Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (7. Senat) - 7 C 2/10

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Verlängerung ihrer immissionsschutzrechtlichen Rechtsposition für die angezeigte Umnutzung einer gemäß § 67 Abs. 2 BImSchG übergeleiteten früheren Legehennenfarm als Anlage zur Aufzucht und Mast von Enten.

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Seit den 1960er Jahren hielt die Rechtsvorgängerin der Klägerin in baurechtlich genehmigten Ställen Legehennen. Diese Anlage mit 50 000 Legehennen wurde 1975 beim zuständigen Landratsamt angezeigt. Die Klägerin übernahm den Betrieb am 1. Mai 2002 und stallte die Legehennen aus. Sie beabsichtigte zunächst, in den Stallgebäuden Aufzuchtplätze und Entenmastplätze für jeweils 24 000 Enten einzurichten. Auf ihre entsprechende Anzeige teilte ihr das Landratsamt gemäß § 15 BImSchG mit Schreiben vom 23. Mai 2002 mit, dass die Umnutzung der Hühnerfarm keine wesentliche Änderung im Sinne des § 16 BImSchG darstelle. Aufgrund von Verzögerungen in dem unverzüglich eingeleiteten Baugenehmigungsverfahren stellte die Klägerin im April 2005 und im April 2006 jeweils gemäß § 18 Abs. 3 BImSchG einen Antrag auf Verlängerung der für die Anlage bestehenden immissionsschutzrechtlichen Rechtsposition. Hierbei erklärte sie - inzwischen verbindlich - die Anlage in ihrer ursprünglich angezeigten Form als Legehennenhaltungsanlage nicht weiter betreiben zu wollen; sie beabsichtige vielmehr entsprechend der von ihr beantragten Baugenehmigung nur noch ihre Nutzung zur Entenaufzucht und -mast. Die Baugenehmigung ist inzwischen erteilt, aber auf die Haltung von 23 150 Enten beschränkt worden; hiergegen ist eine - in erster Instanz abgewiesene - Nachbarklage des Beigeladenen anhängig.

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Mit Bescheid vom 13. Juni 2006 lehnte das Landratsamt die Verlängerungsanträge unter anderem mangels Anwendbarkeit des § 18 Abs. 3 BImSchG auf angezeigte Altanlagen und mangels Existenz eines wichtigen Grundes für die Verlängerung ab. Die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. August 2007 abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Urteil vom 29. Mai 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

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Zwar sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts § 18 Abs. 3 BImSchG ebenso wie § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG auf Altanlagen im Sinne des § 67 Abs. 2 BImSchG entsprechend anwendbar. Durch die - rechtzeitig beantragte - Fristverlängerung werde jedoch der Zweck des Gesetzes gefährdet. Durch sie dürfe insbesondere der Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft nicht in Frage gestellt werden. Deshalb sei bei § 18 Abs. 3 BImSchG grundsätzlich zu prüfen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen noch vorlägen. Hieran bestünden Zweifel, weil zurzeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne, dass im angrenzenden Wiesenbrütergebiet schädliche Umwelteinwirkungen durch Ammoniakimmissionen der Anlage der Klägerin hervorgerufen würden. Wie sich der Stellungnahme der Umweltingenieurin des Landratsamts vom 5. August 2002 entnehmen lasse, würden die Mindestabstände zu empfindlichen Pflanzen und Ökosystemen nach Nr. 4.8 Abs. 5 und Anhang 1 Abbildung 4 TA Luft bei Belegung der Anlage mit 48 000 Enten hinsichtlich der Ammoniakeinwirkungen unterschritten und der Wert für die Gesamtbelastung durch Ammoniak von 10 µg/m3 gemäß Anhang 1 TA Luft nach Abbildung 4 gemäß einer Immissionsabschätzung des Landwirtschaftsamts vom 3. Dezember 2003 überschritten. Ferner werde hinsichtlich der denkmalgeschützten Filialkirche St. M. auf denkmalschutzrechtliche Bedenken gegen die Wiederaufnahme des Betriebs der Klägerin hingewiesen. Ob sich die Klägerin auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 18 Abs. 3 BImSchG für die Fristverlängerung berufen könne, bedürfe daneben keiner Entscheidung. Die Freistellungserklärung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG indiziere die Zweckkonformität und damit eine positive Beurteilung der Fristverlängerung nicht. Im Verfahren nach § 15 Abs. 2 BImSchG werde nur die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit der Nutzungsänderung geprüft, nicht aber deren Genehmigungsfähigkeit.

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Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Verpflichtungsantrag weiter. Die Auffassung des Berufungsgerichts sei mit §§ 15, 18 BImSchG nicht vereinbar. Die Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG indiziere grundsätzlich auch für die Entscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG, dass der Gesetzeszweck durch die Fristverlängerung nicht gefährdet werde. Gegenstand der bestandskräftigen Entscheidung nach § 15 Abs. 2 BImSchG sei, dass von der angezeigten Änderung keine erheblichen Auswirkungen auf die Schutzgüter des § 1 BImSchG zu befürchten seien und deshalb von ihr auch keine Auswirkungen ausgingen, die im Sinne des § 18 Abs. 3 BImSchG den Zweck des Gesetzes gefährdeten. Von dieser Feststellung könne die Behörde nur nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG abweichen. Auch könnten immissionsschutzrechtliche Belange in einem der Freistellungsentscheidung nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren nicht mehr präventiv überprüft werden. Anderenfalls laufe der Inhalt der Freistellungserklärung leer. Erkenntnisse, die in dem Baugenehmigungsverfahren unter Verstoß gegen die Bindungswirkung der Freistellungserklärung und damit rechtswidrig gewonnen worden seien, könnten nicht zur Grundlage der Entscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG gemacht werden. Unabhängig davon rechtfertigten die gewonnenen Erkenntnisse die Ablehnung der Verlängerung nicht. Die Prüfung, ob die Haltung von 48 000 Enten den Gesetzeszweck gefährdeten, sei nicht abgeschlossen worden. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass allein aufgrund der Unterschreitung der Mindestabstände nach Nr. 4.8 Abs. 5 TA Luft automatisch eine Gefährdung des Gesetzeszweckes gegeben sei. Es habe auch nicht näher geprüft, ob Ammoniakimmissionen den Putz der benachbarten denkmalgeschützten Kirche schädigten.

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Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil. Die Regelung der Freistellungserklärung - deren Rechtsnatur als Verwaltungsakt schon zweifelhaft sei - beschränke sich nach dem Inhalt der Erklärung und der gesetzlichen Systematik auf die verbindliche Entscheidung über die fehlende immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit und damit im Sinne einer "Freigabefunktion" auf die Verleihung der Befugnis an den Vorhabenträger, die Änderung ohne immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung umzusetzen. Eine darüber hinausgehende, Bestandsschutz vermittelnde Feststellung, das geänderte Vorhaben gefährde den Gesetzeszweck nicht, könne sich nur aus Fachrecht ergeben; daran fehle es hier. Die mit der Neuregelung der §§ 15, 16 BImSchG intendierte Verfahrensbeschleunigung sei zugleich mit einer größeren Eigenverantwortlichkeit der Betreiber verbunden und spreche gegen einen materiellrechtlichen Gehalt der Erklärung. Die Freistellungserklärung habe nur verfahrenslenkende Bedeutung, sie stelle aber nicht materiell für die Zukunft fest, dass der angezeigte Sachverhalt nicht mit den Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 BImSchG und den immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten kollidiere. Ihr könne daher auch keine bestandskraftfähige Erklärung entnommen werden, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen nicht mehr gewährleistet sei.

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Der Beigeladene tritt der Revision ebenfalls entgegen. Der Freistellungsentscheidung komme keine Bindungswirkung für eine spätere Entscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG zu. §§ 15 und 18 BImSchG regelten unterschiedliche Sachverhalte und verfolgten unterschiedliche Zwecke. Ferner fehle es im vorliegenden Fall einer lediglich gemäß § 67 Abs. 2 BImSchG angezeigten Altanlage bereits an der umfassenden Präventivkontrolle vor der erstmaligen Inbetriebnahme. Das Berufungsgericht sei in Anbetracht der erheblichen Ammoniakimmissionen zu Recht von einer Gefährdung des Gesetzeszweckes durch die Wiederinbetriebnahme der Anlage ausgegangen.

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Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt hingegen die Revision und vertritt die Auffassung, der Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG komme Bindungswirkung für die im Rahmen des § 18 Abs. 3 BImSchG zu prüfende Voraussetzung zu, dass die Fristverlängerung den Zweck des Gesetzes nicht gefährde.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Ihre Verpflichtungsklage auf Verlängerung der immissionsschutzrechtlichen Rechtsposition ist nicht begründet, denn der ablehnende Bescheid des Landratsamts vom 13. Juni 2006 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer immissionsschutzrechtlichen Rechtsposition bzw. auf Neubescheidung ihrer Verlängerungsanträge nach § 18 Abs. 3 BImSchG. Zwar ist diese Vorschrift auch auf nach § 67 Abs. 2 BImSchG angezeigte Anlagen anwendbar (1.). Der Verlängerungsantrag ist auch rechtzeitig gestellt worden (2.). Durch die Verlängerung würde aber nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs der Zweck des Gesetzes gefährdet (3.). An dieser Feststellung ist der Verwaltungsgerichtshof - wie er zutreffend erkannt hat - durch die Freistellungserklärung zu Gunsten der Klägerin gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG nicht gehindert (4.).

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1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG erlischt die Genehmigung, wenn eine Anlage während eines Zeitraums von mehr als drei Jahren nicht mehr betrieben worden ist. Gemäß § 18 Abs. 3 BImSchG kann die Genehmigungsbehörde auf Antrag die Fristen nach Absatz 1 aus wichtigem Grund verlängern, wenn hierdurch der Zweck des Gesetzes nicht gefährdet wird.

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§ 18 Abs. 1 Nr. 2 und § 18 Abs. 3 BImSchG sind nach der Rechtsprechung des Senats auch auf "Altanlagen" anwendbar, die gemäß § 67a Abs. 1 BImSchG oder - wie hier - nach § 67 Abs. 2 BImSchG lediglich angezeigt worden sind (Beschluss vom 4. März 2010 - BVerwG 7 B 38.09 - juris Rn. 6 f. = NVwZ 2010, 780; zu § 67a Abs. 1 BImSchG: Urteil vom 25. August 2005 - BVerwG 7 C 25.04 - BVerwGE 124, 156 <159> = Buchholz 406.25 § 18 BImSchG Nr. 3). Der Schutzzweck des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, zum Schutze der Allgemeinheit und der Nachbarschaft zu verhindern, dass mit der Fortsetzung eines für längere Zeit stillgelegten Betriebes zu einem Zeitpunkt begonnen wird, in dem sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben können (vgl. BTDrucks 7/179 S. 37), gilt nämlich uneingeschränkt auch für formell nur anzeigepflichtige, aber materiell genehmigungsbedürftige Altanlagen. Das Gleiche gilt für die Vorschrift des § 18 Abs. 3 BImSchG, mit der unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall unbillig erscheinende Folgen der Erlöschensregelung verhindert werden sollen (Ennuschat, in: Kotulla, BImSchG, Stand Oktober 2007, § 18 Rn. 11 und 53).

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2. Der Verlängerungsantrag ist rechtzeitig gestellt worden. Die Klägerin hat die Anlage nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum 1. Mai 2002 übernommen und den Legehennenbetrieb mit der Übernahme eingestellt. Ihr erster Verlängerungsantrag datiert vom 28. April 2005 und ist damit noch vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist des § 18 Abs. 3 BImSchG gestellt worden. Das genügt. Die Frist kann unter diesen Umständen auch nachträglich verlängert werden (vgl. Urteil vom 25. August 2005 a.a.O. S. 162).

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3. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat der Verwaltungsgerichtshof ferner angenommen, dass die Klägerin eine Verlängerung nach § 18 Abs. 3 BImSchG jedenfalls deshalb nicht beanspruchen kann, weil der Zweck des Gesetzes dadurch gefährdet würde.

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a) Die Verlängerungsmöglichkeit nach § 18 Abs. 3 BImSchG stellt eine Ausnahmeregelung zu den Erlöschenstatbeständen des § 18 Abs. 1 BImSchG, namentlich dem Erlöschen der Genehmigung wegen Stilllegung der Anlage über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren (Nr. 2), dar. Durch das Erlöschen der Genehmigung nach mehr als dreijähriger Stilllegung der Anlage soll insbesondere zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft verhindert werden, dass mit der Wiederinbetriebnahme zu einem Zeitpunkt begonnen wird, in dem sich die (tatsächlichen oder rechtlichen) Verhältnisse, die der Genehmigung zugrunde lagen, möglicherweise wesentlich verändert haben (BTDrucks 7/179 S. 37; Urteil vom 25. August 2005 a.a.O. S. 159). Wird eine genehmigte oder angezeigte Anlage länger als drei Jahre nicht betrieben, bedarf eine Wiederinbetriebnahme deshalb der Genehmigung nach § 4 Abs. 1 BImSchG. Dem Erlöschenstatbestand in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG liegt mithin die generalisierende Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass der in § 1 BImSchG beschriebene Zweck des Gesetzes bei einer Wiederinbetriebnahme nach mehr als drei Jahren Stilllegung gefährdet wäre und sich in diesen Fällen daher die Genehmigungsfrage generell neu stellt.

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b) Als Korrektiv dazu sieht § 18 Abs. 3 BImSchG die Möglichkeit vor, den Zeitpunkt des Erlöschens der Genehmigung im Einzelfall hinauszuschieben und so die Zeit einer genehmigungsunschädlichen Stilllegung der Anlage zu verlängern, sofern für die Betriebsunterbrechung ein wichtiger Grund vorliegt und durch die spätere Wiederinbetriebnahme der Anlage der Zweck des Gesetzes ausnahmsweise nicht gefährdet wird; die Frage der Gefährdung des Gesetzeszwecks ist deshalb unter dem Blickwinkel der Wiederinbetriebnahme der stillgelegten Anlage zu beantworten.

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c) Der Zweck des Gesetzes besteht gemäß § 1 BImSchG darin, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen (Abs. 1). Soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, dient das Gesetz auch der integrierten Vermeidung und Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen, sowie dem Schutz und der Vorsorge gegen Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden (Abs. 2).

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Aus Sinn und Zweck des § 18 Abs. 1 BImSchG, zu verhindern, dass eine stillgelegte Anlage zu einem Zeitpunkt wieder in Betrieb genommen wird, in dem sich die der Genehmigung zugrunde liegenden Verhältnisse möglicherweise wesentlich verändert haben, folgt zugleich, dass bei der Entscheidung über die Fristverlängerung nach § 18 Abs. 3 BImSchG im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Zweckgefährdung kursorisch das Fortbestehen der Genehmigungsvoraussetzungen zu überprüfen bzw. bei den angezeigten Anlagen nach § 67 Abs. 2 BImSchG zu fragen ist, ob die auch für diese Anlagen geltenden Grundpflichten des § 5 BImSchG (vgl. dazu Urteil vom 9. Dezember 1983 - BVerwG 7 C 68.82 - juris Rn. 9 = Buchholz 406.25 § 67 BImSchG Nr. 6) und Rechtsverordnungen nach § 7 BImSchG eingehalten werden. Das bedeutet zwar nicht, dass die Behörde einen Antrag auf Fristverlängerung in derselben Weise zu prüfen hat wie einen Antrag auf Neugenehmigung. Bereits der Wortlaut des § 18 Abs. 3 BImSchG steht dem entgegen. Danach setzt die Verlängerung der Erlöschensfrist (nur) voraus, dass die Verlängerung den Gesetzeszweck nicht gefährdet. Als Folge einer Fristverlängerung darf daher der bei einer Neugenehmigung gebotene Standard an Gefahrenabwehr und Vorsorge nicht erkennbar unterschritten werden. Entsprechenden Anhaltspunkten muss die Behörde deshalb nachgehen (Scheuing/Wirths, in: Koch/Pache/Scheuing (Hrsg.), GK-BImSchG, Stand August 2010, § 18 Rn. 81). Die Annahme einer Gefährdung des Gesetzeszweck ist daher bereits dann gerechtfertigt, wenn hinreichend objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei Wiederinbetriebnahme der Anlage der gebotene Standard an Gefahrenabwehr und Vorsorge zu Gunsten der in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter, insbesondere der Nachbarschaft und der Allgemeinheit unterschritten würde und schädliche Umwelteinwirkungen, Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen drohen. Die Ablehnung der Verlängerung nach § 18 Abs. 3 BImSchG setzt daher - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt hat - nicht voraus, dass der Eintritt nachteiliger und schädlicher Auswirkungen im Sinne von § 1 BImSchG nachgewiesen wird. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass nicht auf den stillgelegten, sondern auf den für die Zukunft geplanten Betrieb abzustellen, hier also die mit der geplanten Umnutzung verbundene Haltung von 48 000 Enten in den Blick zu nehmen ist.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat eine solche Gefährdung darin erblickt, dass nach den im Baugenehmigungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, im Umfeld der Anlage würden bei einem Tierbesatz von 48 000 Enten schädliche Umwelteinwirkungen durch Ammoniakimmissionen hervorgerufen. Gegen die dieser Annahme zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen sind zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht erhoben worden; sie binden den Senat daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO. Die vom Berufungsgericht festgestellte Unterschreitung der Mindestabstände nach Anhang 1 Abbildung 4 TA Luft (Nr. 4.8 Abs. 5 TA Luft) sowie die ebenfalls festgestellte Überschreitung des Werts für die Gesamtbelastung an Ammoniak von 10 µg/m3 stellen für die Annahme einer Gefährdung des Gesetzeszwecks ausreichende objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen erheblicher Nachteile durch Schädigung empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme dar. Ob diese Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen sich zur Gewissheit verdichten oder aber gegebenenfalls entkräftet bzw. mittels Auflagen bewältigt werden können, ist keine im Verlängerungsverfahren nach § 18 Abs. 3 BImSchG, sondern eine in einem neuen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfende Frage.

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4. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, er sei an der Feststellung der Gefährdung des Gesetzeszwecks im Sinne von § 18 Abs. 3 BImSchG durch die Freistellungserklärung des Landratsamts vom 23. Mai 2002 nicht gehindert, steht im Einklang mit Bundesrecht. Er ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Prüfung, ob durch die Fristverlängerung der Zweck des Gesetzes gefährdet wird, inhaltlich durch die Freistellungserklärung nicht präjudiziert wird. Denn mit der Freistellungserklärung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG wird lediglich mit Bindungswirkung geregelt, dass die geplante Umstellung der Anlage von Legehennenhaltung (50 000 Tierplätze) auf Entenmast (48 000 Tierplätze) keiner Änderungsgenehmigung nach § 16 Abs. 1 BImSchG bedarf. Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Vertreters des Bundesinteresses enthält sie hingegen keine bestandskraftfähige Feststellung des Inhalts, dass von der angezeigten Änderung keine Auswirkungen ausgehen, die den Zweck des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gefährden; sie entfaltet daher insoweit im Rahmen der Prüfung eines Verlängerungsantrags nach § 18 Abs. 3 BImSchG keine Bindungswirkung. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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a) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BImSchG hat die zuständige Behörde aufgrund einer Änderungsanzeige unverzüglich zu prüfen, ob die Änderung einer Genehmigung bedarf. Gemäß § 16 Abs. 1 BImSchG ist dies der Fall, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können.

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Zwar stellt die Mitteilung an den Träger des Vorhabens gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, die Änderung bedürfe keiner Genehmigung (sog. "Freistellungserklärung"), einen Verwaltungsakt dar, der bestandskraftfähig ist und dem Bindungswirkung zukommt (vgl. Jarass, BImSchG, 8. Aufl. 2010, § 15 Rn. 29 ff.; Rebentisch, in: Feldhaus, BImSchG, Stand Juli 2010, § 15 Rn. 79, 85; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, BImSchG, Stand März 2010, § 15 Rn. 38, 70; Guckelberger, in: Kotulla, BImSchG, Stand Juni 2010, § 15 Rn. 69 ff.). Der Umfang der möglichen Bindungswirkung wird jedoch vom Regelungsinhalt des Verwaltungsakts bestimmt und erfasst nicht die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Verwaltungsakts in den Blick zu nehmenden materiellrechtlichen Vorfragen (vgl. auch Rebentisch, a.a.O., § 15 Rn. 79; Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 7 C 14.08 - juris Rn. 23 = NVwZ 2009, 1441).

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Regelungsinhalt der Freistellungserklärung ist allein die Aussage zur formellen Legalität des Änderungsvorhabens. Sie stellt mit Bindungswirkung ausschließlich fest, dass die geplante Änderung der Anlage keiner förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf. Die von ihr erzeugte verbindliche Rechtswirkung nach außen besteht (und erschöpft sich) darin, dass die Änderung ohne Weiteres formell rechtmäßig ist und daher weder Stilllegungsanordnungen nach § 20 Abs. 2 BImSchG ergehen noch an die formelle Illegalität anknüpfende Bußgeld- oder Straftatbestände eingreifen können (Jarass, a.a.O., § 15 Rn. 30; Guckelberger, a.a.O., § 15 Rn. 76).

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b) Bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 BImSchG spricht für diesen, auf das formelle Genehmigungserfordernis begrenzten Regelungsinhalt der Freistellungserklärung. § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG gestattet dem Vorhabenträger im Sinne einer Freigabeerklärung die Vornahme der Änderungen ohne formelle Genehmigung und legt damit deren Charakter als bloße Verfahrensregelung nahe.

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c) Gesetzessystematische Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. Das Anzeigeverfahren nach §§ 15, 16 BImSchG ist ein präventives Kontrollverfahren, das nicht an die strengen rechtlichen Voraussetzungen eines förmlichen Genehmigungsverfahrens gebunden sein, sondern der Verfahrensbeschleunigung bei unwesentlichen Änderungen des Vorhabens dienen soll. An die Stelle der früheren nachträglichen Anzeige von Änderungen ist zur Stärkung der präventiven Kontrolle und zum Schutz des Betreibers vor dem Vorwurf der formellen Illegalität die Anzeige vor deren Durchführung getreten. Anhaltspunkte für eine - wenn auch abgeschwächte - materiellrechtliche Legalisierung sind hingegen nicht ersichtlich.

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Zwar erstreckt sich die Prüfung, ob eine Änderung im Sinne von § 16 Abs. 1 BImSchG "wesentlich" ist, materiell auch auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter (vgl. auch BTDrucks 13/3996 S. 9). Im Anzeigeverfahren nach §§ 15, 16 BImSchG ist aber schon der Blickwinkel und damit der Prüfungsgegenstand - wie der Wortlaut der Vorschriften nahelegt - auf die Änderung ausgerichtet, während im Verlängerungsverfahren nach § 18 Abs. 3 BImSchG die gesamte Anlage (gegebenenfalls in ihrer geänderten Gestalt) in den Blick zu nehmen ist. Die (eingeschränkte) materiellrechtliche Prüfung im Anzeigeverfahren betrifft überdies nur die Voraussetzungen der Freistellungserklärung, nicht jedoch ihren tenorierten Regelungsinhalt.

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Die Ausgestaltung des Anzeigeverfahrens, insbesondere dessen - auch unter Einbeziehung des § 15 Abs. 1 Satz 4 BImSchG - kurz bemessene Fristen, begrenzen zwangsläufig die Prüfungstiefe der zuständigen Behörde. Das spricht ebenfalls gegen einen materiellrechtlichen, Bindungswirkung und Bestandsschutz vermittelnden Regelungsinhalt der Freistellungserklärung.

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Zu dem gleichen Ergebnis führt ein Vergleich mit der Bedeutung einer förmlichen Genehmigung bei der Beurteilung eines Verlängerungsanspruchs nach § 18 Abs. 3 BImSchG. Selbst einer ursprünglichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung käme nach einer dreijährigen Stilllegung der Anlage im Rahmen des § 18 Abs. 3 BImSchG keine indizierende oder präjudizierende Wirkung für die Beurteilung der Frage zu, ob der Zweck des Gesetzes durch die Wiederinbetriebnahme der Anlage nicht gefährdet wird. Einer bloßen Freistellungserklärung kann eine derartige dauerhafte Bescheinigung der Gesetzeskonformität des Betriebs erst recht nicht zuerkannt werden; sie teilt insoweit das Schicksal der Genehmigung bzw. der genehmigungsersetzenden Wirkung einer Anzeige nach § 67 Abs. 2 BImSchG.

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Schließlich bestätigt auch die Existenz des § 16 Abs. 4 BImSchG die Beschränkung der Regelung einer Freistellungserklärung auf die Frage der formellen Legalität. Denn gemäß § 16 Abs. 4 BImSchG hat der Vorhabenträger unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Durchführung eines (vereinfachten) Genehmigungsverfahrens, auch wenn es an sich - nach § 15 Abs. 1 BImSchG - nicht erforderlich wäre. In diesem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG - das der Gesetzgeber dem Anlagenbetreiber bei an sich nur anzeigebedürftigen Änderungen als Option zur Verfügung stellt - werden auch die materiellrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen geprüft und bescheinigt. Darin besteht offenkundig der Unterschied zu dem Anzeigeverfahren nach § 15 BImSchG. Wäre eine solche materiellrechtliche Feststellung bereits mit der Freistellungserklärung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG verbunden, machte die Wahlmöglichkeit einer Genehmigung nach § 16 Abs. 4 BImSchG wenig Sinn.

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d) Sinn und Zweck des § 15 Abs. 2 BImSchG erfordern eine materiellrechtliche Anreicherung der Freistellungserklärung ebenfalls nicht. Entgegen der Ansicht der Klägerin läuft § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG bei einer Beschränkung der bestandskraftfähigen Regelungswirkung auf die formelle Frage des Genehmigungserfordernisses nicht leer. Sie beschränkt sich allerdings auf den Schutz des Betreibers vor Maßnahmen, die an die formelle Illegalität anknüpfen (vgl. Jarass, a.a.O., § 15 Rn. 30; Rebentisch, a.a.O., § 15 Rn. 103, 105). Darin besteht ihr ausreichender Sinn und Zweck.

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