Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 KA 75/16 B

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. August 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 7.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 928 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Die früher als Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger wenden sich gegen Arzneikostenregresse wegen der Verordnung des Präparates "LeukoNorm CytoChemia" für zwei bei einer Innungskrankenkasse versicherte Patientinnen in den Quartalen I und II/2005. Die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels "LeukoNorm", das in der DDR entwickelt worden war und nach dem Einigungsvertrag zunächst auch im früheren Bundesgebiet als verkehrsfähig galt, ist seit Jahren umstritten. Die Kläger haben nach ihren eigenen Angaben das Mittel bei Patientinnen zur Verhinderung von vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen eingesetzt und nach ihrer Einschätzung damit in den beiden Behandlungsfällen Erfolg gehabt.

2

Die beklagte Prüfungsstelle hat auf Antrag der Krankenkasse der beiden Versicherten gegen die Kläger einen Regress in Höhe von insgesamt 10 928 Euro festgesetzt, weil mit den Verordnungen von "LeukoNorm CytoChemia" gegen Nr 3 iVm Nr 20.2f der Arzneimittel-Richtlinie (AMRL) in der 2005 geltenden Fassung verstoßen worden sei. Das Arzneimittel sei ein Umstimmungsmittel (Immunstimulanz), das grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnungsfähig sei. Zu den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit hätten die Kläger nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

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Das LSG hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Anrufung des Beschwerdeausschusses sei gemäß § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung, heute § 106c Abs 3 Satz 6) hier nicht erforderlich gewesen, weil es um die Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen gehe, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind. Ein solcher Fall liege hier vor. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien im Übrigen rechtmäßig, weil "LeukoNorm" generell im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung im Jahre 2005 nicht hätte verordnet werden dürfen (Urteil vom 24.8.2016).

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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Den von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegt nur vor, wenn in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren Rechtsfragen zu entscheiden wären, deren Bedeutung über den Einzelfall hinaus geht. Die Klärungsbedürftigkeit entfällt, wenn sich die Antwort auf die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen unmittelbar aus dem Gesetz, aus der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung oder aus untergesetzlichen Rechtsvorschriften so eindeutig ergibt, dass kein weiterer Klärungsbedarf für ein Revisionsverfahren besteht (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 28.9.2016 - B 6 KA 17/16 B - Juris RdNr 4 f). Diese Voraussetzungen sind für die beiden von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen erfüllt.

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1. Soweit die Kläger Klärungsbedarf hinsichtlich des Eingreifens der Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V aufwerfen und der Auffassung sind, im Fall von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung eines ehemals fiktiv zugelassenen Arzneimittels müsse ein Vorverfahren vor dem fachkundig besetzten Beschwerdeausschuss stattfinden, trifft das nach der zu § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V ergangenen Rechtsprechung des Senats nicht zu. Der erneuten Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es insoweit nicht.

8

Die Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V greift nach der Rechtsprechung des Senats ein, wenn sich die Unzulässigkeit einer vertragsärztlichen Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des G-BA ergibt (Urteil vom 2.7.2014 - SozR 4-2500 § 106 Nr 45). Dabei muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Die Kläger selbst stellen nicht in Frage, dass im Hinblick auf die lediglich fiktive Zulassung von "LeukoNorm", das über keine eigene Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) verfügt hat, dieses Mittel zumindest nach der Rechtsprechung aller damit befassten Senate des BSG jedenfalls regelhaft nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden durfte. Diese klare, aus der fehlenden Zulassung nach dem AMG und einer darauf Bezug nehmenden Regelung in den AMRL beruhende Rechtsfolge reicht für die Anwendung des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V aus. Dass nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG in besonders gelagerten Einzelfällen eine vertragsärztliche Verordnung auch eines nicht für die jeweilige Indikation oder nur eingeschränkt arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimittels in Betracht kam, wenn dem Versicherten zur fraglichen Zeit ein entsprechender Versorgungsanspruch zugestanden hat, lässt die Anwendbarkeit der Grundregel dieser Vorschrift nicht entfallen. Der Senat hat bereits klargestellt, dass über das Eingreifen der Ausschlussregelung des Vorverfahrens spätestens mit dem Erlass des Bescheides der Prüfungsstelle Klarheit bestehen muss. Deshalb kann es für die Frage, ob gegen einen Regressbescheid der Beschwerdeausschuss angerufen werden muss oder unmittelbar Klage erhoben werden kann, nicht darauf ankommen, wie der Arzt seinen Rechtsbehelf begründet, insbesondere ob er einen Ausnahmefall geltend macht, ob er diesen ausreichend begründet und ob ein Ausnahmefall sich aufdrängt oder auch nur möglich erscheint (Senatsurteil vom 2.7.2014 - SozR 4-2500 § 106 Nr 45 RdNr 19 ff). Dass von diesem Grundsatz für den Sonderfall einer fiktiven Zulassung eines Arzneimittels auf der Grundlage des Rechts der früheren DDR eine Ausnahme zu machen sei, ist nicht erkennbar und wird von der Beschwerde auch nicht hinreichend deutlich dargelegt.

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2. Revisionsrechtlicher Klärungsbedarf besteht auch nicht, soweit die Kläger die Frage aufwerfen, ob ein Arzneimittel mit einer ehemals fiktiven Zulassung wie "LeukoNorm" in medizinisch begründeten Ausnahmefällen zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden konnte. Der Senat hat sich in Urteilen und eingehend begründeten Entscheidungen über Nichtzulassungsbeschwerden in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des für das Leistungsrecht der Krankenversicherung zuständigen 1. Senats des BSG mit der Verordnungsfähigkeit von "LeukoNorm" befasst und diese regelmäßig verneint. Mit Beschluss vom 28.8.2013 - B 6 KA 27/13 B - Juris - hat der Senat eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, in der die Verordnungsfähigkeit von "LeukoNorm" im Jahre 2005, also vor der endgültigen Ablehnung der Weiterzulassung durch das zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, betroffen war. Auch in diesen Verfahren ging es - wie in dem hier zu beurteilenden - um den Einsatz von "LeukoNorm" zur Fertilitätsbehandlung. Der Senat hat sich in dem zitierten Beschluss vom 28.8.2013 umfassend mit den Einwendungen gegen den generellen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm auseinandergesetzt. An diese Grundsätze hat der Senat zuletzt in den Beschlüssen vom 15.7.2015 - B 6 KA 18/15 B und B 6 KA 19/15 B - Juris - angeknüpft. Auch in diesen Verfahren ging es um vertragsärztliche Verordnungen aus dem Jahre 2005. Der Senat hat in diesen Beschlüssen erneut auf seine eigene Rechtsprechung sowie die Rechtsprechung des 1. Senats Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass die lediglich fiktive Zulassung von "LeukoNorm" gerade nicht zur Folge hatte, dass Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels in dem nach dem AMG vorgesehenen Verfahren geprüft worden sind, sodass im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung der Einsatz entsprechender Arzneimittel grundsätzlich nicht in Frage kommt. Die lediglich auf übergangsrechtlichen Vorschriften beruhende Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln, die keine Prüfung auf den Maßstäben des AMG durchlaufen haben, führt nicht ohne Weiteres zur Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Krankenkassen. Nur wenn im Verfahren der Zulassung des Arzneimittels eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt ist, ist die Arzneimittelzulassung als ausreichend auch für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu akzeptieren (Beschluss vom 15.7.2015 - B 6 KA 18/15 B - RdNr 5 unter Hinweis auf BSGE 95, 132 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21). Da mithin durch aktuelle Rechtsprechung des Senats die maßgeblichen Grundsätze hinsichtlich der fehlenden Verordnungsfähigkeit von "LeukoNorm" geklärt sind, bedarf es mehr als zwölf Jahren nach den hier streitigen vertragsärztlichen Verordnungen und elf Jahre nach endgültiger Klärung der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung von "LeukoNorm" keiner erneuten revisionsgerichtlichen Entscheidung. Ob und ggf unter welchen Voraussetzungen in ganz besonders gelagerten Einzelfällen, insbesondere im Hinblick auf lebensbedrohliche Gesundheitszustände, im Jahre 2005 entsprechende Verordnungen zulässig gewesen sein können, hat - im Hinblick auf die zahlreichen inzwischen vorliegenden Entscheidungen zu "LeukoNorm" - keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung mehr.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

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Hinsichtlich des Streitwertes folgt der Senat den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Festsetzungen der vorinstanzlichen Gerichte.

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