Beschluss vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (6. Senat) - 6 K 734/16

Tenor

Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird abgelehnt.

Tatbestand

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I. Mit per Telefax übermitteltem Schriftsatz vom 27. Juli 2016 hat die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene namens der Klägerin Klage wegen "Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes gem. § 15a Abs. 4 EStG für 2008 vom 25.01.2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 12.07.2013" und "Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes gem. § 15a Abs. 4 EStG für 2011 vom 30.04.2013, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 12.07.2013; jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.06.2010" erhoben.

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Im Rahmen der Klageschrift hat die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene u. a. folgende Anträge gestellt:

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"1. Der Bescheid über die Ablehnung der Feststellung der Nichtigkeit der Zustimmung zur abweichenden Zuständigkeit nach § 26 S. 2 AO vom 29.10.2010, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.01.2016. wird ersatzlos aufgehoben. Es wird festgestellt. dass der Bescheid vom 29.10.2015 nichtig i. S. des § 125 Abs. 1 AO ist.
2. Der Bescheid über die Zustimmung zur abweichenden Zuständigkeit nach § 26 S. 2 AO vom 16.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.01.2016, wird ersatzlos aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 16.09.2016 nichtig i. S. des § 125 Abs. 1 AO ist (…)
1. Die Einspruchsentscheidung vom 27.05.2010 wegen des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes gem. § 15a Abs. 4 EStG für den VAZ 2000 vom 26.01.2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 12.07.2013, wird entsprechend der eingereichten Feststellungserklärung für den VAZ 2006 berichtigt erlassen.
2. Die Einspruchsentscheidung vom 27.06.2016 wegen des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsrundlagen und des verrechenbaren Verlustes gem. § 15a Abs. 4 EStG für den VAE 2011 vom 30.04.2013, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 12.07.2013, wird entsprechend der eingereichten Feststellungserklärung für den VAZ 2011 berichtigt erlassen. (…)
13. Es wird beantragt, Akteneinsicht (§ 78 FGO) in die
- Gerichtsakten
- Bilanzakten für die VAZ 2008 und 2011
- Rechtsbehelfsakten für die VAZ 2008 und 2011
- Feststellungsakten für die VAZ 2008 und 2011
- in alle Beiakten für die VAZ 2008 und 2011,  u. a. Akten, über die der Beklagte verfügt,
durch Übersendung der Akten an das Amtsgericht Z, zu gewähren.
14. Für den Fall, dass die Finanzbehörde der Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Aktenbestandteilen nicht nachkommt, wird beantragt, dass unter Fristsetzung gegen den Beklagten ein Zwangsgeld von 1.000,- EUR durch Beschluss angedroht wird und nach fristlosem Ablauf festgesetzt und vollstreckt wird (§ 154 FGO). Die Festsetzung des Zwangsgeldes ist solange zu wiederholen, bis die Vorlage der Akten vollständig erfüllt worden ist."

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Der Klageschrift war als Anlage eine per Telefax übermittelte Prozessvollmacht, unterzeichnet von Frau A als "Geschäftsführerin der Komplementärin (B GmbH)" der Klägerin beigefügt.

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Mit Eingangsverfügung vom 01. August 2016 ist die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene entsprechend der ständigen Übung des Senats bei Akteneinsicht zur Vorlage der Prozessvollmacht im Original aufgefordert worden.

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Mit Schriftsatz vom 29. August 2016 legte die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene eine Kopie des Handelsregisterauszuges der Klägerin vom 28. Juli 2014, HRA Nummer... vor. Aus dem beigefügten Handelsregisterauszug sei ersichtlich, dass die Komplementärin der Klägerin, die B betriebliche Unterstützungskasse GmbH, diese vertreten durch die einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin, Frau A, vertretungsberechtigt sei.

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Unter Hinweis auf den Beschluss des BFH vom 21. Juli 2016 Az. 11 B 63/15 sei aufgrund der zulässigen Klage die Vorlage der Vollmacht im Original zur Gewährung der beantragten Akteneinsicht gemäß § 78 FGO nicht erforderlich. Um Gewährung der beantragten Akteneinsicht oder um Erlass eines Beschlusses gemäß § 128 FGO werde gebeten.

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Mit Schreiben vom 9. September 2016 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass sich aus dem bislang nur vorgelegten Registerauszug der Klägerin allein jedenfalls nicht die behauptete Vertretungsberechtigung der Frau A ergebe und um zeitnahe Vorlage eines Registerauszuges der Komplementärin der Klägerin ersucht. Des Weiteren hat der Berichterstatter nochmals unter Erläuterung der Rechtsauffassung des Gerichts um Vorlage der Originalvollmacht ersucht. Daraufhin hat die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene mit Schriftsatz vom 22. September 2016 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BFH vom 28. November 2003 III B 75/03 und vom 11. Februar 2003 VII R 18/02 erneut die Vorlage einer Originalvollmacht abgelehnt. Die Vorlage eines Registerauszuges der Komplementärin erfolgte ebenfalls nicht. Das Gericht könne über www.handelsregisterbekanntmachungen.de kostenlos Einsicht in die Handelsregistereintragungen betreffend das Unternehmen der Klägerin nehmen.

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Im Übrigen ergebe sich aus den Feststellungsbescheiden, dass der für die als prozessbevollmächtigt Aufgetretene unterzeichnende Steuerberater C selbst Gesellschafter der Klägerin sei. Insoweit erschließe sich nicht, weshalb im Falle der Akteneinsicht das Steuergeheimnis verletzt werden könne.

Entscheidungsgründe

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II. Das Gericht lehnt den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht ab, da die angeforderte Vorlage einer Vollmacht im Original nicht erfolgt ist.

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Gemäß § 78 Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Das Recht zur Akteneinsicht haben neben den Beteiligten insbesondere die Prozessbevollmächtigten (§ 62 FGO).

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Die Bevollmächtigung ist durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 6 Satz 1 FGO). Der Mangel einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht ist grundsätzlich gemäß § 62 Abs. 6 S. 4 FGO vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Zwar gelten seit Beginn des Jahres 2001 durch das 2. FGO ÄndG Erleichterungen, wenn als Bevollmächtigter eine Person i. S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes auftritt. Das Gericht ist danach nicht mehr gezwungen, den Nachweis der Vollmacht zu verlangen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BB 2003, 1262, Der Betrieb 2003, 1258). Gleichwohl ist im finanzgerichtlichen Verfahren von sämtlichen Amtsträgern das Steuergeheimnis zu wahren. Die Anforderung der Vollmacht steht deshalb unabhängig von der Rüge eines Beteiligten nach wie vor im Ermessen des Gerichts (BFH-Beschluss vom 10. Februar 2009, X B 211/08, BFH/NV 2009, 782), das bei der Ermessensausübung abzuwägen hat zwischen dem Zweck des § 62 Abs. 6 S. 4 FGO, eine Vereinfachung des Verfahrens herbeizuführen und der aus § 30 Abgabenordnung (AO) folgenden Pflicht, das Steuergeheimnis zu wahren.

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Ausgehend von dieser Abwägung durfte das Gericht im Streitfall sein Ermessen dahingehend ausüben, vor der Gewährung von Akteneinsicht die Vorlage der Originalvollmacht zu verlangen.

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So bedarf schon grundsätzlich gerade bei der vom Gericht zu gewährenden Akteneinsicht die ordnungsgemäße Legitimation des Bevollmächtigten besonderer Überprüfung, stellt sie doch gegenüber der Zustellung eines einzelnen Schriftsatzes oder der Erörterung der Sach- und Rechtslage die Offenbarung des gesamten Akteninhalts an einen nicht ordnungsgemäß legitimierten Prozessvertreter die denkbar gravierendste Verletzung des Steuergeheimnisses dar. Dies gilt im Streitfall insbesondere wegen der ganz umfangreich beantragten Akteneinsicht in "alle Beiakten für die VAZ 2008 und 2011,  u. a. Akten, über die der Beklagte verfügt".

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Im Verhältnis zu einer der in § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO genannten Personen ist die Anforderung einer schriftlichen Prozessvollmacht ermessensgerecht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Person tatsächlich nicht oder nicht wirksam bevollmächtigt ist (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2011 X B 109/11, BFH/NV 2012, 438 m. w. N.). Entsprechende Anhaltspunkte bestehen z. B. dann, wenn trotz mehrfacher Aufforderung keine Originalvollmacht vorgelegt wurde (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2011 X B 109/11, BFH/NV 2012, 438) oder wenn die Prozessführung nicht auf die Sache und den konkreten Einzelfall bezogen ist und unstatthafte oder aus anderen Gründen unzulässige Anträge mit entsprechendem Kostenrisiko für den vorgeblich Vertretenen gestellt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 12. April 2012, X B 190-196, BFH/NV 2012, 1164).

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Neben der beharrlichen Weigerung zur Vorlage der Vollmacht im Original ist deshalb im Streitfall weiter beachtlich, dass sich das Akteneinsichtsbegehren und der – im Falle der Weigerung zur vollständigen Vorlage – vorsorglich gestellte Ordnungsgeldantrag gegen den Beklagten neben "allen Beiakten für die VAZ 2008 und 2011" mit dem Zusatz "u. a. Akten, über die der Beklagte verfügt" nicht nur über die in § 78 Abs. 1 FGO genannte Aufzählung hinausgeht. Vielmehr ist das Begehren so weit gefasst, dass ein Bezug zum konkreten Einzelfall und damit ein Interesse der dabei vorgeblich vertretenen und mit einem Kostenrisiko belasteten Klägerin daran fraglich erscheint.

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Schließlich ist der Hinweis des für die als bevollmächtigt aufgetretene unterzeichnenden Steuerberaters C auf seine Gesellschafterstellung bei der Klägerin für die Frage einer möglichen Verletzung des Steuergeheimnisses schon deshalb nicht entscheidend, weil der als bevollmächtigt aufgetretenen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH neben Herrn Steuerberater C noch weitere Personen angehören, die nicht Gesellschafter der Klägerin sind. Die Möglichkeit einer Verletzung des Steuergeheimnisses im Falle der Einsichtnahme durch diese weiteren zur Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Personen ist evident.

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Der Nachweis der Bevollmächtigung muss gegenüber dem Gericht erfolgen (Stapperfend in Gräber, FGO, 8. Aufl., § 62 Rn. 82). Es genügt deshalb nicht, dass der Bevollmächtigte im Besitz der Vollmacht ist, sie aber nicht zu den Gerichtsakten gibt (BFH Beschluss vom 25. Juli 1968 V B 8/68, BFHE 92, 551, BStBl II 1968, 660). Die im Streitfall erfolgte Übermittlung per Telefax ist nicht ausreichend. Nachgewiesen werden kann die Bevollmächtigung grundsätzlich nur durch Vorlage einer handschriftlich unterzeichneten Vollmacht im Original (BFH-Urteil vom 05. Juni 2003, III R 38/01 BFH/NV2004, 489 m.w.N). Da die Vorlage einer Fotokopie nicht ausreichend ist (BFH-Beschluss vom 19. Mai 1994 VII B 18/94, n. v., BFH/NV 1995, 126 ), muss dies auch in gleicher Weise für eine per Telefax übermittelte Vollmacht gelten, da es sich um eine durch das Telefaxgerät des Empfängers erstellte Kopie handelt, die den gleichen Manipulationsmöglichkeiten unterliegt wie eine sonstige Kopie (Stapperfend in Gräber, FGO, § 62 Rn. 85). Aus den vorstehenden Gründen besteht im Streitfall für den Senat keine Veranlassung, von diesem Erfordernis abzusehen.

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Die demgegenüber von der als bevollmächtigt Aufgetretenen zitierten Entscheidungen des BFH vom 28. November 2003 III B 75/03 und vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, die sich insbesondere mit dem Anfordern einer Originalvollmacht unter Setzen einer Ausschlussfrist befassen, sind für die vorliegende Frage der Gewährung von Akteneinsicht nicht einschlägig.

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Nach alledem durfte das Gericht im Streitfall aufgrund der fehlenden Vorlage der Originalvollmacht die beantragte Akteneinsicht versagen.


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