Beschluss vom Bundessozialgericht (3. Senat) - B 3 P 1/17 B

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Die 1925 geborene Klägerin ist seit Dezember 2012 wegen erheblicher körperlicher Funktionseinschränkungen der Pflegestufe III zugeordnet. Sie wird zu Hause von zwei bei ihr angestellten Kräften, einer osteuropäischen Haushaltshilfe und einer examinierten Krankenschwester, betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt. Die beklagte Pflegekasse zahlte das Pflegegeld der Pflegestufe III in Höhe von monatlich 728 Euro (bis 31.12.2014 700 Euro), wodurch die Kosten für die Haushaltshilfe (monatlich 1900 Euro zuzüglich Fahrtkosten und Agenturgebühren) und die Krankenschwester (monatlich 1360 Euro bei ca 20 Wochenstunden) nur zu einem geringen Teil abgedeckt wurden.

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Da ihre Pflege und Versorgung stets einwandfrei sei und deshalb kein qualitativer Unterschied zur professionellen Heimpflege bestehe, begehrte die Klägerin im Rahmen eines Persönlichen Budgets nach § 35a SGB XI iVm § 17 Abs 2 bis 4 SGB IX nach dem Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege und des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben die Zahlung jenes Betrages der Pflegestufe III, den die Pflegekasse bei vollstationärer Heimunterbringung (§ 43 SGB XI) oder bei umfassender Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst (§ 36 SGB XI) aufzubringen hätte. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 25.2.2014, Widerspruchsbescheid vom 30.4.2014). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.7.2015). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 27.10.2016): Nach § 35a S 1 SGB XI seien die im Arbeitgebermodell erbrachten Leistungen der Pflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht budgetfähig. Pflegesachleistungen nach den §§ 36, 38 und 41 SGB XI dürften im Rahmen eines Persönlichen Budgets nur in Form von Gutscheinen zur Verfügung gestellt werden, die zur Inanspruchnahme von zugelassenen Pflegeeinrichtungen berechtigen (§ 35a S 1 letzter Halbs SGB XI). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 GG) liege nicht vor. Die stationäre und ambulante Pflege durch vertragliche Leistungserbringer unterliege im Gegensatz zur selbst organisierten häuslichen Pflege, die mit Pflegegeld gefördert wird (§ 37 SGB XI) und an keine weiteren Voraussetzungen gebunden sei, einer strikten inhaltlichen Qualitätskontrolle. Es stehe dem Gesetzgeber frei, diese unterschiedlichen Pflegeformen mit unterschiedlichen Beträgen zu fördern. Die von der Klägerin gewünschte Einzelfallprüfung, ob eine selbst organisierte Pflege der Pflege durch vertragliche Leistungserbringer qualitativ gleichstehe, sei im System der sozialen Pflegeversicherung nicht vorgesehen.

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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch § 160 Abs 2, § 160a Abs 2 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1, § 169 SGG). Die Klägerin weist zwar auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hin, jedoch ist dieser Zulassungsgrund nicht so dargelegt worden, wie § 160a Abs 2 S 3 SGG dies verlangt.

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Zur Darlegung des Revisionszulassungsgrundes, die angegriffene Entscheidung betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), ist es erforderlich, die Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8) oder sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 65 f mwN). Die Voraussetzungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes sind hier nicht erfüllt.

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Es fehlt bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage, anhand derer das Beschwerdegericht in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob dem Fall eine bisher ungeklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt. Lediglich aus dem Gesamtzusammenhang ihres Beschwerdevorbringens lässt sich schließen, dass die Klägerin eine Einbeziehung des Arbeitgebermodells in den Anwendungsbereich der Vorschrift über das Persönliche Budget (§ 35a SGB XI) im Wege verfassungskonformer Auslegung gemäß Art 3 Abs 1 GG für geboten hält, wenn eine qualitativ hochwertige Pflege sichergestellt ist.

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Selbst bei Unterstellung einer solchen Rechtsfrage fehlt es an der Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit. Die Klägerin setzt sich nicht mit dem Regelungsgeflecht des SGB XI zu den Leistungspflichten der Pflegekassen auseinander und zeigt somit nicht auf, dass die Ausklammerung des Arbeitgebermodells aus dem Anwendungsbereich des § 35a SGB XI systemwidrig und sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Nach § 72 Abs 1 S 1 SGB XI dürfen die Pflegekassen ambulante und stationäre Pflege nur durch Pflegeeinrichtungen (§ 71 SGB XI) gewähren, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht (zugelassene Pflegeeinrichtungen). Zur häuslichen Pflege durch Einzelpersonen hat der Gesetzgeber in § 77 SGB XI detaillierte Sonderregelungen geschaffen, die ebenfalls ein Vertragsverhältnis zwischen Pflegekraft und der Pflegekasse voraussetzen und das Arbeitgebermodell ausschließen (so die ausdrückliche Anordnung in § 77 Abs 1 S 4 SGB XI). Soweit dennoch ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Versicherten und der Pflegekraft abgeschlossen worden ist, muss der Arbeitsvertrag gekündigt werden, es sei denn, der Vertrag ist bereits - anders als hier - vor dem 1.5.1996 geschlossen worden und die Pflegekasse hat die Pflegeleistungen vor diesem Zeitpunkt vergütet (Bestandsschutz nach § 77 Abs 1 S 5 und 6 SGB XI). Es wird nicht dargelegt, welche Vorschrift dann - unter Heranziehung bestimmter unter dem Blickwinkel des Art 3 Abs 1 GG zu würdigender rechtlicher Gesichtspunkte - noch Raum lässt für die von der Klägerin gewünschte Einzelfallprüfung.

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Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang wiederholt mit § 38 SGB XI argumentiert, ist festzuhalten, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall keine Rolle spielt, weil Kombinationsleistungen, also das Nebeneinander von professionellen Pflegeleistungen und Pflegegeld, seit der Kündigung des Pflegevertrages (§ 120 SGB XI) mit dem ambulanten Pflegedienst nicht mehr in Anspruch genommen werden. Die Organisation der Pflege über selbst beschaffte, in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Pflegebedürftigen stehende Kräfte wird ausschließlich von § 37 SGB XI erfasst und rechtfertigt allein die Zahlung von Pflegegeld. Dieser Verpflichtung kommt die Beklagte nach.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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