Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 C 15/14

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten als Ortspolizeibehörde erlassene Anordnung, Warnbaken zu entfernen, die er auf der Straße aufgestellt hatte.

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Der Kläger ist seit 1998 Eigentümer des Grundstücks Mühlstraße 4 in I. Die beklagte Gemeinde hatte die Mühlstraße in den 1980er Jahren ohne förmliches Verfahren ausgebaut und mit einer Straßenpflasterung versehen. Dabei wurde auch eine Teilfläche des später vom Kläger erworbenen Grundstücks bis zur Hausgrenze bepflastert; dieser Teil ist optisch nicht von dem im Eigentum der Beklagten stehenden Straßengrundstück abgegrenzt. Im Jahr 2008 beschwerten sich die Bewohner des Nachbargrundstücks bei der Beklagten, dass sie wegen vom Kläger abgelagerten Bauschutts und von ihm aufgestellter Warnbaken ihr Grundstück nicht ohne Schwierigkeiten anfahren könnten. Deshalb gab die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11. November 2008 gestützt auf die §§ 1, 3, 5 bis 9 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG BW) unter Anordnung des Sofortvollzugs auf, die Warnbaken bis zum 28. November 2008 zu entfernen. Zur Begründung heißt es: Die Mühlstraße sei, soweit sie auf dem Grundstück des Klägers verlaufe, kraft unvordenklicher Verjährung dem öffentlichen Verkehr gewidmet; als Eigentümer sei er zur Duldung des Verkehrs verpflichtet. Bereits zuvor hatte die Beklagte vom Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. Januar 2006 ohne Erfolg gefordert, die Warnbaken zu beseitigen. Seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. November 2008 wies das Landratsamt E. zurück. Rechtsgrundlage für die Verfügung der Beklagten als Ortspolizeibehörde seien die §§ 1 und 3 PolG BW. Die öffentliche Ordnung werde dadurch gestört, dass die Warnbaken die Durchfahrt von Rettungsfahrzeugen erheblich erschwerten oder sie unmöglich machten; auch die Zufahrt zum Nachbargrundstück werde behindert. Bei der im Eigentum des Klägers stehenden und für Verkehrszwecke in Anspruch genommenen Fläche handele es sich um einen tatsächlich öffentlichen Weg. Daher sei unerheblich, dass die Inanspruchnahme nicht kraft unvordenklicher Verjährung erfolgt sei.

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Der Kläger hat daraufhin Anfechtungsklage erhoben und außerdem die Feststellung begehrt, dass über sein Grundstück keine öffentliche Straße im Sinne des Landesstraßengesetzes Baden-Württemberg führe. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage abgewiesen und der Feststellungsklage stattgegeben. Da die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) keine Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung enthalte, müsse auf die polizeirechtliche Generalklausel der §§ 1 und 3 PolG BW zurückgegriffen werden. Sachlich zuständig für die Anordnung sei deshalb nicht das Landratsamt als Straßenverkehrsbehörde, sondern entsprechend der Zuständigkeitsregelungen im Landespolizeigesetz die Beklagte als Ortspolizeibehörde. Der Grundsatz, dass die Zuständigkeit der Ermächtigungsgrundlage folge, lasse keine Ausnahme zu. Die Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde, die in der Regel mit größerer Orts- und Sachnähe eingreifen könne, trage außerdem dem Gebot einer effektiven Gefahrenabwehr besser Rechnung. Die Anordnung sei auch in der Sache rechtmäßig. Die Pflicht zur Beseitigung der Warnbaken folge aus § 32 StVO. Der Kläger habe mit ihnen im Sinne dieser Regelung Gegenstände auf die Straße gebracht und dadurch den Verkehr erschwert. Um eine Straße im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung handele es sich dann, wenn sie - wie hier - der Allgemeinheit zu Verkehrszwecken zur Verfügung stehe. Der Feststellungsantrag sei begründet. Über das Grundstück des Klägers verlaufe keine Straße im Sinne des Landesstraßengesetzes. Eine förmliche Widmung sei nicht erfolgt; ebenso wenig könne von einer Widmungsfiktion oder von einer Widmung kraft unvordenklicher Verjährung ausgegangen werden.

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Dieses Urteil hat das Berufungsgericht geändert, soweit die Anfechtungsklage abgewiesen worden war, und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der auf der Grundlage von § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO i.V.m. §§ 1 und 3 PolG BW ergangene Bescheid sei formell rechtswidrig. Nicht die Beklagte sei für die Beseitigungsanordnung sachlich zuständig gewesen, sondern gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Landesverwaltungsgesetzes (LVG BW) die Straßenverkehrsbehörde und damit das Landratsamt. Zwar sei der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 30. April 2008 - 5 S 2858/06 - (VRS 2009, 225) davon ausgegangen, dass bei einem Verstoß gegen § 32 StVO die Zuständigkeit für eine Beseitigungsanordnung bei der Ortspolizeibehörde liege. Dem schließe sich der erkennende Senat jedoch nicht an. § 44 Abs. 1 StVO begründe eine umfassende Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde für alle Maßnahmen zur Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung. Dazu gehörten auch Maßnahmen, die auf einer Rechtsgrundlage außerhalb der Straßenverkehrs-Ordnung beruhten. Dafür spreche der Wortlaut von § 44 Abs. 1 StVO, der keine Einschränkung enthalte. Auch der Gesamtzusammenhang der §§ 44 bis 46 StVO, insbesondere der Umstand, dass die Straßenverkehrs-Ordnung als gefahrenabwehrrechtliches Spezialgesetz neben umfangreichen Befugnis- und Zuständigkeitsregelungen noch die allgemeine Zuständigkeitsnorm des § 44 Abs. 1 StVO enthalte, deute auf die Absicht des Normgebers hin, die Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden zur Durchführung der Straßenverkehrs-Ordnung umfassend und abschließend zu regeln. Nach § 44 Abs. 1 StVO sollten im Anwendungsbereich der Straßenverkehrs-Ordnung grundsätzlich nur die Straßenverkehrsbehörden tätig werden, auch wenn im Einzelfall ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel notwendig sei. Andernfalls käme es zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten. Eine anderweitige Bestimmung im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StVO sei in § 1 des baden-württembergischen Gesetzes über Zuständigkeiten nach der Straßenverkehrs-Ordnung vom 17. Dezember 1990 (StVOZustG BW) oder den Zuständigkeitsregelungen des Landespolizeigesetzes nicht zu sehen. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit werde weder geheilt (§ 45 LVwVfG BW) noch sei er unbeachtlich (§ 46 LVwVfG BW).

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Zur Begründung ihrer Revision macht die Beklagte geltend: Eine Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde nach § 44 Abs. 1 StVO habe hier nicht bestanden. Die Straßenverkehrs-Ordnung weise keine eigene Rechtsgrundlage für die streitige Beseitigungsanordnung auf, so dass auf die polizeiliche Generalklausel zurückzugreifen sei. Da der Grundsatz gelte, dass die Zuständigkeit der Ermächtigungsgrundlage folge, sei die sachliche Zuständigkeit für diese Anordnung dem Polizeigesetz zu entnehmen. Die Straßenverkehrs-Ordnung regle die Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden nicht abschließend. Da sich die Schutzgüter des Straßenverkehrsrechts mit denen der polizeilichen Generalklausel deckten, seien die Ortspolizeibehörden als allgemeine Polizeibehörden auch für die Abwendung straßenverkehrsrechtlicher Gefahren und Störungen zuständig. Von einer Zersplitterung der Zuständigkeiten, die dem Gesetz im Übrigen nicht fremd sei, könne keine Rede sein. Auch bei der Bauüberwachung, der Seuchenbekämpfung, der Gewerbeaufsicht und dem Jugendschutz seien neben den speziellen Gefahrenabwehrbehörden die allgemeinen Ordnungs- und Polizeibehörden für die Gefahrenabwehr zuständig. Es habe die Behörde die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zuerst mit der Gefahrenlage konfrontiert werde. Auch in der Sache sei die angegriffene Anordnung zu Recht ergangen; die Voraussetzungen des § 32 StVO seien erfüllt.

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Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Die Beklagte sei für den Erlass der Beseitigungsanordnung sachlich nicht zuständig gewesen. Die Verfügung sei zudem materiell rechtswidrig; denn das Aufstellen der Warnbaken habe den Verkehr nicht im Sinne von § 32 Abs. 1 StVO gefährdet oder erschwert.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist ebenfalls der Auffassung, dass § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO beim Rückgriff auf eine Ermächtigungsgrundlage außerhalb der Straßenverkehrs-Ordnung nicht anwendbar sei. Die Regelung verlange eine ausführungsfähige Vorschrift in der Straßenverkehrs-Ordnung; solche Ausführungsvorschriften befänden sich nur im Teil III der Straßenverkehrs-Ordnung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten, über die der Senat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof nimmt zutreffend an, dass § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO die sachliche Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden auch dann begründet, wenn sich die erforderliche Ermächtigungsgrundlage für ein Einschreiten zur Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung nicht aus der Straßenverkehrs-Ordnung selbst, sondern aus einer externen Rechtsgrundlage ergibt, hier aus der polizeilichen Generalklausel der §§ 1 und 3 PolG BW. Sachlich zuständig für den Erlass der Beseitigungsanordnung war daher nicht die Beklagte als Ortspolizeibehörde, sondern das Landratsamt als Straßenverkehrsbehörde. Die angegriffene Anordnung erweist sich damit als formell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); das Berufungsgericht hat sie daher zu Recht aufgehoben.

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1. Der Zulässigkeit der Anfechtungsklage steht nicht entgegen, dass die Beklagte bereits im Jahr 2006 eine Beseitigungsanordnung erlassen hatte, die auch bestandskräftig wurde; bei der hier angegriffenen Anordnung handelt es sich nicht um eine wiederholende Verfügung, sondern um einen selbstständig anfechtbaren Bescheid. Ebenso wenig ist allein dadurch, dass der Kläger die Warnbaken entfernt und damit die für sofort vollziehbar erklärte Beseitigungsanordnung befolgt hat, sein Rechtsschutzbedürfnis entfallen, zumal er sich mit seiner Klage ausdrücklich auch gegen die ihm in den angegriffenen Bescheiden auferlegten Verwaltungsgebühren wendet.

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2. Die Beklagte als Ortspolizeibehörde war für den Erlass der angefochtenen Beseitigungsanordnung sachlich nicht zuständig, sondern nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO die Straßenverkehrsbehörde und damit das Landratsamt.

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Die sachliche Zuständigkeit für ein ordnungsbehördliches Einschreiten bei einem Verstoß gegen das Verbot des § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO, Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann, oder zur Durchsetzung des sich an den Verantwortlichen für solche verkehrswidrigen Zustände richtenden Gebots, diese Zustände unverzüglich zu beseitigen und bis dahin ausreichend kenntlich zu machen (Satz 2), bestimmt sich nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO. Nach dieser Regelung in ihrer zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung geltenden alten Fassung sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Straßenverkehrsbehörden zur Ausführung dieser Verordnung zuständig; dies sind die nach Landesrecht zuständigen unteren Verwaltungsbehörden oder die Behörden, denen durch Landesrecht die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde zugewiesen sind. Hieran hat sich durch die Änderung des § 44 Abs. 1 StVO durch die Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367) nichts geändert, danach lautet diese Regelung nunmehr wie folgt: "Zuständig zur Ausführung dieser Verordnung sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Straßenverkehrsbehörden. Nach Maßgabe des Landesrechts kann die Zuständigkeit der obersten Landesbehörden und der höheren Verwaltungsbehörden im Einzelfall oder allgemein auf eine andere Stelle übertragen werden." Straßenverkehrsbehörden sind gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 StVO n.F. die für den Straßenverkehr nach Landesrecht zuständigen Behörden.

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Ein Handeln zur Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO liegt auch dann vor, wenn sich nur das Verbot oder Gebot, das mit einer behördlichen Anordnung durchgesetzt werden soll, aus der Straßenverkehrs-Ordnung selbst ergibt, nicht aber zugleich die für ein behördliches Einschreiten erforderliche Ermächtigungsgrundlage. So liegt es hier.

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a) Außer Frage steht, dass es für den mit dem behördlichen Einschreiten verbundenen Eingriff in Rechte eines Betroffenen einer gesetzlichen Grundlage bedarf und dafür eine bloße Zuständigkeitsregelung - und als solche ist § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung einzustufen - nicht ausreicht.

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Auch § 32 Abs. 1 StVO kann keine Ermächtigungsgrundlage entnommen werden; diese Regelung enthält in ihrem Satz 1 lediglich Verbote und in Satz 2 damit korrespondierende Gebote. Auch ansonsten weisen die Straßenverkehrs-Ordnung und das ihr zugrunde liegende Straßenverkehrsgesetz für die hier zu beurteilende Fallgestaltung keine eigenständige Eingriffsgrundlage auf, auch nicht in Form einer Generalklausel.

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In Rechtsprechung und Literatur ist jedoch anerkannt, dass bei einer Zuwiderhandlung gegen die Verhaltenspflichten aus § 32 StVO als Ermächtigungsgrundlage für ein ordnungsrechtliches Einschreiten gegen den dafür Verantwortlichen auf im Landesrecht enthaltene polizei- und ordnungsrechtliche Generalklauseln zurückgegriffen werden kann (vgl. zur Generalklausel des baden-württembergischen Polizeigesetzes: VGH Mannheim, Urteil vom 30. April 2008 - 5 S 2858/06 - VRS 2009, 225 <229>; zu Art. 7 des bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetzes: VGH München, Urteil vom 17. Februar 2003 - 11 B 99.3439 - juris Rn. 31 und Beschluss vom 11. Januar 2005 - 8 CS 04.3275 - NuR 2005, 463; zu § 33 Abs. 1 Nr. 3 StVO: OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 4. März 1996 - 4 B 3/96 - NVwZ 1997, 202 <203>; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 32 StVO Rn. 25). Weder der Straßenverkehrs-Ordnung noch dem Straßenverkehrsgesetz lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es bei einem Verstoß gegen sich aus § 32 StVO ergebende Verhaltenspflichten bei der Ahndung als Ordnungswidrigkeit (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO) bleiben soll, diese Pflichten - soweit eine anderweitige Eingriffsgrundlage vorhanden und anwendbar ist - also nicht auch im Wege einer Beseitigungs- oder Handlungsanordnung durchsetzbar sein sollen. § 32 StVO ist somit rechtssystematisch als spezialrechtliches Gefahrenabwehrrecht einzuordnen, das hinsichtlich erforderlicher Eingriffsermächtigungen einen Rückgriff auf die allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnisnormen offen lässt (ebenso zur Durchsetzung von Verbotsvorschriften nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, das selbst keinen entsprechenden Maßnahmenkatalog enthielt: BVerwG, Urteil vom 12. März 1987 - 3 C 2.86 - BVerwGE 77, 102 <107>; vgl. zu diesem Problemkreis allgemein: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 166 ff.).

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Ein solcher Rückgriff ist hier auch aus der Perspektive des Landesrechts eröffnet. Eine Verletzung der sich aus § 32 StVO ergebenden Verhaltenspflichten begründet zugleich einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne; das hat das Berufungsgericht in Bezug auf das hier maßgebliche Landesrecht des § 1 PolG BW ausdrücklich bestätigt.

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b) Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass sich die sachliche Zuständigkeit für das ordnungsbehördliche Einschreiten in solchen Fällen aus § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO ergibt, steht im Einklang mit dem Wortlaut der Regelung; diese Auslegung findet ihre Rechtfertigung vor allem in dem systematischen Zusammenhang, in dem diese Regelung steht, sowie in ihrem Sinn und Zweck.

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Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Einschränkung in § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO, wonach die dort angeordnete Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde nur besteht, soweit nichts anderes bestimmt ist, hier nicht greift. Dabei kann offen bleiben, ob damit ohnehin nur anderweitige Regelungen in der Straßenverkehrs-Ordnung selbst oder in anderen bundesrechtlichen Regelungen gemeint sind. Eine solche abweichende Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit zur Ausführung von § 32 StVO ergibt sich nämlich weder aus der Straßenverkehrs-Ordnung noch aus sonstigem Bundesrecht. § 44 Abs. 2 Satz 2 StVO, wonach bei Gefahr in Verzug die Polizei zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs an Stelle der an sich zuständigen Behörden tätig werden darf, ist nicht anwendbar, da hier keine Gefahr im Verzug vorlag. Das hat auch die Beklagte selbst nie geltend gemacht. Eine abweichende Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit durch Landesrecht - deren Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen von § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO insoweit unterstellt - hat das Berufungsgericht für das Revisionsverfahren bindend verneint.

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aa) Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO sind die Straßenverkehrsbehörden zuständig "zur Ausführung dieser Verordnung". Diese Regelung weist ihrem Wortlaut nach somit keine Beschränkung dahin gehend auf, dass das nur dann gelten soll, wenn auch eine für das Handeln der Straßenverkehrsbehörde erforderliche Ermächtigungsgrundlage in der Straßenverkehrs-Ordnung selbst enthalten ist. Vielmehr genügt danach auch eine Verknüpfung des behördlichen Eingriffs mit der Straßenverkehrs-Ordnung in der Weise, dass jedenfalls die mit der Anordnung durchzusetzenden Verhaltenspflichten in der Straßenverkehrs-Ordnung begründet sind. Auch dann handelt es sich dem natürlichen Wortsinne nach um eine Maßnahme "zur Ausführung" der Straßenverkehrs-Ordnung. Solche, insbesondere Verhaltenspflichten enthaltende und damit ausführungsfähige Vorschriften finden sich - anders als der Vertreter des Bundesinteresses annimmt - keineswegs nur im Teil III der Straßenverkehrs-Ordnung (§§ 44 bis 47 StVO). Vielmehr enthalten gerade die Teile I (Allgemeine Verkehrsregeln) und II (Zeichen und Verkehrseinrichtungen) vielfältige Ge- und Verbote, die sich an die Verkehrsteilnehmer richten und im Falle eines Verstoßes der straßenverkehrsbehördlichen Durchsetzung bedürfen.

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bb) Für die vom Berufungsgericht angenommene umfassende sachliche Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde streiten die systematische Einbettung in Verbindung mit dem Sinn und Zweck dieser Zuständigkeitsregelung. Die Straßenverkehrs-Ordnung weist außer der weit gefassten Zuständigkeitszuweisung in § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO mit § 44 Abs. 2 bis 5 StVO sowie den Regelungen in § 45 StVO weitere enger eingegrenzte Zuständigkeitsregelungen auf. Dort werden vielfach ebenfalls die Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörden, in einigen Fällen aber auch die Zuständigkeit - und/oder teilweise außerdem Befugnisse und Pflichten - anderer Behörden oder Dritter festgelegt (vgl. den bereits genannten § 44 Abs. 2 StVO: Polizei; § 45 Abs. 2 StVO: Straßenbaubehörde; § 45 Abs. 5 StVO [Beschaffung, Anbringung, Unterhaltung und Entfernung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen]: Straßenbaulastträger oder Eigentümer der Straße). Dass der Verordnungsgeber ungeachtet dieser speziellen Regelungen mit § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO noch eine übergreifende, inhaltlich nur mit der Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung umschriebene Zuständigkeitsregelung zugunsten der Straßenverkehrsbehörden getroffen hat, spricht dafür, dass er - soweit sich auch außerhalb der Straßenverkehrs-Ordnung keine anderweitige Bestimmung der Zuständigkeit findet (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO: "soweit nichts anderes bestimmt ist") - grundsätzlich die Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde als einer fachlich spezialisierten Behörde für sachgerecht hält.

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Dafür streitet insbesondere, dass die zum Handeln berufene Behörde zu beurteilen hat, ob und inwieweit der davon Betroffene gegen in der Straßenverkehrs-Ordnung auferlegte Verhaltenspflichten verstoßen hat und welche Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist, um wieder einen im straßenverkehrsrechtlichen Sinne ordnungsgemäßen Zustand herbeizuführen, also insbesondere die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten. Andernfalls käme es je nach Ermächtigungsgrundlage und anderweitiger Zuständigkeitsregelung zu einer unnötigen Aufsplitterung der Zuständigkeiten.

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Hinzu kommt, dass der Verordnungsgeber hinsichtlich der in § 32 Abs. 1 StVO geregelten Verhaltenspflichten den Straßenverkehrsbehörden in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StVO die Entscheidung über die Erteilung von Ausnahmen von den Verboten des § 32 Abs. 1 StVO zugewiesen hat, und den Straßenverkehrsbehörden außerdem die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten obliegt, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO mit einem Verstoß gegen die Verhaltenspflichten des § 32 Abs. 1 StVO verbunden sind. Angesichts dessen wäre es geradezu systemwidrig, wenn die Straßenverkehrsbehörden nicht auch für die Durchsetzung solcher Verhaltenspflichten im Wege behördlicher Anordnung zuständig wären.

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cc) Angesichts dieses Befundes ist der Einwand der Beklagten nicht gerechtfertigt, aus dem Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage in der Straßenverkehrs-Ordnung sei zu schließen, dass der Straßenverkehrsbehörde die sachliche Zuständigkeit für die entsprechenden Maßnahmen fehle. Auch ihrem Argument, dem polizeirechtlichen Gebot einer effektiven Gefahrenabwehr könne durch eine Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde besser Rechnung getragen werden, da sie in der Regel mit größerer Orts- und Sachnähe als die Straßenverkehrsbehörde eingreifen könne, kann nicht gefolgt werden. Dabei mag offen bleiben, ob die Ortspolizeibehörde gegenüber der unteren Verwaltungsbehörde, hier dem Landratsamt, tatsächlich einen nennenswerten Vorsprung an Orts- und Sachnähe aufzuweisen hat; denn im Verwaltungsverfahren entscheidet - jedenfalls dann, wenn nach dem jeweiligen Landesrecht ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist - die Widerspruchsbehörde über die Aufrechterhaltung des angegriffenen Bescheids, und damit hier das Landratsamt. Es fehlt zudem an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass sich der Verordnungsgeber von diesen von der Beklagten angeführten Erwägungen hat leiten lassen. Er hat mit der umfassenden Zuständigkeitszuweisung des § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO - wie gezeigt - vielmehr deutlich gemacht, dass bei der Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung grundsätzlich die mit entsprechendem Fachpersonal und Fachwissen ausgestattete Spezialbehörde tätig werden soll. Ebenso wenig trägt der Einwand der Beklagten, die Maßnahmen sollten durch die Behörde getroffen werden, die als erste mit der Gefahrenlage konfrontiert sei. Dafür, dass dies der "Leitgedanke" des Verordnungsgebers gewesen sein könnte, lässt sich aus dem Wortlaut, der Systematik der Regelungen sowie deren Sinn und Zweck nichts gewinnen. § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO sieht stattdessen unabhängig von einer solchen "Erstbetroffenheit" grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit der Straßenverkehrsbehörde vor. Lediglich bei Gefahr in Verzug verlagert § 44 Abs. 2 Satz 2 StVO die sachliche Zuständigkeit auf die Polizei, die dann anstelle der an sich zuständigen Straßenverkehrsbehörde tätig werden darf, dabei aber ausdrücklich auf vorläufige Maßnahmen beschränkt ist.

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dd) Nach all dem hat der Verordnungsgeber mit § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO eine umfassende Regelung der sachlichen Zuständigkeit getroffen, die, soweit es um die Ausführung der Straßenverkehrs-Ordnung gehe, keine Lücke lässt. Das schließt - wie gezeigt - die Durchsetzung von in der Straßenverkehrs-Ordnung wurzelnden Verhaltenspflichten ein. Damit lässt § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO, auch wenn die Ermächtigungsgrundlage für das behördliche Handeln der polizeilichen Generalklausel entnommen werden muss, keinen Raum für die Anwendung der Zuständigkeitsregelungen des Polizeigesetzes (entsprechend für eine Anwendbarkeit von § 44 Abs. 1 StVO zur Durchsetzung des Verbots verkehrsgefährdender Werbung nach § 33 StVO, OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 4. März 1996 - 4 B 3/96 - NVwZ 1997, 202 <203>; der Sache nach ebenso OVG Münster, Urteil vom 29. April 2009 - 11 A 3657/06 - juris Rn. 59; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 44 StVO Rn. 3; Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, § 44 StVO Rn. 3; Laub, SVR 2006, 281 <285 f.>; vgl. auch Mußmann, Allgemeines Polizeirecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl. 1992, Rn. 108).

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Auch der erkennende Senat ist bereits in seinen Urteilen vom 11. Dezember 2014 - dort, da dieser Punkt unstreitig war, noch ohne nähere Begründung - davon ausgegangen, dass die gemäß § 44 Abs. 1 StVO zuständigen Straßenverkehrsbehörden einschreiten dürfen, wenn verkehrswidrige Hindernisse auf die Straße gebracht werden (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2014 - 3 C 6.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:111214U3C6.13.0] - BVerwGE 151, 129 Rn. 28; ebenso das Urteil in der Parallelsache - 3 C 7.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:111214U3C7.13.0] - juris Rn. 28).

26

c) Damit fehlt es an der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten. Sie ist gemäß § 60 Abs. 1, § 62 Abs. 4, § 66 Abs. 2 PolG BW zwar Ortspolizeibehörde, nicht aber - wie das Berufungsgericht in Anwendung des maßgeblichen Landesrechts festgestellt hat - Straßenverkehrsbehörde. Die Verweisung des § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO auf das Landesrecht führt hier auf das baden-württembergische Gesetz über Zuständigkeiten nach der Straßenverkehrs-Ordnung vom 17. Dezember 1990 - StVOZustG BW - (GBl. 1990 S. 427) in der Fassung dieses Gesetzes durch Art. 153 des Gesetzes vom 1. Juli 2004 (GBl. S. 469). Nach § 1 StVOZustG BW sind Straßenverkehrsbehörden im Sinne von § 44 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom 16. November 1970 (BGBl. I S. 1565) die unteren Verwaltungsbehörden, soweit nicht in diesem Gesetz oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Untere Verwaltungsbehörden sind - soweit hier von Interesse - nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesverwaltungsgesetzes vom 14. Oktober 2008 - LVG BW - (GBl. S. 313) in den Landkreisen die Landratsämter.

27

d) Dieser Mangel der sachlichen Zuständigkeit wird - wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt - weder nach § 45 LVwVfG BW geheilt noch ist er gemäß § 46 LVwVfG BW unbeachtlich. Ein behördliches Handeln trotz fehlender sachlicher Zuständigkeit wird von diesen Regelungen nicht erfasst.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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