Beschluss vom Bundessozialgericht (6. Senat) - B 6 SF 3/17 S

Tenor

Auf die Erinnerung wird in dem Verzeichnis der Pauschgebühren des Bundessozialgerichts für das Quartal IV/2016 vom 11. Januar 2017 die Feststellung, dass die Erinnerungsführerin für das Revisionsverfahren B 14 AS 5/15 R eine Gebühr in Höhe von 300 Euro schulde, aufgehoben.

Kosten für das Erinnerungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wendet sich als Erinnerungsführerin gegen die Feststellung einer Gebührenschuld (Pauschgebühren) für das Revisionsverfahren B 14 AS 5/15 R, an dem sie als Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin beteiligt war. In diesem Verfahren stritten sich die Beteiligten ausschließlich über die Höhe der von der Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im isolierten Widerspruchsverfahren. In dem Widerspruchsverfahren begehrte die (spätere) Klägerin, eine Empfängerin von Leistungen nach dem SGB II, erfolgreich die Aufhebung der von der BA im Schreiben vom 23.10.2011 gegen sie festgesetzten Mahngebühr in Höhe von 7,85 Euro. Die BA hatte die zugrunde liegende Mahnung "für das zuständige Jobcenter" veranlasst, dem die Klägerin die Rückzahlung zurückgeforderter SGB II-Leistungen in Höhe von 1512,78 Euro schuldete. Nähere Angaben dazu, welche Leistungen (iS von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 oder Nr 2 SGB II) die Rückforderung bzw Mahnung betraf bzw auf welcher Grundlage die BA hier die Vollstreckung für das Jobcenter betrieb, finden sich weder im Revisionsurteil B 14 AS 5/15 R noch in der Gerichtsakte des BSG.

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Gegen die Mitteilung des sie betreffenden Auszugs aus dem Verzeichnis der Pauschgebühren für das Quartal IV/2016 vom 11.1.2017, zugestellt am 16.1.2017, hat die BA mit Schreiben vom 17.1.2017 Erinnerung eingelegt. Sie macht geltend, dass sie in der Streitsache B 14 AS 5/15 R als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende tätig geworden und deshalb gemäß § 64 Abs 3 S 2 SGB X im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit von den Gerichtskosten befreit sei. Sie beantragt die Aufhebung der Feststellung einer Gebührenschuld von 300 Euro für dieses Verfahren.

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Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Dem hat sich der Kostenprüfungsbeamte angeschlossen und die Sache dem Kostensenat zur Entscheidung vorgelegt.

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II. Die zulässige Erinnerung hat Erfolg. Die Erinnerungsführerin schuldet für das Revisionsverfahren B 14 AS 5/15 R keine Gerichtskosten nach § 184 SGG, weil sie in dem Verfahren als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende tätig geworden und deshalb von Gerichtskosten freigestellt ist.

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1. Über die Erinnerung hat nach der Zuweisung in RdNr 6 Nr 2 S 1 des Geschäftsverteilungsplans des BSG für das Jahr 2018 der 6. Senat als Kostensenat zu entscheiden. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss des Senats ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs 1 S 2 iVm § 33 Abs 1 S 2, § 40 S 1 SGG). Während ansonsten in kostenrechtlichen Verfahren der Erinnerung nach dem GKG bzw dem RVG nunmehr auch in dritter Instanz grundsätzlich eine Entscheidung durch den Einzelrichter vorgesehen ist (vgl § 66 Abs 6 S 1 GKG bzw § 33 Abs 8 S 1 RVG - s dazu BGH Beschluss vom 23.4.2015 - I ZB 73/14 - NJW 2015, 2194), lässt das SGG bislang auch bei Erinnerungen (§§ 178, 189 Abs 2 S 2 SGG) ein Tätigwerden des Einzelrichters lediglich im Rahmen des § 155 Abs 2 S 1 Nr 5, Abs 3 und 4 SGG zu (Reichel in Zeihe/Hauck , SGG, Stand August 2017, § 189 RdNr 10a). Im Verfahren vor dem BSG findet § 155 Abs 2 bis 4 SGG jedoch gemäß § 165 S 2 SGG generell keine Anwendung. Das hat zur Folge, dass beim BSG über Kostenerinnerungen nach § 189 Abs 2 S 2 SGG der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern zu befinden hat.

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2. Die Erinnerung gegen die Feststellung der (Pausch-)Gebührenschuld ist gemäß § 189 Abs 2 S 2 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere hat die Erinnerungsführerin den Rechtsbehelf innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des Auszugs aus dem Gebührenverzeichnis, welcher die Festsetzung für das Verfahren B 14 AS 5/15 R enthielt, eingelegt.

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3. Die Erinnerung hat in der Sache Erfolg. Für das Verfahren B 14 AS 5/15 R dürfen zu Lasten der Erinnerungsführerin keine Gerichtskosten festgestellt werden. Zu ihren Gunsten greift hier die Befreiung der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende von Gerichtskosten in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 184 Abs 3 SGG iVm § 2 Abs 3 S 1 GKG und § 64 Abs 3 S 2 SGB X ein.

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a) Grundsätzlich kommt der BA in sozialgerichtlichen Verfahren - insbesondere in Angelegenheiten der Arbeitsförderung nach § 51 Abs 1 Nr 4 SGG - allerdings keine Kostenfreiheit zugute. Ungeachtet der Frage, ob sie als "öffentliche Anstalt" iS von § 2 Abs 1 S 1 GKG angesehen werden kann (§ 367 Abs 1 SGB III - vgl Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, K § 367 RdNr 5, Stand der Einzelkommentierung Dezember 2017; Solka in juris-PK SGB III, 2014, § 367 RdNr 25 bis 28), wird sie jedenfalls nicht unmittelbar nach dem Haushaltsplan des Bundes verwaltet (s dazu BGH Beschluss vom 10.12.2008 - KVR 54/07 - Juris RdNr 3), sondern stellt ihren eigenen Haushalt auf (§ 1 Abs 1 S 2 und 3 iVm §§ 67 ff, § 71a SGB IV). Schon deshalb erfüllt die BA die Voraussetzungen für eine Kostenbefreiung nach § 184 Abs 3 SGG iVm § 2 Abs 1 GKG nicht (Meyer, GKG/FamGKG, 16. Aufl 2018, § 2 RdNr 17; Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl 2017, § 2 GKG RdNr 8; s auch B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 184 RdNr 4).

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b) Die Kostenbefreiung der BA ergibt sich hier jedoch aus den gemäß § 184 Abs 3 SGG entsprechend anwendbaren Bestimmungen in § 2 Abs 3 S 1 GKG iVm § 64 Abs 3 S 2 SGB X (letztgenannte Vorschrift in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung von Art 6 Nr 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706; die nachfolgende Änderung zum 1.9.2009 durch das FGG-Reformgesetz vom 17.12.2008, BGBl I 2586, ist für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ohne Bedeutung). Nach dieser Vorschrift sind (ua) die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit von den Gerichtskosten befreit, wobei § 197a SGG unberührt bleibt. Da die Klägerin des Verfahrens B 14 AS 5/15 R zum Kreis der nach § 183 S 1 SGG Kostenprivilegierten gehört, ist der Vorrang der Regelung in § 197a SGG hier ohne Belang.

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Die BA erfüllt in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit B 14 AS 5/15 R die Voraussetzungen für eine Gerichtskostenbefreiung nach § 64 Abs 3 S 2 SGB X. Sie ist gemäß § 19a Abs 2 S 1 SGB I und § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II (idF des ab 1.1.2011 geltenden Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010, BGBl I 1112) zuständiger Träger für bestimmte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, soweit nicht im Einzelfall ein kommunaler Träger (Optionskommune) an ihrer Stelle als Träger dieser Leistungen zugelassen ist (§ 6a Abs 1 und 5 SGB II). Selbst wenn die Aufgaben der BA als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende tatsächlich von der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs 1 SGB II unter der Bezeichnung "Jobcenter" (§ 6d SGB II) wahrgenommen werden, stellt das die Leistungsträgerschaft (§ 12 SGB I) der BA nicht in Frage (§ 44b Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB II; zur Unterscheidung von Wahrnehmungszuständigkeit und Leistungszuständigkeit s auch Knapp in juris-PK SGB II, 4. Aufl 2015, § 44b RdNr 24 ff). Aber auch falls ein kommunaler Träger nach § 6a SGB II zugelassen wurde, übernimmt dieser nicht sämtliche Aufgaben der BA als Träger der Grundsicherung. Vielmehr verbleiben gemäß § 6b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB II die dort einzeln aufgezählten Aufgaben in jedem Fall bei der BA. Dazu gehören insbesondere die sich aus § 44b SGB II ergebenden Aufgaben. Damit ist die BA in allen vom Gesetz ermöglichten Organisationsformen des Vollzugs des SGB II funktional als mit Aufgaben eines Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende betraut anzusehen.

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Allerdings reicht nach der Rechtsprechung des BGH die bloße Eigenschaft einer Behörde als Träger der in § 64 Abs 3 S 2 Teils 2 SGB X genannten Sozialleistungen für eine Freistellung von Gerichtskosten nicht aus. Vielmehr setzt der Sinn und Zweck der Vorschrift voraus, dass auch das konkrete Verfahren von dem Sozialleistungsträger gerade in dieser Eigenschaft geführt wird; das Verfahren muss also einen engen sachlichen Zusammenhang zu der gesetzlichen Tätigkeit als Träger der in der Vorschrift genannten Sozialleistungen haben (BGH Beschluss vom 10.11.2005 - IX ZR 189/02 - Juris RdNr 6 f; BGH Beschluss vom 28.9.2016 - XII ZB 251/16 - Juris RdNr 30). Dem schließt sich der Senat für den Bereich der sozialgerichtlichen Verfahren an. Auch insoweit ist eine Freistellung lediglich bestimmter Sozialleistungsträger von Gerichtskosten nach dem Sinn und Zweck des § 64 Abs 3 S 2 SGB X nur dann gerechtfertigt, wenn das konkrete Gerichtsverfahren von dem Träger gerade in der Eigenschaft geführt wird, die Grund für die kostenrechtliche Privilegierung dieses Sozialleistungsträgers war.

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Ein solcher enger sachlicher Zusammenhang mit der gesetzlichen Tätigkeit als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist bei der BA immer dann anzunehmen, wenn sie - objektiv betrachtet - in dem zugrunde liegenden Verfahren eine Aufgabe im Rahmen des Vollzugs des SGB II wahrnimmt. Ob die BA diese Aufgabe im konkreten Einzelfall rechtmäßig wahrgenommen hat, spielt hingegen für die Frage, ob ausnahmsweise in einem nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren für sie Kostenfreiheit besteht, keine Rolle. Danach bedarf es für die Entscheidung der Kostenbeamten, ob Pauschgebühren zu erheben sind oder davon wegen Gerichtskostenfreiheit abzusehen ist, keiner Ermittlungen, ob eine Aufgabenübertragung vom Jobcenter auf die BA gemäß § 44b Abs 4 und 5 SGB II im Einzelfall ordnungsgemäß vorgenommen worden ist (ebenso Hessisches LSG Beschluss vom 27.5.2016 - L 2 SF 15/16 - Juris RdNr 14; aA Thüringer LSG Beschluss vom 19.2.2015 - L 6 SF 70/14 E - Juris RdNr 4, 8 sowie Beschluss vom 11.6.2015 - L 6 SF 502/15 E - Juris RdNr 4, 9 ff). Vielmehr besteht Kostenfreiheit nach § 64 Abs 3 S 2 SGB X bereits dann, wenn sich aus dem Streitgegenstand des Verfahrens ergibt, dass die BA daran im Rahmen ihrer Aufgaben zum Vollzug des SGB II beteiligt war.

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So verhält es sich hier. Dem Rechtsstreit B 14 AS 5/15 R über die Höhe zu erstattender Kosten für das Widerspruchsverfahren lag eine Mahnung zugrunde, welche die BA zum Einzug von Forderungen aus Bescheiden des zuständigen Jobcenters veranlasst hatte. Die BA wurde dabei "als Rechtsträgerin der die Vollstreckung für das Jobcenter betreibenden Stelle" tätig (BSG Urteil vom 9.3.2016 - BSGE 121, 49 = SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 12). Damit bestand ein enger sachlicher Zusammenhang mit der Tätigkeit der BA als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der die Kostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 64 Abs 3 S 2 SGB X zur Folge hat (im Ergebnis ebenso Hessisches LSG Beschluss vom 27.5.2016 - L 2 SF 15/16 - Juris RdNr 12 ff; Mutschler in Kasseler Kommentar, § 64 SGB X RdNr 18, Stand Einzelkommentierung Juni 2014; Feddern in juris-PK SGB X, 2. Aufl 2017, § 64 RdNr 55; Lange in juris-PK SGG, 2017, § 184 RdNr 47; J. Krauß in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 184 RdNr 18).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG (vgl BSG Beschluss vom 29.9.2017 - B 13 SF 8/17 S - Juris RdNr 30). Die Erinnerungsführerin, die zu den in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen gehört, weil sie nicht dem Kreis der Kostenprivilegierten gemäß § 183 SGG unterfällt, erhält trotz des Erfolgs der Erinnerung gemäß § 193 Abs 4 SGG keine Erstattung ihrer Aufwendungen. Gesonderte Gerichtskosten fallen für das Verfahren der Erinnerung nicht an, da es keine eigenständige "Streitsache" iS des § 184 Abs 1 S 1 SGG darstellt. Das entspricht in der Sache der Regelung in § 66 Abs 8 GKG, die bei Erinnerungen gegen den Ansatz von Gerichtskosten nach dem GKG zur Anwendung gelangt.

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