Urteil vom Bundessozialgericht (12. Senat) - B 12 KR 9/16 R

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. Dezember 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen streitig.

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Der Kläger betrieb von 1994 bis 2004 ein Taxiunternehmen und verfügte zuletzt über 146 Konzessionen. Zumindest seit 1999 überließ er seine Taxis an Fahrer, die ihm dafür pauschal 80 DM, später 40 Euro pro Tag zahlten, im Gegenzug aber die erzielten Einnahmen behalten durften. Die Kraftstoffkosten trugen die Fahrer selbst, während der Kläger Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Fahrzeugen in seiner eigenen Werkstatt und auf eigene Kosten durchführen ließ. Um dieses sog "Mietmodell" zu verschleiern, führte der Kläger von 1999 bis 2004 Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung (sPV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung für die an dem "Mietmodell" beteiligten Fahrer auf der Grundlage eines tatsächlich nie gezahlten Arbeitslohns an die beklagte Einzugsstelle ab. Die laut Verdienstabrechnung zu zahlenden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ließ sich der Kläger von den Taxifahrern wieder erstatten.

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Mit Urteil des LG Hamburg vom 3.3.2005 (620 KLs 13/04) wurde der Kläger im Zusammenhang mit dem "Mietmodell" wegen vollendeter und versuchter Steuerhinterziehung in jeweils mehreren Fällen zu einer Freiheits- und Geldstrafe verurteilt. Seinen daraufhin gestellten Antrag, ihm die für die Jahre 1999 bis 2004 gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, weil die am "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer nach den Urteilsgründen des LG selbstständig tätig und damit nicht versicherungspflichtig gewesen seien, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 22.6.2006; Widerspruchsbescheid vom 13.9.2006).

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Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Hamburg vom 25.1.2011; Urteil des LSG Hamburg vom 18.12.2015). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob die an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer als Beschäftigte versicherungspflichtig gewesen seien. Dem geltend gemachten Erstattungsanspruch stehe bereits der Einwand unzulässiger Rechtsausübung wegen Kenntnis der Nichtschuld nach § 814 BGB entgegen. Diese Vorschrift finde auf den Beitragserstattungsanspruch des § 26 Abs 2 SGB IV als Sonderfall des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs jedenfalls dann Anwendung, wenn gezielt über das Bestehen des Rechtsgrundes getäuscht werde. Ein solches Rechtsverständnis verstoße nicht gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der einer Abwägung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, gegen den der Kläger durch seine Täuschungshandlung verstoßen habe, zugänglich sei. Die Voraussetzungen des § 814 BGB seien erfüllt. Im Bewusstsein, die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich nicht zu schulden, sei es dem Kläger gerade darauf angekommen, durch die Meldung der an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer zur Sozialversicherung und die Entrichtung von Beiträgen den Anschein einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu erwecken.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 26 Abs 2 SGB IV iVm § 814 BGB. Er habe sich zwar unredlich im Sinne des Personenbeförderungsrechts verhalten, aber nicht mit Täuschungs- und Schädigungsabsicht gegenüber der Beklagten gehandelt. Die Ablehnung des Erstattungsanspruchs widerspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

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Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Hamburg vom 18.12.2015 und des SG Hamburg vom 25.1.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.6.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.9.2006 aufzuheben und die Beklagte zur verurteilen, an den Kläger 22 853 Euro zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

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Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

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A. Die Sache ist bereits deshalb zurückzuverweisen, weil es das LSG versäumt hat, die zuständige Pflegekasse sowie die Taxifahrer, für die der Kläger Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte abgeführt hat, zum Verfahren beizuladen, obwohl dies nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig gewesen wäre. Danach sind Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, beizuladen (sog echte notwendige Beiladung). Ein entsprechender Verfahrensfehler ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6, RdNr 15 mwN).

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Die Pflegekasse ist beizuladen, weil der Kläger auch die Erstattung von Beiträgen zur sPV begehrt. Die mit der Feststellung oder Ablehnung des Erstattungsanspruchs einhergehende Entscheidung über die Beitragspflicht und Beitragshöhe (vgl BSG Urteil vom 15.8.1991 - 12 RK 25/89 - SozR 3-2400 § 26 Nr 4 S 12) betrifft die Rechte der Pflegekasse als Inhaberin des ihr zustehenden Teils der Beitragsforderung (vgl BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 12 KR 12/01 R - BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4, mwN). Ob sich die Klage hinsichtlich der Beiträge zur sPV zutreffend gegen die beklagte Krankenkasse als für deren Erstattung zuständiger Versicherungsträger richtet (dazu B. 3.), ist für die Notwendigkeit der Beiladung ohne Belang (zum Beiladungserfordernis sogar bei evtl unzulässiger Berufung vgl BSG Beschluss vom 25.10.2012 - B 9 VJ 5/10 B - Juris RdNr 12).

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Die an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer sind notwendig beizuladen, weil der Erstattungsanspruch von deren Einordnung als versicherungspflichtige Beschäftigte oder selbstständig Tätige abhängt. Bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Versicherungsträger oder Einzugsstelle wegen Beitragsforderungen ist jedenfalls die Beiladung derjenigen (vermeintlich) Beschäftigten geboten, deren personenbezogene Versicherungspflicht die Beitragspflicht begründen soll (anders bei sog nicht personenbezogenen Summenbescheiden, vgl BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6, RdNr 20 mwN). Dass mit der Klage nicht eine Beitragsforderung abgewendet, sondern eine Erstattungsforderung durchgesetzt werden soll, ist unschädlich, weil die Prüfung des Erstattungsanspruchs - wie bereits ausgeführt wurde - eine Entscheidung über Grund und Höhe der Beitragspflicht voraussetzt.

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Eine Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren mit Zustimmung der Beizuladenden (§ 168 S 2 SGG), die in das Ermessen des Revisionsgerichts gestellt ist, war wegen notwendiger Zurückverweisung aus anderen Gründen nicht sachdienlich (vgl BSG Urteil vom 24.3.2009 - B 8 SO 29/07 R - BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14 mwN).

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B. In der Sache erlauben die vom LSG getroffenen Feststellungen keine abschließende Beurteilung darüber, ob dem Kläger, und wenn ja, in welcher Höhe und durch wen Beiträge zu erstatten sind. Dem geltend gemachten Erstattungsanspruch steht nicht bereits der Einwand der Kenntnis der Nichtschuld entgegen (dazu 1.). Daher wird das LSG zu klären haben, welche der am "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer als abhängig Beschäftigte der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlagen, in welcher Höhe und ggf wann der Kläger Beiträge gezahlt hat, und ob ihm Beiträge von einem Dritten ersetzt worden sind (dazu 2.). Die Ablehnung der Erstattung von zur sPV entrichteten Beiträgen ist hingegen schon deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil die Beklagte hierüber nicht hätte entscheiden dürfen (dazu 3.).

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1. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist nicht schon wegen des Einwands der Kenntnis der Nichtschuld nach § 814 Alt 1 BGB ausgeschlossen. Nach § 814 Alt 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Dieser Einwand würde den Erstattungsanspruch zwar ausschließen, weil der Kläger nach den Feststellungen des LSG die Beitragsleistung jedenfalls auch für den Fall einer fehlenden Beitragsschuld bewirken wollte (vgl BGH Urteil vom 13.5.2014 - XI ZR 170/13 - Juris RdNr 112). Er findet aber auf den speziellen Beitragserstattungsanspruch des § 26 Abs 2 SGB IV keine Anwendung (so zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 2 U 21/12 R - BSGE 115, 247 = SozR 4-7610 § 812 Nr 7, RdNr 27; insoweit aA BSG Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 29 mwN). Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift (dazu a), der Gesetzessystematik (dazu b) und der Entstehungsgeschichte des Beitragserstattungsrechts (dazu c). Der mit § 26 Abs 2 SGB IV verfolgte Zweck zwingt zu keinem anderen Ergebnis (dazu d). Auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 2 U 21/12 R - BSGE 115, 247 = SozR 4-7610 § 812 Nr 7, RdNr 27 mwN und OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 28.11.1991 - 1 A 10312/89 - Juris RdNr 24) kommt es infolgedessen nicht mehr an.

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a) Gemäß § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Der Wortlaut dieser Vorschrift ordnet weder ausdrücklich noch über eine Verweisung auf § 814 BGB die Anwendbarkeit des Einwands der Kenntnis der Nichtschuld an. Die Regelung knüpft zudem nicht an ein vorwerfbares Verhalten eines am Beitragseinzug Beteiligten an, sondern bestimmt abschließend und ohne Schuldprüfung die Abwicklung einer unrechtmäßigen Beitragsentrichtung (so schon BSG Urteil vom 29.1.1998 - B 12 KR 11/97 R - SozR 3-2400 § 26 Nr 10 S 49).

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b) Auch gesetzessystematische Erwägungen sprechen gegen eine Anwendung des § 814 Alt 1 BGB im Rahmen des § 26 Abs 2 SGB IV. Der Einwand der Kenntnis der Nichtschuld ist Ausdruck des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") und damit des Grundsatzes von Treu und Glauben (BGH Urteil vom 13.2.2008 - VIII ZR 208/07 - Juris RdNr 16 mwN). Der Beitragserstattungsanspruch wird hingegen durch andere Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben flankiert, während es an einer § 814 Alt 1 BGB entsprechenden Regelung fehlt. Zum einen ist nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge ausgeschlossen, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund der zu erstattenden Beiträge oder für den Zeitraum, für den diese zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Auch in diesen Verfallsklauseln, die auf der Vorstellung einer wechselseitigen Abhängigkeit von Beiträgen und Leistungen beruhen (BSG Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18, 24 = SozR 1300 § 44 SGB X Nr 31 S 86) und die nachträgliche Beseitigung der finanziellen Beteiligung an den Aufwendungen der Versichertengemeinschaft verhindern sollen, hat der Grundsatz von Treu und Glauben in Gestalt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens seinen Niederschlag gefunden (vgl BSG Urteil vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - BSGE 83, 270, 277 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11 S 57 mwN). Zum anderen sieht § 27 Abs 2 S 1 SGB IV vor, dass der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs verjährt, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Mit dieser Verjährungsvorschrift wird ebenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben - nunmehr in Gestalt der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten - konkretisiert (BSG Urteil vom 29.7.2003 - B 12 AL 1/02 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 10). Die speziell den Beitragserstattungsanspruch nach § 26 Abs 2 SGB IV betreffenden Sonderregelungen des § 26 Abs 2 Halbs 1 und § 27 Abs 2 S 1 SGB IV machen deutlich, dass der Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit dem Beitragserstattungsanspruch nicht umfassend, sondern nur in Gestalt bestimmter Ausprägungen Berücksichtigung finden soll.

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Darüber hinaus ist gesetzessystematisch § 44 Abs 1 S 2 SGB X zu berücksichtigen, der für den Fall eines rechtswidrig erlassenen Beitragsbescheids eine mit den Rechtswirkungen des § 814 Alt 1 BGB vergleichbare Regelung enthält. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X). Das gilt nach § 44 Abs 1 S 2 SGB X aber nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Ein solcher unlauter zustande gekommener und damit nicht zurücknehmbarer Verwaltungsakt bildet den Rechtsgrund für die Beitragsentrichtung und schließt die Beitragserstattung aus (vgl BSG Urteil vom 27.1.2000 - B 12 KR 10/99 R - SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 43 f). Hätte der Gesetzgeber einen entsprechenden Ausschluss wegen eines vorwerfbaren Verhaltens auch im Zusammenhang mit der Beitragserstattung nach § 26 Abs 2 SGB IV regeln wollen, wäre dies ebenfalls normativ zum Ausdruck gebracht worden.

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c) Die Gesetzeshistorie bestätigt dieses Ergebnis. Nach der Gesetzesbegründung entspricht § 26 Abs 2 SGB IV (= § 27 des Gesetzentwurfs) zwar einem allgemeinen Rechtsgrundsatz (BT-Drucks 7/4122, S 34 zu §§ 22 bis 29). Der Annahme eines rechtsgrundsätzlichen generellen Ausschlusses von Erstattungsansprüchen bei Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld steht indes entgegen, dass der Gesetzgeber der §§ 812 ff BGB bewusst davon Abstand genommen hat, den Bereicherungsanspruch mit dem Irrtum über das Bestehen der Leistungspflicht zu verknüpfen (Mot II zum Entwurf eines BGB S 833).

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Ungeachtet dessen legte § 1446 RVO (idF vom 19.7.1911 - RGBl I 509) für die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung des Vierten Buches der RVO Sonderregelungen für Beiträge fest, "die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet worden" waren. Hierzu zählte ua die 10-jährige Rückforderungsfrist für Versicherte, sofern eine Rente nicht schon rechtskräftig bewilligt und die Verwendung der Beitragsmarken nicht in betrügerischer Absicht geschehen war (§ 1446 Abs 2 RVO). Daneben galt für andere, unabhängig von einem Irrtum über die Versicherungspflicht überzahlte Beiträge die für das Sozialversicherungsrecht der RVO allgemein maßgebende Vorschrift des § 29 Abs 2 RVO (idF vom 19.7.1911, aaO), wonach der Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen in sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs verjährte, in dem sie entrichtet worden sind, jedoch vorbehaltlich ua des § 1446 Abs 2 RVO (zur Reichweite dieses Vorbehalts vgl RVA vom 20.2.1915 - II 754/15 - AN 1915, 442, 443; RVA vom 10.3.1914 - II 1532/14 - AN 1914, 455; zum Anwendungsbereich des § 29 Abs 2 RVO vgl auch Stier-Somlo, Handkommentar zur RVO, 3. Aufl 1929, § 29 Anm 3; Hanow, Kommentar zur RVO Erstes Buch, 5. Aufl 1926, § 29 Anm 9a). Mit der Einführung des § 1445c RVO (durch das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21.12.1937 - RGBl I 1393), der die Rückforderung zu Unrecht entrichteter Beiträge binnen zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs der Entrichtung vorsah, sofern aus diesen Beiträgen nicht eine Leistung bewilligt worden war (Abs 1 und 3), ist § 1446 Abs 2 RVO weggefallen. Die Regelungen des § 1445c Abs 1 und 3 RVO sind zum 1.1.1957 durch das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23.2.1957 (BGBl I 45) in § 1424 RVO übernommen worden. Diese Vorschrift ist mit der Einführung des SGB IV vom 23.12.1976 (BGBl I 3845) zum 1.7.1977 gestrichen und durch § 26 Abs 2 SGB IV ersetzt worden. Der Gesetzgeber der RVO hat damit zwischen der irrtumsbedingten und irrtumsunabhängigen Beitragserstattung unterschieden. Dass er Beitragserstattungsansprüche auf Fälle einer irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht beschränken wollte, ist weder bei Einführung der §§ 1445c, 1424 RVO noch bei deren Ablösung durch § 26 Abs 2 SGB IV deutlich geworden. Vielmehr ist die dem Bereicherungsrecht der §§ 812 ff BGB zugrundeliegende Entscheidung für einen irrtumsunabhängigen Bereicherungsanspruch auf den Beitragserstattungsanspruch übertragen worden, ohne zugleich eine § 814 Alt 1 BGB entsprechende Ausschlussregelung zu treffen.

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d) Eine andere Beurteilung ist auch nicht durch den mit § 26 Abs 2 SGB IV verfolgten Zweck geboten. Der Beitragserstattungsanspruch zielt darauf ab, eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung auszugleichen, die darauf beruht, dass Beiträge zur Sozialversicherung zu Unrecht entrichtet wurden (Waßer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl 2016, § 26 SGB IV RdNr 25). Er dient der Abwicklung einer unrechtmäßigen Beitragsentrichtung, ohne an ein evtl vorwerfbares Verhalten eines am Beitragseinzug Beteiligten anzuknüpfen (vgl BSG Urteil vom 29.1.1998 - B 12 KR 11/97 R - SozR 3-2400 § 26 Nr 10 S 49).

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2. Ob und ggf in welcher Höhe dem Kläger der geltend gemachte Erstattungsanspruch zusteht, lässt sich anhand der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Sie erlauben keine Entscheidung, ob die an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer abhängig beschäftigt iS des § 7 Abs 1 SGB IV oder selbstständig tätig waren (dazu a). Unklar ist auch, in welcher Höhe der Kläger Beiträge entrichtet hat (dazu b). Zudem ist der Zeitpunkt der Beitragsentrichtung festzustellen, um prüfen zu können, welcher Leistungsträger für die Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung zuständig ist (dazu c). Schließlich ist für eine Beitragserstattung nur Raum, soweit dem Kläger Beiträge nicht bereits ersetzt worden sind (dazu d).

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a) Beiträge sind zu Unrecht entrichtet, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Entrichtung mangels Versicherungs- und Beitragspflicht dem Grunde oder der Höhe nach ohne Rechtsgrund gezahlt worden sind (vgl BSG Urteil vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - BSGE 118, 213 = SozR 4-2400 § 27 Nr 6, RdNr 13). Ob die an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer als Beschäftigte der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlagen (§ 1 S 1 Nr 1 SGB VI, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 25 Abs 1 S 1 SGB III, § 20 Abs 1 S 1 und 2 Nr 1 Halbs 1 SGB XI), wird das LSG unter Anwendung der nach ständiger Rechtsprechung des BSG geltenden Grundsätze zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit zu klären haben. Der sozialversicherungsrechtliche Status richtet sich, ausgehend von den eine Beschäftigung einerseits und eine selbstständige Tätigkeit andererseits kennzeichnenden Umständen, nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden. Haben die Beteiligten eine rechtlich zulässige Vereinbarung getroffen, ist deren Inhalt konkret festzustellen und zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (statt vieler BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29 RdNr 13 f mwN).

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Von einer abhängigen Beschäftigung der an dem "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer kann nicht schon deshalb ausgegangen werden, weil sie nach den Feststellungen des LSG weder über eine Konzession noch über ein eigenes Taxi verfügten (anders Seewald in KassKomm, § 7 SGB IV RdNr 125 , Stand Dez 2016, unter Verweis auf Anl 5 des Gemeinsamen Rundschreibens zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit vom 13.4.2010). Hierbei handelt es sich lediglich um zwei gegen eine selbstständige Tätigkeit sprechende Gesichtspunkte unter mehreren - noch festzustellenden - Indizien. Wer mit einem Taxi entgeltlich oder geschäftsmäßig Personen befördert, muss im Besitz einer Genehmigung sein und ist Unternehmer im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG; §§ 2 Abs 1 S 1 Nr 4, S 2 iVm § 1 und §§ 46, 47 PBefG). Wer ohne die erforderliche Konzession Personen befördert, handelt zwar ordnungswidrig (§ 61 Abs 1 Nr 1 PBefG), verliert dadurch aber nicht seine Eigenschaft als Unternehmer im Sinne des Personenbeförderungsrechts, die an die entgeltliche oder geschäftsmäßige Personenbeförderung und die im übrigen Geschäftsleben für die Unternehmereigenschaft maßgebenden Merkmale anknüpft (BVerwG Urteil vom 27.3.1992 - 7 C 26/91 - Buchholz 442.01 § 45a PBefG Nr 5). Die fehlende Genehmigung steht auch nicht zwingend einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts entgegen (vgl auch LSG Hamburg Urteil vom 4.12.2013 - L 2 R 116/12 - Juris RdNr 41 sowie LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 14.12.2016 - L 9 KR 344/13 - Juris RdNr 78, das die personenbeförderungsrechtliche Konzession als "immaterielles Betriebsmittel" ansieht; zu einer Physiotherapeutin ohne Zulassung zur Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung vgl BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29). Dass die am "Mietmodell" beteiligten Taxifahrer nicht Eigentümer der genutzten Fahrzeuge und damit nicht iS von § 903 S 1 BGB berechtigt waren, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, ist ebenfalls lediglich ein gegen selbstständige Tätigkeit sprechendes Indiz, steht dieser aber nicht von vornherein entgegen. Aufgrund anderer sachenrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (zB Vorbehaltseigentum oder Sicherungsübereignung) ist zumindest denkbar, dass ein Taxifahrer, ohne Eigentümer zu sein, gleichwohl die tatsächliche Herrschaft über das von ihm genutzte Fahrzeug und dieses jederzeit zur freien Verfügung hat.

26

Vor diesem Hintergrund wird das LSG sämtliche für und gegen eine abhängige Beschäftigung bzw selbstständige Tätigkeit sprechenden Indizien, insbesondere zwischen dem Kläger und den Taxifahrern evtl getroffene Vereinbarungen, deren Weisungsgebundenheit sowie Verfügungsmöglichkeit über die Fahrzeuge und ihre Arbeitszeit aufzuklären haben. Von entsprechenden Ermittlungen kann nicht aufgrund des Strafurteils des LG Hamburg vom 3.3.2005 (620 KLs 13/04) abgesehen werden, wonach die Taxis zur selbstständigen Nutzung überlassen worden seien. Aufgrund des sowohl im Sozialverwaltungs- als auch sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§§ 20 ff SGB X, § 103 SGG) ist der Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte sind grundsätzlich nicht an die Entscheidungen von Strafgerichten gebunden. Sie dürfen deren Einschätzung zum Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit weder vorschnell übernehmen noch im Hinblick auf Strafurteile von einer eigenen Beweiserhebung und Beweiswürdigung absehen.

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b) Unabhängig vom Ergebnis der vom LSG vorzunehmenden Gesamtabwägung der das "Mietmodell" kennzeichnenden tatsächlichen Umstände wird das Berufungsgericht die Höhe der vom Kläger für die beteiligten Taxifahrer entrichteten Beiträge festzustellen haben. Im Falle einer versicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung kommt ein Erstattungsanspruch nur in Höhe ggf zu viel entrichteter Beiträge in Betracht. Die evtl Nichtaufklärbarkeit der für die Beitragsbemessung maßgebenden Arbeitsentgelte und damit einer etwaigen Differenz zwischen zu zahlenden und tatsächlich entrichteten Beiträgen geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (vgl hierzu BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 30 f) zu Lasten des Klägers. Bei einer selbstständigen Tätigkeit der Taxifahrer deckt sich der Erstattungsanspruch mit der Summe der gezahlten Beiträge.

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c) Soweit dem Kläger ein Erstattungsanspruch dem Grunde nach zusteht, wird das LSG weiter festzustellen haben, wann er die Beiträge entrichtet hat. Vom Zeitpunkt der Beitragszahlung hängt ab, ob sich der Anspruch auf Erstattung der Beiträge zur GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung gegen die Beklagte oder gegen den jeweiligen Rentenversicherungsträger bzw die Agentur für Arbeit selbst richtet. Zur Erstattung ist derjenige Versicherungsträger verpflichtet, dem die entsprechenden Beiträge zugeflossen sind (BSG Urteil vom 25.8.2004 - B 12 KR 30/03 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 3 RdNr 14). Daher ist die beklagte Krankenkasse auch selbst für die Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zuständig und insoweit passivlegitimiert. Dagegen kommt eine entsprechende Sachentscheidungskompetenz für die GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung nur in den Grenzen der jeweiligen spezialgesetzlichen Ermächtigungen (§ 211 S 1 Nr 1 SGB VI, § 351 Abs 2 Nr 2 SGB III iVm den Gemeinsamen Grundsätzen der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus einer Beschäftigung" vom 21.11.2006) in Betracht. Danach ist für die Bearbeitung des Antrags auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Renten- oder Arbeitslosenversicherungsbeiträge ausschließlich der Rentenversicherungsträger oder die Agentur für Arbeit zuständig, wenn der Erstattungsanspruch ganz oder teilweise verjährt ist (Nr 4.3.2 Buchst d, Nr 4.3.3 Buchst b der Gemeinsamen Grundsätze). Inwieweit dies der Fall ist, wird das LSG zu prüfen haben. Hätte die Beklagte wegen (teilweise) verjährter Beiträge zur GRV und/oder nach dem Recht der Arbeitsförderung unzuständig anstelle des jeweiligen Rentenversicherungsträgers oder der Agentur für Arbeit über deren Erstattung entschieden, wäre der angefochtene Verwaltungsakt insoweit schon aus diesem Grund rechtswidrig und aufzuheben (dazu 3.).

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d) Zudem wird das LSG zu klären haben, ob ein evtl Erstattungsanspruch nach § 26 Abs 3 S 2 SGB IV ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift entfällt der Erstattungsanspruch, soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind. Ein Ersatz der Arbeitgeberbeiträge durch am "Mietmodell" beteiligte Taxifahrer, der nach den Feststellungen des LSG bislang nicht habe geklärt werden können, würde dem Erstattungsanspruch entgegenstehen.

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3. Schließlich wird das LSG im wieder eröffneten Berufungsverfahren zu beachten haben, dass der angefochtene Verwaltungsakt aufzuheben ist, soweit die Beklagte auch die Erstattung der Beiträge zur sPV abgelehnt hat. Mangels einer § 211 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI oder § 351 Abs 2 Nr 2 SGB III vergleichbaren Grundlage ist die Beklagte nicht für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur sPV zuständig (BSG Urteil vom 25.8.2004 - B 12 KR 30/03 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 3 RdNr 5). Die sachliche Unzuständigkeit der Beklagten für die hierüber getroffene Entscheidung führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung des insoweit angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl BSG Urteil vom 5.5.1988 - 12 RK 42/87 - SozR 2200 § 1425 Nr 3 S 3).

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4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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