hätte im Einzelnen vorgetragen werden müssen, aus welchen Gründen der im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger nicht damit rechnen musste, dass das LSG seine Entscheidung auf denselben Gesichtspunkt wie das SG stützen würde.

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Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise vgl BVerfG vom 8.12.2010 - 1 BvR 1382/10 - NJW 2011, 1497).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 163 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen, werden Kosten nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) erhoben. Diese Voraussetzungen sind hier in allen Instanzen erfüllt. Weder der beklagte Unfallversicherungsträger noch der Kläger gehört zu den in dieser Vorschrift genannten Personen. Insbesondere ist der Kläger nicht als Versicherter iS des § 183 SGG im Verfahren beteiligt. Anders als ein nur aufgrund seiner Versicherteneigenschaft potentiell Haftungsprivilegierter ist ein Unternehmer, der in seiner Eigenschaft als Unternehmer einen fremden Anspruch einer Versicherten auf Feststellung eines Arbeitsunfalls gemäß § 109 iVm § 104 Abs 1 SGB VII verfolgt, nicht Versicherter iS des § 183 SGG (vgl BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl auch BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 27/10 R - BSGE 109, 285 = SozR 4-2700 § 109 Nr 1, RdNr 31, sowie entsprechend zum Haftpflichtversicherer BSG vom 29.5.2006 - B 2 U 391/05 B - SozR 4-1500 § 193 Nr 3 RdNr 16). Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, weil diese keine Anträge gestellt und sich nicht im Prozess beteiligt haben.

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Der Streitwert war nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 197a Abs 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und 3, § 52 Abs 1, 2 und 3 GKG für alle Rechtszüge auf 5000 Euro festzusetzen. Nach § 52 Abs 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 GKG). Bietet hingegen der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5000 Euro anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG). Letzteres ist hier der Fall, weil der Wert der wirtschaftlichen Bedeutung des Streitgegenstandes für den Kläger nicht feststellbar ist. Streitgegenstand ist nicht eine in Geld zu beziffernde Leistung oder ein hierauf gerichteter Verwaltungsakt, sondern die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall. Dass der Kläger diese Feststellung gemäß § 109 SGB VII als Prozessstandschafter für die beigeladene Versicherte betreibt, ändert den Streitgegenstand nicht. Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte für die Bezifferung des wirtschaftlichen Werts dieser im sozialgerichtlichen Verfahren begehrten Feststellung für den Kläger. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen (so auch Bayerisches LSG vom 12.9.2016 - L 2 U 221/15 - und LSG Baden-Württemberg vom 4.8.2010 - L 2 U 2211/09 - DAR 2010, 658) kann als wirtschaftlicher Wert der begehrten Feststellung nicht die Höhe der vor dem Landgericht gegen den Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung zugrunde gelegt werden, denn ob und in welcher Höhe Ansprüche gegen den Kläger bestehen und durchsetzbar sind, hängt nicht allein von der hier streitigen Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Dementsprechend hat der Senat in Verfahren mit Beteiligten, die die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall gemäß § 109 SGB VII betrieben haben, davon abgesehen, als wirtschaftliches Interesse des potentiell haftungsprivilegierten Beteiligten die Höhe möglicher gegen ihn geltend gemachter zivilrechtlicher Forderungen zugrundezulegen, und den Streitwert nur in Höhe des Auffangstreitwerts von 5000 Euro festgesetzt (vgl BSG vom 24.9.2015 - B 2 U 102/15 B; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 27/10 R - BSGE 109, 285 = SozR 4-2700 § 109 Nr 1, RdNr 33 und BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 35/06 R - UV-Recht Aktuell 2007, 1455; so auch LSG Baden-Württemberg vom 22.5.2014 - L 6 U 5225/13 - UV-Recht Aktuell 2014, 874; vgl auch Becker/Spellbrink, NZS 2012, 283 ff Anhang Ziffer 5).

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Die Festsetzung des Streitwerts iHv 5000 Euro auch für Klage- und Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs 3 Satz 1 GKG. Nach dieser Vorschrift kann die Streitwertfestsetzung der Vorinstanz durch das Rechtsmittelgericht geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Dies gilt auch im Falle der Verwerfung der Beschwerde als unzulässig (vgl BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 6/09 R - ZIP 2010, 2215; BSG vom 10.6.2010 - B 2 U 4/10 B - SozR 4-1920 § 43 Nr 1 RdNr 19 f und BSG vom 5.10.2006 - B 10 LW 5/05 R - BSGE 97, 153 = SozR 4-1500 § 183 Nr 4, RdNr 23). Die Voraussetzungen des § 63 Abs 3 Satz 1 SGG sind hier aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfüllt. Da für die Bestimmung des Streitwerts im Klage- und Berufungsverfahren der Sach- und Streitstand ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte bietet, war er abweichend von den Entscheidungen der Vorinstanzen auf 5000 Euro festzusetzen.

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