Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WD 25/09

Tatbestand

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1. Der Soldat wurde nach erfolgreichem Realschulabschluss zum "Feinblechner" ausgebildet. In der Ausbildungsfirma war er anschließend bis zum Antritt des Grundwehrdienstes am 3. April 1989 beschäftigt. Im Juni 1989 erfolgte die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit für zunächst vier Jahre und zwei Monate; nach stufenweisen Weiterverpflichtungen wurde er 1999 Berufssoldat.

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Er wurde regelmäßig befördert. Die Ernennung zum Hauptfeldwebel erfolgte im April 2001. Nach der allgemeinen Grundausbildung und einer Ausbildung zum "Panzerunteroffizier Leopard 2" erfolgte seine Ausbildung zum Kampfmittelbeseitiger. Er bestand den "Auswahllehrgang Feuerwerker", den Feldwebellehrgang "Munitionstechnik" und den Lehrgang "Feuerwerker Fortbildungsstufe A". Weitere fachspezifische Fort- und Weiterbildungen folgten, so u.a. die Lehrgänge "Fachkunde Munition im Truppenübungsplatzdienst", "Kampfmittelbeseitigung (EOD)", "Weiterbildung Fachkunde Munition", "Feuerwerker Weiterbildung Fachkundiger gem. ZDV 34/210", "Beseitigung behelfsmäßiger Sprengvorrichtungen" sowie - im Rahmen der Ausbildung für den Auslandseinsatz - die Spezialausbildung "Kontingenteinweisung - Kampfmittelbeseitigungspersonal".

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Nach Verwendungen als Feuerwerker auf verschiedenen Truppenübungsplätzen sowie im Zentralen Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bundeswehr wurde er zum 1. April 2005 zur Kommandantur des Truppenübungsplatzes H... auf den Dienstposten eines Feuerwerkers und Kampfmittelbeseitigers versetzt.

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2. In der Sonderbeurteilung des Soldaten vom 21. August 2009 wurde die "Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten" einmal mit "5" und neunmal mit "4" bewertet, woraus sich ein Durchschnittswert von 4,1 ergab. Er wird als selbstbewusst auftretender Soldat beschrieben, der ein ausgeprägtes berufliches Selbstverständnis habe, gelegentlich aber unzufrieden wirke. Im letzten Auslandseinsatz habe er sich sehr gut bewährt. Insgesamt sei er ein durchaus leistungsfähiger und auch leistungswilliger Portepeeunteroffizier, der die ihm zugestandenen Freiräume nutze und in seinem Aufgabenbereich kreativ und konstruktiv agiere. Nach dem Sprengunfall 2006 falle es ihm auch und gerade im Hinblick auf das schwebende Disziplinarverfahren nicht immer leicht, seine Eigenmotivation im erforderlichen Maße aufrecht zu halten.

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In der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht sagte der als Leumundszeuge vernommene nächste Disziplinarvorgesetzte, Hauptmann W..., aus, der Soldat sei immer gewissenhaft und engagiert. Seine Leistungen lägen im mittleren Bereich. Es gebe kein Ereignis, das den Soldaten als übereifrig ausweise. Manchmal zeige er in einzelnen Fällen einen gehörigen Aktionismus und wolle Dinge, die ihm wichtig erschienen, schnell realisieren; dann müsse er etwas gebremst werden. Wenn der Soldat etwas sage, dann entspräche das nach seinen Erfahrungen auch der Wahrheit. Der in der Berufungshauptverhandlung vernommene Kommandant des Truppenübungsplatzes H... und Disziplinarvorgesetzte, Oberstleutnant B..., hat ausgesagt, der Soldat gehe nach seiner Einschätzung nicht vorschnell ein Risiko ein. Nach dem Unfall habe sich der Soldat zwar verschlossener gezeigt, seinen Dienst jedoch weiterhin "sauber" und beanstandungsfrei verrichtet.

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3. Der Disziplinarbuchauszug enthält die Eintragung über die Erteilung einer förmlichen Anerkennung im Juni 1994 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Im November 1999 wurde in Anerkennung dauerhaft herausragender Gesamtleistungen des Soldaten eine Leistungsstufe festgesetzt. Der Soldat ist berechtigt, u.a. das Abzeichen für "Leistungen im Truppendienst in Gold, Stufe III" und das "Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze" zu tragen. Außerdem wurden ihm für die Auslandseinsätze mehrere Einsatzmedaillen verliehen. Der Bundeszentralregisterauszug vom 30. Juli 2009 enthält keinen Eintrag.

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Die Staatsanwaltschaft H... hat das wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Wehrstrafgesetz und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt gegen den Soldaten sachgleich zum Disziplinarverfahren geführte Strafverfahren im Juni 2007 nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.

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4. Der Soldat ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von sechs, zehn und elf Jahren. Er erhält Dienstbezüge der Besoldungsgruppe A 8 Z von monatlich netto etwa 3 400 €.

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1. Das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten wurde nach seiner Anhörung mit Verfügung des Befehlshabers im Wehrbereich IV vom 9. August 2007 eingeleitet. Die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft legte dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 14. Juli 2008 folgenden Sachverhalt zur Last:

"1. Der Soldat legte bereits am 19.06.2006 dem Kommandanten Truppenübungsplatz H... (OTL B...) den Entwurf einer Vernichtungsanordnung hinsichtlich nicht zur Wirkung gelangter Munition zur Unterschrift vor. Hierbei gab er wahrheitswidrig an, dass es sich bei der zur Vernichtung bestimmten Munition um Sprengkörper der Munitionsart "Mass" gehandelt habe, obwohl es sich tatsächlich um eine nicht in die Bundeswehr eingeführte Munition im Sinne der ZDv 34/280 Ziffer 109 handelte (Munitionsart KKW Mass 81) und er keinen entsprechenden Nachweis über die Ausbildung hieran besaß, was er auch wusste, zumindest jedoch hätte wissen können und müssen. OTL B... ordnete gemäß der Vorlage des Soldaten am 20.06.2006 die Vernichtung an.

2. Anschließend führte der Soldat auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes H... am 20.06.2006 gegen 16.00 Uhr gemeinsam mit dem anderweitig verfolgten beteiligten Soldaten Hauptfeldwebel M... einen Vernichtungsversuch der Munitionsart "Mass" mittels Abbrennen des Geschosses durch, obwohl er wusste, zumindest jedoch als Feuerwerker hätte wissen können und müssen, dass gemäß HDv 183/100 Ziffer 207 phosphorhaltige Munition (roter Phosphor) ausschließlich durch Sprengung und nicht - wie von Ihm vorgenommen - mittels Abbrennen zu vernichten ist.

Aufgrund der zu Ziffer 1 und 2 genannten Verhaltensweise kam es im Rahmen des Sprengversuchs zu einer Deflagration (heftiger Abbrand). Hierbei erlitt Hauptfeldwebel M... erhebliche Verbrennungen ersten und zweiten Grades an Armen und Schultern, eine Splitterverletzung am Kopf sowie ein Hämatom im Unterleibsbereich."

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Im Abschnitt Ermittlungsergebnis nimmt die Anschuldigungsschrift weitgehend auf den Abschlussbericht der Untersuchungskommission über das Besondere Vorkommnis am 20. Juni 2006 Bezug.

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2. Mit Urteil vom 22. Januar 2009 hat die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd gegen den Soldaten ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwei Jahren verhängt.

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a) Den mitangeschuldigten Oberstleutnant B... hat die Kammer vom Vorwurf eines Dienstvergehens freigesprochen und im Wesentlichen ausgeführt: Bei der zu vernichtenden Munition habe es sich um eine andere Munitionssorte gehandelt als von Oberstleutnant B... "vorausgesetzt". Der Unterschied zwischen den beiden Munitionsarten sei nicht so groß gewesen, dass es bei der von Oberstleutnant B... "vorausgesetzten" Munition technisch zwingend zu einem anderen Verlauf hätte kommen können. Die Ursache für den Unfall sei die unfachmännische, in grob fahrlässiger Weise gezeigte Vorgehensweise der beiden Feuerwerker, nämlich des Soldaten und des Hauptfeldwebels M..., gewesen. Wie sich aus den Angaben des Soldaten ergebe, habe dieser in seiner Eigenschaft als Beseitigungstruppführer den Hauptfeldwebel M... angewiesen, sich trotz der zweifachen, von ihnen selbst verursachten thermischen Belastung dem nunmehr in hohem Maß gefährlichen Sprengkörper erneut zu nähern ohne den Sicherheitsabstand zu wahren. Aufgrund der für Oberstleutnant B... nicht vorhersehbaren überschießenden Kausalität, wonach sich Hauptfeldwebel M... dem zweifach thermisch belasteten Nebelwurfkörper schließlich ein drittes Mal angenähert habe, sei eine unfallbezogene Verantwortlichkeit des die Vernichtung anordnenden Oberstleutnant B... ausgeschlossen. Hätten die beiden durchführenden Feuerwerker von vornherein das mit dem Zeugen Bi..., Waffenbauingenieur der Firma R... GmbH, besprochene Verfahren der thermischen Beseitigung mittels EOD-Anzünder fachgerecht durchgeführt, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.

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Die Aufforderung des Soldaten an den Hauptfeldwebel M..., sich vom Zustand des belasteten Nebelwurfkörpers zu überzeugen, stelle eine vorhersehbare und in jeder Weise fahrlässige Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfaltspflichten dar und begründe eine Fürsorgepflichtverletzung. Diese Wirkung sei zwar für den Soldaten, nicht jedoch für Oberstleutnant B... vorhersehbar gewesen. Letzterer habe davon ausgehen dürfen, dass zwei ausgebildete Feuerwerker unter Beachtung aller Sorgfaltspflichten vorgehen und die Beseitigung fachgerecht ohne Gefahr für sich selbst vornehmen würden. Oberstleutnant B... sei daher vom Vorwurf, mit seiner Anordnung in vorwerfbarer Weise die Verletzung eines Untergebenen verursacht zu haben, freizustellen. Auch im Übrigen habe er auf die Richtigkeit der schriftlichen Anmeldung durch die Firma und die Darstellung der beiden erfahrenen Feuerwerker vertrauen dürfen.

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b) Soweit es den Soldaten betrifft, hat das Truppendienstgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Durch die leichtsinnige Verfahrensweise und seine Befehlsgebung habe der Soldat eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben eines Untergebenen und Kameraden heraufbeschworen, die bei Hauptfeldwebel M... zu einem schweren, nachhaltigen körperlichen Schaden geführt habe. Der Soldat sei als Beseitigungstruppführer Vorgesetzter des Hauptfeldwebel M... gewesen. Daraus ergebe sich seine Verpflichtung zur Fürsorge diesem gegenüber. Der Soldat hätte verhindern müssen, dass sich sein Untergebener dem gefährlichen Wurfkörper erneut näherte. Stattdessen habe er ihn angewiesen, sich vom Zustand der Munition zu überzeugen und ihn damit vorhersehbar einer hohen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. Die Auswirkungen seien sowohl für den Betroffenen als auch den Dienstherrn erheblich gewesen, was sich allein aus dem längeren Krankenstatus und den Einschränkungen des Hauptfeldwebels M... ergebe. Auch das Maß der Schuld sei nicht unerheblich, weil der Soldat in einem Bereich versagt habe, der zu seinem Aufgabenbereich zähle.

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Der Soldat habe durch sein Verhalten fahrlässig gegen die Pflichten verstoßen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, für seine Untergebenen zu sorgen, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten sowie mit seinem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere.

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3. Das gegen Hauptfeldwebel M... sachgleich geführte gerichtliche Disziplinarverfahren wurde durch die Einleitungsbehörde im März 2008 unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt.

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4. Gegen das ihm am 12. März 2009 zugestellte Urteil hat der Soldat am 9. April 2009 uneingeschränkt Berufung eingelegt und seinen Freispruch beantragt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Befehl von Oberstleutnant B..., die belasteten Nebelwurfkörper durch Abbrennen zu vernichten, sei richtig gewesen. Auch sei das Abbrennen korrekt durchgeführt worden. Seine Bitte gegenüber dem Hauptfeldwebel M..., sich dem ersten Nebelwurfkörper nochmals zu nähern, sei zudem zu einem Zeitpunkt erfolgt, als dies nach der Vorschriftenlage erlaubt und vertretbar gewesen sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Soldaten ist begründet. Von einer Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht hat der Senat trotz eines erheblichen Verfahrensfehlers abgesehen.

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1. Die Anschuldigungsschrift bedarf der Auslegung.

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a) Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 besteht wegen des Satzes 2 Auslegungsbedarf. In Satz 2 ist nicht nur erwähnt, dass es der Soldat wahrheitswidrig unterlassen habe, den Kommandanten darüber zu informieren, dass es sich um eine nicht in die Bundeswehr eingeführte Munition gehandelt habe; Erwähnung findet auch, dass er keinen Ausbildungsnachweis hierfür besessen habe. Isoliert betrachtet wird dadurch nicht deutlich, ob der Dienstherr gegenüber dem Soldaten auch aus Letzterem einen disziplinarischen Vorwurf ableitet. Zudem stellt sich in diesem Fall die weitere Frage, ob die am Ende des Satzes 2 beschriebene Schuldform ("... auch wusste, zumindest hätte wissen können und müssen ...") dann beide Vorwürfe erfassen soll.

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b) Unklarheiten dieser Art begründen schon deshalb erhebliche rechtliche Bedenken, weil zum Gegenstand der Urteilsfindung gemäß § 123 Satz 3 WDO in Verbindung mit § 107 Abs. 1 WDO nur solche Pflichtverletzungen gemacht werden "können" (= dürfen), die in der Anschuldigungsschrift dem Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.

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Die Anschuldigungsschrift legt Umfang und Grenzen des Prozessstoffes fest und bestimmt insoweit den Sachverhalt, der allein zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden darf. Dementsprechend schreibt § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO auch vor, dass die Anschuldigungsschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen erblickt wird, darzustellen hat. Die gesetzliche Vorgabe ist trotz der als Sollvorschrift gestalteten Fassung des § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zwingend, soweit sie sich auf diesen notwendigen Inhalt der Anschuldigungsschrift bezieht. Dies folgt insbesondere aus dem Regelungszweck und aus rechtsstaatlichen Gründen. Die Anschuldigungsschrift hat zum einen die Aufgabe, dem Betroffenen die Vorbereitung seiner Verteidigung zu ermöglichen; zum anderen bildet der darin niedergelegte Sachverhalt zugleich die unabänderliche Grundlage für die Verhandlung und Entscheidung des Wehrdienstgerichts. Die Wehrdienstgerichte können und dürfen den vom Wehrdisziplinaranwalt angeschuldigten Sachverhalt weder erweitern noch einengen (Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 - NZWehrr 2007, 28).

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Der Tatvorwurf muss unter anderem erkennen lassen, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Verhaltensweise angeschuldigt ist. Dabei reicht es allerdings aus, dass sich die angeschuldigte Schuldform aus der Fassung des Tatvorwurfs ergibt (Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 129 <131 f.> = Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002 Nr. 2 m.w.N.). Zu den gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO darzustellenden Tatsachen gehören auch die Umstände, die die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Dienstpflichtverletzung erfüllen (Urteile vom 29. Juni 1978 - BVerwG 2 WD 18.78 - und vom 22. März 2006 - BVerwG 2 WD 7.05 - Buchholz 450.2 § 107 WDO 2002 Nr. 2). Deshalb darf nicht offen bleiben, welche Bekundungen von Zeugen als zutreffend angesehen oder welche Tatsachen aufgrund von Zeugenaussagen und sonstigen Beweismitteln als erwiesen betrachtet werden und aus der Sicht des Wehrdisziplinaranwalts einen Schuldvorwurf rechtfertigen (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00, 43.00 - BVerwGE 114, 258 = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 3).

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Aus der doppelten Aufgabe der Anschuldigungsschrift folgt, dass ein Anschuldigungssatz nur dann hinreichend bestimmter Inhalt der Anschuldigungsschrift ist, wenn der in ihm erhobene Vorwurf eines schuldhaften Dienstvergehens in diesem Sinne aus der Sicht des Empfängers der Anschuldigungsschrift bei objektiver Betrachtungsweise konkret und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 = Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1 = NZWehrr 2005, 636 m.w.N.). Der dem Soldaten gegenüber erhobene Vorwurf muss in der Anschuldigungsschrift so deutlich und klar sein, dass sich der Soldat in seiner Verteidigung darauf einstellen kann. Dazu genügt es nicht, einen historischen Geschehensablauf zu schildern, ohne hinreichend präzise erkennen zu lassen, welche Pflichtverletzungen dem Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Die Darlegung eines konkreten und nachvollziehbaren Geschehensablaufs hinsichtlich des dem Soldaten zur Last gelegten Verhaltens muss zu dem daraus abgeleiteten Vorwurf einer oder mehrerer Dienstpflichtverletzung(en) in Beziehung gesetzt werden. Entscheidend ist, dass in der konkreten Verknüpfung zwischen der Darlegung des historischen Geschehensablaufs und den daraus vom Wehrdisziplinaranwalt gezogenen Schlussfolgerungen der von diesem erhobene, regelmäßig in der Anschuldigungsformel konzentriert zu fassende Vorwurf deutlich wird.

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c) Bei Zweifeln über Gegenstand und Umfang des dem Soldaten durch die Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Fehlverhaltens ist die Anschuldigungsschrift auszulegen, um ihren exakten Regelungsinhalt zu ermitteln. Dabei sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) entsprechend anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern darauf an, wie die abgegebene Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Verbleiben insoweit Zweifel, ist davon auszugehen, dass es an einer hinreichenden Anschuldigung im Sinne des § 99 Abs. 1 WDO fehlt (BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 a.a.O.).

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Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann Anschuldigungspunkt 1 der Anschuldigungsschrift noch dahingehend ausgelegt werden, dass dem Soldaten nicht nur vorgehalten wird, den Kommandanten über das Vorliegen einer nicht in die Bundeswehr eingeführten Munition (1. Alternative des Anschuldigungspunktes 1), sondern auch über seinen fehlenden Ausbildungsnachweis wahrheitswidrig vorsätzlich, jedenfalls aber fahrlässig nicht informiert zu haben (2. Alternative des Anschuldigungspunktes 1).

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2. Soweit es den in der 2. Alternative des Anschuldigungspunktes 1 beschriebenen Vorwurf betrifft, ist der Soldat davon schon deshalb freizustellen, weil er den Kommandanten des Truppenübungsplatzes schon nicht hat täuschen können. Der als Zeuge vernommene Oberstleutnant B... hat insoweit eindeutig ausgesagt, von der fehlenden Ausbildung des Soldaten gewusst zu haben. Er sei davon ausgegangen, der zum Team des Soldaten gehörende Zeuge Hauptfeldwebel M... habe über sie verfügt, was - wenn es sich denn um in die Bundeswehr eingeführte Munition gehandelt hätte - nach gängiger Truppenpraxis ausgereicht hätte. Vorschriften, die dem entgegenstünden, seien ihm nicht bekannt. Dass dies der Truppenpraxis entspricht, haben auch die Zeugen Oberst a.D. D..., Oberstleutnant V... und Hauptfeldwebel M... bestätigt.

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3. Vom in der 1. Alternative des Anschuldigungspunktes 1 beschriebenen Vorwurf ist der Soldat ebenfalls freizustellen.

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Dass es sich bei der vom Soldaten zusammen mit dem Zeugen Hauptfeldwebel M... vernichteten Munition KKW MASS 81 nicht um die in die Bundeswehr (dort bei der Marine) bereits eingeführte Munition MASS 81 gehandelt hat, steht zwar fest. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist jedoch erwiesen, dass der Soldat dies weder wusste noch hätte wissen müssen. Es fehlt somit an einer schuldhaft begangenen Dienstpflichtverletzung.

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Fahrlässiges Handeln liegt dann vor, wenn der Soldat eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, die er nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten hätte vorhersehen und vermeiden können (Urteil vom 19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <174> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 16). Diese Voraussetzungen erfüllt das Verhalten des Soldaten nicht.

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Wie bereits im Abschlussbericht festgestellt und durch die Aussage vor allem der Zeugen Oberstleutnant B... und S..., Qualitätstechniker bei der Firma R... GmbH, bestätigt, ist durch die Schießanmeldung der Waffenfirma bei der Truppe der Eindruck entstanden, es handele sich bei der Munition um in die Bundeswehr eingeführte Munition der Sorte MASS 81, obwohl es sich objektiv um einen noch in der Entwicklung begriffenen Nebelwurfkörper handelte. Dieser Eindruck bestand nicht nur beim Soldaten, sondern auch beim Zeugen Hauptfeldwebel M... sowie bei den Vorgesetzten des Soldaten; er war darauf zurückzuführen, dass die Waffenfirma in der Schießanmeldung als Munitionssorte ausdrücklich "Mass 81mm" angegeben hatte.

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Auch nachdem der Soldat die Munition später in Augenschein genommen hatte, musste er nicht erkennen, dass es sich um nicht in die Bundeswehr eingeführte Munition handelte. Die (sachverständigen) Zeugen Oberst a.D. D... und Oberstleutnant V... haben insoweit übereinstimmend ausgesagt, ein Feuerwerker, der nicht den Lehrgang für die Marinemunition MASS 81 besucht habe, hätte nicht erkennen können, dass es sich um unterschiedliche Munitionsarten handelte. Da selbst dem Zeugen Hauptfeldwebel M..., der im Gegensatz zum Soldaten den Lehrgang für die eingeführte Munition MASS 81 besucht hatte, der Unterschied nicht aufgefallen war, kann dies erst recht nicht dem Soldaten vorgehalten werden. Dies gilt umso mehr, als auch der bei der Waffenfirma angestellte Zeuge Bi... ausgesagt hat, jedenfalls ohne Einsichtnahme in die Munitionsblätter, die dem Soldaten unstreitig nicht vorgelegen haben, sei es nicht möglich, die Munitionsarten zu unterscheiden. Dass auch die Beschriftung der Kisten, in denen die Munition zunächst gelagert war, für den Soldaten kein Anlass sein musste, an der von der Waffenfirma angegebenen Munitionsart zu zweifeln, steht ebenfalls fest. Der Zeuge Bi... hat insoweit ausgeführt, auf der Verpackung seien zwar die Inhaltsstoffe der Munition, nicht aber die Munitionsbezeichnung selbst zu lesen gewesen.

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Zur Überzeugung des Gerichts steht auch nicht fest, dass der Soldat von Mitarbeitern der Waffenfirma darüber informiert worden war, dass es sich um nicht in die Bundeswehr eingeführte Munition handelte. Der Soldat hat dies unwiderlegbar in Abrede gestellt. Die gegenteilige Aussage des Zeugen Bi... hielt der Senat nicht für glaubhaft. Der Zeuge steht nicht nur im Dienst der Waffenfirma, die die unzutreffenden Angaben über die Munitionssorte gemacht hatte; seine Aussage steht vor allem auch im Widerspruch zu der des Zeugen Hauptfeldwebel M.... Dieser hat ausgesagt, nach seiner Erinnerung habe der Zeuge Bi... erklärt, es handele sich um in die Bundeswehr eingeführte Munition, die lediglich zivil, nämlich zum Schutz von Kernkraftwerken, eingesetzt werden solle.

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4. Freizustellen war der Soldat schließlich auch von dem unter Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen Schuldvorwurf.

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a) Soweit das Truppendienstgericht hinsichtlich dieses Anschuldigungspunktes ein Fehlverhalten mit der Begründung bejaht hat, der Soldat hätte verhindern müssen, dass sich der Zeuge Hauptfeldwebel M... dem gefährlichen Wurfkörper erneut nähere, stattdessen habe er ihn angewiesen, sich vom Zustand der Munition zu überzeugen, kann die Feststellung schon deshalb zu keiner disziplinarischen Ahndung führen, weil der Soldat eines solchen Verhaltens nicht angeschuldigt worden ist. Wie sich aus den Ausführungen zur Bedeutung der Anschuldigungsschrift (unter III.1.) ergibt, hätte ein solches Fehlverhalten konkret bezeichnet werden müssen. Dies ist jedoch in der Anschuldigungsformel nicht ansatzweise erfolgt. Selbst im Ermittlungsergebnis, das im Übrigen ohnehin nur ergänzend zur Auslegung einer Anschuldigungsformel herangezogen werden kann, wird dem Soldaten nicht vorgehalten, den Zeugen Hauptfeldwebel M... angehalten zu haben, sich dem Sprengkörper erneut zu nähern. Es steht somit lediglich die Anschuldigung gegen den Soldaten im Raum, gegen Nr. 207 der HDv 183/100 dadurch verstoßen zu haben, dass er die Munition verbrannt und nicht gesprengt hat.

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b) Das Truppendienstgericht hat den Soldaten damit unter Verstoß gegen § 107 Abs. 1 WDO wegen eines nicht angeschuldigten Verhaltens verurteilt und wegen des tatsächlich angeschuldigten Verhaltens unter Verstoß gegen § 106 Abs. 1 WDO keine Feststellungen getroffen. Trotz dieser erheblichen Mängel war von einer Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht nach § 121 Abs. 2 WDO abzusehen, weil dem Senat eine abschließende Sachverhaltsaufklärung möglich war und das Disziplinarverfahren den Soldaten bereits seit August 2007 belastet (vgl. Urteil vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - juris). Der Senat hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung gemäß § 121 Abs. 2 WDO insoweit dem Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) Vorrang eingeräumt.

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aa) Soweit es das tatsächlich angeschuldigte Verhalten des Soldaten betrifft, fehlt es an einer schuldhaft begangenen Pflichtverletzung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Soldat überhaupt gegen die HDv 183/100 verstoßen und den objektiven Tatbestand des angeschuldigten Fehlverhaltens verwirklicht hat. Zweifel daran bestehen deshalb, weil Nr. 207 der HDv 183/100 von "Granaten" (mit rotem Phosphor/HC) spricht und selbst unter den sachverständigen Zeugen unterschiedliche Auffassungen darüber bestanden, ob die vom Soldaten verbrannte Munition unter diesen Begriff zu subsumieren ist. Während der Zeuge Oberstleutnant B... dies verneinte, hat der Zeuge Hauptmann W... - als dessen Stellvertreter - dies bejaht. Das Gericht brauchte diese Frage jedoch nicht abschließend zu entscheiden, weil jedenfalls der subjektive Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung nicht erfüllt ist:

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bb) Als Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Soldat nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten nicht hätte vorhersehen müssen, mit seiner Handlung gegen Nr. 207 der HDv 183/100 zu verstoßen. Denn selbst die Vorgesetzten des Soldaten haben unterschiedlich beurteilt, ob die HDv 183/100 das Verbrennen der Munitionssorte Mass 81 strikt verbietet.

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Der Zeuge Oberstleutnant B... als Kommandant des Truppenübungsplatzes hat unter Hinweis auf Nr. 406 der HDv angenommen, das Abbrennen der sich nach seiner Einschätzung nicht detonativ umsetzenden Munition sei mittels EOD zulässig gewesen; erst auf Nachfrage des Gerichts hat er eingeräumt, es sei dann allerdings widersprüchlich, dass in der Vorbemerkung Nr. 5 die HDv bei EOD für nicht einschlägig erklärt werde. Im Gegensatz dazu hat der Zeuge Hauptmann W... die Nr. 207 der HDv 183/100 für maßgeblich und deren Nr. 406 deshalb nicht für einschlägig gehalten, weil durchaus eine detonative Umsetzung erfolge. Verbunden mit den Aussagen des Zeugen Hauptmann W... zum unklaren Begriff der EOD-Technik und der Aussage des mit der Vernichtung von Munition ebenfalls vertrauten Zeugen Hauptfeldwebel M..., die Verbrennung mittels EOD sei mit der HDv 183/10, jedenfalls aber mit der ZDv 40/11 vereinbar, ergab sich damit für das Gericht das Bild von einer insgesamt unklaren Vorschriftenlage. Da der Soldat zudem auf der Grundlage der Vernichtungsanordnung des Kommandanten vom 19. Juni 2006 handelte und er diesen Befehl auch nicht durch eine Dienstpflichtverletzung erwirkt hat, kann ihm auch hinsichtlich dieses Anschuldigungspunktes nicht vorgehalten werden, schuldhaft gehandelt zu haben.

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5. Da das Rechtsmittel des Soldaten Erfolg hatte, sind die Kosten beider Instanzen einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen dem Bund aufzuerlegen (§ 138 Abs. 3 und 4, § 139 Abs. 1 Satz 1, § 140 Abs. 1 WDO).

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