Urteil vom Bundessozialgericht - B 1 KR 13/18 R

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 2018 und des Sozialgerichts München vom 1. Oktober 2015 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 9150,41 Euro festgesetzt.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

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Der Kläger ist ein Universitätsklinikum in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts nach bayerischem Landesrecht. Er behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten, am 27.12.2009 mit einem Geburtsgewicht von 1335 g geborenen M. M. (im Folgenden: Versicherter) vollstationär vom 27.12.2009 bis 1.3.2010 als Frühgeburt ua auf der Neugeborenen-Intensivstation. Der Versicherte wurde von Geburt an beatmet, zunächst (bis 28.12.2009, 0:15 Uhr) mittels eines Tubus im Rachen und anschließend vom 28.12. (0:15 Uhr) bis 30.12.2009 (23:59 Uhr) per Atemmaske (aufgerundet 72 Stunden). Er erhielt weitere 33 Stunden bis 1.1.2010 (9:00 Uhr) Atemluft mit Hilfe einer High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) über eine an ein Beatmungsgerät angekoppelte Brille. Hierbei reichert das Beatmungsgerät das Atemgas an, wärmt und feuchtet es an und setzt es unter Beatmungsdruck (4,5 bis 4,8 cm Wassersäule bei der HFNC-Therapie). Anschließend erfolgte eine Low-Flow-Beatmung mit geringerem Beatmungsdruck (bis 3.1.2010). Der Kläger kodierte zuletzt neben 105 Beatmungsstunden ua die Prozeduren nach dem 2009 geltenden Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-711.00 (Atemunterstützung mit kontinuierlichem positiven Atemwegsdruck <CPAP>; Bei Neugeborenen <0. bis 28. Lebenstag>) und 8-720 (Sauerstoffzufuhr bei Neugeborenen) und berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2009 <DRG>) P03C (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1000 - 1499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne Beatmung > 120 Stunden oder ohne mehrere schwere Probleme; korrigierte Schlussrechnung vom 13.9.2012). Auf den Gesamtbetrag von 39 951,85 Euro zahlte die Beklagte 30 801,44 Euro nach der niedriger vergüteten DRG P64Z (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1250 - 1499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Stunden). Die Atemunterstützung per HFNC sei bei der Ermittlung der Beatmungsdauer nicht zu berücksichtigen. Das SG hat - ua nach Einholung eines neonatologischen Gutachtens - die Beklagte verurteilt, dem Kläger 9150,41 Euro nebst Zinsen zu zahlen (Urteil vom 1.10.2015). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Zeit der HFNC-Therapie erfülle die Voraussetzungen einer maschinellen Beatmung im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für 2009 und zähle daher zur Beatmungszeit. Zumindest sei die Behandlung mit HFNC als Entwöhnung von der Beatmung anzusehen und deshalb zur Beatmungsdauer hinzuzurechnen (Hinweis auf BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 8; Urteil vom 13.3.2018).

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Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 S 3 SGB V iVm § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Abs 1, § 7 Abs 1 S 1 Nr 1, § 9 Abs 1 Nr 1 und 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und den Regelungen der DKR zur Berechnung der Beatmungsdauer.

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Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 2018 und des Sozialgerichts München vom 1. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der beklagten KK ist in vollem Umfang begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht deren Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die von dem Kläger erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12), jedoch unbegründet. Dem Kläger stand wegen der stationären Behandlung des Versicherten neben den von der Beklagten gezahlten 30 801,44 Euro jedenfalls kein weitergehender Vergütungsanspruch in Höhe der darüber hinaus geforderten 9150,41 Euro und damit auch kein Zinsanspruch zu. Die Beklagte erkannte den Anspruch nach Überprüfung in der gezahlten Höhe an, er steht insoweit außer Streit.

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Der Vergütungsanspruch des Klägers entstand dem Grunde nach; dies ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch nicht streitig (dazu 1.). Für den Anspruch ist maßgeblich, ob im Behandlungsfall des Versicherten mehr als 95 Beatmungsstunden kodiert werden durften. Nur dann sind die Voraussetzungen der von dem Kläger abgerechneten Fallpauschale P03C erfüllt. Hieran fehlt es (dazu 2.).

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1. Die Zahlungsverpflichtung einer KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 11; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 15; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13; alle mwN). Diese Voraussetzungen waren nach dem Gesamtzusammenhang der unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt.

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2. Der Kläger hat unter Achtung der allgemeinen Grundsätze (dazu a) keinen Anspruch nach der geltend gemachten DRG P03C (dazu b) in der Beatmungsalternative (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1000 - 1499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne Beatmung > 120 Stunden oder ohne mehrere schwere Probleme), da er für die Behandlung des Versicherten nicht mehr als 95 Beatmungsstunden kodieren durfte (dazu c). Die hierfür zuständigen "Vertragsparteien auf Bundesebene" - Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Spitzenverband Bund der KKn und Verband der privaten Krankenversicherung - lassen normenvertraglich eine solche Kodierung nicht zu. Die geringere Pauschalvergütung entpflichtet ebenso wenig von einer medizinisch gebotenen Behandlung, wie eine höhere Pauschalvergütung zu einer medizinisch nicht indizierten Behandlung berechtigt.

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a) Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem des Klägers nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs 4 S 3 SGB V (idF durch Art 1 Nr 3 Fallpauschalengesetz - FPG - vom 23.4.2002, BGBl I 1412) iVm § 7 KHEntgG (idF durch Art 2 Nr 7 Krankenhausfinanzierungsreformgesetz - KHRG - vom 17.3.2009, BGBl I 534) und § 17b KHG (idF durch Art 1 Nr 4 KHRG; vgl entsprechend BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 f; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 14 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 58 RdNr 12; BSGE 123, 50 = SozR 4-2500 § 109 Nr 61, RdNr 10). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen <FPVn>) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der KKn und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG (idF durch Art 2 Nr 9 Buchst a KHRG) mit der DKG als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG (idF durch Art 2 Nr 11 KHRG) einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPVn auf der Grundlage des § 9 Abs 1 S 1 Nr 3 KHEntgG (idF durch Art 19 Nr 3 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG - vom 26.3.2007, BGBl I 378).

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Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl § 1 Abs 6 S 1 FPV 2008; zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 19 ff). Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus -, einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 S 1 KHG und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 58 RdNr 13). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zur&#252;ck, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die FPVn selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (<ICD-10-GM> hier in der Version 2009 idF der Bekanntmachung des BMG gemäß §§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des Diagnosenschlüssels vom 28.10.2008, BAnz Nr 170 vom 7.11.2008, S 4016, in Kraft getreten am 1.1.2009) und die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen OPS (hier in der Version 2009 idF der Bekanntmachung des BMG gemäß §§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des OPS vom 28.10.2008, BAnz Nr 170 vom 7.11.2008, S 4016, in Kraft getreten am 1.1.2009; zur Grundlage der Rechtsbindung vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 24)em>. Schließlich gehören zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2009 (Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version 2009 für das G-DRG-System‎ gem äß § 17b KHG). Hierdurch erlangen die dem Groupierungsalgorithmus vorgelagerten DKR-Regelungen über die Eingabe der in ICD-10-GM und OPS enthaltenen kodierfähigen Angaben in die Groupierungsmaske jedes Jahr zwischen den Vertragspartnern erneut Geltung (vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 §; 17b Nr 2, RdNr 17; zu deren normativer Wirkung vgl BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 18, 24; vgl zum Ganzen BSG Urteil vom 19.6.2018 - B 1 KR 39/17 R - Juris RdNr 12 f, zur Veröffentlichung in SozR 4-5562 § 9 Nr 10 vorgesehen). Bei Beatmungsfällen bestimmt zudem § 21 Abs 2 Nr 2 Buchst f KHEntgG (idF durch Art 2 Nr 9 Buchst a DBuchst cc Zweites Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften - Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz - 2. FPÄndG - vom 15.12.2004, BGBl I 3429) ausdrücklich, dass das Krankenhaus der KK die Beatmungszeit in Stunden entsprechend der Kodierregeln nach § 17b Abs 5 Nr 1 KHG zu übermitteln hat (vgl BSG Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 40/17 R - Juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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Die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 17 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 51 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-5562 § 2 Nr 1 RdNr 15; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 8 RdNr 14).

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b) Die von dem Kläger abgerechnete DRG P03C setzt nach diesen Grundsätzen die zulässige Kodierung von mehr als 95 Beatmungsstunden, nämlich mindestens 96 Stunden voraus. Es sind nämlich nur volle Stunden kodierfähig. Bei einer kürzeren Beatmungszeit wird im Groupierungsvorgang die von der Beklagten berücksichtigte und vergütete DRG P64Z (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1250 - 1499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Stunden) angesteuert. Eine signifikante OR-Prozedur war nicht zu kodieren.

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c) Der Kläger durfte die Zeit der Therapie mit HFNC (33 Stunden) ebenso wenig als Beatmungsstunden kodieren wie - was zu Recht zwischen den Beteiligten unstreitig ist - die anschließende Zeit der Low-Flow-Beatmung. Die Behandlung mittels HFNC ist weder eine maschinelle Beatmung (dazu aa), noch ist sie durch die DKR einer solchen maschinellen Beatmung gleichgestellt (dazu bb). Der Versicherte wurde im Zeitraum ab 30.12.2009 (23:59 Uhr) auch nicht vom Beatmungsgerät im Sinne der DKR entwöhnt (dazu cc).

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aa) HFNC ist keine maschinelle Beatmung im Sinne der maßgeblichen Kodierregel DKR 1001h. Sie bestimmt ua, dass maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung") ein Vorgang ist, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden (S 1). Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten (S 2). Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet (S 3). Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden (S 4).

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Die maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung") im vorgenannten Sinne setzt nach Wortlaut und Regelungssystem voraus, dass der Patient intubiert oder tracheotomiert oder bei intensivmedizinischer Versorgung die Beatmung über ein Maskensystem erfolgt, wenn dieses an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt wird. Die Therapie mit HFNC erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Eine Intubation oder Tracheotomie findet nicht statt. Die HFNC setzt auch keine Maske ein. Sie appliziert über die Nasenbrille mit Schläuchen (Nasenkanülen) einen kontinuierlichen Luftstrom in die Nasenlöcher, der in den Nasen-Rachen-Raum geleitet wird.

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Für eine maschinelle Beatmung reicht es zudem nach dem Wortlaut der Definition, wenn eine moderne Beatmungsmaschine Atemanstrengungen des passiven Patienten erkennt und diese aktiv unterstützt (Atemassistenz) (vgl BSG Beschluss vom 10.3.2015 - B 1 KR 82/14 B - RdNr 8 = JurionRS 2015, 13518 zur CPAP). Auch hieran fehlt es bei der HFNC. Diese appliziert - wie dargelegt - über die Nasenbrille einen kontinuierlichen Luftstrom in die Nasenlöcher, der in den Nasen-Rachen-Raum gelangt. Es bedarf keiner Vertiefung, inwieweit hierdurch zumindest bei besonders kleinen Frühgeborenen wie dem Versicherten - wie das LSG meint - trotz der Nasenkanüle in offener Anwendung ein dauerhafter positiver Atemwegsdruck (Positive End-Expiratory Pressure, PEEP) erzeugt wird. Jedenfalls unterstützt die HFNC die Atembewegungen nicht aktiv, auch nicht intermittierend. Der Patient - und nicht eine künstlich beatmende Beatmungsmaschine - leistet bei der HFNC die Atemarbeit. Der Patient atmet spontan. Selbst wenn die Beatmungsmaschine sicherstellt, dass der Atemwegsdruck nie unter ein bestimmtes Niveau fällt (Continuous Positive Airway Pressure - CPAP), erfolgt damit keine maschinelle Beatmung iS der DKR 1001h (vgl BSG Beschluss vom 10.3.2015 - B 1 KR 82/14 B - RdNr 8 = JurionRS 2015, 13518; zustimmend SG Aachen Urteil vom 24.4.2018 - S 14 KR 424/17 - Juris RdNr 37; OLG Hamm Urteil vom 13.11.2017 - I-6 U 54/16, 6 U 54/16 - Juris RdNr 56 f = VersR 2018, 602, 604 zur HFNC; vgl auch Hessisches LSG Urteil vom 9.11.2017 - L 1 KR 166/15 - Juris RdNr 36 = KHE 2017/121: streng medizinisch-physikalisch handele es sich bei der HFNC nicht um eine maschinelle Beatmung; unzutreffend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.11.2015 - L 1 KR 36/13 - Juris RdNr 21 = KHE 2015/113). Die Definition der maschinellen Atmung in DKR 1001h unterscheidet auch nicht danach, ob - wie hier - ein Neugeborenes (0. bis 28. Lebenstag) oder Säugling (29. bis 365. Lebenstag; vgl die Differenzierung zwischen Neugeborenem und Säugling in OPS 8-711.0 Atemunterstützung mit kontinuierlichem positiven Atemwegsdruck <CPAP>) oder ein älteres Kind oder Erwachsener beatmet wird (vgl OLG Hamm Urteil vom 13.11.2017 - I-6 U 54/16, 6 U 54/16 - Juris RdNr 58 = VersR 2018, 602, 604).

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bb) Die Beatmung des Versicherten mittels HFNC wird weder durch den Verweis der DKR 1001h auf die im OPS unter dem Kode 8-711 (Maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen) erfassten Beatmungsformen (dazu <1.>), noch durch die Sonderregelung zur CPAP bei Neugeborenen und Säuglingen (dazu <2.>) einer maschinellen Beatmung gleichgestellt, welche die Kodierung von Beatmungsstunden erlaubt.

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(1.) Wenn eine maschinelle Beatmung die Definition der DKR 1001h (vgl oben II. 2. c aa) erfüllt, ist bei der Kodierung (1) zunächst die Dauer der künstlichen Beatmung zu erfassen, (2) zusätzlich einer der Kodes 8-701 (Einfache endotracheale Intubation), 8-704 (Intubation mit Doppellumentubus), 8-706 (Anlegen einer Maske zur maschinellen Beatmung) und/oder - wenn zur Durchführung der künstlichen Beatmung ein Tracheostoma angelegt wurde - der zutreffende Kode aus 5-311 (Temporäre Tracheostomie) oder 5-312 (Permanente Tracheostomie) anzugeben, (3) bei Neugeborenen und Säuglingen zusätzlich ein Kode aus 8-711 (Maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen) anzugeben. Der OPS 8-711 umfasste 2009 ua die Untergruppe 8-711.0 (Atemunterst52;tzung mit kontinuierlichem positiven Atemwegsdruck <CPAP>; 8-711.00 Bei Neugeborenen <0. bis 28. Lebenstag>; 8-711.01 Bei Säuglingen <29. bis 365. Lebenstag>). Erst der OPS in der Version 2011 (idF der Bekanntmachung des BMG gemä&#223; §;§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des OPS vom 21.10.2010, BAnz Nr 169 vom 9.11.2010, S 3752, in Kraft getreten am 1.1.2011) enthält in 8-711.4 (Atemunterst&#252;tzung durch Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen <HFNC-System&gt;) eine eigene Untergruppe für die Beatmung mittels HFNC. Der erkennende Senat muss nicht entscheiden, ob der OPS 8-711.00 vor der Einführung eines eigenen OPS im Jahre 2011 auch die Atemunterstützung mittels HFNC erfasste (zur differenzierten Behandlung der beiden Methoden in Fachkreisen vgl BSG Urteil vom 30.7.2019 - B 1 KR 11/19 R - RdNr 21). Schon aus dem Wortlaut der DKR 1001h ("Wenn eine maschinelle Beatmung diese Definition erfüllt …") folgt, dass allein die Zuordnung einer Beatmungsmethode zu den bei Neugeborenen und Säuglingen "zusätzlich" zu kodierenden Kodes aus OPS 8-711 (Maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen) keine Gleichstellung mit einer maschinellen Beatmung bewirkt (so aber Hessisches LSG Urteil vom 9.11.2017 - L 1 KR 166/15 - Juris RdNr 36 = KHE 2017/121 zur HFNC ab DKR 2011, krit hierzu Rehm, jurisPR-SozR 16/2018 Anm 2; SG Nürnberg Urteil vom 23.10.2017 - S 11 KR 748/16 - Juris RdNr 34, 55; SG Lüneburg Urteil vom 8.2.2018 - S 9 KR 357/15 - Juris RdNr 23; LG Dortmund Urteil vom 3.3.2016 - 2 O 400/14 - Juris RdNr 29; Fiori/Siam/Roeder, KH 2016, 381, 384; wie hier SG Mainz Urteil vom 13.6.2017 - S 14 KR 475/16 - Juris RdNr 32; SG Aachen Urteil vom 24.4.2018 - S 14 KR 424/17 - Juris RdNr 40 f; OLG Hamm Urteil vom 13.11.2017 - I-6 U 54/16, 6 U 54/16 - Juris RdNr 62 = VersR 2018, 602, 604; vgl auch SG Darmstadt Urteil vom 24.4.2015 - S 13 KR 67/13 - Juris RdNr 30). Entscheidend ist allein, ob die konkrete Form der Beatmung die Definition der maschinellen Beatmung iS der DKR 1001h erfüllt (zum Vorrang der Kodierregeln der DKR vor den Regelungen und Hinweisen des OPS vgl BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 9 RdNr 19 sowie die Hinweise für die Benutzung - Anwendungsbereich - zum OPS Version 2009). Nur dann ist die Beatmungsdauer zu kodieren und ein OPS aus 8-711 anzugeben. Raum für systematische Erwägungen besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht.

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(2.) Nichts anderes gilt, soweit die DKR 1001h für das Jahr 2009 besondere Regelungen zur Kodierung von Kodes aus 8-711.0 (Atemunterstützung mit kontinuierlichem positiven Atemwegsdruck <CPAP>) trifft. Danach sind diese Kodes nur bei Neugeborenen und Säuglingen zu kodieren, unabhängig von der Behandlungsdauer (also auch unter 24 Stunden). Wenn bei Erwachsenen und Kindern eine Störung wie Schlafapnoe mit CPAP behandelt wird, sind Kodes aus 8-711.0 sowie die Beatmungsdauer nicht zu verschlüsseln. Die Ersteinstellung einer CPAP-Therapie sowie die Kontrolle oder Optimierung einer früher eingeleiteten CPAP-Therapie werden mit einem Kode aus 8-717 (Einstellung einer nasalen oder oronasalen Überdrucktherapie bei schlafbezogenen Atemstörungen) verschlüsselt. Ferner bestimmt DKR 1001h, dass Kodes aus 8-711.0 nicht zu verwenden sind, wenn CPAP bzw Masken-CPAP als Entwöhnungsmethode von der Beatmung verwendet wird; die Beatmungsdauer ist hingegen zu berücksichtigen, dh zur gesamten Beatmungsdauer dazuzurechnen.

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Eine Regelung zur Berücksichtigung der Beatmungsdauer bei einer CPAP-Beatmung von Neugeborenen und Säuglingen außerhalb der Fälle der Entwöhnung und der Fälle der Beatmung über ein Maskensystem bei intensivmedizinischer Versorgung treffen die DKR für das Jahr 2009 nach ihrem Wortlaut nicht (unzutreffend insofern SG Lüneburg Urteil vom 8.2.2018 - S 9 KR 357/15 - Juris RdNr 25, dort für das Jahr 2011). Eine solche kann auch nicht im Wege eines Umkehrschlusses der Formulierung "sind Kodes aus 8-711.0 (…) sowie die Beatmungsdauer nicht zu verschlüsseln" betreffend die Kodierung der CPAP-Therapie bei der Behandlung einer Störung wie Schlafapnoe entnommen werden. Erst in der Version von 2013 wurde die DKR 1001l (ehemals DKR 1001h) um den Zusatz ergänzt "Die Dauer der Atemunterstützung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck (CPAP) ist bei Neugeborenen und Säuglingen bei der Ermittlung der Beatmungsdauer zu berücksichtigen". Soweit Anhang B der DKR 2013 (Zusammenfassung der Änderungen - Deutsche Kodierrichtlinien Version 2013 gegenüber der Vorversion 2012) die Änderung als "Klarstellung" bezeichnet, ist dies für die Auslegung der DKR 2009 ohne Belang. Der Regelung in DKR 2013 kommt insbesondere keine Rückwirkung zu. Denn Abrechnungsbestimmungen sind - wie ausgeführt (oben II. 2. a) - wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und nur unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl zum Ganzen BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18 mwN; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 18 mwN; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 51 und Nr 52, jeweils RdNr 13; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 9 RdNr 14). Dies ist hier mit Wirkung vom 1.1.2013 durch die DKR 2013 geschehen. Da wertende Betrachtungen zu unterbleiben haben, verbietet sich die Heranziehung solcher späterer Änderungen zur Auslegung früherer DKR (ebenso OLG Hamm Urteil vom 13.11.2017 - I-6 U 54/16, 6 U 54/16 - Juris RdNr 64 f = VersR 2018, 602, 605).

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Nichts anderes ergibt sich aus § 301 Abs 2 S 4 SGB V (idF durch Art 7 Nr 17 Buchst a0 Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals <Pflegepersonal-Stärkungsgesetz - PpSG> vom 11.12.2018, BGBl I 2394, mWv 1.1.2019). Ungeachtet der durch diese Norm aufgeworfenen einfach- und verfassungsrechtlichen Fragen findet sie schon deswegen keine Anwendung, weil die DKR - wie oben (II. 2. a) dargelegt - als eigenständiger normenvertraglicher Regelungsbereich den Diagnose- und Prozedurenschlüsseln vorgelagert sind. Das DIMDI kann aber nach dem Wortlaut der Vorschrift nur "bei Auslegungsfragen zu den Diagnosenschlüsseln nach Satz 1 und den Prozedurenschlüsseln nach Satz 2 Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit vornehmen".

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Dem Wortlaut der Sonderregelung zur CPAP ist bis zur Fassung 2013 keine Aussage zur Berücksichtigung der CPAP-Therapie bei den Beatmungsstunden zu entnehmen. Die Regelung dient der Abgrenzung zum einen zur Behandlung der Schlafapnoe bei Erwachsenen und Kindern, zum anderen zum Einsatz der CPAP als Entwöhnungsmethode von der Beatmung (ebenso LSG Hamburg Urteil vom 27.3.2014 - L 1 KR 119/12 - Juris RdNr 29 = KHE 2014/72).

25

cc) Der Versicherte erhielt mit der HFNC-Therapie nach den unangegriffenen, den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) auch keine Entw&#246;hnung, die den Kläger zur Kodierung von mehr als 95 Beatmungsstunden berechtigte. Der erkennende Senat kann nicht der Rechtsauffassung des LSG folgen, die HFNC-Behandlung sei wenn nicht als künstliche Beatmung, so zumindest als Entwöhnung von der Beatmung anzusehen und der vergütungsrelevanten Beatmungsdauer hinzuzuzählen. Das LSG hat nicht festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Entwöhnung erfüllt waren. Erforderlich ist die Feststellung, dass sich der Patient an die maschinelle Beatmung gewöhnt hat und dadurch seine Fähigkeit eingeschränkt ist, vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können, und das Krankenhaus eine Methode der Entwöhnung einsetzt (vgl BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 8 RdNr 16). Die Feststellungen des LSG beschränken sich dagegen darauf, dass der Versicherte mittels Beatmungsmaschine und Tubus gleich nach seiner Geburt sowie anschließend mittels Beatmungsmaschine und Maske bis 30.12.2009, 23:59 Uhr beatmet wurde und ohne Beatmungshilfe erst ab 3.1.2010 blieb.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

                          

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