Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 88/11
Tenor
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. August 2011 wird zurückgewiesen.
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Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
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Die Kläger erstreben für das Nadellager der ehemals in L. ansässigen Großhandelsfirma ihres Rechtsvorgängers David D. eine höhere Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz. Mit rechtskräftigem Urteil vom 30. November 2007, berichtigt durch Beschluss vom 21. Februar 2008, verpflichtete das Verwaltungsgericht Dresden die Beklagte festzustellen, den Klägern stehe in ungeteilter Erbengemeinschaft "dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu[...] für das bewegliche Betriebsvermögen der Firma David D. in L., soweit dieses nach C. verbracht worden ist". Mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 traf die Beklagte diese Feststellung und setzte eine Entschädigung in Höhe von 48 777,25 € nebst 17 315,92 € Zinsen fest. Mit der dagegen erhobenen Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin haben die Kläger zunächst Entschädigung in Höhe weiterer 6 444 629,55 € nebst Zinsen begehrt und zuletzt, unter Rücknahme der Klage im Übrigen, beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihre Entschädigungsberechtigung für 27,8 Mio. Stricknadeln (Ziffer 1 des Antrags) und dafür einen Entschädigungsanspruch in Höhe weiterer 3 847 266,88 € nebst Zinsen festzustellen (Ziffer 2). Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach Beweiserhebung abgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
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Die dagegen eingelegte Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Die Beschwerdebegründung wirft keine höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14).
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a) Die zur Entschädigungsberechnung gestellten Fragen:
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"Berechnet sich die nach dem NS-VEntschG zu leistende Entschädigung für bewegliche Sachen nach § 2 Satz 8 NS-VEntschG ('zweifacher Wiederbeschaffungswert vom 01.04.1956 im Westen') oder nach den Grundsätzen der Unternehmensentschädigung (§ 2 Satz 5 NS-VEntschG i.V.m. § 4 EntschG), wenn die zu entschädigenden beweglichen Sachen früher einmal zu einem Betriebsvermögen gehört hatten, sie aber im Zeitpunkt ihres Verlustes schon jahrelang nicht mehr zu dem Unternehmen gehörten?",
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"Spielt es für die Anwendbarkeit von § 2 Satz 8 NS-VEntschG oder § 2 Satz 5 NS-VEntschG eine Rolle, ob das Unternehmen seinen Sitz innerhalb oder außerhalb des örtlichen Anwendungsbereichs des Vermögensgesetzes hatte? Mit anderen Worten: Bemisst sich die Entschädigung in solchen Fällen schon deshalb nach § 2 Satz 8 NS-VEntschG, weil eine Unternehmensentschädigung bereits wegen des Unternehmenssitzes außerhalb des örtlichen Anwendungsbereichs des Vermögensgesetzes ausscheidet?",
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"Sind (geschätzte) Betriebsschulden bei der Entschädigungsberechnung auch dann zu berücksichtigen, wenn nach dem Grundlagenbescheid nicht die Entziehung eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung, sondern nur der Verlust beweglicher Sachen zu entschädigen ist (welche vor einer - nicht dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes unterliegenden - Unternehmensschädigung dem Betriebsvermögen entnommen worden waren und erst Jahre später im Beitrittsgebiet entzogen wurden)?",
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würden sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das angegriffene Urteil sich nicht auf die Entschädigungsberechnung stützt, sondern die Klage schon mangels Nachweises eines dem Grunde nach bestehenden Anspruchs auf Entschädigung für 27,8 Mio. Strickmaschinennadeln abgewiesen hat. Da der geschädigte Vermögenswert - auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht mittels Schätzung bestimmt werden kann (Urteil vom 31. August 2006 - BVerwG 7 C 16.05 - Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12 Rn. 19 ff., auch zu § 31 Abs. 1 Satz 2 VermG), wäre die Entschädigung auch nicht hilfsweise für den von der Beklagten geschätzten Lagerbestand zu berechnen.
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Unabhängig davon sind die aufgeworfenen Fragen zur Entschädigungsberechnung nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung bereits aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Danach ist für die Anwendbarkeit des § 2 Satz 5 oder Satz 8 NS-VEntschG maßgeblich, ob der Entschädigungsberechtigung eine Unternehmensschädigung im Sinne des § 6 VermG oder eine Einzelschädigung im Sinne des § 3 Abs. 1 VermG zugrunde liegt. Das richtet sich nach dem Gegenstand des Zugriffs und nicht nach der Belegenheit des geschädigten Gegenstandes (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 5 C 11.07 -BVerwGE 130, 122
= Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 6). Diese ist nur für die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes von Bedeutung (Urteile vom 22. April 2009 - BVerwG 8 C 5.08 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 50 Rn. 33 f. und vom 25. November 2009 - BVerwG 8 C 12.08 -BVerwGE 135, 272 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 52 Rn. 30 ff. je m.w.N.). Im Beitrittsgebiet entzogene, bereits Jahre vor der Schädigung aus dem Betriebsvermögen ausgegliederte bewegliche Sachen könnten also nicht nach § 2 Satz 5 NS-VEntschG, sondern nur nach Satz 8 der Vorschrift entschädigt werden, der keinen Ansatzpunkt für einen Abzug (geschätzter) Betriebsschulden böte. Voraussetzung der Entschädigung nach § 2 Satz 8 NS-VEntschG ist allerdings die Feststellung einer Entschädigungsberechtigung in Bezug auf konkrete bewegliche Sachen als Gegenstand der Schädigung, die dem angegriffenen Urteil zufolge hier fehlt. Der Einwand der Kläger, diese Annahme missachte die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden, rügt eine fehlerhafte Anwendung des § 121 VwGO im Einzelfall, ohne dazu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu formulieren.
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b) Die übrigen in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Fragen:
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"Kann eine Klage, mit der auf der Basis eines rechtskräftigen Entschädigungsgrundlagenbescheids die teilweise Aufhebung des Entschädigungshöhenbescheides und die Verpflichtung zur Zahlung einer höheren Entschädigung begehrt wird, in eine Klage auf einen neuen Grundlagenbescheid umgedeutet werden?",
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"Kann eine Klage, mit der auf der Basis eines rechtskräftigen Entschädigungsgrundlagenbescheids die teilweise Aufhebung des Entschädigungshöhenbescheides und die Verpflichtung zur Zahlung einer höheren Entschädigung begehrt wird, mit der Begründung abgewiesen werden, eine Entschädigungsberechtigung dem Grunde nach sei gar nicht gegeben?",
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wären im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht Berlin die Klageanträge weder in eine Klage auf einen neuen Grundlagenbescheid umgedeutet noch die Klageabweisung mit dem Fehlen einer Entschädigungsberechtigung dem Grunde nach begründet hat.
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Im Anschluss an den erstinstanzlichen Erörterungstermin, in dem auf den Mangel hinreichender Konkretisierung des Schädigungsgegenstandes hingewiesen worden war, haben die Kläger ihren ursprünglich nur auf die Festsetzung einer höheren Entschädigungssumme gerichteten Klageantrag umgestellt. Zuletzt haben sie ausweislich der Verhandlungsniederschrift des Verwaltungsgerichts vom 5. August 2011 mit Ziffer 1 ihres Antrags begehrt, den Beklagten zur - präzisierenden - Feststellung einer Entschädigungsberechtigung in Bezug auf 27,8 Mio. Strickmaschinennadeln zu verpflichten, und mit Ziffer 2 des Antrags die Feststellung eines über die bereits festgesetzte Summe hinausgehenden Entschädigungsanspruchs dafür verlangt. Über diese Anträge hat das Verwaltungsgericht entschieden, ohne sie auszulegen oder gar umzudeuten. Insbesondere ist es nicht von einer "reine[n] Verpflichtungsklage auf einen (neuen) Entschädigungsgrundlagenbescheid" ausgegangen. Es hat den Antrag zu 1 wortlautgetreu als Antrag auf Konkretisierung der Berechtigungsfeststellung hinsichtlich des Schädigungsgegenstandes und damit als vorgreiflich für die mit dem Antrag zu 2 begehrte Höhenfestsetzung verstanden. Der Einwand, damit habe es den Streitgegenstand verkannt, rügt sinngemäß die Anwendung des § 88 VwGO im Einzelfall, ohne Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen. Insoweit gilt nichts anderes als für den Vorwurf der Missachtung der Rechtskraftbindung nach § 121 VwGO.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage auch nicht mit der Begründung abgewiesen, den Klägern fehle jede Entschädigungsberechtigung dem Grunde nach. Es hat vielmehr sinngemäß erklärt, eine solche Annahme verbiete sich wegen der Rechtskraft des Dresdner Urteils, das eine Entschädigungsberechtigung in Bezug auf einen - allerdings noch näher zu bestimmenden - Teil des ehemaligen Betriebsvermögens festgestellt habe. Verneint hat die Vorinstanz nur die geltend gemachte Berechtigung in Bezug auf die in Ziffer 1 des Klageantrags angegebene Menge von 27,8 Mio. Strickmaschinennadeln, da es aufgrund der Beweisaufnahme nicht überzeugt war, ein Nadellager dieses Umfangs sei nach C. verbracht worden. Die dem zugrunde liegende Sachverhalts- und Beweiswürdigung wird nicht mit substantiierten Rügen nach § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO angegriffen (vgl. S. 6 f. der Beschwerdebegründung).
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2. Dem Beschwerdevorbringen sind auch im Übrigen keine Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu entnehmen.
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Ob die Vorinstanz der Ziffer 1 des Klageantrags als "Minus" das Begehren einer Berechtigungsfeststellung in Bezug auf eine geringere Menge Strickmaschinennadeln hätte entnehmen müssen, kann offen bleiben. Die Kläger haben einen entsprechenden Verstoß gegen § 88 VwGO nicht substantiiert nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerügt. Sie gehen vielmehr von der Zulässigkeit der vom Beklagten vorgenommenen Schätzung aus und meinen, das Verwaltungsgericht hätte zumindest eine Entschädigungsberechnung auf dieser Grundlage vornehmen müssen. Dabei übersehen sie, dass bei der Prüfung von Verfahrensmängeln von der materiellrechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz auszugehen ist und dass diese die Schätzung für unzulässig hielt.
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Entgegen der Auffassung der Kläger hat das Verwaltungsgericht auch keine "inzidente Anfechtungsklage" übersehen oder übergangen. Ausweislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils hat es zutreffend erkannt, dass die Kläger zwar die - inzwischen bestandskräftig - festgesetzte Entschädigungssumme als Minimum nicht in Frage stellen, aber die Entschädigungsberechnung angreifen und die Festsetzung einer höheren, nach § 2 Satz 8 NS-VEntschG zu ermittelnden Entschädigung ohne Abzug von (geschätzten) Betriebsschulden erstreben. Nach der materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts war eine solche Feststellung aber nicht ohne eine Ergänzung der rechtskräftigen Berechtigungsfeststellung durch Präzisierung des zu entschädigenden Vermögenswerts zu treffen. Die dazu erforderliche Überzeugung vom Verbringen eines bestimmten, mengenmäßig konkretisierten Lagerbestandes an Strickmaschinennadeln hat das Verwaltungsgericht aufgrund seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht gewonnen. Dazu hat die Beschwerde keine substantiierten Verfahrensrügen erhoben; sie hat auch keinen Aufklärungsmangel dargelegt.
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Zweifel, ob die geltend gemachte Missachtung der materiellen Rechtskraftbindung nach § 121 VwGO als Verfahrensfehler eingeordnet werden kann (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2003 - BVerwG 1 B 338.02 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 87 S. 18), können dahinstehen. Jedenfalls liegt kein solcher Fehler vor. Die Vorinstanz hat die materiellrechtliche Bindung durch die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden zur Kenntnis genommen und deren Reichweite ermittelt. Seine Annahme, die wegen der Unbestimmtheit des Urteilstenors erforderliche Präzisierung ergebe sich nicht aus den Entscheidungsgründen, geht erkennbar davon aus, die dort verwendete Bezeichnung einer Sachgesamtheit ("Nadellager") genüge nicht zur Konkretisierung des Schädigungsgegenstandes, da es sich um eine unbestimmte, erst durch weitere Aufklärung zu ermittelnde Menge beweglicher Sachen handele. Deshalb erstrecke sich die Rechtskraftbindung mangels ausreichender Bestimmtheit der Umschreibung des Schädigungsgegenstandes - und sei es auch nur im Sinne eines Mindestumfangs - nicht auf die Konkretisierung der nach C. verbrachten Lagerbestände. Auf der Grundlage dieser materiellrechtlichen, für die Prüfung eines Verfahrensfehlers zugrunde zu legenden Annahmen durfte das Verwaltungsgericht durch Zeugenvernehmung Beweis über die Verbringung der Nadeln nach C. erheben und aufgrund eigener Sachverhalts- und Beweiswürdigung entscheiden.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, § 52 GKG.
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