Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 V 20/18

Tatbestand

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I. Streitig ist der Untergang verrechenbarer Verluste aufgrund der Anwendung von § 8c Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).

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Die Antragstellerin ist eine Kommanditgesellschaft. An ihr waren per 31. Dezember 2012 als alleinige - am Gewinn und Verlust nicht beteiligte - Komplementärin die A GmbH sowie als Kommanditistinnen die B UG (haftungsbeschränkt) zu 10 % und die C ... GmbH (im Folgenden C) zu 90 % beteiligt. Alleinige Gesellschafterin der C war die D ... GmbH (im Folgenden D). Deren Gesellschafter waren in 2012 zunächst E mit 98 % und F mit 2 %. Am ... April 2013 übertrug E von seinem Anteil im Nennwert von ... € einen Anteil von ... € auf F; damit waren beide Gesellschafter mit 50 % beteiligt. Am ... November 2013 übertrug E auch seinen verbliebenen Anteil auf F, der damit Alleingesellschafter der D wurde.

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Für die Kommanditistin C war mit Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum Schluss des Wirtschaftsjahres 2012 ein verrechenbarer Verlust von ... € festgestellt worden. Im Rahmen ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 2013 betrachtete die Antragstellerin die für die C per 31. Dezember 2012 festgestellten verrechenbaren Verluste und die im Streitjahr entstandenen Verlustanteile als nach § 8c KStG untergegangen. Dem folgte der Antragsgegner mit Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG vom 3. Januar 2017 auch im Hinblick auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 4. Juli 2008 (BStBl I 2008, 736). Dem Bescheid war als Anlage eine von der Antragstellerin eingereichte Anlage zur gesonderten und einheitlichen Feststellung für 2013 beigefügt, aus der sich der verrechenbare Verlust nach § 15a Abs. 4 EStG für die C mit nunmehr 0,00 € ergab. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 1. Februar 2017, mit dem verschiedene Einwendungen erhoben wurden. U. a. machte die Antragstellerin geltend, dass zweifelhaft sei, ob § 15a-Verluste einer Kapitalgesellschaft auf der Ebene der Tochterpersonengesellschaft überhaupt von § 8c KStG erfasst werden könnten. Der überwiegende Teil des Schrifttums lehne dies ab. Zugleich beantragte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung, die der Antragsgegner am 21. März 2017 ablehnte. Das Einspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

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Am 3. April 2017 erging aus hier nicht interessierenden Gründen ein geänderter Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG. Hinsichtlich der Feststellungen zu § 15a EStG heißt es in dem Bescheid: "Die Feststellungen zu § 15a EStG sind ersichtlich aus der Anlage". In der dem Bescheid beigefügten Anlage ist die Summe der Einkünfte nach § 15a/15b EStG aufgelistet. Ebenfalls unter dem 3. April 2017 erging ein Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 15a Abs. 4 EStG zum Schluss des Wirtschaftsjahres 2013, mit dem für die C ein verrechenbar Verlust von 0 € festgestellt wurde. In dem Bescheid heißt es: "Vergleiche auch die Anlage zum Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013".

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Am 1. Februar 2018 hat die Antragstellerin bei Gericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begehrt. Sie stützt sich vornehmlich darauf, dass die Verlustabzugsbeschränkung in § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG verfassungswidrig sei. Für den "kleinen Fall" einer Anteilsübertragung habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungswidrigkeit von § 8c Satz 1 KStG festgestellt. Nach Maßgabe des Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg vom 29. August 2017 (2 K 245/17) könne für die Übertragung von mehr als 50 % der Anteile nichts anderes gelten.

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Sofern die Finanzverwaltung offensichtlich trotz der Entscheidung des BVerfG an der Vorschrift des § 8c KStG für mittelbare Anteilsübertragungen festhalten wolle, könne dem nicht gefolgt werden. Überdies sei auch zweifelhaft, ob Verluste im Sinne von § 15a EStG einer Kapitalgesellschaft auf der Ebene einer Tochterpersonengesellschaft von der Regelung des § 8c KStG überhaupt erfasst werden könnten.

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Schließlich berufe sich der Antragsgegner zu Unrecht darauf, dass verfassungsrechtliche Zweifel nicht die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigten. Sofern im Hinblick auf ein formell verfassungsgemäß zustande gekommenes Gesetz ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu fordern und eine Interessenabwägung zwischen der möglichen Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den individuellen Interessen des Antragstellers vorzunehmen sei, müsse beachtet werden, dass von einer Konstellation wie im Streitfall nur wenige Steuerpflichtige betroffen seien. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die C in 2016 u. a. ihren Anteil an der Antragstellerin veräußert habe und als Gegenleistung neben Stückaktien nur eine Anzahlung auf den cash-Kaufpreis erhalten habe. Insgesamt sei ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn von ... € erzielt worden, die mögliche Steuer hierauf könne die C nicht aus der Anzahlung begleichen.

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Im Übrigen sei bei nicht eindeutiger Rechtslage nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stets Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

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Die Antragstellerin beantragt,
den geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 15a Abs. 4 EStG zum Schluss des Wirtschaftsjahres 2013 für die C GmbH mit der Maßgabe auszusetzen, dass vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von einem Verlust in Höhe von ... € auszugehen ist.

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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

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Der Antragsgegner teilt die verfassungsrechtlichen Zweifel an § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG nicht. Allein die Vorlage eines Finanzgerichts an das BVerfG rechtfertige nicht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Laut BMF-Schreiben vom 28. November 2017 sei die Vorschrift weiter anzuwenden; hieran sei er, der Antragsgegner, gebunden.

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Es bestünden auch keine Zweifel daran, § 8c KStG auf § 15a-Verluste einer Kapitalgesellschaft anzuwenden. Im Übrigen komme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur in Betracht, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte bedeute. Dies sei von der Antragstellerin nicht dargelegt worden.

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Die die Antragstellerin betreffenden Steuerakten nebst Beiakten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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II. Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Sie begehrt die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG ihrer Kommanditistin C, der sich an die betroffene Kommanditistin als Inhaltsadressatin richtet. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Personengesellschaft gegen diesen Bescheid klagen kann, wenn die Feststellung des Verrechenbaren Verlustes mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung des Gewinns der Gesellschaft nach § 15a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG verbunden worden ist (BFH-Urteile vom 26. Januar 1995 IV R 23/93, BStBl II 1995, 467 m. w. N.; vom 8. April 1998 VIII R 40/95, BFH/NV 1998, 1363; BFH-Beschluss vom 5. April 2005 VIII R 185/04, BFH/NV 2005, 1492).

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So verhält es sich im Streitfall: In dem ursprünglichen Bescheid vom 3. Januar 2017 ist die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen mit der Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG verbunden worden; die verrechenbaren Verluste ergaben sich aus der dem Bescheid beigefügten Anlage, einer von der Antragstellerin eingereichten Übersicht. Der Änderungsbescheid vom 3. April 2017 (Anlage 9) ist im Rubrum wiederum als "Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG" bezeichnet worden. Unter demselben Datum ist zwar auch ein Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 15a Abs. 4 EStG für die C ergangen (Anlage 5). In dem Gewinnfeststellungsbescheid der Personengesellschaft heißt es aber wieder, dass für die Feststellungen zu § 15a EStG auf die Anlage zum Bescheid verwiesen wird. Auf diese Anlage wird auch in dem Bescheid nach § 15a EStG für die C Bezug genommen. Der Senat sieht hierin eine hinreichende Verknüpfung der Gewinnfeststellung mit der Feststellung des verrechenbaren Verlustes und bejaht deshalb die Befugnis der Antragstellerin, vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Feststellung der verrechenbaren Verluste zu beantragen.

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2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

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a) Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Seer in Tipke/ Kruse, AO/FGO § 69, Rz. 89). Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (z. B. BFH vom 21.12.1993, VIII B 107/93, BStBl II 1994, 300). In dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren entscheidet das Gericht nur auf der Basis der ihm vorliegenden Unterlagen, d. h. nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Dabei haben die Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen, § 155 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH Beschluss vom 20. März 2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809 m. w. N.). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 26. August 2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255).

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b) Im Streitfall bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids. Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung kann nach ständiger Rechtsprechung auch bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtsnorm gewährt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Juli 2002 XI B 68/02, BFHE 201, 14, BStBl II 2003, 341, und vom 5. März 2001 IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405). An die ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der fehlerhaften Rechtsanwendung (BFH Beschlüsse vom 26. August 2010 I B 49/10, BStBl II 2011, 826; vom 10. Februar 1984 III R 40/83, BStBl II 1984, 454).

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aa) Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der hier maßgeblichen Vorschrift des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG ergeben sich aus dem Beschluss des erkennenden Senats vom 29. August 2017 2 K 245/17 (EFG 2017,1906), mit dem der Senat eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt hat, ob § 8c Satz 2 KStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) insoweit vereinbar ist, als bei der unmittelbaren Übertragung innerhalb von fünf Jahren von mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals an einer Körperschaft an einen Erwerber die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzten Verluste vollständig nicht mehr abziehbar sind. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat im Einzelnen auf seine Ausführungen in dem Vorlagebeschluss. Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ergeben sich zudem aus der Entscheidung des BVerfG vom 29. März 2017 2 BvL 6/11 (BStBl II 2017, 1082), mit dem die partielle Unvereinbarkeit von § 8c Satz 1 KStG in der Fassung vom 14. August 2007 sowie des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in der Fassung vom 12. August 2008 und späterer Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt worden ist. In seiner Entscheidung hat das BVerfG u. a. festgestellt, dass § 8c Satz 1 KStG bereits einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht standhält (a. a. O., Rn. 121). Es erscheint jedenfalls bei summarischer Prüfung ernsthaft zweifelhaft, dass das Gericht den von den Folgen her gravierenderen Fall des vollständigen Verlustuntergangs bei einer Übertragung von mehr als 50 % der Anteile angesichts der Deutlichkeit seiner Ausführungen zum anteiligen Verlustuntergang anders beurteilen könnte.

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Gegen eine Aussetzung der Vollziehung spricht vor diesem Hintergrund auch nicht, dass bezogen auf § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG lediglich die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem GG ausgesprochen und dem Gesetzgeber nur eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgegeben werden könnte. Eher ist im Streitfall zu erwarten, dass auch bei der Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG wie bei § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eine rückwirkende Unvereinbarkeit bis zum 1. Januar 2016 ausgesprochen werden wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11). Abgesehen davon ist ohnehin fraglich, inwieweit dieses Kriterium einer pro-futuro-Tenorierung noch maßgeblich ist, denn der I. und der II. Senat des BFH haben zwischenzeitlich eine derartige Prüfung aufgegeben (BFH-Beschlüsse vom 21. November 2013 II B 46/13, BStBl II 2014, 263, und vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BStBl II 2014, 946).

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bb) Allerdings setzt nach -bisheriger- ständiger Rechtsprechung eine Aussetzung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 21. November 2013 II B 46/13, BStBl II 2013, 263; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BStBl II 2012, 418; vom 13. März 2012 I B 111/11, BStBl II 2012, 611; Erfordernis eines berechtigten Interesses offen gelassen: BFH Beschlüsse vom 23. August 2007 VI B 42/07, BStBl II 2007, 799, und vom 25. August 2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826). Dieser Rechtsprechung hat das BVerfG im Grundsatz zugestimmt (z. B. BVerfG-Beschluss vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, BB 1992, 1772), in neueren Entscheidungen aber die Frage, ob die Rechtsprechung des BFH (Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, 149, BStBl II 2010, 558) in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit offen gelassen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89, und vom 6. Mai 2013 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).

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In der Vergangenheit hat der BFH jedenfalls in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, 149, BStBl II 2010, 558 m. w. N.). Dazu zählt auch der Fall, dass der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 23. April 2012 III B 187/11, BFH/NV 2012, 1328, jeweils m. w. N.).

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Dies trifft auch im Streitfall zu. Auch wenn bis zur Entscheidung des BVerfG letztlich ungewiss ist, ob die in Rede stehende Norm für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären wird und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird, muss das erkennende Gericht vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung gewähren (vgl. BFH Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BStBl II 2004, 367, m. w. N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG), gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten. Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz muss der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 AO anfallen.

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cc) Darüber hinaus ist auch ein vorrangiges öffentliches, vornehmlich haushalterisches Interesse am Vollzug des Gesetzes weder von dem Antragsgegner dargetan noch erkennbar. Die bei Einführung von § 8c KStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 errechneten finanziellen Auswirkungen von 1,475 Milliarden € per anno (BT-Drs. 16/4841, S. 43), die sich sowohl auf den anteiligen als auch vollständigen Verlustuntergang beziehen (§ 8c Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 KStG), sind nicht von einem solchen Ausmaß, dass eine Gefahr für den Haushalt angenommen werden könnte.

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3. Da bereits wegen der dargestellten verfassungsrechtlichen Zweifel Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist, kommt es auf die Streitfrage, inwieweit § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG auf verrechenbare Verluste nach § 15a Abs. 4 EStG überhaupt anwendbar ist, nicht an.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist gem. § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

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