Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 84/17

Tatbestand

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin hatte sich in der Hauptsache gegen die Entrichtung einer Steuer gewandt. Über das vom Finanzgericht Hamburg angestoßene Normenkontrollverfahren hatte das Bundesverfassungsgericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden und das Steuergesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt.

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Nachdem die beklagte Behörde die angefochtene Steueranmeldung aufgehoben und die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt hatten, legte der Senat mit Beschluss vom 14.07.2017 der beklagten Behörde die Kosten des Verfahrens auf.

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin wendet sich mit ihrer Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Gerichts, der ihr nicht nur die Festsetzung einer Terminsgebühr für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für verschiedene rechtliche und technische Gutachten versagte und überdies die Geschäftsgebühr lediglich mit der Regelgebühr von 1,3 ansetzte.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 149 Abs. 2 zulässige Erinnerung führt lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg. ...

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(Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV)

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Nach Nr. 2300 RVG-VV ... erhält ein Rechtsanwalt für die Vertretung seines Mandanten im Vorverfahren eine Geschäftsgebühr, die ... mit einem Gebührensatz von 0,5 bis 2,5 berechnet werden kann. Eine Gebühr von mehr als 1,3 darf allerdings nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war ... Die Geschäftsgebühr ist eine Rahmengebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, bei der der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten - scil. der beklagten Behörde - zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Nach Nr. 2300 RVG-VV fällt die Geschäftsgebühr in durchschnittlichen Rechtssachen in Höhe von 1,3 an (vgl. BGH Urteil vom 31.10.2006, VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420). Eine darüber hinausgehende Gebühr kann der Rechtsanwalt nur fordern, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, also hinsichtlich des Umfangs oder Schwierigkeit über dem sog. Durchschnittsfall lag. Ob die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11.07.2012, VIII ZR 232/11, NJW 2012, 2813; Sächsisches OVG, Beschluss vom 08.10.2012, 5 E 42/12, juris; FG Köln, Beschluss vom 10.09.2013, 10 KO 3987/12, EFG 2013, 2044). Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Maßstäbe ist vorliegend nicht von einem Durchschnittsfall auszugehen, der lediglich den Ansatz der 1,3-fachen Regelgebühr rechtfertigt. Der beschließende Senat, der das der streitgegenständlichen Steueranmeldung zugrundeliegende Gesetz dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vorgelegt hat, vermag aus eigener Anschauung zuverlässig zu beurteilen, dass der konkrete Streitfall sowohl von seinem Umfang als auch hinsichtlich seiner rechtlichen Aspekte weit über einem Durchschnittsfall lag. Die Frage, ob dem Bund für das Steuergesetz eine Gesetzgebungskompetenz zustand, erforderte besonders tiefe Kenntnisse des Verfassungsrechts. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mussten sich schon im Einspruchsverfahren auf besondere Weise mit den Gesetzgebungsmaterialen befassen und das Gesetz an der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ... messen. Dass diese Fragestellungen auch im anschließenden Klageverfahren relevant wurden, ist insoweit unerheblich ... Ist somit hinsichtlich des Streitfalls davon auszugehen, dass die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten überdurchschnittlich (Nr. 2300 RVG-VV) war, durften diese die Geschäftsgebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG nach billigem Ermessen in einer Höhe über 1,3 festsetzen. Die konkrete Erhöhung der Geschäftsgebühr auf 2,5 ist angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. ...

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Keine Terminsgebühr für das Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

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Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 RVG gelten in sonstigen - d. h. in § 37 Abs. 1 RVG nicht erwähnten - Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses (VV) entsprechend. Da das Verfahren der konkreten Normenkontrolle in § 37 Abs. 1 RVG nicht angesprochen wird, bemessen sich im Streitfall die Gebühren des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführerin nach § 37 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV. Danach (Nr. 3210 RVG-VV) entsteht eine Terminsgebühr grundsätzlich nur aufgrund einer mündlichen Verhandlung, die im Streitfall indes nicht stattgefunden hat. Über das vom beschließenden Senat angestoßene Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG i. V. m. § 13 Nr. 11 BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom ... entschieden (vgl. § 25 Abs. 2 BVerfGG).

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Allerdings ist in Nr. 3210 RVG-VV bestimmt, dass Absatz 1 Nr. 1 und 3 sowie die Absätze 2 und 3 der Anmerkung zu Nummer 3104 und Absatz 2 der Anmerkung zu Nummer 3202 entsprechend gelten. Nach dem insoweit allein in Betracht kommenden Absatz 1 der Nr. 3104 RVG-VV entsteht die Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Die Voraussetzungen dieses Gebührentatbestandes sind hinsichtlich des Streitfalles jedoch nicht erfüllt. Denn das Bundesverfassungsgericht hat über das Normenkontrollverfahren, für das grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (vgl. § 25 Abs. 1 BVerfGG), nicht im Einverständnis mit allen Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

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Das Normenkontrollverfahren ist seinem Wesen nach ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges, objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung und dient lediglich der Prüfung von Rechtsnormen am Maßstab des Grundgesetzes (BVerfG, Beschluss vom 22.04.1953, 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213). An einem solchen Verfahren ist begrifflich notwendig niemand "beteiligt", so dass als "Beteiligte" nur die Verfassungsorgane gelten können, die durch Ausübung des ihnen in § 82 Abs. 2 BVerfGG gewährten Beitrittsrechts eine besondere Rechtsstellung im Verfahren gewonnen haben (BVerfG, Beschluss vom 22.04.1953, 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213). Dem vorliegend in Rede stehenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (...) ist keines der in § 82 Abs. 1 i. V. m. § 77 BVerfGG genannten Verfassungsorgane beigetreten. Die Stellungnahme eines Verfassungsorgans - hier der Bundesregierung - stellt für sich allein keinen Beitritt i. S. d. § 82 Abs. 2 BVerfGG dar. Die Klägerin als Beteiligte des Verfahrens vor dem Gericht, das den Normenkontrollantrag gestellt hat, erhält zwar nach § 82 Abs. 2 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung. Sie ist bzw. war indes nicht Beteiligte i. S. d. § 25 Abs. 1 BVerfGG.

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Ob das Bundesverfassungsgericht über den Normenkontrollantrag zu Recht ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, hat der beschließende Senat nicht zu beurteilen. Im Rahmen des vorliegenden Erinnerungsverfahrens ist der beschließende Senat vielmehr daran gebunden, dass die Entscheidung über das Normenkontrollverfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss erging.

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Der beschließende Senat ist sich sehr wohl bewusst, dass sich die Klägerin auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorbereiten musste und dass sie auch zur Vorlage des beschließenden Senats Stellung genommen hat. Dieser Aufwand ist freilich durch die Verfahrensgebühr abgegolten.

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Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Rechtsgutachten und technische Gutachten

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Es ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass Kosten für Rechtsgutachten grundsätzlich nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen i. S. d. § 139 Abs. 1 FGO anzuerkennen sind und damit nicht zu den erstattungsfähigen Kosten gehören (vgl. nur FG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2017, 3 KO 56/17, EFG 2017, 1620; FG München, Urteil vom 15.04.2005, 7 K 5473/02, juris; FG Köln, Beschluss vom 16.09.2002, 10 KO 2211/02, EFG 2003, 56; Hessisches FG, Beschluss vom 09.05.1987, 2 KO 72/87, EFG 1987, 516; BVerfG, Beschluss vom 15.07.1997, 1 BvR 1174/90, BVerfGE 96, 251; Brandis, in: Tipke/Kruse, § 139 FGO, Rz. 26). Dies gilt auch dann, wenn es um die Beantwortung schwieriger, höchstrichterlich noch nicht entschiedener Rechtsfragen geht (vgl. BFH, Beschluss vom 11.05.1976, VII B 79/74, BFHE 119, 14; FG Köln, Beschluss vom 16.09.2002, 10 KO 2211/02, EFG 2003, 56; BVerfG, Beschluss vom 15.07.1997, 1 BvR 1174/90, BVerfGE 96, 251). Denn die Rechtsfindung ist die ureigene Aufgabe des Gerichts. Eine Erstattung von Aufwendungen für sog. Rechtsgutachten ist nur ausnahmsweise möglich, wenn es etwa um Sonderfragen auf dem Gebiet des ausländischen Rechts geht (vgl. Schwarz, in: H/H/Sp, § 139 FGO, Rz. 195; Brandis, in: Tipke/Kruse, § 139 FGO, Rz. 26).

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Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Kriterien waren die verfassungs- und europarechtlichen Gutachten bei objektiver Betrachtung für die Führung des Rechtsstreits nicht erforderlich. Die Prüfung der Verfassungs- und Europarechtsmäßigkeit eines Steuergesetzes zählt zu den typischen Aufgaben des für den Rechtsstreit zuständigen und beschließenden Senats. Der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ging damit fachlich nicht über die Bandbreite des Stoffes hinaus, der von den Mitgliedern des Senats bewältigt werden muss und auch bewältigt wird.

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In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist ferner geklärt, dass es vor dem Hintergrund des das finanzgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes die Aufgabe des Gerichts ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und den Umfang einer eventuellen Beweisaufnahme zu bestimmen (vgl. nur FG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2017, 3 KO 56/17, EFG 2017, 1620; FG Köln, Beschluss vom 16.09.2002, 10 KO 2211/02, EFG 2003, 56; Schwarz, in: H/H/Sp, § 139 FGO, Rz. 194). Die Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein Privatgutachten ist daher in der Regel zu verneinen; die Beteiligten können lediglich bzw. vielmehr jederzeit die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht anregen bzw. einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Eine Erstattung ist nur in engen Ausnahmesituationen möglich, wenn etwa schwierige technische Fragen zu beurteilen und die Ausführungen des anderen Beteiligten zu diesen Fragen zu entkräften sind (BFH, Beschluss vom 16.02.1971, VII B 43/69, BFHE 101, 484) oder wenn der Beteiligte Behauptungen, die sein Begehren tragen, mangels genügender eigener Sachkunde nur mit Hilfe des Gutachtens substantiiert darlegen und unter Beweis stellen und das Gericht nur so zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen veranlassen kann (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.05.2001, NVwZ-RR 2002, 315). Ein solcher Ausnahmefall ist im Streitfall allein in Bezug auf das von Herrn ... erstellte Gutachten ... gegeben:

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Der beschließende Senat ... und auch das Finanzgericht ... hatten ernstliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Erlass des Steuergesetzes geäußert und diese Zweifel darauf gestützt, ob die Steuer auf Abwälzbarkeit und damit auf indirekte Wirkung angelegt ist. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass die beklagte Behörde in ihrer Klageerwiderung der von den Gerichten vertretenen Auffassung bezüglich der Zweifel an der Abwälzbarkeit der Steuer entgegentrat, durfte die Klägerin ausnahmsweise annehmen, dass sie sich insoweit die fehlende Sachkunde als Grundlage für das eigene Vorbringen und die Auseinandersetzung mit den Äußerungen der beklagten Behörde nur durch die Einholung dieses Gutachtens verschaffen konnte. Dass der beschließende Senat letztlich dieses Gutachten in seinem Vorlagebeschluss nicht verwertet hat, ist in diesem Kontext unerheblich. Denn die Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten setzt nicht voraus, dass das Privatgutachten die Entscheidung des Gerichts auch tatsächlich beeinflusst hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2011, VI ZB 17/11; BGHZ 192, 140; Schwarz, in: H/H/Sp, § 139 FGO, Rz. 194).

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