Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 3/18

Gründe

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1. Der Kläger begehrt die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer mittelschweren reaktiven Depression als Dienstunfallfolge eines Gesprächs zwischen ihm, zwei Vorgesetzten und einem Kollegen.

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Der im Jahre 1972 geborene Kläger war Kriminaloberkommissar (Besoldungsgruppe A 10 BBesO) und beim Bundeskriminalamt als Sachbearbeiter im Personenschutz eingesetzt. Die zwischen seinen Dienstschichten liegenden freien Tage verbrachte der Kläger zumeist an seinem Wohnort. Dort unternahm er häufig Fahrradtouren, die ihn regelmäßig zu einem Jugendwaldheim führten. Gegenüber dem Eingang des Jugendwaldheims legte der Kläger häufig Rast ein. Am Abend des 5. Oktober 2004 führte den Kläger zum dritten Mal binnen weniger Tage eine abendliche Fahrradtour in die Nähe des Eingangs des Jugendwaldheims. Nachdem der Kläger bereits am Vortag darauf hingewiesen worden war, dass die Situation für die Kinder - ca. 30 Schüler einer 8. Klasse - sehr negativ sei und er aufgefordert worden war, den Ort zu verlassen, rief nunmehr eine Lehrkraft die Polizei. Nach einem Hinweis auf u.a. das Geschehen am Vortag, bei dem einzelne Kinder derart eingeschüchtert worden seien, dass sie Angst vor dem Kläger bekommen hätten, erteilten die Polizeibeamten dem Kläger einen Platzverweis sowie ein Aufenthaltsverbot "mindestens bis Freitag" für einen Umkreis von 500 Metern um das Jugendwaldheim; letztlich wurde der Kläger zur Durchsetzung des Platzverweises in Gewahrsam genommen und auf die örtliche Polizeidienststelle, ein Polizeikommissariat, verbracht. Die beim Kläger befindliche Dienstwaffe wurde beschlagnahmt. Um 22.30 Uhr wurde der Kläger aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Bereits gegen 21.50 Uhr hatte das Polizeikommissariat der Dienststelle des Klägers telefonisch mitgeteilt, dass der Kläger gegen 21.30 Uhr "vorläufig festgenommen" worden sei; der Festnahmegrund habe auf "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", "Verstoß gegen Weisungen" und "Spannerei" gelautet. Noch am selben Abend übersandte das Polizeikommissariat der Dienststelle des Klägers per Telefax seinen Einsatzbericht, in dem es u.a. heißt, der Kläger sei "amtsbekannt" und es sei "hier bekannt geworden, dass (der Kläger) sich dort häufig aufhält, wenn im Jugendwaldheim Schulklassen mit Kindern und Jugendlichen aufhältig" seien.

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Am Morgen des 6. Oktober 2004 reiste der Kläger zu seiner Dienststelle. Am Mittag fand dort ein Gespräch zwischen dem Kläger und seinem Gruppenleiter, einem Leitenden Polizeidirektor, statt; weitere Teilnehmer des Gesprächs waren ein Kriminaloberrat und der kommissarische Kommandoführer, ein Kriminaloberkommissar. Der Kläger wurde im Rahmen dieses Gesprächs darauf hingewiesen, dass der Vorgang des Vorabends hinsichtlich seiner disziplinarrechtlichen Relevanz geprüft werde; außerdem wurde angeordnet, dass er vorerst nicht mehr im "unmittelbaren Personenschutz" eingesetzt werde und seine Dienstwaffe einschließlich Munition abzugeben habe.

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Seit dem Folgetag war der Kläger dienstunfähig erkrankt. Drei Wochen später wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet und im November 2007 eingestellt. Im Januar 2005 wurde der Kläger polizeiärztlich untersucht. Dabei wurde eine Erkrankung aus dem Bereich psychische Störungen und Verhaltensstörungen diagnostiziert. Im Juni 2005 wurde der Kläger in den Ruhestand versetzt.

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Eine Amtshaftungsklage des Klägers gegen das Bundesland als Dienstherr der am 5. Oktober 2004 handelnden Polizeibeamten blieb in drei Instanzen erfolglos. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung, dass die am Abend des 5. Oktober 2004 erfolgten polizeilichen Maßnahmen (Platzverweis und Aufenthaltsverbot) rechtswidrig gewesen seien, war bezüglich des Aufenthaltsverbotes erfolgreich und bezüglich des für den 5. Oktober 2004 ausgesprochenen Platzverweises in drei Instanzen erfolglos. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht im Jahr 2007 entschieden, dass der Platzverweis rechtmäßig gewesen sei; er sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt gewesen, weil die Kinder verängstigt gewesen seien und der Kläger durch seine Schilderungen hierzu beigetragen habe.

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Im September 2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Unfallfürsorge und übermittelte eine Dienstunfallanzeige, in der er als Unfallereignis das am 6. Oktober 2004 geführte Gespräch benannte und eine Stellungnahme eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom selben Monat beifügte, wonach beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelschwere reaktive Depression sowie zeitweise schwere depressive Episoden mit Suizidalität vorlägen; der Kläger sei seit Dezember 2004 bei ihm in fachärztlicher Behandlung.

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Antrag und Widerspruch sind erfolglos geblieben; auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht nach einer Beweisaufnahme zum Verlauf des Dienstgesprächs am 6. Oktober 2004 das der Klage stattgebende vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung u.a. darauf abgestellt, dass das Gespräch vom 6. Oktober 2004 kein "auf äußerer Einwirkung beruhendes" Ereignis im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. darstelle, sodass eine Anerkennung als Dienstunfall nicht in Betracht komme. Dieses Merkmal habe den Zweck, äußere - d.h. in der Außenwelt auftretende - Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Deshalb könne grundsätzlich auch ein äußerer Umstand, der zunächst eine psychische Reaktion bewirke, die ihrerseits zu schädlichen Vorgängen im Körper führe, das Tatbestandsmerkmal der "äußeren Einwirkung" erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten auch herabsetzende Reden, Beleidigungen oder Beschimpfungen als "äußere Einwirkungen" im Sinne des Dienstunfallrechts qualifiziert werden. Allerdings gehörten dienstliche Gespräche bzw. Informationen oder Mitteilungen zu dienstlich relevanten Fragestellungen zu den typischen Ereignissen des Beamtenverhältnisses und seien deshalb grundsätzlich keine "äußeren Einwirkungen" im Sinne des Dienstunfallrechts. Etwas anderes könne nur ausnahmsweise gelten, nämlich dann, wenn ein dienstliches Gespräch von der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses wesentlich abweiche und sich damit nicht mehr im Rahmen der sozialen Adäquanz halte. Darauf, wie der Beamte das Gespräch empfunden habe - also auf seine subjektive Sicht - komme es nicht an, denn das Merkmal der "äußeren Einwirkung" sei nicht erfüllt, wenn eine psychische Reaktion auf äußere Vorgänge ihre wesentliche Ursache in einer besonderen Veranlagung des Betroffenen habe. Der Senat habe nicht die volle Überzeugungsgewissheit erlangen können, dass es sich bei dem in Rede stehenden Dienstgespräch um ein Ereignis handele, das - ausnahmsweise - als "äußere Einwirkung" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. angesehen werden könne. Es lasse sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das am 6. Oktober 2004 geführte Gespräch hinsichtlich seines Inhalts, seines Verlaufs oder seiner Atmosphäre erkennbar Besonderheiten aufgewiesen hätte, die vom üblichen/typischen dienstlichen Umgang abgewichen wären.

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2. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

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Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 m.w.N.).

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Die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

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a) Dies gilt zunächst für die Frage:

"Stellen dienstliche Gespräche bzw. Informationen oder Mitteilungen zu dienstlich relevanten Fragestellungen grundsätzlich keine 'äußeren Einwirkungen' im Sinne des Dienstunfallrechts dar und kann daher nur ausnahmsweise etwas anderes gelten, nämlich dann, wenn ein dienstliches Gespräch von der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses wesentlich abweicht und sich damit nicht mehr im Rahmen der sozialen Adäquanz hält?".

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Das Berufungsurteil hat diese Frage auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zu Recht bejaht.

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Ein Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung - oder infolge (so noch die weitere, in der hier maßgeblichen Gesetzesfassung von 2002 enthaltene Variante) - des Dienstes eingetreten ist (§ 31 BeamtVG). Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 24. Oktober 1963 - 2 C 10.62 - (BVerwGE 17, 59 <61 f.>) ausgeführt, dass die Legaldefinition des Dienstunfalls im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts formuliert worden ist und danach das Merkmal "äußere Einwirkung" lediglich der Abgrenzung äußerer Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Innern des menschlichen Körpers dient. Entscheidend für die Abgrenzung eines Unfalls von sonstigen Körperbeschädigungen ist danach, ob die Einwirkung auf Umständen beruht, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder das willentliche Verhalten des Betroffenen die wesentliche Ursache war. Hieran hat der Senat im Urteil vom 9. April 1970 - 2 C 49.68 - (BVerwGE 35, 133 <135>) festgehalten. Danach können auch herabsetzende Reden, Beleidigungen und Beschimpfungen eine äußere Einwirkung sein, weil sie "von außen her" die seelische Verfassung des Betroffenen beeinflussen und zu körperlichen Beeinträchtigungen führen können.

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Damit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass einerseits auch nicht-körperliche Einwirkungen - und damit auch dienstliche Gespräche - äußere Einwirkungen im Sinne des Dienstunfallrechts sein können und andererseits ein im Rahmen des Üblichen bleibender, sozialadäquater Verlauf eines Dienstgesprächs keine äußere Einwirkung in diesem Sinne ist. Nur dann, wenn während des Dienstgesprächs durch dessen Verlauf, durch die Art der Äußerungen (z.B. aggressives Anbrüllen) oder durch deren Inhalt (z.B. Beleidigungen, Beschimpfungen) der Rahmen der Sozialadäquanz überschritten wird, ist ein auf dieser psychischen Einwirkung beruhender Körperschaden, namentlich ein seelischer Schaden, wertungsmäßig der Sphäre des Dienstherrn und nicht der Sphäre des Beamten aufgrund seiner besonderen individuellen Veranlagung zuzurechnen. Nur in einem solchen Fall gibt es eine innere Rechtfertigung, dem Beamten über die auch in diesen Fällen stets zu gewährenden Beihilfeleistungen hinaus den besonderen Schutz des Dienstunfallfürsorgerechts zukommen zu lassen.

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b) Auch die Frage:

"Ist ein durch mehrere (zum Teil dienstvorgesetzte) Beamte durchgeführtes Dienstgespräch, das sowohl aus der Sicht des Dienstherrn als auch in objektiver Hinsicht auch der Vorbereitung eines Disziplinarverfahrens diente, welches ohne Vorankündigung, ohne Bekanntgabe der im Einzelnen gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe und ohne eine wörtliche Protokollierung stattfindet, sozialadäquat und scheidet damit von vornherein - unabhängig von medizinischen Feststellungen - als Dienstunfall aus?",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Es kann dahinstehen, ob sich dies bereits daraus ergibt, dass die aufgeworfene Frage sich auf der Basis der - nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts in einem Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Jedenfalls lässt sich die aufgeworfene Frage nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten. Die Frage, ob ein Dienstgespräch sozialadäquat geführt worden ist oder nicht, kann stets nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles beantwortet werden.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

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