Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Wehrdienstsenat) - 1 WB 12/11

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung. Der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten lag zugrunde, dass der Antragsteller wegen außerdienstlich begangener Straftaten im Straßenverkehr verurteilt worden war.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

...

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a) Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar 1989 - BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 und vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> = Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1; Beschlüsse vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 , vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 - juris Rn. 15, vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 Rn. 30 und vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB 40.10 - Rn. 22 jeweils m.w.N.).

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An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung aus den nachfolgenden Erwägungen fest:

Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. - auch zum Folgenden - die ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <156 f.> und zuletzt Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - juris Rn. 68 ff.). Aus diesem Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen. Beruht die angefochtene Entscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, ist deren Konkretisierung ebenfalls grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Exekutive uneingeschränkt nachzuprüfen haben. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt es aber nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die Tatbestandswirkung von Exekutivakten die Durchführung der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken. Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll; sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt.

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Mit den Begriffen "Eignung, Befähigung und fachliche Leistung" eröffnet Art. 33 Abs. 2 GG dem Dienstherrn bei dem prognostischen Urteil über die dienstrechtliche Eignung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt einen Beurteilungsspielraum, dessen gerichtliche Kontrolle sich darauf beschränkt, ob der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Dieser Beurteilungsspielraum besteht vornehmlich bei dienstlichen Beurteilungen mit Prognosecharakter (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2002 - 2 BvR 723/99 - DVBl 2002, 1203 = NJW 2003, 127) sowie bei Entscheidungen über die Berufung in das Beamtenverhältnis und über die beamtenrechtliche Beförderung (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <354>; Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282 <296>; Kammerbeschluss vom 11. Mai 2011 - 2 BvR 764/11 - juris Rn. 10). § 3 Abs. 1 SG übernimmt die Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG in das Soldatenrecht sowohl für den statusrechtlichen Bereich der Ernennung als auch für die Verwendung von Soldaten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht deshalb auch bei der prognostischen Beurteilung der Eignung eines Soldaten für eine bestimmte Verwendung ein Beurteilungsspielraum des zuständigen (militärischen) Vorgesetzten, und zwar bei dienstpostenbezogenen Eignungsurteilen für höherwertige Dienstposten (Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 WB 19.08 - BVerwGE 133, 13 = Buchholz 449 § 3 SG Nr. 50 und vom 23. Februar 2010 - BVerwG 1 WB 36.09 - § 2 SLV 2002 Nr. 17> jeweils m.w.N.) und für Dienstposten, die im Wege der "Querversetzung" nach den Richtlinien zur Versetzung, zum Dienstpostenwechsel und zur Kommandierung von Soldaten (vom 3. März 1988 in der zuletzt geänderten Fassung vom 9. Juni 2009 ) besetzt werden sollen (vgl. z.B. Beschlüsse vom 20. Juli 2005 - BVerwG 1 WDS-VR 1.05 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 36, vom 30. November 2006 - BVerwG 1 WB 29.06 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 40 Rn. 29, vom 26. Februar 2008 - BVerwG 1 WB 47.07 - und vom 24. März 2009 - BVerwG 1 WB 46.08 - § 3 SG Nr. 52>).

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Die dienstrechtliche Eignung eines Soldaten für eine Verwendung, die mit dem Zugang zu Verschlusssachen verbunden ist bzw. in einem formell festgelegten Sicherheitsbereich stattfindet (§ 1 Abs. 2 SÜG) oder eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 4, Abs. 5 SÜG darstellt, wird entscheidend durch die Komponente geprägt, ob der Soldat die Gewähr bietet, die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr zu wahren. Diese sicherheitsrechtliche Eignung des Betroffenen ist Bestandteil seiner dienstrechtlichen Eignung für die Verwendung; fehlt sie, kann der Soldat nicht in einer für ihn eingeplanten sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG, ferner z.B. Beschlüsse vom 28. April 1988 - BVerwG 1 WB 61.88 - und vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 52.06 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 12 Rn. 27). Entfällt die sicherheitsrechtliche Eignung des Soldaten nachträglich, besteht nach Nr. 5 Buchst. g der zitierten Versetzungsrichtlinien ein dienstliches Bedürfnis für die Wegversetzung von seinem bisher innegehabten Dienstposten (vgl. z.B. Beschluss vom 26. Oktober 1999 - BVerwG 1 WB 29.99 -).

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Die Entscheidung über die insoweit gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 SÜG erforderliche Sicherheitsüberprüfung hat der Gesetzgeber aber nicht den personalbearbeitenden Dienststellen der Bundeswehr oder den für Auswahl- und/oder Verwendungsentscheidungen zuständigen Vorgesetzten übertragen, sondern der "zuständigen Stelle" im Sinne des § 3 Abs. 1 SÜG. Deren Aufgaben nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 SÜG von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit wahrzunehmen. Das ist hier gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 35 Abs. 3 SÜG i.V.m. Nr. 2416 ZDv 2/30 der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung.

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Die sicherheitsrechtliche Prognose des zuständigen Geheimschutzbeauftragten und seine abschließende Entscheidung über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos (§ 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG) binden die personalbearbeitenden Dienststellen der Bundeswehr und die zuständigen Vorgesetzten bei ihren Verwendungsentscheidungen. Aufgrund der speziellen Ermächtigungsgrundlage in § 35 Abs. 3 SÜG regelt die ZDv 2/30 (Teil C "Sicherheitsüberprüfung") dazu Folgendes: Gemäß Nr. 2710 Abs. 1 Satz 1 ZDv 2/30 hat der Geheimschutzbeauftragte, wenn er die Verwendung des Betroffenen in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit wegen Vorliegens eines Sicherheitsrisikos ablehnt, den Sicherheitsbeauftragten (mit Nebenabdruck für die personalbearbeitende Stelle) und den Militärischen Abschirmdienst (als mitwirkende Behörde im Sinne des § 3 Abs. 2 SÜG) zu unterrichten; der Sicherheitsbeauftragte der Beschäftigungsstelle des Betroffenen unterrichtet unverzüglich den Dienststellenleiter und leitet den Nebenabdruck der Mitteilung des Geheimschutzbeauftragten an die zuständige personalbearbeitende Stelle weiter (Nr. 2710 Abs. 3 ZDv 2/30). Die personalbearbeitende Stelle ist anschließend gemäß Nr. 2712 Abs. 1 ZDv 2/30 verpflichtet, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in eine dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahme umzusetzen und den Betroffenen über die Ablehnung der Verwendung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit zu unterrichten. Mit der Regelung in Nr. 2712 Abs. 1 ZDv 2/30 wird die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten also nicht dem Ermessen der personalbearbeitenden Stelle unterstellt, ob eine Umsetzung erfolgen soll; vielmehr wird deren originärer Beurteilungsspielraum dergestalt übersteuert, dass eine Umsetzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in eine dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahme erfolgen muss. Damit nimmt den eignungsbezogenen Beurteilungsspielraum im Sinne einer "Letztentscheidungsbefugnis" (vgl. Grupp, in: FS Blümel, 1999, S. 139 ff <146>; BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <157>; Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - juris Rn. 75) inhaltlich nicht mehr die personalbearbeitende Stelle, sondern allein der Geheimschutzbeauftragte wahr. Mit diesem Inhalt wird die ermessenslenkende und ermessensbindende Verwaltungsvorschrift in Nr. 2712 Abs. 1 ZDv 2/30 in ständiger Verwaltungspraxis gehandhabt. Das ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Verfahren bekannt. Diese ständige Verwaltungspraxis entspricht exakt der gesetzlichen Anordnung, dass ein Betroffener nur nach einer positiven sicherheitsrechtlichen Prognose im Sinne des § 5 SÜG in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden darf (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG; ausnahmsweise vorzeitig nach § 15 Abs. 1 SÜG schon vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung).

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Da die Überprüfung und die Feststellung der sicherheitsrechtlichen Eignung des Betroffenen ausschließlich dem zuständigen Geheimschutzbeauftragten übertragen sind und ihr Ergebnis für die personalbearbeitende Stelle bei ihren Verwendungsentscheidungen unmittelbare Bindungswirkung entfaltet, ist dem Geheimschutzbeauftragten materiell insoweit ein Teilaspekt des dem Dienstherrn hinsichtlich der Eignung eingeräumten Beurteilungsspielraums zur abschließenden Entscheidung übertragen.

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Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats, der dabei wiederholt maßgeblich an den Eignungsaspekt angeknüpft hat (vgl. dazu: Beschlüsse vom 12. Dezember 1985 - BVerwG 1 WB 8.85 - BVerwGE 83, 90 <94 f.> = NZWehrr 1986, 204 und vom 12. Januar 1983 - BVerwG 1 WB 60.79 - BVerwGE 76, 52 <53> = NZWehrr 1983, 112). Der Beurteilungsspielraum des Geheimschutzbeauftragten ist außerdem im Fall eines beim Bundesnachrichtendienst verwendeten Berufssoldaten vom 6. Revisionssenat (Urteil vom 15. Februar 1989 - BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 S. 6 f.), im Fall eines beim Bundesnachrichtendienst verwendeten Beamten vom 2. Revisionssenat (Beschluss vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 - juris Rn. 14 f.) sowie im Rahmen der Abgrenzung zur luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit auch vom 3. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> = Buchholz 442.40 § 29d LuftVG S. 4 f.) bestätigt worden.

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Der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Beurteilungsspielraum des Geheimschutzbeauftragten ist gesetzlich außerdem in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG verankert, wonach "im Zweifel" das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen hat. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift erschöpft sich nicht in einer formellen Verfahrenspflicht für den Geheimschutzbeauftragten, die Sicherheitsinteressen mit anderen, insbesondere mit den persönlichen Belangen des Betroffenen abzuwägen. § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG ordnet zusätzlich den materiellen Vorrang der Sicherheitsinteressen an. Das entspricht der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers, der in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG die Sicherheit des Staates als einer verfassten Friedens- und Ordnungsmacht und die vom Staat zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung als unverzichtbare Verfassungswerte schützen will (Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für ein "Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes" vom 12. Februar 1993, BRDrucks 97/93, S. 64 f. zu § 14 mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 1. August 1978 - 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 - BVerfGE 49, 24 <56 f.>). An dieser Stelle räumt der Gesetzgeber dem insoweit nach § 14 Abs. 3 Satz 1 SÜG zuständigen Geheimschutzbeauftragten als einer besonders sachkundigen Stelle bei der Prüfung und Abwägung der "Zweifel" eine fachliche Einschätzungsprärogative ein, welches Gewicht den staatlichen Sicherheitsinteressen - bezogen auf die jeweils in Rede stehende sicherheitsempfindliche Tätigkeit - im Verhältnis zu anderen Belangen beizumessen ist. Diese fachliche Einschätzungsprärogative ist vornehmlich geprägt durch die sicherheitsrechtlichen Aspekte der Herstellung und Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 SÜG), der Interessen und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 4 Abs. 2 SÜG) und der Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG). Die genannten Aspekte betreffen angesichts ihrer ständigen Wandelbarkeit und Abhängigkeit von (verteidigungs-) politischen Rahmenbedingungen Materien mit hoher Komplexität und besonderer Dynamik, bei deren Überprüfung und Bewertung die Gerichte an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stoßen. Eine derartige Konstellation rechtfertigt es, der zuständigen und mit einer speziellen fachlichen Expertise ausgestatteten Stelle der Exekutive - hier dem Geheimschutzbeauftragten - einen Beurteilungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O. und Kammerbeschluss vom 29. Mai 2002 - 2 BvR 723/99 - DVBl 2002, 1203 = NJW 2003, 127; ein fachlich determinierter Beurteilungsspielraum - dort die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative der Planfeststellungsbehörde - wird ebenso in den Urteilen vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - BVerwGE 126, 166 = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 1 und vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 60 bejaht).

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Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Beurteilungsspielraum des Geheimschutzbeauftragten zusätzlich darin seine Grundlage findet, dass mit der Entscheidung über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr geschützt werden sollen, auf die sich im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Bundeswehr auch der verteidigungspolitische Beurteilungsspielraum des Bundesministers der Verteidigung (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1994 - BVerwG 11 C 18.93 - BVerwGE 97, 203 <209> = Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr. 5 S. 4) erstrecken kann.

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Mit der Anerkennung eines eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums des Geheimschutzbeauftragten wird im Übrigen wirksamer Rechtsschutz für betroffene Soldaten nicht in Frage gestellt. Das dokumentieren nicht zuletzt Entscheidungen des Senats aus jüngerer Zeit, in denen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos wegen unrichtiger oder unvollständiger Erfassung des Sachverhalts, wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als einen allgemeingültigen Wertmaßstab, wegen fehlerhafter Prognose oder wegen Verfahrensfehlern aufgehoben bzw. im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beanstandet worden sind (vgl. z.B. Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 26. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 59.06 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 21 Rn. 25 f., vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23 ff., vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 6.09 -, vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 52.09 - und vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 20 f. und Rn. 28 f.).

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Da dem Geheimschutzbeauftragten - wie dargelegt - die Einschätzung eines dienstrechtlich relevanten Sicherheitsrisikos obliegt, handelt es sich bei seiner Entscheidung nicht, wie der 2. Revisionssenat in seinem Urteil vom 31. März 2011 - BVerwG 2 A 3.09 - (juris Rn. 38) meint, um eine "Gefahrenprognose im Bereich des Ordnungsrechts". In diesem Urteil hat der 2. Revisionssenat die Auffassung vertreten, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten unterliege einer unbeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Dem vermag sich der beschließende Senat aus den dargelegten Gründen nicht anzuschließen. Da der 2. Revisionssenat seine Auffassung allerdings ausdrücklich nur als obiter dictum formuliert und seinen stattgebenden Urteilsausspruch auf einen anderen Gesichtspunkt gestützt hat (vgl. a.a.O. Rn. 43), besteht keine Möglichkeit für eine Vorlage an den Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 VwGO.

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b) Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten im Bescheid vom 3. November 2010, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, hält die Grenzen des Beurteilungsspielraums ein. (wird ausgeführt)

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Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtsprechung des Senats auch daraus ergeben, dass der Betroffene eine Straftat begangen hat, die ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 12. April 2000 - BVerwG 1 WB 12.00 -, vom 20. August 2003 - BVerwG 1 WB 15.03 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 16 S. 34 = NZWehrr 2004, 168 und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 26 m.w.N.).

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Ohne Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte das Verhalten des Antragstellers als ein ernstzunehmendes sicherheitsrelevantes Fehlverhalten gewertet. Das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr mit einer hohen Blutalkoholkonzentration (hier von 1,40 ‰) lässt auf ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein schließen (Beschlüsse vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 28 und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 39). Selbst dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein derartiges Fehlverhalten im außerdienstlichen Bereich erfolgt, lässt die Art und Weise, wie ein Soldat am Straßenverkehr teilnimmt, Rückschlüsse auf sein Verantwortungsbewusstsein, seine charakterliche Zuverlässigkeit und seine moralisch-persönliche Integrität zu. Auch die von einem Soldaten fahrlässig begangene außerdienstliche Gefährdung des Straßenverkehrs stellt ein nicht leichtzunehmendes Fehlverhalten dar. Entzieht sich ein Soldat (anschließend) durch eine Verkehrsunfallflucht der Verantwortung für den von ihm angerichteten Schaden, lässt er eine charakterliche Einstellung erkennen, aus der sich gewichtige Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit und an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit ergeben. Ein derartiges Verhalten zeigt in aller Regel eine verantwortungslose Haltung des Kraftfahrers, der sich auf diese Weise nicht nur der Feststellung seiner Person und seiner Beteiligung an dem Unfall, sondern auch den berechtigten Ansprüchen des Geschädigten entzieht (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 2 WD 21.05 - Rn. 28, 30). Die Bereitschaft, sich nach einem Verkehrsunfall sofort der Verantwortung für den verursachten Schaden offen und ohne Ausflüchte zu stellen, weist im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Betroffenen einen ähnlichen Bezug zu geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen auf wie die Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG). Diese Pflicht hat nach der Rechtsprechung des Senats ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung (vgl. Beschlüsse vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB 61.06 -, vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 28.07 - und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 -). Beim Umgang mit sicherheitsrelevantem Material kommt der Bereitschaft, etwaiges Fehlverhalten umgehend und wahrheitsgemäß offenzulegen und damit zur möglichst schnellen und umfassenden Schadensbegrenzung beizutragen, besondere Bedeutung zu. Zweifel an dieser Bereitschaft begründet, wer versucht, sich durch eine Verkehrsunfallflucht oder durch unwahre Angaben in dienstlichen Angelegenheiten seiner Verantwortung zu entziehen. Das hat der Geheimschutzbeauftragte in seinem Begründungsschreiben vom 3. November 2010 zutreffend ausgeführt.

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