Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 17/13

Gründe

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Die Klägerin macht vermögensrechtliche Ansprüche auf das Grundvermögen der ehemaligen M. ...AG in N./Thüringen geltend. Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurden die Aktien der Gesellschaft seit 1923 mehrheitlich von der B. u. Co. AG mit Sitz in H. gehalten, deren Aktionäre Juden im Sinne der NS-Rassengesetze waren. Diese veräußerten 1939 ihre Inhaberaktien an der B. u. Co. AG im Nennwert von je 233 000 RM an vier Erwerber, die ihr Generalbevollmächtigter Dr. R. ausgewählt und mit denen er nach eigenen, späteren Angaben ein Gentlemen's Agreement getroffen hatte, dass die Aktien nach dem Ende der NS-Herrschaft baldmöglichst an die ursprünglichen Inhaber zurückgegeben werden sollten. Nach Kriegsende wurde die thüringische Zweigniederlassung der M. ... AG sequestriert. Im Herbst 1945 stellten die Erwerber der Inhaberaktien der B. u. Co. AG diese Dr. R. wieder zur Verfügung. Er hielt die Aktien aufgrund einer 1946 getroffenen Absprache mit der Familie B. treuhänderisch für die früheren Inhaber und verlangte von der SMAD - vergeblich - die Aufhebung der Sequestration der Zweigniederlassung des Tochterunternehmens M. ...AG. Laut Enteignungsurkunde wurde die Zweigniederlassung gemäß SMAD-Befehl Nr. 124 mit Wirkung vom 18. Juli 1946 enteignet. In einem Rückerstattungsverfahren der früheren Gesellschafter der B. u. Co AG und ihrer Erben wegen der Inhaberaktien wurde am 1. Juni 1950 ein Vergleich über die Rückgabe geschlossen, dessen Wirksamkeit das ORG Herford mit Urteil vom 12. Dezember 1962 feststellte. Die Gesellschaft selbst wurde nach einer Sitzverlegung aufgelöst und 1964 im Handelsregister gelöscht. Vermögensrechtliche Anträge von Erben der früheren Gesellschafter bezüglich der M. ... AG wurden im Oktober 1997 bestandskräftig abgelehnt. Den Antrag der Klägerin auf Rückübertragung des Betriebsvermögens dieser Gesellschaft lehnte die Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid vom 26. August 2010 ab. Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel, ihre Restitutionsberechtigung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG (nur noch) bezüglich des "Grundvermögens" der M. ... AG in N. feststellen zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

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Die Beschwerde, die sich auf eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

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1. Eine Divergenz zum Beschluss vom 30. September 2006 - BVerwG 8 B 39.06 - ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

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a) Das Verwaltungsgericht hat keinen sein Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, mit dem es einem im zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, diesen tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hätte (vgl. Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 18). Entgegen der Darstellung der Beschwerdebegründung geht das angegriffene Urteil ebenso wie der zitierte Beschluss ausdrücklich davon aus, dass nur eine dauerhafte und nachhaltige Wiedergutmachung einer nationalsozialistischen Vermögensentziehung den Anspruch auf Restitution des entzogenen Vermögenswertes ausschließt. Es weicht auch nicht von dem Rechtssatz ab, dass eine vollständige Wiedergutmachung nicht durch Einräumen bloßen Besitzes ohne Rückübertragung der Rechtsposition geschehen kann. Ebenso wenig ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die bloße Rückübertragung einer Eigentumsposition ohne Einräumung der tatsächlichen Verfügungsgewalt zur vollständigen Wiedergutmachung genüge. Die gegenteilige Annahme der Klägerin übersieht, dass das angegriffene Urteil entscheidungstragend auf die Wiedergutmachung der etwaigen - von ihm offen gelassenen - nationalsozialistischen Schädigung der mittelbaren Beteiligung der B. & Co. AG an der M. ... AG durch die Rückgabe der Inhaberaktien nach Kriegsende abstellt und insoweit eine vollständige und nachhaltige Wiedergutmachung bejaht, da es in tatsächlicher Hinsicht aufgrund der Angaben Dr. R. davon ausging, dass nicht nur das Eigentum an den Aktien wieder an die früheren Gesellschafter der B. & Co. AG und deren Erben übertragen wurde, sondern auch der durch Dr. R. als Treuhänder vermittelte Besitz dieser Aktien und die Verfügungsgewalt darüber. Soweit die Beschwerdebegründung beanstandet, dass mit der Rückgabe der Aktien keine uneingeschränkte Verfügungsbefugnis über das in Thüringen belegene Betriebsvermögen der Tochtergesellschaft verbunden gewesen sei, übersieht sie, dass Gegenstand der Klage nicht mehr, wie im Verwaltungsverfahren, die Restitution des Unternehmens der M. ...AG oder möglicher Reste dieses Unternehmens ist, sondern allein der Anspruch auf Bruchteilsrestitution gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG wegen der geltend gemachten Schädigung der mittelbaren Beteiligung an dieser Gesellschaft. Wie die Klägerin einräumt, könnte der Anspruch auf Unternehmens- oder Unternehmensresterestitution im Übrigen nur dem früheren Unternehmensträger oder dessen Rechtsnachfolgern zustehen und nicht den Gesellschaftern des Beteiligungsunternehmens, als deren Rechtsnachfolgerin sie auftritt.

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b) Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auch nicht, wie die Klägerin meint, auf den Rechtssatz gestützt, trotz anschließender besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Enteignung führe die Wiedererlangung eines Vermögenswertes zum endgültigen Verlust der Ansprüche nach § 1 Abs. 6 VermG. Wie bereits dargelegt, hat es vielmehr angenommen, der Anspruch nach § 1 Abs. 6 VermG könne sich bei einer Anteilsschädigung nur auf Restitution der entzogenen (hier mittelbaren) Beteiligung richten und sei wegen der Rückgabe der Inhaberaktien entfallen. Dabei ist es - zutreffend - davon ausgegangen, dass nicht diese Aktien Gegenstand des besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Zugriffs waren, sondern dass die Sequestration und die Enteignung ausschließlich die thüringische Zweigstelle des Tochterunternehmens der Beteiligungsgesellschaft betrafen, bezüglich deren der Träger des Tochterunternehmens, nicht jedoch die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft nach § 6 Abs. 1, Abs. 6a VermG rückübertragungsberechtigt sein konnten.

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Da die Divergenzrüge sich ausschließlich auf die Anforderungen an eine Wiedergutmachung der NS-(Anteils-)Schädigung bezieht, lässt sie sich auch nicht in eine bestimmte Grundsatzrüge betreffend den verfahrensgegenständlichen Anspruch auf Bruchteilsrestitution wegen einer - im angegriffenen Urteil überdies nicht abschließend geprüften - Entziehung einer mittelbaren, restitutionspflichtigen oder bereits zurückgegebenen Beteiligung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG umdeuten.

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2. Mit den zur Grundsatzrüge aufgeworfenen Fragen ist ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dargelegt. Soweit diese Fragen im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wären, sind sie bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beantworten (zu diesen Kriterien vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13).

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a) Die Fragen,

ob die in den westlichen Besatzungszonen erfolgte Rückgabe eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung zugleich eine Wiedererlangung der in der NS-Zeit aus verfolgungsbedingten Gründen verlorenen Rechtsposition hinsichtlich des im Beitrittsgebiet belegenen Vermögens dieses Unternehmens oder eines Tochterunternehmens bedeutet,

und

ob eine von der Sowjetischen Militäradministration bzw. den Behörden in der sowjetischen Zone angesprochene Sequestration eines Betriebes der Annahme entgegensteht, dieser Betrieb sei den jüdischen Alteigentümern zurückgegeben worden,

wären im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, soweit sie eine Unternehmensrückgabe betreffen, weil nicht der Anspruch auf Unternehmensrestitution, sondern nur der Anspruch auf ergänzende Bruchteilsrestitution wegen einer Anteilsschädigung Gegenstand der Klage ist. Soweit die erste Frage auch den im angegriffenen Urteil behandelten Fall der Schädigung einer mittelbaren Beteiligung an einem Unternehmen mit einer im Beitrittsgebiet belegenen Zweigstelle einbezieht, würde sie sich im Revisionsverfahren nicht stellen, weil es für die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG bei Anteilsschädigungen auf die Restitutionspflichtigkeit oder die Rückgabe der entzogenen Beteiligung nach dem Vermögensgesetz oder anderen nach dem 8. Mai 1945 erlassenen Vorschriften ankommt und nicht auf die Rückgabe des Vermögens der Tochtergesellschaft, die ohnehin nicht den Gesellschaftern der Beteiligungsgesellschaft zustünde.

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b) Die Frage,

ob entgegen § 1 Abs. 8 Buchst. a Halbs. 2 VermG ein Anspruch nach § 1 Abs. 6 VermG auch dann ausgeschlossen sein kann, wenn der vorübergehend zurückgegebene Vermögenswert durch besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Enteignung wieder rückgängig gemacht worden ist und eine dauerhafte und nachhaltige Wiedergutmachung des während der NS-Zeit erlittenen Vermögensverlustes (vgl. BTDrucks 12/2480 S. 39) somit nicht erreicht wurde,

ist angesichts des mit ihr vorausgesetzten Verstoßes gegen § 1 Abs. 8 Buchst. a Halbsatz 2 VermG schon nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres - verneinend - zu beantworten; sie unterstellt allerdings unzutreffend, dass die Rückgabe (der Aktien) und der besatzungshoheitliche Zugriff (auf die Zweigstelle) jeweils dasselbe Objekt betreffen, und würde sich deshalb im Revisionsverfahren ebenfalls so nicht stellen.

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Gleiches gilt für die zuletzt aufgeworfene Frage,

ob es für den Fortbestand bzw. Fortfall des Anspruchs nach § 1 Abs. 6 VermG einen Unterschied macht, ob die vorübergehende (durch SMAD-Enteignung beendete) Wiedererlangung eines Vermögenswertes das Ergebnis eines Verfahrens nach westalliiertem Recht oder nach einer in der SBZ geltenden Vorschrift war.

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Auch sie stellt unzutreffend auf das Schicksal der Zweigstelle ab und berücksichtigt nicht, dass Gegenstand der NS-Schädigung nur die mittelbare Beteiligung der Rechtsvorgänger der Klägerin war, sodass es für die Frage der vollständigen und nachhaltigen Rückgabe auch nur auf die Rückgabe der Beteiligung ankommen kann und nicht auf die des Vermögens der Tochtergesellschaft. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gesteht den Gesellschaftern der Beteiligungsgesellschaft den "doppelten Durchgriff" nicht als Anspruch auf Unternehmensrestitution zu, sondern nur als ergänzenden Anspruch zur Restitution der entzogenen, durch die weitere Entwicklung der Beteiligungs- und der Tochtergesellschaft möglicherweise wertlos gewordenen Gesellschaftsanteile an der Beteiligungsgesellschaft. Daran ändert auch eine mehrheitliche oder hundertprozentige Beteiligung der Gesellschafter an der Beteiligungsgesellschaft sowie dieser Gesellschaft am Tochterunternehmen nichts.

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Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beschwerde schon erfolglos bleiben müsste, weil das angegriffene Urteil sich im Revisionsverfahren jedenfalls gemäß § 144 Abs. 4 VwGO als im Ergebnis richtig erweisen würde, etwa weil der mit der Klage noch geltend gemachte Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG sich nur auf die Bruchteilsrestitution bestimmter Vermögensgegenstände - nämlich der unter die Vorschrift fallenden Grundstücke - richten kann und nicht auf die begehrte Restitution eines nicht entsprechend dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz spezifizierten Grundvermögens eines - ehemaligen - Unternehmens als Sachgesamtheit (vgl. dazu Urteil vom 22. April 2009 - BVerwG 8 C 5.08 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 50 Rn. 37).

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