Beschluss vom Bundessozialgericht - B 9 V 2/18 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Der Kläger begehrt höhere Versorgungsleistungen wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs in seiner Kindheit und einen früheren Leistungsbeginn.

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Der Beklagte hat beim Kläger als Folgen einer Schädigung im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) ab 1.11.2011 eine posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende mittelgradige bis schwere Depressionen und Angst-Panikstörungen im Sinne der Entstehung festgestellt, einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 zuerkannt und ihm eine entsprechende Versorgungsrente ab 1.7.2012 bewilligt (Bescheid vom 22.7.2013, Widerspruchsbescheid vom 21.10.2013).

3

Das SG hat den Beklagten nach Anhörung des Klägers und medizinischer Beweiserhebung verurteilt, dem Kläger darüber hinaus Versorgung nach einem GdS von 80 ab dem 1.11.2011 zu gewähren (Gerichtsbescheid vom 10.11.2015).

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Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG nach Beweiserhebung den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Beim Kläger liege eine entschädigungspflichtige Gesundheitsschädigung nach dem OEG infolge sexueller Missbräuche in den Jahren 1971 bis 1975 vor, die der Beklagte ab Leistungsbeginn zutreffend mit einem GdS von 50 bewertet habe. Sie sei nur nach den einschränkenden Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 10a OEG zu entschädigen. Denn der Senat habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Kläger auch nach dem 15.5.1976 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschädigt worden sei (Urteil vom 7.12.2017).

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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung der §§ 117, 129 SGG.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung vom 19.3.2018 verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie den behaupteten Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.

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Daran fehlt es hier. Die Beschwerde rügt eine Verletzung der §§ 117, 129 SGG. Sie meint, das LSG habe nicht ohne persönliche Anhörung des Klägers entscheiden dürfen, weil es die Glaubhaftigkeit seiner Aussage anders beurteilt habe, als die im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen und der Berichterstatter des LSG im vorangegangenen Erörterungstermin.

9

Darin liegt keine hinreichend substantiierte Darlegung eines Verfahrensmangels. Wie die Beschwerde zwar zu Recht annimmt, können der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) das Berufungsgericht zu einer erneuten persönlichen Anhörung des Klägers verpflichten, wenn das LSG dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom SG beurteilen will und es dabei auf den persönlichen Eindruck vom Kläger ankommt (vgl BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 11a/7a AL 14/07 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 7 RdNr 11 mwN).

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Indes lässt die Beschwerde schon eine zusammenhängende Schilderung der Verfahrensgeschichte und der Rechtsauffassung des LSG vermissen. Daher legt sie auch nicht hinreichend substantiiert dar, wie das LSG seine Annahme einer fehlenden Glaubhaftigkeit im Einzelnen begründet hat und warum es dafür auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Senats vom Kläger ankam. Ebenso wenig teilt die Beschwerde mit, was genau der Kläger vor dem LSG-Senat noch hätte vortragen wollen und können und warum dies die Entscheidung des Berufungsgerichts hätte beeinflussen können. Dabei unterscheidet die Beschwerde insbesondere nicht ausreichend zwischen Glaubwürdigkeit, welche die von ihr teilweise zitierte BSG-Entscheidung thematisiert (BSG Urteil vom 15.8.2002 - B 7 AL 66/01 R - SozR 3-1500 § 128 Nr 15 RdNr 14; BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 11a/7a AL 14/07 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 7 RdNr 11 mwN), und der hier maßgeblichen Glaubhaftigkeit. Glaubhaftigkeit bezieht sich, anders als Glaubwürdigkeit, nicht in erster Linie auf die Aussageperson, sondern auf den Inhalt ihrer Aussage. Der Begriff fasst die sachlichen Kriterien zusammen, nach denen sich beurteilt, ob eine Aussage auf tatsächlichen, zutreffend wahrgenommenen und realitätsgetreu wiedergegebenen Erlebnissen beruht (vgl iE Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl 2014, S 52 ff). Wie die Beschwerde selbst ausführt, hat das LSG nicht die persönliche Glaubwürdigkeit des Klägers infrage gestellt, sondern die Glaubhaftigkeit seiner Aussage über lange zurückliegende Ereignisse in seiner Kindheit. Gerade in solchen Konstellationen spielt die Analyse von Entstehung und die Entwicklung der Aussage im Verlauf der Zeit eine maßgebliche Rolle, wie sie sich insbesondere aus den Akten ergibt (Konstanzanalyse, vgl BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - Juris RdNr 26 mwN). Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum das LSG den Kläger für die Analyse der Aussageentwicklung trotzdem noch einmal anhören hätte müssen. Deshalb verfehlt sie insgesamt die Darlegungsanforderungen an einen Verfahrensfehler.

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Ebenso wenig aufgezeigt hat die Beschwerde einen Verstoß gegen § 129 SGG. Die von ihr ins Feld geführte Anhörung des Klägers durch den Berichterstatter im Erörterungstermin ist nicht Teil der mündlichen Verhandlung, auf die sich § 129 SGG allein bezieht.

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Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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