Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 85/17

Tatbestand

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin hatte sich in der Hauptsache gegen die Entrichtung einer Steuer gewandt. Das Hauptsacheverfahren ruhte bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem Normenkontrollverfahren. Nachdem die beklagte Behörde die angefochtene Steueranmeldung aufgehoben hatte, erklärten die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.

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Die Klägerin und Erinnerungsführerin wendet sich mit ihrer Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Gerichts, der die Geschäftsgebühr lediglich mit der Regelgebühr von 1,3 angesetzt hat.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 149 Abs. 2 zulässige Erinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg. ...

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Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV

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Nach Nr. 2300 RVG-VV … erhält ein Rechtsanwalt für die Vertretung seines Mandanten im Vorverfahren eine Geschäftsgebühr, die … mit einem Gebührensatz von 0,5 bis 2,5 berechnet werden kann. Eine Gebühr von mehr als 1,3 darf allerdings nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war … Die Geschäftsgebühr ist eine Rahmengebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, bei der der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten – scil. der beklagten Behörde – zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Nach Nr. 2300 RVG-VV fällt die Geschäftsgebühr in durchschnittlichen Rechtssachen in Höhe von 1,3 an (vgl. BGH Urteil vom 31.10.2006, VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420). Eine darüber hinausgehende Gebühr kann der Rechtsanwalt nur fordern, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, also hinsichtlich des Umfangs oder Schwierigkeit über dem sog. Durchschnittsfall lag. ...

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Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Maßstäbe ist vorliegend nur von einem Durchschnittsfall auszugehen, der lediglich den Ansatz der 1,3-fachen Regelgebühr rechtfertigt; die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin geforderte Erhöhung der Geschäftsgebühr auf 2,5 erscheint unter Einbeziehung aller Umstände, die die Arbeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausmachten, unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.

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Gesamtwürdigung aller Umstände bei der Bemessung der Höhe der Gebühr

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Der beschließende Senat hat in seinen Beschlüssen vom 22. und 23.01.2017 (4 K 84/17 bzw. 4 K 113/17) im Einzelnen dargelegt, dass ein Einspruchsverfahren, das die Anfechtung einer Steueranmeldung zum Gegenstand hat, sowohl hinsichtlich seines Umfangs als auch hinsichtlich seiner rechtlichen Aspekte einen weit überdurchschnittlichen Rechtsfall beschreibt. Denn die Frage, ob dem Bund für das Steuergesetz ... eine Gesetzgebungskompetenz zustand, erforderte besonders tiefe Kenntnisse des Verfassungsrechts. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mussten sich schon im Einspruchsverfahren auf besondere Weise mit den Gesetzgebungsmaterialen befassen und die Steuer an der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ... messen. Des Weiteren mussten sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit verschiedenen, rechtlich äußerst schwierigen europarechtlichen Fragestellungen beschäftigen. Bei der Bestimmung der Höhe der Geschäftsgebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG und der Prüfung, ob die Tätigkeit des Rechtsanwalts durchschnittlich oder überdurchschnittlich war, sind freilich alle sachlichen Gesichtspunkte zu würdigen, die für die Arbeit des Rechtsanwalts von Bedeutung sind bzw. waren. Die im Gesetz genannten Kriterien, wie der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, beschreiben keinen abschließenden Katalog der zu berücksichtigenden Kriterien, sondern geben lediglich beispielhaft Kriterien wieder, die Einfluss auf die Arbeit des Rechtsanwalts haben.

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Erzielte Synergieeffekte reduzieren den zeitlichen Aufwand

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Mit Blick auf den vorliegend in Rede stehenden Rechtsstreit ist daher auch zu würdigen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin erhebliche Synergieeffekte durch eine beträchtliche Anzahl rechtlich gleichgelagerter Einspruchsverfahren erzielen konnten (vgl. hierzu Thüringer LSG, Beschluss vom 18.11.2015, L 6 SF 1284/15 B, juris; FG Bremen, Beschluss vom 15.11.1993, 2 93 077 E 2, EFG 1994, 313). Die durch die Parallelität der Sachverhalte und rechtlichen Fragestellungen bedingte ganz erhebliche Reduzierung des zeitlichen Aufwands für das konkrete Einspruchsverfahren ist im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung aller Umstände maßgeblich zu berücksichtigen (in diesem Sinne ausdrücklich auch BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 345/10, AGS 2013, 252; Thüringer OLG, Beschluss vom 02.02.2005, 9 Verg 6/04, AGS 2005, 201). Die erzielten Synergieeffekte strahlten auch auf die rechtliche Schwierigkeit des Einspruchsverfahrens aus, da die Prozessbevollmächtigten die einmal erarbeiteten Rechtskenntnisse auf die anderen Einspruchsverfahren ohne weiteres übertragen konnten. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass alle – und in concreto auch das vorliegende – Einspruchsverfahren hinsichtlich ihres Umfangs oder ihrer Schwierigkeit überdurchschnittlich waren. Der beschließende Senat ist sich bewusst, dass die gleichgelagerten Einspruchsverfahren jeweils eigenständige Verfahren darstellen, was zur Folge hat, dass die Prozessbevollmächtigten eine Geschäftsgebühr für jedes einzelne Einspruchsverfahren fordern können. Allerdings folgt aus der Eigenständigkeit der jeweiligen Einspruchsverfahren nicht auch, dass die Prozessbevollmächtigten in Bezug auf jedes einzelne Einspruchsverfahren eine Geschäftsgebühr in Höhe von 2,5 geltend machen können. Da die Geschäftsgebühr als Rahmengebühr ausgestaltet ist, müssen die Prozessbevollmächtigten für jedes Einspruchsverfahren vortragen und darlegen, warum (auch) dieser Fall überdurchschnittlich war, was ihnen hinsichtlich des Streitfalles indes nicht gelungen ist. Unter Berücksichtigung aller in die Betrachtung einzubeziehenden Gesichtspunkte und vor dem Hintergrund, dass die Prüfung der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Steueranmeldung sowohl eine verfassungsrechtliche als auch eine europarechtliche Komponente hatte, nimmt der beschließende Senat an, dass zwei Einspruchsverfahren – wie von den Prozessbevollmächtigten in den Verfahren ... geltend gemacht – als überdurchschnittlich zu werten, alle anderen Einspruchsverfahren aufgrund der erzielten Synergieeffekte jedoch als Durchschnittsfall anzusehen sind.

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