Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 C 27/14

Tatbestand

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Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erlassene Abschiebungsanordnung nach Ungarn.

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Der Kläger reiste im Juni 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Juli 2013 einen Asylantrag. Er gab an, im Mai 2013 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden zu sein und einen Ausweis erhalten zu haben, mit dem er sich in Ungarn hätte aufhalten dürfen. Nach zwei Tagen sei er über Österreich nach Deutschland gefahren.

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Nach einem Abgleich der Fingerabdrücke im Eurodac-System richtete das Bundesamt am 5. November 2013 ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn, dem die dortigen Behörden am 14. November 2013 zustimmten. Sie gaben an, der Kläger habe am 27. Mai 2013 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Nachdem er abgetaucht sei, sei sein Verfahren im Juni 2013 eingestellt worden.

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Mit Bescheid vom 17. Januar 2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag unzulässig ist (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an (Nr. 2 des Bescheids). Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 6. März 2014 ab. Im Hauptsacheverfahren hat es die Klage abgewiesen.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (Nr. 2 des Bescheids) zugelassen, hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung (Nr. 1 des Bescheids) jedoch den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Mit Urteil vom 27. August 2014 hat er die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass § 34a Abs. 1 AsylVfG mit den unionsrechtlichen Vorgaben sowohl der Dublin II-Verordnung als auch der Dublin III-Verordnung vereinbar sei. Es könne offenbleiben, welche dieser Verordnungen anwendbar sei, wenn - wie hier - das Wiederaufnahmeersuchen während der Geltung der Dublin II-Verordnung gestellt, das Überstellungsverfahren aber erst nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung eingeleitet worden sei. Es widerspreche nicht dem Unionsrecht, dass § 34a AsylVfG zwingend den Erlass einer Abschiebungsanordnung vorsehe. Denn der Wortlaut der Vorschrift sei in einer Weise offen, dass eine Abschiebung nicht ausnahmslos stattfinden müsse. Zwar gewährten die Dublin-Regelungen den Mitgliedstaaten insoweit einen gewissen Spielraum bei der Auswahl der Überstellungsvarianten. Dieser werde aber durch den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip sei bei der Entscheidung über den Vollzug der Überstellungsentscheidung von den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder zu beachten; insoweit bedürfe es keiner Regelung im Bundesamtsbescheid. Die Verlagerung der Entscheidung über die Modalitäten der Überstellung auf die Ausländerbehörden entspreche der föderalen Struktur Deutschlands. Gegen die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine Überstellung nach Ungarn nicht mehr möglich sei. Zum einen sei dies nach wie vor der Fall. Zum anderen könne sich der Kläger auf einen Zuständigkeitswechsel auf Deutschland nicht berufen, weil die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids in Bestandskraft erwachsen und damit die Zuständigkeitsfrage rechtskräftig geklärt sei.

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Der Kläger rügt mit seiner Revision, dass § 34a AsylVfG gegen den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verstoße. Art. 19 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung spreche nur von "Überstellung" und nicht von "Abschiebung". Zudem verbiete das Verhältnismäßigkeitsprinzip, eine Überstellung, die nur der Realisierung einer internationalen Zuständigkeitszuweisung diene, ausschließlich mit dem Zwangsmittel der Abschiebung durchzuführen. Das nationale Recht diskriminiere die Asylbewerber, wenn es sie auf dieselbe Stufe mit Gefährdern der öffentlichen Sicherheit stelle. § 34a AsylVfG könne nicht unionsrechtskonform gehandhabt werden, denn die Vorschrift lasse den Ausländerbehörden auch mit Blick auf in § 6 AsylVfG angeordnete Verbindlichkeit der Entscheidungen des Bundesamts keinen Spielraum bei der Umsetzung. Zudem sehe Unionsrecht vor, dass die Überstellungsentscheidung mit den weiteren Regelungen über ihren Vollzug in einem einzigen Bescheid zusammengefasst werde.

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Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil. Die unionsrechtlichen Regelungen machten dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben, welche der unionsrechtlich zulässigen Überstellungsvarianten er vorzusehen habe. Seit April 2015 werde in den Bescheiden des Bundesamts die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise angeboten, wenn diese mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Hierauf bestehe jedoch kein Rechtsanspruch.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Rechtsgrundlage ist mit Unionsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Entscheidung der Ausländerbehörden über den Vollzug der angeordneten Abschiebung zu beachten. Die Anordnung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil die Überstellung nach Ungarn nicht mehr vollzogen werden könnte, denn der Kläger kann sich auf den mit Ablauf der Frist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO eingetretenen Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland nicht berufen.

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das Asylverfahrensgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), das Aufenthaltsgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

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Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung des Klägers nach Ungarn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG erfüllt. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung eines Ausländers in den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Dublin-Verordnungen der Europäischen Union über die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

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1. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids steht fest, dass der Asylantrag des Klägers nach § 27a AsylVfG unzulässig ist. Dabei handelt es sich - ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Der Asylantrag ist unzulässig") - nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie von § 31 Abs. 6 AsylVfG verlangt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - DVBl 2015, 118, 123).

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2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, und zwar sowohl mit der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - und der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) - Dublin-DVO - als auch mit der hier nicht anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -.

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a) Im vorliegenden Fall ist weiterhin die Dublin II-VO anwendbar. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden, also ab dem 1. Januar 2014. Hier war der Antrag im Juli 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Darüber hinaus gilt die Dublin III-VO zwar ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -, dies aber nur dann, wenn sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 27). Hier war der Wiederaufnahmeantrag am 5. November 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Eine Anwendbarkeit der Dublin III-VO lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, dass mit der hier zu beurteilenden Abschiebungsanordnung das Überstellungsverfahren im Sinne von Art. 29 ff. Dublin III-VO und damit ein eigenständiger Verfahrensabschnitt eingeleitet wurde. Denn die Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt grundsätzlich für alle Anträge auf internationalen Schutz und enthält nur für nach dem Stichtag gestellte Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme eine Rückausnahme. Da der Wiederaufnahmeantrag hier am 5. November 2013 gestellt worden ist, findet folglich auch auf die das Überstellungsverfahren einleitende Abschiebungsanordnung die Dublin II-VO Anwendung.

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b) Die Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor. Der Senat hat das in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom heutigen Tag in der Parallelsache BVerwG 1 C 26.14 ausführlich begründet (Rn. 15 - 18); darauf wird Bezug genommen.

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3. § 34a AsylVfG steht in der vom Senat vorgenommenen Auslegung auch mit dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang; auch insoweit wird auf die ausführliche Begründung in dem Urteil BVerwG 1 C 26.14 (Rn. 20 - 27) verwiesen.

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4. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids steht nicht entgegen, dass dieser keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang bei der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde enthält. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen in Rn. 29 - 30 der zuvor genannten Parallelentscheidung hingewiesen.

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5. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt auch das gesetzliche Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG, demzufolge feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dieses Tatbestandsmerkmal erfasst nicht nur bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegende, sondern auch nachträglich auftretende Abschiebungshindernisse. In einem Fall wie dem hier vorliegenden, in dem die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 27a AsylVfG bereits in Bestands- bzw. Rechtskraft erwachsen ist, ist mit Blick auf die internationale Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrags nur von Bedeutung, ob eine Überstellung an den ersuchten Mitgliedstaat tatsächlich möglich ist. Nach den tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, an die das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, ist eine Überstellung des Klägers nach Ungarn unabhängig vom Lauf der unionsrechtlichen Überstellungsfristen tatsächlich noch möglich, sodass die Revision auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Erfolg hat.

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6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

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