Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 B 21/14, 1 B 21/14 (1 C 36/14)

Gründe

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Die Beschwerde des Beigeladenen ist begründet (1.), die der Klägerin zu 2 hingegen unbegründet (2).

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1. Die Beschwerde des Beigeladenen, die sich gegen die Verurteilung zur Erteilung von Visa an die Kläger zu 1 und 3 zum Zwecke des Familiennachzugs richtet, ist zulässig und begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob für die Beurteilung, ob eine Ausnahme vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt, auf die Kriterien des § 60 Abs. 7 AufenthG zurückgegriffen werden kann.

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2. Die Beschwerde der Klägerin zu 2, mit der sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Vater gemäß § 32 AufenthG wendet, ist hingegen unbegründet. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Die Voraussetzungen einer Divergenz- und Verfahrensrüge sind nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt; die Beschwerde ist insoweit unzulässig.

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a) Die Klägerin zu 2 sieht einen Bedarf zur rechtsgrundsätzlichen Klärung der Frage, „welche rechtlichen Konsequenzen ein überlanges Verfahren von sechs Jahren hat, das über den Nachzug eines Kindes entscheidet“. Sie ist der Meinung, dass in einem solchen Verfahren die Entscheidung so zu fällen sei, wie sie in einem ordnungsgemäßen Verlauf gefällt worden wäre. Dann hätte das Oberverwaltungsgericht sein Urteil im vorliegenden Fall zu einem Zeitpunkt gefällt, zu dem sie noch minderjährig gewesen wäre, und es hätte den Nachzug zu ihrem Vater gewähren müssen. Im Übrigen sei zu klären, ob ein Mädchen wegen Erreichen der Volljährigkeit vom Nachzug der restlichen Familie nach Deutschland ausgeschlossen werden dürfe, wenn sie in einem Land zurückgelassen werde, in dem der Schutz der Familie für sie existentielle Bedeutung habe (Beschwerdebegründung S. 12 f.).

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Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das Berufungsurteil als auch für die angefochtene Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.). Eine solche Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist. Dies gilt im Grundsatz auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Sofern diese Ansprüche allerdings an eine Höchstaltersgrenze geknüpft sind - wie hier die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zu Gunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Höchstaltersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (vgl. Urteile vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4, jeweils Rn. 10; und vom 29. November 2012 -BVerwG 10 C 11.12 - BVerwGE 145, 172 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 8, jeweils Rn. 14).

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Für das im vorliegenden Fall für den Nachzugsanspruch der Klägerin zu 2 entscheidende Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts bedeutet das, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG spätestens im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres und im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vorgelegen haben müssen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O., jeweils Rn. 29 und 36). Einer Klärung in einem erneuten Revisionsverfahren bedarf es insoweit nicht. Da nach den gerichtlichen Feststellungen keine den Lebensunterhalt sichernden Einkünfte vorhanden waren, kommt es darauf an, ob zu beiden Zeitpunkten eine Ausnahme von der regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzung vorlag. Eine solche Ausnahme hat das Berufungsgericht jedenfalls für den Zeitpunkt seiner Entscheidung verneint und dies ausführlich fallbezogen begründet (UA S. 20 bis 22). Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob sich ein anderes Ergebnis dann ergäbe, wenn der Schutz der Familie für die im Jahr 1995 geborene Klägerin existentielle Bedeutung habe, ist eine Frage der Beurteilung im Einzelfall, die sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung entzieht.

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Kein Grund für eine Revisionszulassung ergibt sich auch aus dem Gesichtspunkt der Verfahrensdauer. Es kann offenbleiben, ob das gerichtliche Verfahren im vorliegenden Fall dem Gebot der effektiven Rechtsschutzgewährung durch eine angemessene Verfahrensdauer entsprach. Auch wenn das Verfahren in den zwei Gerichtsinstanzen insgesamt viereinhalb Jahre gedauert hat, war dies offenbar maßgeblich durch die schwierige Beurteilung der gesundheitlichen Beeinträchtigung des den Familiennachzug vermittelnden Vaters der Klägerin zu 2 bedingt, die zahlreiche gerichtliche Nachfragen zum Krankheitsbild und zu dessen Behandelbarkeit in der türkischen Heimat des Vaters zur Folge hatte, auch solche bei der Vertretung in Ankara und der Vertrauensärztin der Botschaft sowie bei einer Zentralstelle (ZIRF) über den vor Ort verfügbaren Zugang zu erforderlichen Medikamenten (UA S. 3 bis 9). Aber selbst wenn von einer überlangen Verfahrensdauer im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts auszugehen wäre (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>; BVerfG, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 <3631 f.>; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 = Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 1, jeweils Rn. 37 ff.), hätte diese kein Absehen von den Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zur Folge, sondern lediglich einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung nach § 198 GVG.

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Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 19, jeweils Rn. 50). Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Urteil vom 28. Februar 2013. a.a.O.). Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um für das Aufenthaltsrecht klarzustellen, dass eine überlange Verfahrensdauer keine Ausnahme vom Regelerfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründet. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der überlangen Dauer eines Verfahrens und den geltend gemachten materiellrechtlichen Positionen herzustellen. Das gilt auch für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage eines durch die Verfahrensdauer bewirkten Wegfalls von Gründen, die ein Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts hätten rechtfertigen können. Auch in einer solchen Fallkonstellation sind die Verfahrensbeteiligten auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) verwiesen.

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b) Eine zur Revisionszulassung führende Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat die Beschwerde nicht dargelegt. Die hinreichende Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde bezeichnet weder bestimmte Rechtssätze aus konkreten zur Begründung einer Divergenz herangezogenen Urteilen noch benennt sie die Rechtsvorschrift, zu deren Auslegung die Rechtssätze ergangen sind. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass „allein durch das Erreichen der Altersgrenze bedingte Veränderungen nicht in die Entscheidung eingestellt werden dürfen“ (Beschwerdebegründung S. 13), hat das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen auch nicht aufgestellt.

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c) Keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vermag der Senat der Behauptung entnehmen, das Berufungsgericht habe „eine nicht protokollierte und falsch ausgedeutete Aussage im Rahmen einer informatorischen Anhörung zum Gegenstand seiner Urteilsbegründung gemacht hat“ (Beschwerdebegründung S. 13). Ein Verfahrensmangel wird mit diesem Vorbringen schon deshalb nicht aufgezeigt, weil weder dargelegt wird, wessen Aussage fehlerhaft interpretiert wurde und inwiefern das angefochtene Urteil auf der Fehldeutung beruht.

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3. Die Kostenentscheidung beruht, soweit es die Beschwerde der Klägerin zu 2 betrifft, auf § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der Beschwerde der Beigeladenen folgt die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Kostenentscheidung in der Hauptsache. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und § 5 ZPO.

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