Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 B 29/21

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 2021 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

2

1. Grunds8;tzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Kl&#228;rung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

3

Die Beschwerde hält zunächst mit Blick auf den vom Berufungsgericht verneinten "Verbrauch" eines mit der Verurteilung aus dem Jahr 2009 verwirklichten Ausweisungsgrundes für grundsätzlich bedeutsam,

"ob ein Verbrauch des der Ausweisungsverfügung zu Grunde liegenden Ausweisungsgrundes dann gegeben sein kann, wenn trotz des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes und einer deswegen durchgeführten Anhörung zu einer beabsichtigten Anhörung zu einer beabsichtigten Ausweisung eine Ausweisungsentscheidung letztlich nicht ergeht, obwohl zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Ausweisungsentscheidung kein Fall der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Restfreiheitsstrafe gegeben ist, sondern der Fall einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG",

"ob die spätere nach Strafantritt erfolgte Zurückstellung der Strafvollstreckung im Sinne von § 35 BtMG nach einer unbedingten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe und sofortiger Aussetzung derselben zur Bewährung oder gleichzusetzen ist mit der Aussetzung der Strafvollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung, sowie wann die maßgebliche Entscheidung über die Ausweisung oder Nichtausweisung in solchen Fällen zu erfolgen hat",

"ob den PDF Beschwerdeführer im vorliegenden Fall der Zurückstellung der Strafvollstreckung im Sinne von § 35 BtMG und der daraufhin erfolgten Entscheidung über die Nichtausweisung der ihm dadurch vermittelte Vertrauensschutz nicht vorbehaltlos Zustand und sich die später am 12.4.2017 ausgesprochene Ausweisung, die sich auf den gleichen Ausweisungsgrund bezieht, nicht deswegen rechtswidrig ist" und

"ob der Rechtssatz, der auf dem vorliegenden Urteil zugrunde gelegt ist, auch im Umkehrschluss gilt, mithin, ob für den Fall, dass die Behörde anlässlich der strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, von einer Ausweisung absieht, in der Regel davon auszugehen ist, dass sie die Überprüfung dieser Entscheidung für den Fall des Widerrufs der Strafaussetzung vorbehält umgekehrt gilt, dass die Behörde, die anlässlich einer strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, von der Ausweisung absieht, in der Regel davon auszugehen ist, dass sie sich die Überprüfung dieser Entscheidung nicht vorbehält".

4

Insoweit fehlt es bereits an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass Ausweisungsgründe einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 39 und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.> jeweils m.w.N.); der dem Ausländer durch Verbrauch bzw. Verzicht vermittelte Vertrauensschutz steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht ändern (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313 f.> und vom 16. November 1999 - 1 C 11.99 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG Nr. 19 = juris Rn. 20).

5

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht einen Vertrauensschutz des Klägers mit der Begründung verneint, dass die zur Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung führende positive Prognose im Jahr 2010 sich aufgrund weiterer Straftaten im Jahr 2012, die zu einer erneuten Verurteilung des Klägers und im Ergebnis zum Widerruf der Bewährung geführt hätten, nicht bestätigt habe (UA S. 17). Auch wenn das Berufungsgericht dabei verkannt haben dürfte, dass die Vollstreckung des Strafrestes der der Verurteilung aus dem Jahre 2009 zugrundeliegenden (Rest-)Freiheitsstrafe erst 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden ist (UA S. 4), und es sich bei der von ihm herangezogenen Prognose aus dem Jahr 2010 um die von der Ausländerbehörde anlässlich der seinerzeit erfolgten Anhörung zu einer beabsichtigten Ausweisung eingeholte Sozial- und Legalprognose der Justizvollzugsanstalt F. vom 21. Januar 2010 handeln dürfte, die dem Kläger aufgrund seines Haftverhaltens und der von ihm angestrebten stationären Drogentherapie eine positive Prognose attestierte (UA S. 6), ändert dies nichts daran, dass sich die für das damalige Absehen von einer Ausweisung maßgeblichen Umstände (nämlich die seinerzeit positive Prognose) durch die Begehung weiterer Straftaten im für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers verändert hatten. Dies rechtfertigt - unabhängig von der Frage, aus welchen Gründen die Ausländerbehörde 2010 vom Erlass einer Ausweisung abgesehen hat - eine Neubewertung des Ausweisungsinteresses unter Einbeziehung der Straftat aus dem Jahr 2009. Einen weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

6

2. Auch die weiteren von der Beschwerde mit Blick auf einen möglichen Vertrauenstatbestand aufgeworfenen Fragen,

"ob ein Verbrauch des der Ausweisungsverfügung zu Grunde liegenden Ausweisungsgrundes dann gegeben sein kann, wenn, wie auch im vorliegenden Fall, eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird, obwohl der Ausländerbehörde nicht lediglich der für die streitgegenständliche Ausweisung maßgebliche Ausweisungsgrund zum Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungserlaubnis bekannt war, sondern darüber hinaus auch die seit Verwirkung dieses Ausweisungsgrundes weiteren in den späteren Jahren, vorliegend in den Jahren 2013 ausgeurteilten Straftaten aus dem Jahr 2012 sowie eine weitere Verurteilung aus dem Jahr 2014 bekannt war" und

"ob der Ausweisungsgrund, auf den sich die streitgegenständliche Ausweisung stützt, jedenfalls dann verbraucht ist, wenn in Kenntnis eines Ausweisungsgrundes die zuständige Ausländerbehörde eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis erteilt oder jedenfalls nicht widerruft,"

rechtfertigen keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

7

Soweit die Fragen an die "Erteilung" einer Niederlassungserlaubnis oder einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis trotz Vorliegens eines Ausweisungsgrundes anknüpfen, fehlen bereits Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (UA S. 2) wurde die dem Kläger zunächst befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis für Kinder unter 16 Jahren bereits im Oktober 2000 - und damit lange vor der hier streitgegenständlichen Verurteilung aus dem Jahre 2009 - in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis überführt, die ihrerseits nach der Übergangsregelung in § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zum 1. Januar 2005 kraft Gesetzes als Niederlassungserlaubnis fortgalt.

8

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Ausländerbehörde für den Verbrauch eines Ausweisungsgrundes einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers muss zudem schützenswert sein. An einem schützenswerten Vertrauen fehlt es, wenn der Betroffene aus der Erteilung eines Aufenthaltstitels billigerweise nicht schließen kann, dass die Ausländerbehörde alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung des begehrten Titels unbeachtlich eingestuft hat (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 39). Damit führt erst recht allein der Umstand, dass die Ausländerbehörde einen Aufenthaltstitel nicht widerrufen hat, nicht zum Entstehen eines schutzwürdigen Vertrauens. Auch insoweit zeigt die Beschwerde keinen weitergehenden Klärungsbedarf auf.

9

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen