Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (2. Wehrdienstsenat) - 2 WD 7/10

Tatbestand

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Der 1974 geborene Soldat wurde nach einer Lehre sowie mehreren beruflichen Tätigkeiten Anfang Februar 2000 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit endet am 30. April 2011; er wurde zuletzt im Jahre 2004 befördert.

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Nach mehreren Verwendungen wurde er ab 1. Mai 2005 im Stab/Lazarettregiment ... in der Verwendung eines IT-Feldwebels/InfoVerarbeiters Bundeswehr und IT-Sicherheitsfeldwebels Bundeswehr in der S 6-Abteilung des Regimentsstabes eingesetzt. Seit April 2008 versieht er seinen Dienst als Gruppenführer im Sanitätshygienezug der Einheit.

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Der Soldat wurde am 29. August 2007 mit dem Durchschnittswert 5,25 beurteilt. Er wird als offen, loyal und militärisch korrekt beschrieben; er übernehme gerne zusätzlich Verantwortung, identifiziere sich mit seinem Aufgabenbereich, sei fleißig, aufrecht und charakterlich integer. Er sei ein Portepeeunteroffizier mit ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein, der durch seine ehrliche Einstellung und seine Freude am Soldatenberuf ein Vorbild sei. Innerhalb des Regimentes zähle er zum Mittelfeld seiner Dienstgradgruppe. Der Leumundszeuge Oberstabsfeldwebel Sch. stellte fest, der Soldat sei leistungsmäßig im oberen Mittelfeld der Portepeeunteroffiziere seiner Einheit anzusiedeln. Innerhalb und außerhalb des Dienstes sei der Soldat untadlig und sehr engagiert. Seine Leistungen seien sowohl vor als auch nach der verfahrensgegenständlichen Tat stets gut gewesen. Er kenne den Soldaten als erfahrenen Portepeeunteroffizier, der, wenn er einen Fehler gemacht habe, dazu auch stehe. Auch in der Beurteilung vom 11. Dezember 2009, die im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit 5,80 abschließt, heißt es, der Soldat identifiziere sich voll und ganz mit seinem Aufgabenbereich.

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Der Soldat ist bislang weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2005 erhielt er einen Bestpreis, 2007 eine Leistungsprämie.

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Der verheiratete Soldat ist Vater von zwei minderjährigen Kindern und befindet sich derzeit in der BFD-Ausbildung mit dem Ziel, den Abschluss als Betriebsfinanzwirt zu erlangen.

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Das gegen den Soldaten wegen der angeschuldigten Verfehlung eingeleitete Strafverfahren wurde im November 2008 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, nachdem die Staatsanwaltschaft der .../Lazarettregiment ... unter dem 2. September 2008 die Aufnahme der Ermittlungen angezeigt hatte.

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1. Aufgrund der Einleitungsverfügung vom 12. September 2008, die dem Soldaten am 17. September 2008 zugestellt wurde, hat die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord, gestützt auf die bei ihr am 2. März 2009 eingegangene Anschuldigungsschrift vom 25. Februar 2009, gegen den Soldaten durch Urteil vom 20. Oktober 2009 ein Beförderungsverbot für die Dauer von drei Jahren verhängt und dessen Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer von zwei Jahren gekürzt.

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In tatsächlicher Hinsicht hat das Truppendienstgericht festgestellt:

"Als Angehöriger der S 6-Abteilung des Stabes/Lazarettregiment ... in der Verwendung eines IT-Feldwebels InfoVerarbeiter Bundeswehr und IT-Sicherheitsfeldwebels Bundeswehr kam der Soldat am 03. März 2008 von einem vierzehntägigen Lehrgang in sein Dezernat zurück und erkannte, dass die von ihm zur Aussonderung vorbereiteten Geräte noch genauso in seinem Büro dastanden, obwohl er vor Beginn des Lehrgangs im Verfahrengang der Aussonderung und den Abtransport nicht nur klar geregelt, sondern auch alles vorbereitet hatte. Insgesamt waren dreizehn Geräte defekt und mussten ausgesondert werden. Lediglich die beiden Monitore sollten in der Kompanie bleiben. Beide Monitore sind weiterhin Eigentum der Bundeswehr und wurden von der BWI IT zur Nutzung überlassen; die aufgeklebten Etiketten waren von grauer Farbe und sagten dieses aus.

Zuvor war im Zuge der Übernahme der Geräte Ende 2007 es zu einer Inventur des gesamten IT-Materials des Regiments gekommen. Die vom Soldaten durchgeführte Bestandsaufnahme aller Rechner dauerte ca. drei Monate. Dort wurden Funktionsüberprüfungen des eingelagerten Materials vorgenommen. Dabei standen ihm u.a. der Zeuge R. sowie die Soldaten B. und M. zur Seite. Diese überprüften die Geräte nach Mängeln, listeten sie auf und kamen - wenn Mängel vorhanden waren - zum Soldaten und gemeinsam klärte man, was mit den Geräten geschehen sollte.

Bei diesen Geräten waren u. a. die beiden Monitore vom Typ 'Scott' (Bestandserfassungsnummer 14 63 81 3) sowie 'Belinea' (Bestandserfassungsnummer 80 53 80) aufgefallen.

Nachdem er über diesen Umstand die Mat-Gruppe informiert hatte, fiel bei Einleitung der Schadensbearbeitung auf, dass die Geräte nicht im ITBV gebucht sind; auf seine entsprechende Nachfrage, was mit diesen Geräten passieren solle, habe er daraufhin keine Antwort bekommen.

Da das Stehenlassen der beiden Monitore im Keller für ihn keine richtige Lösung war, entfernte er am frühen Nachmittag gegen 14:00 Uhr des 3. März 2008 in der ...-Kaserne in B. an beiden Computermonitoren die - urkundenpflichtigen - Bestandserfassungsnummern, indem er sie vom Monitorgehäuse abkratzte und gab dem Zeugen, Hauptgefreiten der Reserve R., den Befehl, mit ihm gemeinsam die beiden Monitore in das Auto des Soldaten zu verladen. Anschließend verließ der Soldat die Kaserne, um diese Geräte bei den 'B. Stadtreinigungsbetrieben' gegen Quittung zu entsorgen. Die Bestandserfassungsnummern habe er deswegen abgekratzt, damit es nicht auffällt, dass diese Monitore einst der Bundeswehr gehörten.

Am Morgen nach dem besagten Vorfall ist der Soldat zu seinem Kompaniefeldwebel gegangen und hat den Vorfall gemeldet. Dieser hatte ihm entgegnet, dass er nicht richtig gehandelt habe. Er schickte ihn zu seinem Disziplinarvorgesetzten und dort berichtete er abermals von dem Vorfall. Daraufhin erhielt er den Befehl, eine 'Dienstliche Erklärung' darüber zu schreiben, was der Soldat anschließend auch tat.

Ergänzend lässt sich der Soldat ein, bei beiden Monitoren seien die Kosten für eine Reparatur weit höher gewesen als der Nutzen der Geräte. Der Gedanke, die Geräte über die Mat-Gruppe zu entsorgen, sei ihm nicht gekommen, zumal ohne Buchung und Bestandserfassungsnummern die Monitore hätten nicht entsorgt werden dürfen.

Zudem habe er sämtliche Hefte und Bücher durchsucht, um einen Nachweis für die Aussonderung aus dem Jahr 2005 zu erhalten; dieses sei insgesamt ergebnis- und erfolglos gewesen. Zudem habe er mit einem Mitarbeiter der BWI gesprochen, der ihm erklärt habe, die Aussonderung liege nicht in dessen Händen.

In der Verantwortung des Soldaten waren ca. 300 bis 400 Gerätesätze; da unter ihnen u.a. die beiden verfahrensgegenständlichen Monitore als sogenannte Altlasten vorhanden waren, habe er diese selbständig entsorgt, obwohl er wusste, dass er das nicht hätte tun dürfen."

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In rechtlicher Hinsicht stellte das Truppendienstgericht fest:

"Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG), da er schuldhaft und fahrlässig gegen seine militärischen Dienstpflichten verstieß. Mit seinem strafrechtlich als Unterschlagung zwar festgestellten, aber nicht geahndeten Verfahren verstieß er zugleich gegen seine militärische Dienstpflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG); da diese Dienstpflicht als sogenannte Neben- oder Unterpflicht auch das Verbot umfasst, das Vermögen seines Dienstherrn zu gefährden oder zu schädigen, sowie gegen seine militärische Dienstpflicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG).

Zwar wusste der Soldat, dass die Aufdrucke auf beiden Monitoren von der BWI waren. Er hat aber nicht mit Sicherheit gewusst, dass die Gegenstände noch im Eigentum der Bundeswehr standen; dieses hätte er bei gehöriger Gewissensanspannung unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen und müssen, somit diesbezüglich fahrlässig gehandelt. ..."

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2. Der Soldat hat gegen das ihm am 25. November 2009 zugestellte Urteil am 23. Dezember 2009 Berufung eingelegt und sie auf die Bemessung der Maßnahme beschränkt.

Entscheidungsgründe

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1. Die Berufung ist zulässig, sie wurde insbesondere gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegt. Zwar wurde das Urteil des Truppendienstgerichts dem Verteidiger des Soldaten bereits am 20. November 2009 zugestellt, dem Soldaten jedoch erst am 25. November 2009. Da für den Fristlauf im Hinblick auf § 111 Abs. 2 WDO die Zustellung an den Soldaten maßgeblich ist, wurde die Berufung am 23. Dezember 2009 noch fristgerecht eingelegt (zu § 106 Abs. 2 WDO a.F.: Beschluss vom 24. Mai 2000 - BVerwG 2 WDB 3.00 und 2 WDB 4.00 - Buchholz 235.0 § 111 WDO Nr. 3 = NZWehrr 2001, 77).

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2. Das Verfahren ist gemäß § 108 Abs. 3 Satz 2 WDO mit Zustimmung des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwalts einzustellen. In Ausübung des ihm zustehenden Ermessens hält es der Senat für unangebracht, wegen des - durch die maßnahmebeschränkte Berufung gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO als erwiesen anzusehenden - Dienstvergehens noch eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen.

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a) Soweit das Truppendienstgericht eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Form eines mit einer Kürzung der Dienstbezüge einhergehenden Beförderungsverbots verhängte, beruht dies in erster Linie auf einer unrichtigen Gewichtung der Schwere des Dienstvergehens und zugleich des Maßes der Schuld als bedeutsame Parameter der Maßnahmebemessung (§ 123 Satz 3 WDO i.V.m. § 58 Abs. 7, § 38 Abs. 1 WDO).

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Den vom Truppendienstgericht für seine Entscheidung herangezogenen, wenn auch nicht zitierten Erwägungen des Senats zur Schwere und zur Ahndung von Zugriffsdelikten liegen offensichtlich Fallgestaltungen vorsätzlicher Begehung zugrunde. Vorliegend hat der Soldat nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts jedoch fahrlässig gehandelt, so dass - auch angesichts der Schadenshöhe - nicht von einem Dienstvergehen mit "erheblichem Unrechtsgehalt" (Seite 11 des Truppendienstgerichtsurteils) gesprochen werden kann. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet somit nicht eine Herabsetzung im Dienstgrad. Jede pauschale Gleichstellung fahrlässig begangener Dienstvergehen mit vorsätzlich begangenen würde nicht Rechnung tragen, dass die Rechtsordnung in Bereichen, in denen Unrechtsfragen im Raum stehen, regelmäßig zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln unterscheidet. Insbesondere das Strafgesetzbuch regelt in § 15 StGB, dass nur vorsätzliches Handeln mit Strafe bedroht ist, wenn nicht das Gesetz dies für fahrlässiges Handeln ausdrücklich vorsieht. Die fahrlässige Begehung reduziert zudem das Maß der Schuld des Soldaten erheblich, so dass ebenso wenig von einer "höchst verwerflichen Tat" (Truppendienstgerichtsurteil, a.a.O.) die Rede sein kann.

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b) Zudem liegen auf der zweiten Stufe der Maßnahmebemessung, mit der den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen wird (Urteil vom 13. Februar 2008 - BVerwG 2 WD 5.07 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 3 m.w.N.), zahlreiche Umstände vor, die das Dienstvergehen als ausgesprochen leicht ausweisen.

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Dazu gehört, dass es sich um schadhafte und weitgehend wertlose Monitore handelte, die an sich ohnehin hätten entsorgt werden müssen und bei denen deshalb ein jedenfalls erheblich reduziertes Erhaltungsinteresse bestand (vgl. Beschluss vom 8. Februar 2007 - BVerwG 2 B 9.07 - juris). Die finanziellen Folgen der Tat waren insoweit minimal. Der Soldat hat zudem nicht eigennützig gehandelt, sondern im Gegenteil - wie er glaubhaft versichert hat - mit der Vorstellung, seinem Dienstherrn etwas Gutes zu tun. Dem entsprach seine Bereitschaft, auf eigene Rechnung etwaige Entsorgungskosten tragen zu wollen, so dass auch nicht von einem niedrigen Beweggrund gesprochen werden kann. Für die Rechtschaffenheit des bislang weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getretenen Soldaten spricht zudem nicht nur, dass er sich die ordnungsgemäße Entsorgung der Monitore quittieren ließ, sondern er bereits am nächsten Tag seinen Vorgesetzten sein Verhalten freiwillig gemeldet und damit Einsicht und Reue gezeigt hat (Urteil vom 27. Mai 1997 - BVerwG 1 D 70.96 - juris). Dieses Verhalten ist auch mit dem Persönlichkeitsbild stimmig, das in den Beurteilungen vom Soldaten gezeichnet wird und von den Leumundszeugen in der Berufungshauptverhandlung nachdrücklich bestätigt wurde. Nach alledem lagen nicht die geringsten Anzeichen für eine irgendwie geartete kriminelle Energie, sondern allenfalls für einen dienstlichen Übereifer vor, der sich aus der starken, in den Beurteilungen positiv hervorgehobenen Identifikation des Soldaten mit seinem Aufgabenbereich ableiten lässt und der zwar nicht zu rechtfertigen, aber doch nachvollziehbar ist.

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Angesichts der nur fahrlässigen Schädigung des Dienstherrn, der Entsorgung weitgehend wertlosen Materials und der uneigennützigen Motive des unbescholtenen Soldaten wäre es auch im Vergleich mit anderen fahrlässig begangenen Dienstvergehen, bei denen zahlreiche Dienstverletzungen mit gravierenden finanziellen Schäden im Raum standen (vgl. Urteil vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79), unangemessen, das Fehlverhalten des Soldaten gleichwohl mit einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu ahnden.

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Eine einfache Disziplinarmaßnahme (gem. § 58 Abs. 5 WDO) zu verhängen, war ebenfalls nicht mehr angebracht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem bereits § 17 Abs. 2 WDO entgegengestanden hätte oder die Frist nach § 17 Abs. 5 WDO zunächst durch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und dann durch die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gehemmt war. Jedenfalls liegt das Dienstvergehen bereits über drei Jahre zurück und steht das Dienstzeitende des Soldaten in wenigen Tagen bevor, so dass weder ein spezial- noch ein generalpräventives Sanktionsinteresse erkennbar ist. Soweit der Soldat mit seinem Verhalten auch gegen Vorschriften des Dienstherrn verstoßen haben sollte (Urteil vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 -), hat das Truppendienstgericht dies nicht verbindlich festgestellt. Dem Senat ist es deshalb versagt, daraus einen disziplinarischen Ahndungsbedarf abzuleiten.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 3, § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO. Soweit es die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Soldaten betrifft, bestand kein Anlass, von der Regelung des § 140 Abs. 1 WDO gem. § 140 Abs. 7 Nr. 3 WDO abzuweichen.

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