Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 135/17

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Klägerin das Kindergeld für ihre Tochter für den Zeitraum von November 2015 bis Juni 2016 zusteht. Insbesondere ist streitig, ob die Tochter ausbildungswillig gewesen ist.

2

Die Tochter der Klägerin, A, wurde am ... 1992 geboren. Am 06.10.2015 kündigte der auszubildende Arzt das Ausbildungsverhältnis mit der Tochter zur Arzthelferin fristlos. Am 06.10.2015 rief die Tochter der Klägerin bei der Ärztekammer an. Die Ärztekammer übermittelte ihr daraufhin eine Liste mit Ärzten, die Auszubildende suchten.

3

Anschließend ging die Tochter einer geringfügigen Beschäftigung nach. Anfang 2016 wurde sie schwanger, ihr Kind kam am ... 2016 zur Welt.

4

Bei der Bundesagentur für Arbeit liegen keine Daten über die Meldung der Tochter der Klägerin als Ausbildungsplatz suchend vor.

5

Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 21.11.2016 auf, den Nachweis über das Ende der Berufsausbildung vorzulegen und gewährte rechtliches Gehör zu der Frage, ob Kindergeld ggf. zu Unrecht gezahlt worden ist.

6

Mit Bescheid vom 28.12.2016 hob die Beklagte die Kindergeld-Festsetzung gem. § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab August 2013 auf und forderte bereits gezahltes Kindergeld in Höhe von 6.524 € zurück.

7

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 20.01.2017 Einspruch ein, welcher am 25.01.2017 bei der Beklagten einging, und teilte mit, dass die Ausbildung am 06.10.2015 beendet worden sei.

8

Mit Bescheid vom 27.02.2017 setzte die Beklagte Kindergeld für die Monate August 2013 bis Oktober 2015 fest. Außerdem teilte sie mit:

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"Ihrem Einspruch vom 25.01.2017 wurde damit im vollen Umfang entsprochen."

10

Nach der Rechtsbehelfsbelehrung befindet sich außerdem folgender weiterer Hinweis:
"Für den Zeitraum von November 2015 bis Juni 2016 erhalten Sie einen gesonderten Bescheid."

11

Die Beklagte wies den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 06.03.2018 darauf hin, dass der Einspruch noch nicht vollständig beendet sei und noch Nachweise ab 11/15 bis Ende der Prüfung fehlten, die bis zum 17.03.2017 einzureichen seien.

12

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte am 17.03.2017 mit, dass die Tochter der Klägerin nach der fristlosen Kündigung durch den auszubildenden Arzt arbeits- bzw. beschäftigungslos gewesen sei. Durch Schreiben vom 28.03.2017 fragte er bei der Beklagten nach, weshalb ein Betrag in Höhe von 1.596 € von der Klägerin gefordert würde, obwohl es für den Zeitraum November 2015 bis Juni 2016 noch keinen gesonderten Bescheid gäbe.

13

Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 26.04.2017, dass der Einspruch keine aufschiebende Wirkung habe und über den Einspruch für den Zeitraum November 2015 bis Juni 2016 noch nicht habe entschieden werden können, weil bisher keine Nachweise vorgelegt worden seien, aus denen sich ergebe, dass die Tochter der Klägerin sich um einen Ausbildungsplatz beworben habe oder als Ausbildungsplatz suchend registriert gewesen sei.

14

Mit Einspruchsentscheidung vom 16.06.2017 wies die Beklagte den Einspruch für den Zeitraum ab November 2015 als unbegründet zurück.

15

Hiergegen hat die Klägerin am 17.07.2017 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass der Aufhebungsbescheid vom 28.12.2016 vollständig durch den Bescheid vom 27.02.2017 erledigt worden sei.

16

Auch materiell-rechtlich sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig, denn ihr, der Klägerin, stehe das Kindergeld zu. Nach der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses habe sich ihre Tochter ausbildungs- und arbeitssuchend gemeldet. Sie habe sich auch bei der Ärztekammer gemeldet. Eine neue Ausbildung habe sie nicht nahtlos finden können. Nach der fristlosen Kündigung der Ausbildung habe ihre Tochter bei mehreren Arztpraxen angerufen, leider ohne Erfolg. Dies habe vermutlich auch daran gelegen, dass die Tochter bereits vorher einmal ihre Ausbildungsstelle gewechselt habe. Ihre Tochter könne nicht mehr genau sagen, bei welchen Praxen sie sich beworben habe.

17

Ihre Tochter sei dann schwanger geworden. Wegen extremer Übelkeit habe sie sich erst einmal nicht mehr um einen neuen Ausbildungsplatz kümmern können. Die gesundheitlichen Probleme seien so gravierend gewesen, dass sie zeitweise sogar im Krankenhaus gewesen sei. In diesem Zusammenhang legte die Klägerin ein ärztliches Attest vor, durch welches bescheinigt wird, dass bei der Tochter der Klägerin am 10.12.2015 die Schwangerschaft festgestellt wurde und der errechnete Geburtstermin der ... 2016 ist. Auf einem weiteren Attest wurde bescheinigt, dass am 15.12.2015 die stationäre Einweisung erfolgte, weil am 10.12.2015 der Beginn der Hyperemesis Gravidarum festgestellt worden sei. Die Aufnahme einer Ausbildung sei ihrer Tochter deshalb aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverbot hätten vorgelegen. Dies könne die behandelnde Ärztin, B, bestätigen. Allerdings könne diese nichts über die Ausbildungswilligkeit ihrer Tochter sagen.

18

Mit Attest vom 13.02.2018 bescheinigte die damals behandelnde Ärztin, B, dass die Tochter auch während der restlichen Schwangerschaft Beschwerden gehabt habe, die Übelkeit lange angehalten habe und Rückenschmerzen eingetreten seien. Im Attest ist außerdem folgende Aussage enthalten:

19

"Ob der Beginn der Ausbildung bzw. die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz während einer Schwangerschaft sinnvoll gewesen wäre, kann ich so nicht sagen. In einer Schwangerschaft kann es ja jederzeit zu Beschwerden kommen, wenn die Patientin längere Zeit stehen muss."

20

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 28.12.2016, geändert durch den Bescheid vom 27.02.2017, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.06.2017 aufzuheben, mit der Folge, dass Kindergeld für die Monate November 2015 bis Juni 2016 festgesetzt wird.

21

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

22

Die Klage sei unbegründet. Der Klägerin stehe das Kindergeld ab November 2015 nicht zu, da die Tochter der Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG erfülle. Es seien keine schriftlichen Bewerbungen der Tochter für den hier streitigen Zeitraum vorgelegt worden. Die Tochter sei auch nicht als Ausbildungsplatz suchend registriert gewesen. Die Nachforschung bei der Ärztekammer sei ergebnislos gewesen. Aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung folge nicht, dass die Tochter in der Zeit auch ausbildungswillig gewesen oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, sich um eine neue Ausbildung zu bemühen. Es könne deshalb nicht von einer Ausbildungswilligkeit ausgegangen werden.

23

Mit Beschluss vom 24.11.2017 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin übertragen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

24

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Zeugenvernehmung der Tochter der Klägerin. Auf die Sitzungsniederschriften des Erörterungstermins vom 05.10.2017 und des Beweisaufnahmetermins vom 09.01.2018 wird verwiesen. Dem Gericht hat die Kindergeldakte vorgelegen.

Entscheidungsgründe

25

Die Entscheidung ergeht gem. § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

I.

26

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28.12.2016, geändert durch den Bescheid vom 27.02.2017, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.06.2017, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Beklagte hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung für die Monate November 2015 bis Juni 2016 aufgehoben. Die Klägerin hat für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld.

27

1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG lagen vor, denn die Verhältnisse, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, haben sich durch die Beendigung der Ausbildung der Tochter geändert.

28

2. Die Klägerin moniert zu Unrecht, dass der Aufhebungsbescheid vom 28.12.2016 durch den Änderungsbescheid vom 27.02.2017 vollständig aufgehoben worden ist, denn durch diesen Änderungsbescheid wurde lediglich das Kindergeld bis einschließlich Oktober 2015 festgesetzt. Für den hier streitigen Zeitraum November 2015 bis Juni 2016 erfolgte gerade keine Regelung. Hierauf wurde auch noch einmal ausdrücklich am Ende des Änderungsbescheides hingewiesen. Insoweit blieb es bei der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch den Bescheid vom 28.12.2016.

29

3. Die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch der Klägerin nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 32 EStG liegen nicht vor. Die Tochter der Kläger hatte im streitigen Zeitraum bereits ihr 21. Lebensjahr vollendet, so dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG nicht vorliegen können.

30

Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 Nr. 2c EStG nicht gegeben. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Tochter der Klägerin nicht ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat.

31

a) Nach diesen Vorschriften besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann. Zweck der Vorschrift ist die Gleichstellung von Kindern, die noch erfolglos einen Ausbildungsplatz suchen, mit solchen Kindern, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, da in typisierender Betrachtung davon ausgegangen werden kann, dass dem Kindergeldberechtigten auch in diesen Fällen regelmäßig Unterhaltsaufwendungen für das Kind erwachsen (BFH-Urteile vom 15.07.2003 VIII R 79/99, BFHE 203, 94, BStBl II 2003, 843, sowie vom 07.08.1992 III R 20/92, BFHE 169, 159, BStBl II 1993, 103, unter Hinweis auf BTDrucks 10/2884, 102 f.).

32

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH erfordert die Berücksichtigung eines Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG, dass sich dieses ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat (BFH-Urteile vom 15.07.2003 VIII R 71/99, BFH/NV 2004, 473; vom 26.11.2009 III R 84/07, BFH/NV 2010, 853; BFH-Beschlüsse vom 21.07.2005 III S 19/04 (PKH), BFH/NV 2005, 2207, und vom 24.01.2008 III B 33/07, BFH/NV 2008, 786). Das Bemühen ist glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen, habe sich ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht oder sei stets bei der Agentur für Arbeit als Ausbildungsplatz suchend gemeldet gewesen, reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegenzuwirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (BFH-Urteil vom 19.06.2008 III R 66/05 BFHE 222, 343, BStBl II 2009, 1005 m. w. N.).

33

Die Nachweise für die Ausbildungswilligkeit des Kindes und für sein Bemühen, einen Ausbildungsplatz zu finden, hat der Kindergeldberechtigte beizubringen. Die besondere Mitwirkungspflicht unter Einbeziehung des über 18 Jahre alten Kindes sieht § 68 Abs. 1 EStG ausdrücklich vor.

34

Nachgewiesen werden kann das ernsthafte Bemühen um einen Ausbildungsplatz z. B. durch eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit, dass das Kind als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle registriert ist, durch direkte Bewerbungen an Ausbildungsstätten und ggf. den daraufhin erfolgten Zwischennachrichten oder auch Absagen (siehe BFH-Urteil vom 26.11.2009 III R 84/07, BFH/NV 2010, 853 m. w. N.).

35

b) In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Tochter der Klägerin im streitigen Zeitraum nicht ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat.

36

aa) Die Tochter der Klägerin war nicht bei der Bundesagentur für Arbeit als Ausbildungsplatz suchend registriert.

37

bb) Die Klägerin hat auch keine Nachweise über Eigenbemühungen der Tochter für die Fortsetzung ihrer Ausbildung eingereicht. Zwar hat sich die Tochter nach der Kündigung durch ihren früheren Ausbilder bei der Ärztekammer gemeldet und von der Ärztekammer eine Liste mit solchen Ärzten erhalten, die Auszubildende suchen. Die Tochter der Klägerin hat jedoch weder schriftliche Bewerbungen an Ärzte von dieser Liste vorgelegt, noch konnte die Tochter bei ihrer Zeugenvernehmung das Gericht davon überzeugen, dass sie sich tatsächlich bei Ärzten um eine Fortsetzung ihrer Ausbildung bemüht hat.

38

cc) Aus der nachgewiesenen Schwangerschaft der Tochter mit einhergehender gesundheitlicher Beeinträchtigung ergibt sich ebenfalls kein anderes Ergebnis. Denn das Gericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass die Tochter überhaupt ausbildungswillig gewesen ist.

II.

39

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

40

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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