Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (10. Senat) - 10 C 9/12

Tatbestand

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Die sechs Kläger sind irakische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 begehrt als Mutter, die Kläger zu 2 bis 6 begehren als Geschwister die Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden Sohn bzw. Bruder A.

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Der am 1. Dezember 1992 geborene A., ebenfalls irakischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2008 als Minderjähriger nach Deutschland ein. Ihm wurde wegen einer ihm drohenden Gefahr der Gruppenverfolgung als Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Yeziden im Juni 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Er erhielt zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und im Juli 2012 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.

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Seine Eltern beantragten für sich und ihre weiteren fünf Kinder im November 2009 bei der Deutschen Botschaft in Damaskus Visa zur Familienzusammenführung. Da die Botschaft nur zur Erteilung eines Visums an einen Elternteil bereit war, entschieden die Eheleute, dass der Vater nach Deutschland einreisen solle. Dieser erhielt im Februar 2010 das beantragte Visum und nach Einreise auch eine bis zum 3. März 2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 1 AufenthG. Die Visumanträge der Kläger zu 1 bis 6 lehnte die Botschaft hingegen zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 11. April 2010 ab.

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Der Vater reiste nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis im März 2011 aus Deutschland aus, um seine Familie bei ihrer Rückkehr in den irakischen Herkunftsort zu begleiten. Die auf Erteilung des begehrten Visums gerichtete Verpflichtungsklage der Klägerin zu 1 hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg, nicht hingegen die Klagen ihrer fünf Kinder. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Dezember 2011 auch die Klage der Klägerin zu 1 abgewiesen und die Abweisung der Klagen der Kläger zu 2 bis 6 bestätigt.

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Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Erteilungsvoraussetzungen für den Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 nach § 36 Abs. 1 AufenthG und der Kläger zu 2 bis 6 nach §§ 32 und 36 Abs. 2 AufenthG müssten zum Zeitpunkt der Erlangung der Volljährigkeit des A. und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts vorgelegen haben. Für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des A. sei hingegen auf den Zeitpunkt der Stellung der Visumanträge abzustellen. Insoweit sei der Nachzugsanspruch der Eltern und Geschwister wie der Nachzugsanspruch minderjähriger Kinder zu ihren Eltern nach § 32 AufenthG zu behandeln.

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Der Anspruch der Klägerin zu 1 scheitere daran, dass der Vater des A. in Deutschland gelebt habe, als A. volljährig geworden sei. Damit fehle es an der Voraussetzung des § 36 Abs. 1 AufenthG, dass sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Allerdings habe bei Antragstellung beiden Eltern der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG zugestanden, so dass auch beiden das beantragte Visum hätte erteilt werden müssen. Dem stünden etwaige Belange des Kindeswohls der im Irak verbleibenden Kinder - der Kläger zu 2 bis 6 - nicht entgegen. Vielmehr obliege es den Eltern, die sachgerechte Entscheidung über die Versorgung ihrer Kinder zu treffen. Auch sei ein Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, da sie weder an der Schleusung ihres Sohnes nach Deutschland mitgewirkt noch aus dessen Aufenthalt in Deutschland einen persönlichen Vorteil erlangt habe. Der ursprünglich bestehende Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 sei aber durch den Nachzug des Vaters zum Sohn nachträglich entfallen. Denn danach sei der minderjährige Sohn nicht mehr ohne elterliche Obhut gewesen.

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Die Kläger zu 2 bis 6 hätten keine Nachzugsansprüche zu ihrem in Deutschland lebenden Bruder. Hierfür fehle es an einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ein Nachzugsrecht zu den Eltern nach § 32 AufenthG bestehe nicht, da die Eltern über keine Aufenthaltsrechte in Deutschland verfügten und auch nicht beanspruchen könnten. Außerdem fehle es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.

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Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihren Revisionen. Die Klägerin zu 1 macht insbesondere geltend, der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG stehe beiden Elternteilen zu und dürfe nicht dadurch vereitelt werden, dass zunächst nur einem Elternteil ein Visum gewährt und dessen Nachzug zum Kind dann dem anderen Elternteil entgegengehalten werde. Die Kläger zu 2 bis 6 vertreten die Auffassung, die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts stehe ihrem Nachzugsanspruch nicht entgegen, es liege vielmehr ein Ausnahmefall vor, weil andernfalls die Familieneinheit nicht gesichert werden könne. Für die Klägerinnen zu 2 und 3 liege zudem eine außergewöhnliche Härte vor, weil sie als junge yezidische Frauen im Irak unter einem erhöhten Verfolgungsdruck stünden.

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Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie teilt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG nicht besteht, wenn sich ein Elternteil beim Kind aufhält. Weiter ist die Beklagte der Auffassung, dass ein etwaiger Nachzugsanspruch jedenfalls mit Erreichen der Volljährigkeit des A. erloschen ist.

Entscheidungsgründe

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Die Revisionen der Kläger haben keinen Erfolg. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, soweit es den Anspruch der Klägerin zu 1 auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug betrifft. Denn das Berufungsgericht hat im Rahmen der Prüfung des § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des Flüchtlings zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrags abgestellt. Die Ablehnung eines Nachzugsanspruchs für die Klägerin zu 1 erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn der ursprünglich bestehende Anspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist mit Erreichen der Volljährigkeit des Sohnes am 1. Dezember 2010 erloschen.

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Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher sind die Nachzugsbegehren der Kläger an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

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1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin zu 1 auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verneint. Nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG oder eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die Vorschrift wurde durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 neu eingeführt und setzt Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG um (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). Sie dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern.

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a) Der Klägerin zu 1 stand der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG allerdings zum Zeitpunkt der Antragstellung im November 2009 zu. Denn ihr minderjähriger Sohn war zu jener Zeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und es hielt sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf. Die Beklagte handelte rechtswidrig, indem sie - obwohl von beiden Eltern zeitgleich beantragt - nur einem Elternteil das Visum für den Nachzug zum Sohn erteilte. Der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG steht beiden Elternteilen zu. Das ergibt sich schon aus dem insoweit klaren Wortlaut ("den Eltern"), und nur dieses Verständnis der Vorschrift entspricht auch einer korrekten Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG erlegt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, zugunsten eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings den Nachzug "seiner Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades" zu gestatten. Damit gewährt die Richtlinie grundsätzlich beiden Eltern einen Nachzugsanspruch und nicht nur einem Elternteil (so auch Hailbronner/Carlitz, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 253 Rn. 9). Denn die Vorschrift dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern (vgl. die Kommissionsbegründung zur Richtlinie vom 1. Dezember 1999 - KOM <1999> 638 endgültig, S. 17 f.). Nach Art. 24 Abs. 3 GR-Charta hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. Die Wiederherstellung dieser persönlichen Beziehung zu den Eltern fällt zudem in den Schutzbereich des Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta, Art. 8 EMRK.

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§ 36 Abs. 1 AufenthG ist auch nicht etwa teleologisch zu reduzieren, wenn neben dem unbegleiteten Sohn in Deutschland weitere minderjährige Kinder im Heimatland zu betreuen sind. Denn die Entscheidung über die Sorge für ihre Kinder obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern (so auch Marx, in: GK-AufenthG, § 36 Stand: Februar 2013, Rn. 25). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das Kindeswohl eine Korrektur der elterlichen Entscheidung gebieten sollte.

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b) Dem Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 steht weder das Vorliegen eines Ausweisungstatbestandes noch der Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen Mitwirkung an einer strafbaren Schleusung ihres Sohnes nach Deutschland im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entgegen. Denn die Klägerin zu 1 hat nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht an der Schleusung ihres Sohnes mitgewirkt.

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c) Der Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 ist - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - auch nicht dadurch erloschen, dass der minderjährige Sohn seit Anfang März 2010 nicht mehr ohne elterlichen Beistand war, nachdem sein Vater mit dem von der Beklagten erteilten Visum nach Deutschland eingereist war. Das Berufungsgericht kann sich für seine Auffassung zwar auf den Wortlaut des § 36 Abs. 1 AufenthG stützen, der einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nur dann vorsieht, "wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält". Diese Einschränkung des grundsätzlich beiden Eltern zustehenden Nachzugsanspruchs findet eine Entsprechung in Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86/EG, wonach eine Person nur solange als "unbegleiteter" Minderjähriger anzusehen ist, als sie sich "nicht tatsächlich in der Obhut" eines für ihn verantwortlichen Erwachsenen befindet. Zwar greift der Nachzugsanspruch u.a. dann nicht, wenn von vornherein ein Elternteil mit dem Minderjährigen nach Deutschland eingereist ist oder ihn dort in Empfang genommen hat, denn dann war er nicht unbegleitet. Demgegenüber ist die Voraussetzung, dass sich kein sorgerechtsberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält, jedenfalls auch dann erfüllt, wenn ein Elternteil zeitgleich oder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem anderen Elternteil den Lebensmittelpunkt ins Bundesgebiet verlagert (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). In den zuletzt genannten Fällen erfordert die effektive Durchsetzung des Minderjährigenschutzes nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG, dass die für den Familiennachzug und die Visumerteilung zuständigen Behörden den grundsätzlich beiden Eltern zustehenden Nachzugsanspruch nicht durch eine rechtswidrige Verwaltungspraxis vereiteln können. Das wäre aber der Fall, wenn die Behörden ein Visum zum Familiennachzug nur einem Elternteil - trotz gleichzeitiger Antragstellung beider Eltern - erteilten und dem anderen dann entgegenhalten könnten, das Kind sei jetzt nicht mehr ohne elterlichen Beistand.

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d) Der Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 ist allerdings mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes am 1. Dezember 2010 erloschen. Denn der Anspruch auf Nachzug der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten. Zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht im Dezember 2011, auf den es für die Entscheidung des Nachzugsbegehrens ankommt, war der Anspruch der Klägerin zu 1 schon entfallen.

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Bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist - wie oben dargelegt - der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen regelmäßig die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz zugrunde zu legen. Etwas anders gilt beim Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 AufenthG u.a. für die Einhaltung der Höchstaltersgrenze. Insoweit ist der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, weil andernfalls der mit der Regelung verfolgte Zweck, Kindern unter 16 oder 18 Jahren die Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet zu ermöglichen, vielfach aufgrund des Zeitablaufs während des Verfahrens entfiele (vgl. grundlegend Urteil vom 18. November 1997 - BVerwG 1 C 22.96 - Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4 S. 18 f.; ferner Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 17 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1 Rn. 17). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die für den Kindernachzug entwickelte Rechtsprechung zur Einhaltung der Altersgrenze nicht auf den Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG zu übertragen. Das ergibt sich aus den verschiedenen Zwecken der genannten Vorschriften, die in den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zur Verfestigung der aufenthaltsrechtlichen Stellung beim Kinder- und Erwachsenennachzug deutlich werden.

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Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt beim Kindernachzug wurde - beginnend mit dem zitierten Urteil vom 18. November 1997 - damit begründet, dass für die Höchstaltersgrenze im Interesse eines effektiven Minderjährigenschutzes auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist. Dies ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil das Aufenthaltsgesetz dem nachgezogenen minderjährigen Kind in § 34 Abs. 2 und 3 AufenthG eine über die Minderjährigkeit hinausreichende, verfestigungsfähige aufenthaltsrechtliche Stellung zuweist. So wandelt sich die einem Minderjährigen nach § 32 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Eintritt der Volljährigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht. Diese eigenständige Aufenthaltserlaubnis kann nach § 34 Abs. 3 AufenthG verlängert werden, bis die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG vorliegen. Wird Kindern, die ihren Nachzugsantrag als Minderjährige vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gestellt haben, aufgrund der Dauer des Visumverfahrens ggf. einschließlich eines Gerichtsverfahrens das Visum und die Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG erst zu einem Zeitpunkt erteilt, zu dem sie schon volljährig sind, wandelt sich die Aufenthaltserlaubnis, zu deren Erteilung die Ausländerbehörde verpflichtet (worden) ist, unmittelbar in eine solche nach § 34 Abs. 2 AufenthG. Das gilt auch für die einem Minderjährigen erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG, wie sich aus dem Verweis auf § 34 AufenthG in § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergibt. Die nachgezogenen Kinder haben zudem unter den erleichterten Voraussetzungen des § 35 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

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Für den Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG fehlt es hingegen an vergleichbaren Regelungen, die einen dauerhaften oder jedenfalls längerfristigen Aufenthalt in Deutschland eröffnen. Anders als die Aufenthaltserlaubnis des Kindes nach § 32 AufenthG wandelt sich die der Eltern mit Erreichen der Volljährigkeit des Kindes nicht in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Vielmehr endet der Rechtsgrund für den Aufenthalt der Eltern mit Ablauf der Befristung einer nach § 36 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis. Eine Verlängerung nach Erreichen der Volljährigkeit des Kindes, die sich mangels besonderer Vorschriften nach § 8 Abs. 1 AufenthG richtet (vgl. Marx, in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2013, § 36 Rn. 27), ist insoweit nicht möglich. Anders als für volljährige Familienangehörige, denen Aufenthaltserlaubnisse nach § 36 Abs. 2 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erteilt worden sind, ist für Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 1 AufenthG auch keine Verfestigung ihres Aufenthalts in entsprechender Anwendung von § 31 AufenthG möglich. Der deutsche Gesetzgeber war unionsrechtlich zur Ermöglichung einer solchen Aufenthaltsverfestigung auch nicht verpflichtet. Zwar ist nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG den Ehegatten, den nicht ehelichen Lebenspartnern und den volljährig gewordenen Kindern nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt das Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel einzuräumen, der unabhängig ist von jenem des Zusammenführenden, sofern kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde. Die Richtlinie erstreckt diese Verpflichtung aber nicht auf Eltern, denen - wie im Fall des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings - ihr Kind den Familiennachzug vermittelt hat. Vielmehr stellt sie es in Art. 15 Abs. 2 den Mitgliedstaaten frei, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht auch für Verwandte in gerader aufsteigender Linie (wie hier die Eltern) vorzusehen. Der deutsche Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie für den hier maßgeblichen Personenkreis der Eltern im Sinne von § 36 Abs. 1 AufenthG aber keinen Gebrauch gemacht.

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Auch der Zweck des Elternnachzugs nach § 36 Abs. 1 AufenthG erfordert keine Sicherung einer mit der Visumbeantragung eröffneten aufenthaltsrechtlichen Perspektive. Denn das Nachzugsrecht des § 36 Abs. 1 AufenthG dient - wie bereits ausgeführt - dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern, nicht jedoch eigenständigen Interessen der Eltern am Zusammenleben mit dem Kind.

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Diese Auffassung führt nicht dazu, dass die Behörden einen Anspruch aus § 36 Abs. 1 AufenthG durch Verfahrensverzögerung vereiteln können. Denn die Betroffenen haben die Möglichkeit zur Erhebung einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO. Darüber hinaus steht ihnen die Möglichkeit offen, ihren Visumanspruch mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes effektiv durchzusetzen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass in einem solchen Fall die einstweilige Anordnung die Hauptsache teilweise vorwegnimmt. Denn das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO dann nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 <74 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - BVerwG 2 VR 1.99 - BVerwGE 109, 258 <261 ff.> = Buchholz 11 Art. 44 GG Nr. 2 S. 5 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 123 Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Anspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG glaubhaft ist, seine Durchsetzung aber bei Erreichen der Volljährigkeit des Kindes im Verlauf des Hauptsacheverfahrens vereitelt würde.

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2. Das Berufungsgericht hat die Nachzugsbegehren der Kläger zu 2 bis 6 mit Recht als unbegründet angesehen. Bei den im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Klägern zu 4 bis 6 scheidet ein Anspruch nach § 32 AufenthG schon deshalb aus, weil sich zu keinem der maßgeblichen Zeitpunkte beide Eltern in Deutschland aufgehalten haben, im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht einmal mehr der Vater. Eine außergewöhnliche Härte gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG ist nicht ersichtlich. Sie liegt entgegen der Rechtsauffassung der Klägerinnen zu 2 und 3 auch nicht darin, dass sie - so ihr Vorbringen - als junge yezidische Frauen im Irak einem erhöhten Verfolgungsdruck ausgesetzt seien. Denn eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG setzt voraus, dass die Härte im Hinblick auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft besteht, etwa weil der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann. Hieraus folgt, dass Nachteile im Heimatland, die allein - wie hier - wegen der dortigen politischen Verhältnisse drohen, nicht zur Begründung einer außergewöhnlichen Härte im Zusammenhang mit der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft herangezogen werden können (vgl. Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts zutreffend als Umstand gewürdigt, der der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG entgegen steht.

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