Beschluss vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 V 770/15

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Tatbestand

1

I. Weil der Antragsteller die erforderliche Bescheinigung über das Ende des Studiums seiner Tochter S. nicht eingereicht habe, hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 26. März 2015 die Kindergeldfestsetzung für die Tochter des Antragstellers für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 30. September 2014 auf und forderte das danach zu viel gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 6.072 Euro zurück. Der Bescheid wurde dem Antragsteller nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde am 30. März 2015 persönlich übergeben.

2

Nachdem der Antragsteller am 18. Mai 2015 ein Schreiben des Antragsgegners erhalten hatte, mit dem er zur Zahlung des zurückgeforderten Betrages aufgefordert worden war, setzte er sich mit diesem telefonisch in Verbindung. In dem Telefonat wurde ihm der Sachverhalt erläutert.

3

Daraufhin wandte sich der Antragsteller mit einem – offenbar per E-Mail übersandten – Schreiben vom 19. Mai 2015 an den Antragsgegner, dem er eine Kopie der Exmatrikulationsbescheinigung beifügte, wonach seine Tochter ihr Studium am 30. September 2014 beendet hatte. In diesem Schreiben erklärte er außerdem, dass er diese Bescheinigung bereits im Februar über die Dienstpost seiner Dienststelle eingereicht und den Bescheid vom 26. März 2015 nicht erhalten habe.

4

Der Antragsgegner wertete das Schreiben vom 19. Mai 2015 als Einspruch. Er erläuterte dem Antragsteller, dass der Einspruch verspätet eingelegt und deshalb unzulässig sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor.

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Nachdem der Antragsgegner einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides beantragt. Über den Einspruch selbst hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.

6

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, der Einspruch sei nicht verspätet eingelegt und deshalb zulässig. Die Einspruchsfrist betrage ein Jahr, weil die Rechtsbehelfsbelehrung offensichtlich fehlerhaft sei.

7

Außerdem sei die Zustellung des angefochtenen Bescheides unwirksam, weil in der Zustellungsurkunde die Uhrzeit der Zustellung nicht vermerkt sei.

8

Im Übrigen sei selbst bei einer Verfristung des Einspruchs die Kindergeldfestsetzung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) abzuändern.

9

Schließlich stelle die Vollziehung für ihn, den Antragsteller, angesichts seiner finanziellen Situation eine unbillige Härte dar.

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Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags in tatsächlicher Hinsicht bezieht sich der Antragsteller auf seine eidesstattliche Versicherung vom 5. Juli 2015.

11

Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet, weil der angefochtene Bescheid bestandskräftig sei und der gültigen Rechtslage entspreche.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

13

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

14

Derartige Zweifel bestehen im Streitfall nicht.

15

Der angefochtene Bescheid ist bestandskräftig und damit einer Prüfung durch das Gericht entzogen.

16

Der Bescheid ist dem Antragsteller am 30. März 2015 zugestellt und damit wirksam bekannt gegeben worden (§§ 122 Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 1 S. 1 AO).

17

Die Zustellung richtet sich gemäß § 122 Abs. 5 S. 2 AO nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Bei der von dem Antragsgegner gewählten Art der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 Abs. 1 S. 1 Verwaltungszustellungsgesetz -VwZG-) gelten gemäß Abs. 2 S. 1 dieser Vorschrift die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Die darin geregelten Förmlichkeiten sind im Streitfall gewahrt. Insbesondere ist die gemäß § 182 Abs. 1 S. 1 ZPO zum Nachweis der Zustellung anzufertigende Zustellungsurkunde ordnungsgemäß ausgefüllt worden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers fehlt es nicht an der Angabe über die Uhrzeit der Zustellung. Denn diese ist nur auf Anordnung der die Zustellung beauftragenden Stelle erforderlich (§ 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO).

18

Der dagegen vom Antragsteller erhobene Einwand, er habe den zugestellten Bescheid nicht erhalten, greift nicht durch. Denn gemäß § 182 Abs. 1 S. VwZG i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO begründet die Zustellungsurkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Zwar ist gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig. Hierzu müssen aber konkrete Umstände dargelegt werden, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der beurkundeten Tatsachen begründen. Die bloße Behauptung der unterbliebenen Zustellung genügt dafür nicht. Die Beweiswirkung der Urkunde muss völlig entkräftet werden. Solange die Möglichkeit der inhaltlichen Richtigkeit der Urkunde besteht, ist diese Wirkung nicht widerlegt. Insbesondere kann der Gegenbeweis nicht durch Parteivernehmung geführt werden oder – wie im Streitfall – durch lediglich der Glaubhaftmachung dienende eidesstattliche Versicherung (Kruse in Tipke-Kruse, AO/FGO, Stand Juni 2012, Rn. 39 zu § VwZG m.w.N.).

19

Der am 19. Mai 2015 vom Antragsteller gegen den Bescheid vom 26. März 2015 eingelegte Einspruch war unzulässig. Er ist entgegen § 355 Abs. 1 S. 1 AO nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides eingelegt worden. Denn diese Frist war bereits am 4. Mai 2015 abgelaufen (§ 108 Abs. 1 und 3 AO i.V.m. § 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-).

20

Die Einspruchsfrist beträgt im Streitfall auch nicht gemäß § 356 Abs. 2 S. 1 AO ein Jahr, wie der Antragsteller meint. Denn die im Bescheid vom 26. März 2015 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung war entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht unrichtig.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig, wenn sie in einer der gemäß § 356 Abs. 1 AO, § 55 Abs. 1 FGO wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch – bei objektiver Betrachtung – die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (BFH-Beschluss vom 9. November 2009 – IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448 unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 29. Juli 1998 – X R 3/96, BStBl II 1998, 748). Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung noch andere als die notwendigen Angaben, müssen auch diese Angaben richtig, vollständig und unmissverständlich sein (BFH-Urteil vom 21. Juni 2007 – III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064).

22

Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der beschließende Senat angeschlossen hat, danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder ergänzende Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen (BFH-Beschlüsse vom 9. November 2009 – IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448, und vom 21. Dezember 2005 – XI B 46/05, juris).

23

Diesen Anforderungen genügt die im Streitfall verwendete Rechtsbehelfsbelehrung des Antragsgegners.

24

Zwar könnte die Rechtsbehelfsbelehrung nach Auffassung des beschließenden Senats durchaus sprachlich klarer gefasst werden. So lassen z.B. die Finanzämter auf den im ersten Satz ihrer Belehrung enthalten Hinweis, dass gegen den Bescheid Einspruch erhoben werden kann, im zweiten Satz unmittelbar die Ausführungen folgen, dass dieser Einspruch bei der bezeichneten Finanzbehörde schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären ist. Die Erläuterungen, in welchen Fällen der nach Satz eins grundsätzlich zulässige Einspruch unter besonderen Voraussetzungen unzulässig ist, sollte besser durch einen separaten Absatz von den übrigen Ausführungen getrennt werden.

25

Aber auch in der vorliegenden Fassung ist die Formulierung noch ausreichend verständlich und hält einen verständigen Leser nicht von der Einlegung eines Einspruchs ab. Denn dass es sich bei der aus Satz eins folgenden Möglichkeit, Einspruch einzulegen, um den Regelfall handelt und bei dem in Satz zwei erläuterten Fall um die Ausnahme, wird durch das in der diesen Satz einleitenden Formulierung "Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, …" enthaltene Wort "jedoch" hinreichend verdeutlicht.

26

Außerdem ist bei dem beschließenden Senat, der seit mehr als fünfzehn Jahren für Verfahren betreffend Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz zuständig ist, noch in keinem Fall die Unverständlichkeit der von den Familienkassen verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung geltend gemacht worden. Dies wertet der Senat als Indiz für die ausreichende Verständlichkeit des hier streitigen Wortlauts dieser Rechtsbehelfsbelehrungen.

27

Der Senat teilt demgegenüber nicht die vom Antragsteller auf eine Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 24. Juni 2014 (1 K 3876/12, EFG 2014, 1759) zu einer insoweit gleichlautenden Rechtsbehelfsbelehrung gestützte Ansicht, es sei zweifelhaft, ob diese den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung genüge. Denn sie gehe über den notwendigen Mindestinhalt nach § 356 Abs. 1 AO hinaus: Nach dem Hinweis, dass der Bescheid mit dem Einspruch angefochten werden könne, belehre sie nämlich bereits im zweiten Satz darüber, wann ein Einspruch ausgeschlossen sei. Dies geschehe unabhängig davon, ob dies im konkreten Einzelfall von Bedeutung sei. Erst danach – für den Fall, dass der Einspruch nicht ausgeschlossen sei – folgten die notwendigen Angaben über die zuständige Behörde und die Frist. Dies führe dazu, dass die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich überfrachtet und unübersichtlich sei und insbesondere dann, wenn der Einspruch nicht ausgeschlossen sei, jedenfalls bei einem juristischen Laien für Verwirrung und Verunsicherung sorge.

28

Soweit erkennbar, werden die Zweifel des 1. Senat des Finanzgerichts Köln in der zitierten und einer weiteren Entscheidung vom selben Tage (1 K 1227/12, EFG 2014, 1760) lediglich vom 3. Senat des Finanzgerichts Münster geteilt (Urteil vom 9. Januar 2014 – 3 K 742/13 Kg, AO, EFG 2014,622). In diesem Urteil hat es das Finanzgericht Münster indes ausdrücklich offengelassen, ob die Rechtsbehelfsbelehrung den Anforderungen des § 356 Abs. 1 AO entspreche. Sie sei jedenfalls sehr unübersichtlich gestaltet, nämlich einzeilig, Satz an Satz aneinandergereiht ohne Absatz, und enthalte erst im fünften Satz den Hinweis auf die Monatsfrist. Demgegenüber befassten sich bereits die Sätze 2 und 3 mit der Frage, in welchen Fällen ein Einspruch ausgeschlossen sei und welche Rechtsfolgen es habe, wenn während eines anhängigen Einspruchs-, Klage-, Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ein geänderter Bescheid ergehe, auch wenn sich diese Problematik im Streitfall gar nicht stelle.

29

Dagegen haben das Sächsische Finanzgericht (Urteil vom 15. Januar 2015 – 8 K 959/12 (Kg), juris), das Hessische Finanzgericht (Urteil vom 8. Januar 2008 – 2 K 2991/06, juris), der 10. Senat des Finanzgerichts München (Urteil vom 11. Dezember 2007 – 10 K 52/07, juris) sowie der 3. und 5. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 15. März 2007 – III R 51/06, BFH/NV 2007, 1484 sowie Beschlüsse vom 12. Oktober 2012 – III B 66/12, BFH/NV 2013,177 – und vom 2. Februar 2010 – III B 20/09, BFH/NV 2010,830) keine durchgreifenden Bedenken gegen den Wortlaut der vom Antragsteller verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung.

30

So bezeichnet das Sächsische Finanzgericht die Rechtsbehelfsbelehrung als vollständig und unmissverständlich. Kritisiert werden lediglich zusätzliche Hinweise, die in der im vorliegenden Fall vom Antragsgegner verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten sind. Das Hessische Finanzgericht hält die Rechtsbehelfsbelehrung für ausführlich und allgemein verständlich. Nach Ansicht des Finanzgerichts München ist die Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend.

31

Keine Bedenken haben offensichtlich auch der 5. Senat des Finanzgerichts München (Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2014 – 5 K 1791/13 –, juris), der 6. Senat des Finanzgerichts Münster (Urteil vom 28. April 2014 – 6 K 1015/13 Kg, EFG 2015, 2), das Finanzgericht Nürnberg (Urteil vom 9. November 2010 – 6 K 987/10, juris) und das Finanzgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 20. September 2010 – 10 K 776/10, EFG 2011,198).

32

Ebenso lehnt der 5. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 15. März 2007 die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab, weil sich die Notwendigkeit rechtzeitiger Einspruchseinlegung unmissverständlich aus der (von ihm nicht beanstandeten) Rechtsbehelfsbelehrung ergeben habe. Schließlich bezeichnet der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in seinen Beschlüssen vom 12. Oktober 2012 und 2. Februar 2010 die verwendeten Rechtsbehelfsbelehrungen, die (seiner Ansicht nach) den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergäben und verständlich über allgemeine Merkmale des Fristbeginns sowie der Fristdauer informierten, als ausreichend.

33

Ob eine Änderung des Bescheides vom 26. März 2015 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich ist, wie der Antragsteller meint, kann im Rahmen eines unzulässigen Einspruchs nicht geprüft werden. Darüber ist vielmehr in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.

34

Die begehrte Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 26 . März 2015 ist auch nicht deshalb geboten, weil seine Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wieder gutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (Koch, a.a.O., Rdnr. 105, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie der Antragsteller substantiiert vorgetragen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

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Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.


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