Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 156/14

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft.

2

Die Klägerin führt eine Ware mit der Handelsbezeichnung "BuggyBoard" ein, für die sie die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft beantragte und eine Einreihung in die Unterposition 8715 0090 vorschlug. Zur Warenbeschreibung führte sie unter anderem aus, es handele sich um ein zweirädriges Rollbrett, das als Mitfahrgelegenheit für ein Kleinkind zum Anbau an einen Kinderwagen konstruiert worden sei. Eine andere Verwendung sei nicht möglich. Es könne über zwei flexible Kupplungen und die Befestigungsarme an viele unterschiedliche Kinderwagenmodelle angepasst und befestigt werden. Das "BuggyBoard" bestehe zu 95 % aus Kunststoff und zu 5 % aus Metall.

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Mit verbindlicher Zolltarifauskunft vom ... 2013 reihte der Beklagte die Ware als "andere Ware aus Kunststoffen" in die Unterposition 3926 9097 ein. Zur Warenbeschreibung heißt es unter anderem, es handele sich um ein großes Trittbrett aus Kunststoffen mit an der Unterseite befestigten Gelenkrollen zur Anbringung an einen Kinderwagen mittels Befestigungsvorrichtungen. Es diene zum Transport eines stehenden weiteren Kindes. Eine Einreihung in die Position 8715 komme nicht in Betracht, da diese Position lediglich Teile von Kinderwagen erfasse. Wegen der Warenbeschreibung im Einzelnen wird auf die verbindliche Zolltarifauskunft einschließlich der Fotos verwiesen (Sachakte Bl. 9-11).

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Am 18.06.2013 hat die Klägerin Einspruch eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, es handele sich um Teile von Kinderwagen, da es keine allgemeine Verwendungsmöglichkeit gebe. Die "BuggyBoards" seien erkennbar ausschließlich für den Gebrauch an Kinderwagen bestimmt. Der Begriff Zubehör sei nicht definiert. Nach der zivilrechtlichen Definition sei Zubehör eine Sache, die nicht mehr Bestandteil der Hauptsache sei, aber dazu bestimmt sei, deren wirtschaftlichem Wert zu dienen. Demgegenüber seien Teile unselbständige Bestandteile einer Gesamtheit, die allein keinen eigenständigen Nutzen im Sinne eines eigenständigen Gebrauchswertes aufwiesen. Ein "BuggyBoard" sei ohne den dazugehörigen Kinderwagen nicht zu nutzen. Ein "BuggyBoard" sei eine unvollständige Ware im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 2 a).

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Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung nahm mit Schreiben vom 11.10.2013 zu dem Einspruch Stellung. Unstreitig handele es sich bei dem "BuggyBoard" nicht um einen Kinderwagen. Es handele sich auch nicht um ein Teil eines Kinderwagens. Was unter "Teil" bzw. "Zubehör" zu verstehen sei, sei nicht definiert. Beides müsse aber in Beziehung zu einer Hauptware - hier einem Kinderwagen - stehen. Bei "Teilen" handele es sich grundsätzlich um Waren, die beim Zerlegen eines Ganzen anfielen und bei deren Entfernen die Hauptsache nicht mehr funktionsfähig sei. Demgegenüber handele es sich bei "Zubehör" um Waren, die im Gegensatz zu Teilen eine funktionelle Eigenständigkeit aufwiesen und eine Hauptware ergänzten bzw. deren Nutzungsmöglichkeiten erweiterten. Im Streitfall handele es sich um Zubehör, das an einen vollständigen Kinderwagen montiert werde, um dessen Nutzungsmöglichkeiten zu erweitern. Der Kinderwagen sei auch ohne "BuggyBoard" voll funktionsfähig. Das "BuggyBoard" sei nach seiner stofflichen Beschaffenheit einzureihen.

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Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 18.07.2014 unter Wiederholung der Ausführungen des Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung mit Schreiben vom 11.10.2013 zurückgewiesen. Ergänzend legte der Beklagte dar, dass die Einreihung entsprechend den Allgemeinen Vorschriften 2 b) und 3 b) erfolge, da der Kunststoff im Hinblick auf Umfang und Bedeutung in Bezug auf die Verwendung charakterbestimmend sei.

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Mit ihrer am 18.08.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholt die Einspruchsbegründung und betont, eine Einreihung in das Kap. 39 wäre nur dann möglich, wenn das "BuggyBoard" neben der erkennbaren Bestimmung als Teil oder Zubehör eines Kinderwagens der Position 8715 noch einen anderweitigen allgemeinen Versendungszweck besäße. Dies sei indes nicht der Fall. Die Bestimmung der Begriffe "Teile" und "Zubehör" habe nach dem BGB zu erfolgen. Da das "BuggyBoard" ohne Kinderwagen nicht zu nutzen sei und keine funktionelle Eigenständigkeit besitze, könne es nur als Teil qualifiziert und nicht als Erweiterung der Verwendungsmöglichkeit eines Kinderwagens angesehen werden. Ein Kinderwagen ohne "BuggyBoard" stelle für Familien mit mehr als einem Kind lediglich eine unvollständige, nicht nutzbare Sache dar.

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Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskunft vom ... 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.07.2014 zu verpflichten, ihr eine verbindliche Zolltarifauskunft zu erteilen, mit der die Ware mit der Handelsbezeichnung "BuggyBoard" in die Unterposition 8715 0090 eingereiht wird.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, das "BuggyBoard" sei kein Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anm. 2 zu Abschnitt XV. Die Klägerin verkenne die Bedeutung der Begriffe "Zubehör" und "Teil".

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte einschließlich der vorliegenden Warenprobe sowie die Sachakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.

I.

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Die verbindliche Zolltarifauskunft vom ... 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Einreihung der Ware mit der Bezeichnung "BuggyBoard" in die Unterposition 8715 0090, § 101 S. 1 FGO.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesfinanzhofs (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 20.06.1996, C-121/95; BFH, Urteil vom 18.12.2001, VII R 78/00, vom 09.10.2001, VII R 69/00, vom 14.11.2000, VII R 83/99, vom 05.10.1999, VII R 42/98 und vom 23.07.1998, VII R 36/97) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.12.1997, C-143/96, und vom 19.05.1994, C-11/93). Auf den Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. BFH, Urteil vom 14.11.2000, VII R 83/99 und vom 05.10.1999, VII R 42/98; Beschluss vom 24.10.2002, VII B 17/02).

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Zwischen den Beteiligten ist die Einreihung einer Ware mit der Handelsbezeichnung "BuggyBoard" streitig. Bei der Ware handelt es sich um ein großes Trittbrett aus Kunststoffen mit an der Unterseite befestigten Gelenkrollen. Es ist dazu bestimmt, mittels mitgelieferter Befestigungsvorrichtungen an einen Kinderwagen angebracht zu werden. Es dient zum Transport eines stehenden weiteren Kindes. Die Klägerin hält eine Einreihung als Teil eines Kinderwagens in die Unterposition 8715 0090 für richtig. Nach Auffassung des Beklagten handelt es sich um eine andere Ware aus Kunststoffen der Unterposition 3926 9097.

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Die Einreihungsfrage ist im Sinne des Beklagten zu beantworten. Bei dem "BuggyBoard" handelt es sich nicht um ein Teil eines Kinderwagens im Sinne der Unterposition 8715 0090, sondern um Zubehör für einen Kinderwagen. Was als "Teil" im Sinne dieser Unterposition anzusehen ist, ist weder in der Warenbeschreibung noch in den dazu ergangenen Erläuterungen und Anmerkungen definiert. Eine Definition findet sich indes in den ErlHS (NEH) zur Allgemeinen Vorschrift 1. Dort heißt es unter Rz. 02.0, dass sich ein Teil beim Zerlegen eines Ganzen ergebe. Teile würden bei der Herstellung von vollständigen und fertigen Waren durch gesonderte Herstellungsprozesse hergestellt. Werde von einer vollständigen und fertigen Ware ein Teil entfernt, sei die Hauptware nicht mehr voll funktionsfähig. Demgegenüber handele es sich, wie in Rz. 03.0 ausgeführt wird, bei Zubehör um Waren, die eine funktionelle Eigenständigkeit aufwiesen. Zubehör ergänze eine vollständige und fertige Ware, werde selbst aber nicht zum Bestandteil derselben. Zubehör ermögliche eine bessere Verwendung der Hauptware oder erweitere deren Nutzungsmöglichkeiten. Bei Zubehör handele es sich immer um eigenständige gebrauchsfertige Waren.

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Ausgehend von diesem Verständnis, das das Gericht für zutreffend hält, handelt es sich bei dem "BuggyBoard" nicht um ein "Teil" eines Kinderwagens. Das "BuggyBoard" ergibt sich nicht beim Zerlegen eines Kinderwagens und die Funktionsfähigkeit eines Kinderwagens ist in keiner Weise gemindert, wenn kein "BuggyBoard" angebaut ist. Die Darstellung der Klägerin, ein Kinderwagen ohne "BuggyBoard" stelle für Familien mit mehr als einem Kind lediglich eine unvollständige, nicht nutzbare Sache dar, ist nicht nachvollziehbar. Es liegt auf der Hand, dass auch Familien mit mehr als einem Kind einen Kinderwagen ohne "BuggyBoard" nutzen, selbst wenn sich das zweite Kind in einem Alter befindet, in dem es sinnvollerweise auf einem "BuggyBoard" befördert werden kann. Ob das "BuggyBoard" zum Einsatz kommt, hängt ersichtlich von den Umständen der Kinderwagennutzung im Einzelfall ab. Dass - auch aus dem Blickwinkel einer Familie mit mehreren Kindern - ein Kinderwagen ohne "BuggyBoard" uneingeschränkt funktionsfähig ist, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Das hier zu Grunde gelegte Verständnis des Begriffs "Teil" steht nicht im Widerspruch zum zivilrechtlichen Verständnis, wie es in § 93 BGB Ausdruck findet. Danach sind wesentliche Bestandteile einer Sache Bestandteile die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Auch danach ist das "BuggyBoard" kein Bestandteil eines Kinderwagens.

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Vielmehr handelt es sich bei dem "BuggyBoard" um Zubehör, da es funktionell eigenständig ist und die Nutzungsmöglichkeit der Hauptware Kinderwagen erweitert, indem es den Eltern die Beförderung eines zweiten Kindes ermöglicht. Das "BuggyBoard" ist auch im Sinne von § 97 Abs. 1 BGB dazu bestimmt, dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache zu dienen und steht zu diesem in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis. Darauf, dass es für das "BuggyBoard" neben der Nutzung als Zubehör für Kinderwagen keine andere sinnvolle Verwendung gibt, kommt es nicht an. Dass nur Waren mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit als Zubehör angesehen werden könnten, ist nicht ersichtlich.

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Scheidet demnach eine Einreihung in die Unterposition 8715 0090 erkennbar aus, verbleibt es bei der vom Beklagten angenommenen Unterposition 3926 9097 als andere Ware aus Kunststoffen, da eine speziellere Position nicht ersichtlich ist und der Kunststoff, der auch nach Darstellung der Klägerin, 90 % der Ware ausmacht, nach Umfang und Bedeutung charakterbestimmend ist (Allgemeine Vorschrift 3 b).

II.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

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