Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 B 33/11

Gründe

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Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verfahrens nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG), mit dem er die Rehabilitierung seines Vaters wegen der Enteignung zweier in Nordwestmecklenburg gelegener Güter von jeweils mehr als 100 ha Größe beantragt hatte. Von diesen war der Vater des Klägers vertrieben worden bzw. wegen bevorstehender Deportation geflohen. Anschließend waren die Güter von einem Treuhänder verwaltet und Mitte 1946 neu aufgesiedelt worden. Die Rehabilitierung war mit Bescheid vom 29. April 2003 abgelehnt, das Verfahren Ende 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden (vgl. Beschluss vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 3 B 41.06 - juris). Das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Rücknahme des ablehnenden Bescheides beantragte der Kläger im Juli 2008 sowie erneut im Oktober und Dezember 2008. Zur Begründung berief er sich unter anderem auf eine nachträglich aufgefundene Not-Kennkarte seines Vaters. Aus ihr ergebe sich, dass die Vertreibung nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage, sondern nach deutschem Recht erfolgt sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Not-Kennkarte ein neues Beweismittel sei; jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil die Karte nicht geeignet sei, die tragende Rechtsauffassung des bestandskräftigen Bescheides infrage zu stellen, dass die Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgt sei. Die Not-Kennkarte treffe über die Vertreibung oder Enteignung des Karteninhabers keine Aussage und lasse nicht auf dessen weiteres Schicksal schließen. Für die gegenteilige Auffassung des Klägers fehle es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Der Beklagte habe auch zu Recht abgelehnt, seinen Bescheid vom 29. April 2003 zurückzunehmen. Der Bescheid sei rechtmäßig, da nicht zu erkennen sei, dass der Vater des Klägers nicht im Zuge der Bodenreform enteignet worden sei; dies dränge sich vielmehr auf. Es hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, ob mit der Vertreibung aus der sowjetischen Besatzungszone auch bereits eine Enteignung zum Ausdruck komme. Hier spreche der Umstand, dass ein Treuhänder eingesetzt worden sei, eher gegen einen Eigentumsverlust durch Vertreibung. Auch sei dem Vater längst mitgeteilt worden, dass er von der Bodenreform betroffen sein würde. Bei Gütern von mehr als 100 ha habe die mecklenburgische Bodenreformverordnung keinerlei Ausnahmen vorgesehen. Selbst wenn der Vermögensverlust bereits mit der Vertreibung eingetreten wäre und diese nicht dem Willen der Besatzungsmacht entsprochen hätte, würde sich am besatzungshoheitlichen Charakter der Enteignung nichts ändern.

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Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat keinen Erfolg.

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1. Die Beschwerde meint, das angefochtene Urteil weiche im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, und beruft sich dabei auf - von ihr zum Teil frei formulierte - Rechtssätze, die sie den Urteilen vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 18.06 - (Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 9 = ZOV 2007, 67), vom 21. Februar 2002 - BVerwG 3 C 16.01 - (BVerwGE 116, 42 = Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 4) und vom 23. August 2001 - BVerwG 3 C 39.00 - (ZOV 2001, 427 = Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3) sowie vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - (BVerwGE 104, 84 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104) entnehmen will. Diese Ausführungen verfehlen die Anforderungen an die Bezeichnung einer Divergenz nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Divergenz liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist, in Widerspruch gesetzt hat und das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, z.B. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Die Beschwerde stellt zwar den Entscheidungen vermeintlich zugrunde liegende Rechtssätze gegenüber, die eine ähnliche Problematik aus dem Bereich der Bodenreform in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone betreffen; sie macht aber nicht deutlich, dass diese zu derselben Rechtsvorschrift ergangen sind. Abgesehen davon, dass den zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts unterschiedliches Landesrecht zugrunde lag, sind sie teils zu § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG (Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz erfasst werden), teils zu § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i.V.m. § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG oder unmittelbar zu § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG (Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage) ergangen.

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Vor allem aber besteht der behauptete Widerspruch nicht; denn dem angefochtenen Urteil ist der von der Beschwerde formulierte - ausdrücklich nicht wörtlich zitierte - abstrakte Rechtssatz nicht zu entnehmen. In der bezeichneten Passage des Urteils (UA S. 11 Absatz 1) begründet das Verwaltungsgericht, dass "nicht zu erkennen ist, dass der Rechtsvorgänger des Klägers nicht im Zuge der Durchführung der Bodenreform enteignet worden ist" (UA S. 10). Es geht dabei - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 3 B 41.06 - ) - von dem Obersatz aus, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob mit der Vertreibung eines Grundeigentümers aus der sowjetischen Besatzungszone bereits dessen Enteignung zum Ausdruck gekommen sei (UA S. 10). Mit diesem individualisierenden Ansatz verträgt sich die vom Kläger behauptete generalisierende Leitlinie von vornherein nicht, der Eigentumsverlust landwirtschaftlicher Güter sei unabhängig von der rechtlichen Qualität der Vertreibungsmaßnahme ohne Ausnahme als besatzungshoheitlich zu qualifizieren. Im Übrigen führt die Argumentation des Verwaltungsgerichts auch auf den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG, für den es auf den besatzungshoheitlichen Charakter der Vermögensentziehung nicht ankommt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Vermögensentziehungen auf anderer als besatzungshoheitlicher Grundlage, wie sie der Kläger für seinen Fall annimmt, nach Zweck und Ziel der Maßnahme zu unterscheiden, die zum Verlust des Vermögensgegenstandes geführt hat. Die Rückgängigmachung richtet sich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG nach dem Vermögensgesetz, wenn die Maßnahme zielgerichtet den Entzug des zurückverlangten Gegenstandes bezweckt hat, und sie unterfällt dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, wenn sie primär auf andere Zwecke zielte und durch grob rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet war (Urteil vom 21. Februar 2002, a.a.O., BVerwGE 116, 42 <44 f.>). Dieser Unterscheidung in der Sache folgend hat sich das Verwaltungsgericht mit Art. II Nr. 3 der Verordnung Nr. 19 über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern vom 5. September 1945 (Amtsblatt Mecklenburg-Vorpommern 1946, Nr. 1, S. 14, abgedr. bei Fieberg/Reichenbach, RWS-Dokumentation 7, Enteignung und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Bd. I, 2.7.1) befasst (UA S. 10). Es stimmt mit der Rechtsprechung des Senats überein, dass Maßnahmen gegen Großgrundbesitzer auf dieser Grundlage in erster Linie der Bodenordnung und nicht der Sanktion für bestimmte Verhaltensweisen dienten und daher, weil allein dem Vermögensgesetz unterfallend, nicht rehabilitierungsfähig sind (Urteil vom 28. Februar 2007, a.a.O.).

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2. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache ebenfalls nicht zu. Die vom Kläger pauschal angesprochenen Probleme der "Anwendung und Wirkungen des faktischen Enteignungsbegriffs" und der "Abgrenzung von Anwendungsfällen des Anspruchs auf Rehabilitierung in den Bereichen des § 1 Abs. 1, des § 1a VwRehaG und des VermG" sind in den vom Kläger zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Für die Notwendigkeit erneuter Beschäftigung mit diesen Fragen oder weitergehender Klärung lässt sich der Beschwerde nichts entnehmen.

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3. Ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), liegt nicht vor. Der Kläger rügt insofern, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit seiner Argumentation auseinandergesetzt, dass sein Vater nach dem Willen der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) das Gut Schönfeld nicht verlassen und ihm ein Resthof belassen werden sollte. Es habe fehlerhaft angenommen, Ausnahmen von der Enteignung nach der Bodenreformverordnung seien nicht vorgesehen gewesen. Tatsächlich aber habe die 1. Ausführungsbestimmung zu dieser Verordnung in besonderen Fällen eine solche Möglichkeit vorgesehen. Dieser Vortrag zeigt den geltend gemachten Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht auf. Zum einen hat sich das Verwaltungsgericht sehr wohl mit dem bezeichneten Vortrag des Klägers befasst, unter anderem im Zusammenhang mit der Aussagekraft der vom Kläger beigebrachten Not-Kennkarte (UA S. 9). Ob es den Schlussfolgerungen des Klägers zu Recht nicht gefolgt ist, ist eine Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zugeordnet ist (stRspr, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Für eine Ausnahme wegen einer von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung (vgl. Beschluss vom 12. Februar 2008 - BVerwG 9 B 70.07 - juris Rn. 2 m.w.N.) legt die Beschwerde nichts dar. Das gilt auch dann, wenn das Verwaltungsgericht fälschlicherweise ausgeschlossen hätte, dass in Mecklenburg Möglichkeiten vorgesehen waren, im Rahmen der Bodenreform von der Enteignung abzusehen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die vom Kläger nicht entkräftet worden sind, erfüllte der Vater des Klägers die vom Kläger behaupteten Voraussetzungen für eine solche Ausnahme nicht. Gegenteiliges behauptet auch der Kläger nicht. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt aber auch deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht darlegt, dass eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung in Betracht kommt, wenn der Vortrag in seinem Sinne gewürdigt worden wäre. Auch dann setzte die Rehabilitierung nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Enteignung primär auf andere Zwecke als die Landbeschaffung zielte und durch grob rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet war. Zu den Hintergründen der angeblich dem Willen der Besatzungsmacht widersprechenden Enteignung sagt die Beschwerde aber nichts.

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