Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat 1. Kammer) - 2 BvR 617/16

Tenor

Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen.

Gründe

I.

1

Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin, ein kommunales Wärmeversorgungsunternehmen, prozessierte vor dem Landgericht Traunstein gegen die Eigentümerin einer Grundstücksfläche, auf welcher sich tiefengeothermische Förderbrunnen befinden. Nach den vorliegenden Vertragsunterlagen war von der Antragsgegnerin beabsichtigt, dort zukünftig ein Geothermiekraftwerk zu errichten. Aufgrund eines Fernwärmeversorgungsvertrages aus dem Jahr 2013 war die Beschwerdeführerin (als Rechtsnachfolgerin) allerdings berechtigt, bis dahin die bereits vorhandene tiefengeothermische Dublette zur eigenverantwortlichen Thermalwasserförderung zu verwenden. Sie betrieb damit ein kommunales Fernwärmenetz, durch welches sie über 200 Abnehmer, unter anderem einen großen Gemüseanbaubetrieb, mit Wärmeenergie belieferte.

2

Zur Sicherung des Nutzungsrechts der Beschwerdeführerin war zu ihren Gunsten eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu Lasten des genannten Grundstücks eingeräumt worden. In dieser wurde der Beschwerdeführerin die umfassende Nutzung des Grundstücks in Zusammenhang mit dem Betrieb der geothermischen Förderanlagen und ein Betretungsrecht für das Grundstück eingeräumt. Die Eigentümerin verpflichtete sich, alle Einwirkungen und Handlungen zu unterlassen, welche die beschriebene Nutzung durch die Berechtigten ausschließen oder beeinträchtigen könnten.

3

In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien. Sie verhandelten unter anderem über eine Anpassung des Fernwärmeversorgungsvertrages und stritten über Verursachung, Umfang und Folgen eines Schadens an einem der Geothermiebrunnen. Im Zuge dessen forderte die Antragsgegnerin von der Beschwerdeführerin eine Benutzungsbeschränkung in Form einer Einschränkung der Förderrate. Da diese Drosselung der Thermalwasserförderung aus Sicht der Antragsgegnerin durch die Beschwerdeführerin nicht erfolgte, setzte diese der Beschwerdeführerin Fristen (u.a. bis zum 2. März 2016), verbunden mit der Androhung, im Weigerungsfalle eine Kündigung des Fernwärmeversorgungsvertrages und ein vollständiges Nutzungsverbot auszusprechen.

4

Mit Schriftsatz vom 1. März 2016 beantragte die Beschwerdeführerin beim Landgericht Traunstein, gegen die Antragsgegnerin eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung zu erlassen, wonach der Antragsgegnerin untersagt werden sollte, ein sofortiges Verbot gegenüber der Beschwerdeführerin für das Recht zur Nutzung des tiefengeothermischen Förderbrunnens auszusprechen oder anzudrohen.

5

Der Vorsitzende der zuständigen Kammer für Handelssachen beraumte bereits mit Verfügung vom 3. März 2016 einen Termin zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf den 4. April 2016 an. Zudem telefonierte der Vorsitzende mit dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin. Letzterer sicherte zu, dass die Antragsgegnerin vor dem Verhandlungstermin kein Benutzungsverbot aussprechen würde. Darüber informierte der Vorsitzende den Prozessbevollmächtigen der Beschwerdeführerin telefonisch ebenfalls am 3. März 2016 und fertigte dazu eine Aktennotiz.

6

Gegen die Terminsverfügung vom 3. März 2016 erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 9. März 2016 Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Die Anhörungsrüge wurde vom Landgericht mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass eine solche gegen Terminbestimmungen schon nicht statthaft sei. Der Termin zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. April 2016 wurde aufrechterhalten, eine einstweilige Verfügung bis dahin nicht erlassen.

II.

7

Mit ihrer am 25. März 2016 eingegangen Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als auch eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf Wahrung des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Gleichzeitig beantragte sie, das Landgericht im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die beantragte einstweilige Verfügung binnen drei Tagen ohne mündliche Verhandlung zu erlassen. Mit Beschluss vom 31. März 2016 wurde die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, wodurch sich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigte.

8

Mit Schriftsatz vom 2. August 2016 beantragt der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin nunmehr, den Gegenstandswert des Verfahrens auf 31.781.053 € festzusetzen. Dieser Wert entspricht nach seinen Angaben dem Sachanlagevermögen der Beschwerdeführerin, welches ausschließlich aus der Investition in das Betriebsgrundstück und die darauf befindlichen tiefengeothermischen Brunnenanlagen besteht. Zur Begründung führt der Prozessbevollmächtigte weiter aus, dass dem einstweiligen Verfügungsverfahren ein besonders komplexer Sachverhalt, eine hohe wirtschaftliche Bedeutung und besondere Eilbedürftigkeit zugrunde gelegen habe. Darüber hinaus weist er in einem weiteren Schriftsatz vom 19. September 2016 darauf hin, dass aufgrund des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein besonderer Aufwand erforderlich gewesen sei. Zudem habe die Beschwerdeführerin ihren Verfahrensvertreter auf der Grundlage einer zeitabhängigen Mindestvergütungsvereinbarung mandatiert. Für Leistungen im Zeitraum vom 24. Februar 2016 bis 23. März 2016 sei eine Honorarforderung in Höhe von … € erhoben worden. Insofern sei die Beschwerdeführerin bei Erstattung der Verfahrenskosten nur auf der Grundlage eines Mindestgegenstandswerts von 5.000 € erheblich beschwert, da sie bei einer Auslagenerstattung auf der Grundlage der gegenstandswertabhängigen RVG-Erstattung mit einer erheblich höheren, überschießenden Rechtsanwaltsvergütung belastet bleibe. Insofern sei die Beschwerdeführerin ausnahmsweise auch in Bezug auf die Beschwer abweichend vom Regelfall rechtsschutzbedürftig.

III.

9

Der Antrag auf eine vom gesetzlichen Mindeststreitwert abweichende Festsetzung des Gegenstandswerts ist unzulässig. Für die Festsetzung eines über den gesetzlichen Mindestwert von 5.000 € hinausgehenden Werts ist ein legitimes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin oder des Bevollmächtigten nicht erkennbar.

10

Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird gesondert nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festgesetzt. Danach ist der Gegenstandswert unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht unter 5.000 €. In objektiver Hinsicht kommt auch dem Erfolg der Verfassungsbeschwerde für die Bemessung des Gegenstandswerts Bedeutung zu. Wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, über sie also nicht inhaltlich befunden, ist es deshalb im Regelfall nicht gerechtfertigt, über den gesetzlichen Mindestwert hinauszugehen. In diesen Fällen besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für die Festsetzung des Gegenstandswerts (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Mai 1999 - 2 BvR 1790/94 -, NJW 2000, S. 1399; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. April 2008 - 1 BvR 206/08 -, juris und 7. Januar 2009 - 1 BvR 2523/08 -, juris ; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Januar 2010 - 2 BvR 2552/08 -, juris ; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2010 - 1 BvR 1179/08 -, juris ).

11

Der vorliegende Fall bietet keinen ausreichenden Anlass, von dieser Regel abzuweichen. Das Gesuch, dem Gegenstandswert das Sachanlagevermögen / die Investitionskosten der Beschwerdeführerin zugrunde zu legen, ist abwegig. Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zielten allein auf die Verpflichtung des Landgerichts ab, die beantragte einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung zu erlassen. Es kann dabei dahinstehen, ob die Anordnung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die damit implizit verbundene Ablehnung einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung überhaupt als selbstständige Zwischenentscheidung mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Denn die Beschwerdeführerin hatte es in der Verfassungsbeschwerde bereits nicht vermocht, substantiiert darzulegen, dass das Landgericht bei seinem Entschluss, nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, gegen Verfassungsrecht verstoßen habe.

12

Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine mündliche Verhandlung vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Regel ist (vgl. z.B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 937 Rn. 4; Schellhammer, Zivilprozess, 14. Aufl. 2012, Rn. 1926). Eine solche ist nur entbehrlich, wenn eine besondere beziehungsweise gesteigerte Dringlichkeit im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht ist. Dass der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hier zu einer fehlerhaften oder gar verfassungswidrigen Einschätzung gekommen sein könnte, war nicht ersichtlich. Zum einen hatte der Vorsitzende vom Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin bereits am 3. März 2016 telefonisch die Information eingeholt, dass diese vor der mündlichen Verhandlung am 4. April 2016 kein Benutzungsverbot aussprechen werde. Bereits aus diesem Grund war es im vorliegenden Fall unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu beanstanden, dass der Vorsitzende von einer fehlenden gesteigerten Dringlichkeit im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO ausgegangen ist. Eine telefonische Anhörung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist dabei möglich (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 937 Rn. 8). Zudem ist bei der Ermessensentscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung auch zu beachten, dass ein Beschluss ohne eine solche zu erheblichen Nachteilen beim Antragsgegner führen und einen Eingriff in dessen grundrechtsgleiches Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG darstellen kann.

13

Es war - hinsichtlich der maßgeblichen Fragestellung nach der Verletzung von Verfassungsrecht durch die Entschließung des Landgerichts, nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden - auch keine besondere Schwierigkeit und kein besonderer Umfang der Sach- und Rechtslage festzustellen. Allein die Wichtigkeit der Wärmeversorgung für die Kunden der Beschwerdeführerin rechtfertigt vorliegend - wo im Ergebnis gegen eine nicht zu beanstandende und ausreichend zeitnahe Terminierung vorgegangen wurde - kein Abweichen vom gesetzlichen Mindeststreitwert.

14

Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine vom gesetzlichen Mindeststreitwert abweichende Gegenstandswertfestsetzung ist schließlich auch nicht vor dem Hintergrund der Kostenbelastung der Beschwerdeführerin anzunehmen. Jene hat die Beschwerdeführerin aufgrund der Honorarvereinbarung mit ihrem Prozessbevollmächtigten selbst zu verantworten. Eine Anordnung der Auslagenerstattung zugunsten der Beschwerdeführerin gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG kommt aufgrund der eklatanten Begründungsmängel und der vorliegend offenkundigen Aussichtslosigkeit, eine Entscheidung des Fachgerichts ohne mündliche Verhandlung über eine Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu erzwingen, ohnehin nicht in Betracht. Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG bewegten sich vielmehr am Rande zur Auferlegung einer Missbrauchsgebühr gemäß § 34 Abs. 2 BVerfGG.

15

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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