Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 C 15/14
Tatbestand
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Gegenstand des Rechtsstreits sind die Abflugverfahren mit den aktuellen Streckenkennungen MIKE - MARUN 3M, TOBAK 3M, BIBTI 3M - von der Bahn 25C und HOTEL - MARUN 1H, TOBAK 1H und BIBTI 1H - von der Bahn 25L des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main. Die Verfahren (Flugrouten) leiten startende Luftfahrzeuge mit Destinationen im Norden und Nord-Westen bei Westbetrieb des Flughafens zunächst nach Süden (sog. "Südumfliegung").
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Die Kläger sind acht Kommunen und fünf Privatpersonen, deren Gemeindegebiete bzw. selbst genutzte Wohngrundstücke im Südwesten des Flughafens liegen. Sie wenden sich aus Lärmschutzgründen gegen die im Jahr 2011 erfolgte Festlegung der Abflugstrecken.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass die Festlegung der Abflugstrecken mit der damaligen Streckenkennung MIKE - MARUN 2M, TOBAK 2M, BIBTI 2M - in § 4 Abs. 2 Nr. 1.5 der 212. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der Gestalt, die sie durch die 36. ÄndVO vom 21. Juli 2011 sowie die nachfolgenden Änderungsverordnungen erhalten hat, rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt. Zwar habe die Beklagte die den Klägern drohenden Lärmbelastungen hinreichend ermittelt und in nicht zu beanstandender Weise bewertet. Die Wahl der Flugverfahren erweise sich jedoch als abwägungsfehlerhaft, weil ihr ein Ermittlungsdefizit zugrunde liege und die Beklagte infolge dessen von einem unvollständigen und damit unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Die Flugverfahren verfehlten das normgeberische Ziel einer sicheren und flüssigen Abwicklung der durch den Planfeststellungsbeschluss vorgegebenen Kapazität. Die Beklagte sei davon ausgegangen, dass mit den Flugverfahren die im Planfeststellungsbeschluss für den Prognosefall 2020 zugrunde gelegten 126 Flugbewegungen pro Stunde abgewickelt werden könnten. Tatsächlich hätten die Flugrouten gegenwärtig und auf unabsehbare Zeit aber nur eine Kapazität für maximal 96/98 Flugbewegungen, weil dem von der Beklagten vorausgesetzten unabhängigen (parallelen) Betrieb der Bahnen 25C/25L und 18 (Startbahn West), wie sich inzwischen herausgestellt habe, Sicherheitsrisiken entgegenstünden und Abflüge nur im Reißverschlusssystem stattfinden könnten. Der Abwägungsfehler sei erheblich, weil er auf die Auswahl der festgesetzten Flugverfahren von Einfluss gewesen sei. Angesichts der zentralen Bedeutung, welche die Beklagte der Möglichkeit eines unabhängigen Betriebs der Abflüge von den Bahnen 25C/25L und 18 beigemessen habe, sei es konkret möglich, dass sie ohne den Abwägungsfehler andere, mit Sicherheit im unabhängigen Betrieb nutzbare Flugrouten angeordnet hätte. Durch die Festlegung der rechtswidrigen Flugverfahren würden die Kläger jeweils auch in ihrem Recht auf gerechte Abwägung ihrer Lärmschutzbelange verletzt, weil es mangels Eignung der Flugstrecken, das vom Planfeststellungsbeschluss vorgegebene Verkehrsvolumen sicher und flüssig zu bewältigen, an einem sachlichen Grund für ihre Belastung mit dem auftretenden Lärm fehle.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte, unterstützt von der Beigeladenen, die Änderung des vorinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Klage. Die Kläger verteidigen das Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht.
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1. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit der gemäß § 43 VwGO statthaften Feststellungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <278>) zu Recht bejaht. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht um eine vorbeugende Feststellungsklage, die nur zulässig ist, wenn der Verweis auf nachgängigen Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Kläger verbunden wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 3 C 35.07 - BVerwGE 132, 64 Rn. 26). Die Kläger erstreben weder nach ihrem Klageantrag noch der Sache nach die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Flugroutenfestlegung im Jahr 2020 oder später, wenn die Flugrouten nach derzeitiger Prognose an ihre kapazitären Grenzen stoßen. Ihnen geht es vielmehr um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Flugroutenanordnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Das ist ein zulässiges Klageziel, weil bei der Feststellungsklage der Kläger den Zeitpunkt selbst bestimmen kann, zu dem das Bestehen oder Nichtbestehen eines streitigen Rechtsverhältnisses gerichtlich festgestellt werden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:181214U4C35.13.0] - NVwZ 2015, 656 Rn. 117). Dies gilt auch, wenn das Rechtsverhältnis - wie hier - auf einer Rechtsverordnung beruht (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 117).
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2. Bei der Prüfung der Begründetheit der Klage sind dem Verwaltungsgerichtshof dagegen Fehler unterlaufen, die nach § 137 Abs. 1 VwGO beachtlich sind.
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a) Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof den bundesrechtlichen Maßstab verfehlt, indem er der Beklagten einen Mangel im Abwägungsvorgang bescheinigt und diesen Mangel nach dem Muster des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BauGB für das Recht der Bauleitplanung und des § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG für das Recht der Planfeststellung für erheblich erachtet hat (UA Rn. 95 ff., 116). Die Rechtswidrigkeit von Flugverfahrensverordnungen kann indes mit Fehlern im Abwägungsvorgang nicht begründet werden. Maßgeblich ist allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - BVerwGE 150, 114 Rn. 25, vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:121114U4C37.13.0] - BVerwGE 150, 286 Rn. 21 und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 98).
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b) Zum anderen hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Kläger in eigenen Rechten verletzt sind (UA Rn. 118).
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Eine Rechtsverletzung der Kläger folgt nicht daraus, dass mit den ausgewählten Flugstrecken eine sichere und flüssige Abwicklung des von dem Planfeststellungsbeschluss vorgegebenen Verkehrsvolumens in absehbarer Zeit nicht erreichbar ist und es deshalb an einem sachlichen Grund für die mit der Festlegung der gewählten Flugstrecken verbundenen Lärmbelastung der Kläger fehlt. Zwar stehen das Planfeststellungsverfahren für die Anlegung oder den Ausbau eines Flughafens und das Verfahren zur Festlegung der Flugverfahren nicht beziehungslos nebeneinander (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - BVerwGE 150, 114 Rn. 10) und darf die Beklagte das Konzept des Planfeststellungsbeschlusses nicht konterkarieren, indem sie Regelungen trifft, die im Widerspruch zu bereits getroffenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen (BVerwG, Urteile vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 84 und vom 18. Dezember 2015 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 69). Betroffene können durch eine Flugverfahrensanordnung, die Ziele des Planfeststellungsbeschlusses vereitelt, aber nur dann in eigenen Rechten verletzt werden, wenn die Planungsziele zu ihrem Schutz formuliert worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:181214U4C35.13.0] - NVwZ 2015, 656 Rn. 93). Das ist hier nicht der Fall. Die Vorgabe des Planfeststellungsbeschlusses, dass die Flugverfahren geeignet sein müssen, 126 Flugbewegungen je Stunde zu bewältigen, dient den Interessen der Beigeladenen und der am Flughafen Frankfurt operierenden Luftverkehrsgesellschaften, nicht aber den Interessen von Anliegergemeinden und Anwohnern.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Kläger seien in ihren Rechten verletzt, trifft auch dann nicht zu, wenn die Prüfung eines sachlichen Grundes für die Lärmbelastung der Kläger an dem Maßstab erfolgt, ob die umstrittene Flugroutenbestimmung mit den Zielen des Luftverkehrsrechts übereinstimmt. Die Festlegung von Flugrouten dient als Maßnahme der Flugsicherung der Gewährleistung einer sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs (vgl. § 27c Abs. 1 LuftVG). Auch mit einer geringeren als der von der Beklagten angenommenen Kapazität entsprechen die strittigen Flugverfahren dieser Zielsetzung. Sie ermöglichen die reibungslose Bewältigung von maximal 98 Flugbewegungen je Stunde.
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3. Ob sich das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis als richtig erweist oder die Klagen hätten abgewiesen werden müssen, kann der Senat nicht beurteilen. Das Urteil enthält nicht die tatrichterlichen Feststellungen, die notwendig sind, damit der Senat entscheiden kann, ob die Flugverfahrensordnung rechtmäßig ist oder im Fall der Rechtswidrigkeit die Kläger in ihren Rechten verletzt. Die Sache ist deshalb nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Der Verwaltungsgerichtshof wird anhand der rechtlichen Maßstäbe des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152, vom 24. Juni 2004 - 4 C 15.03 - juris, vom 12. November 2014 - 4 C 37.13 - BVerwGE 150, 286 und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656) zu klären haben, ob sich für die Bewältigung von bis zu 98 stündlichen Flugbewegungen andere, die Kläger weniger belastende Flugverfahren - möglicherweise die Variante 5 (UA Rn. 100 f.) - als vorzugswürdig aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <164>).
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Der Senat kann von der Zurückverweisung nicht deshalb absehen und die Klagen abweisen, weil die Überschätzung der Kapazität der Flugverfahren auch zu einer Überschätzung der Lärmbetroffenheit der Kläger geführt haben und ein geringeres Flugaufkommen auf den Flugrouten allenfalls mit einer gleichen Belastung der Kläger einhergehen dürfte. Zwar entnimmt der Senat dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Festlegung der Flugrouten rechtmäßig wäre und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzte, wenn mit den Routen 126 Abflüge je Stunde abgewickelt werden könnten. Daraus folgt entgegen der Ansicht der Beklagten jedoch nicht, dass der durch die nunmehr geringere Flugdichte hervorgerufene Lärm in jedem Fall abgewogen und eine Verletzung der Kläger in eigenen Rechten ausgeschlossen sei, weil es für die Kläger jedenfalls nicht lauter werde als im Prognosefall. Auch ein Zurückbleiben von Flugbewegungszahlen gegenüber dem Prognosefall kann für das Verhältnis verschiedener Alternativrouten von Bedeutung sein, wenn etwa die Zahl der unzumutbar Betroffenen auf einer von mehreren alternativen Routen stärker sinkt als in anderen Gebieten, weil sich die Verhältnisse am Boden, insbesondere die Besiedlungsdichte, unterscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 116). Sollte es für die Bewältigung von maximal 98 Flugbewegungen je Stunde Alternativrouten geben, die den festgelegten Flugrouten aus Lärmschutzgründen eindeutig überlegen sind, nicht mit Einbußen für die zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse verbunden sind und mit geringeren Lärmbetroffenheiten der Kläger einhergehen oder die Betroffenheiten sogar ausschließen, ist die Flugroutenbestimmung rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten, weil die Beklagte ihre Lärmschutzbelange abwägungsfehlerhaft zurückgesetzt hat. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kläger - nach dem Vortrag der Beklagten ab dem Jahr 2025 - damit rechnen müssen, dem Lärm von 126 startenden Luftfahrzeugen in der Stunde ausgesetzt zu werden, und diesen Lärm hinnehmen müssen. Dieses Szenario liegt so weit in der Zukunft, dass es nicht gerechtfertigt ist, die Abwägungsentscheidung auf diesen Zeitpunkt zu fixieren. Angesichts der bei der Festlegung von Flugverfahren im Vordergrund stehenden Bewirtschaftung des jeweils konkret anfallenden Lärms und flexibler Änderungsmöglichkeiten, die auf dem fehlenden Erfordernis baulicher Maßnahmen beruhen, ist es nicht nur gerechtfertigt, einen kürzeren zeitlichen Horizont als bei der Verkehrsprognose für die Planfeststellung zu wählen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 113), sondern vorliegend auch geboten. Das Interesse der Kläger am Schutz vor Fluglärm ist zwar unter Umständen nur vorübergehender Natur. Gleichwohl ist es abwägungserheblich, weil sich der Zeitraum bis zum denkbaren Eintritt der zumutbaren Belastung über mehrere Jahre erstreckt.
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Den Verfahrensrügen der Beklagten und der Beigeladenen braucht der Senat nicht nachzugehen. Auf sie kommt es nicht mehr an, weil sie im Erfolgsfall nur zu der ohnehin gebotenen Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof führten.
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Referenzen
- VwGO § 144 1x
- LuftVG § 27c 1x
- VwGO § 137 1x
- § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 43 1x
- VwVfG § 75 Rechtswirkungen der Planfeststellung 1x