Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 53/18

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Verzinsung von Steuererstattungen.

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Die Klägerin ... berechnete in ihrer Steueranmeldung vom ... Steuern in Höhe von insgesamt ... EUR und erhob hiergegen am 21.12.2011 Sprungklage beim Finanzgericht Hamburg ... Am 22.12.2011 zahlte die Klägerin die Steuer.

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Am 06.12.2013 stellte die Klägerin beim Finanzgericht Hamburg einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 FGO, dem das Finanzgericht Hamburg ... stattgab. In Folge dieses Beschlusses erstattete das beklagte Hauptzollamt im Mai 2014 der Klägerin die gezahlte Steuer. Nachdem der Bundesfinanzhof den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 11.04.2014 aufgehoben und den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt hatte, zahlte die Klägerin die ihr erstattete Steuer am 24.12.2014 zurück.

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Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Steuergesetz ...für nichtig erklärt hatte, hob das beklagte Hauptzollamt die angefochtene Steueranmeldung auf und zahlte am 19.06.2017 die entrichtete Steuer zurück.

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Mit Bescheid vom ... setzte das beklagte Hauptzollamt Prozesszinsen in Höhe von insgesamt ... EUR fest. Diese Festsetzung bezog sich auf den Zeitraum 22.12.2011 bis 19.06.2017 abzüglich der Zeitspanne 19.05.2014 bis 24.12.2014, innerhalb der die von der Klägerin entrichtete Steuer aufgrund der AdV-Gewährung erstattet worden war.

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In ihrem gegen den Bescheid vom ... gerichteten Einspruch wandte die Klägerin ein, dass ihr Prozesszinsen nach § 236 AO auch für den Zeitraum der AdV-Gewährung zustünden. Der Zinslauf beginne mit der Zahlung der Steuer und ende mit der Rückzahlung der Steuer. Der Zeitraum des "Hin- und Herzahlens" sei schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 236 AO zu berücksichtigen und dürfe nicht außer Betracht bleiben.

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Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom ... unter Hinweis darauf zurück, dass nach dem Normzweck des § 236 AO, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals eine Entschädigung zu gewähren, die Zeiten gewährter Vollziehungsaussetzung nicht Bestandteil der Laufzeit der Prozesszinsen seien ...

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Mit ihrer am ... erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie meint, dass der Abzug des AdV-Zeitraumes bei der Berechnung der Zinsen zu Unrecht erfolgt sei. Bereits der klare Wortlaut des § 236 Abs. 1 AO gebiete, den Zeitraum des "Hin- und Herzahlens" vom Zinslauf nicht auszunehmen. Nach dem Wortlaut sei für den Beginn des Zinslaufs ausschließlich die Rechtshängigkeit der Klage und für das Ende des Zinslaufs ausschließlich der Tag der Auszahlung des zu erstattenden Betrages entscheidend. Dem Wortlaut des § 236 AO sei keine Differenzierung dahin zu entnehmen, dass streitige Steuern, die im Laufe des Hauptsacheverfahrens erstattet oder gezahlt würden, so dass es damit zu einem "Hin- und Herzahlen" während der Rechtshängigkeit der Hauptsache komme, abweichend von dieser Grundregel zu verzinsen seien. Die Rechtshängigkeit der Klage bleibe von der Zahlung bzw. Erstattung der gezahlten Steuer unberührt; sie werde und könne auch nicht fiktiv beendet werden oder fiktiv beginnen. Nach dem Wortlaut komme es allein darauf an, dass ein Betrag aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung zu erstatten sei. Das sei vorliegend die Steuer, die das beklagte Hauptzollamt wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe erstatten müssen. Die Vorschrift des § 233 Satz 1 AO regele, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst würden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Entscheidend für das Bestehen eines Zinsanspruchs sei somit das Bestehen eines Steuerschuldverhältnisses. Ansprüche aus dem Schuldverhältnis würden nach § 47 AO insbesondere durch Zahlung erlöschen. Die vorläufige Rückerstattung der angemeldeten und gezahlten Steuer stelle keine Erfüllung im Sinne des § 47 AO dar und habe deshalb ihren - der Klägerin - Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nicht zum Erlöschen gebracht. Habe folglich während der Zeit der vorläufigen Rückerstattung der Erstattungsanspruch unverändert fortbestanden, so sei dieser entsprechend der gesetzlichen Anordnung in § 233 Satz 1 i.V.m. § 236 Abs. 1 AO auch zu verzinsen. Eine teleologische Reduktion des § 236 Abs. 1 AO sei im Streitfall ausgeschlossen, da die wortlautgetreue Anwendung des § 236 Abs. 1 AO nicht dazu führe, dass die Vorschrift auf Fälle angewandt werde, die dem Sinn und Zweck der Norm oder dem gesetzgeberischen Willen widersprächen. Telos der Norm sei der angemessene Ausgleich beim Steuerpflichtigen, der zu Unrecht zur Steuerzahlung verpflichtet worden sei, nicht hingegen, dem Steuergläubiger und Steuerzinsschuldner eine Verpflichtung aufzuerlegen, den jeweils konkreten Nutzungsvorteil zu erstatten. Dieser Gesetzeszweck werde auch dann erreicht, wenn die Erstattung Zeiträume betreffe, in denen der Steuerpflichtige mit einer jederzeitigen Heranziehung zur Steuerzahlung rechnen müsse, weil ihm die begehrte Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zu Unrecht vorenthalten worden sei. Die Gewährung von Prozesszinsen solle dazu dienen, dem Steuerpflichtigen einen Ausgleich für den rechtlich fehlerhaften Entzug von Liquidität zu leisten. Diese Situation werde durch eine zwischenzeitliche Erstattung nicht wesentlich geändert. Denn der Steuerpflichtige könne mit solcher Liquidität letztlich nicht wirtschaften. Im Zeitraum des "Hin- und Herschiebens" habe sie - die Klägerin - zwar theoretisch über das Kapital verfügen können, rein praktisch habe sie das Kapital jedoch nicht einsetzen können, weil es aufgrund der Höhe der Steuerbeträge erforderlich gewesen sei, dieses weiterhin als liquide Mittel vorzuhalten, um auf eine drohende Aufhebung der Vollziehungsaufhebung durch den Bundesfinanzhof und die damit einhergehende sehr kurze Zahlungsfrist für die erneute Entrichtung der Steuerbeträge vorbereitet zu sein.

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Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom ... sowie der Einspruchsentscheidung vom ... - soweit diese entgegenstehen - zu verpflichten, ihr weitere Zinsen in Höhe von ... EUR zu gewähren.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es verweist auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass die Vorschrift des § 236 AO von dem Normalfall ausgehe, dass Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Klage durchgehend bis zur Entscheidung über die Klage und die Auszahlung des Geldbetrages festzusetzen seien. Bei den Prozesszinsen handele es sich um Zinsen für überlassenes bzw. vorenthaltenes Geld. Dies könne allerdings nur für die jeweilige und tatsächliche Dauer des überlassenen bzw. vorenthaltenen Geldkapitals gelten.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Versagung von weiteren Prozesszinsen ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung weiterer Prozesszinsen (§ 101 Satz 1 FGO).

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Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt allein die Vorschrift des § 236 AO in Betracht. Dort ist bestimmt, dass, wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen ist (§ 236 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies gilt entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt hat (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO).

15

Die Vorschrift des § 236 AO geht auf § 155 der Reichsabgabenordnung (RAO) zurück, der erstmalig eine Regelung über Prozesszinsen enthielt und mit dem Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1961 vom 13.07.1961 (BGBl. I 1961, 981) eingeführt wurde. Mit dieser Regelung sollte "Härten ... abgeholfen werden", die dadurch eintreten, dass "der Steuerpflichtige den angeforderten Betrag gezahlt und eine Herabsetzung der Steuerschuld erst nach einem sich länger hinziehenden Rechtsmittelverfahren erreicht hat" (BT-Drucks. 3/2573 vom 11.03.1961, S. 36 f.). Der Vorschrift des § 236 Abs. 1 AO liegt demgemäß die Erwägung des Normgebers zugrunde, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH, Urteil vom 29.08.2012, II R 49/11, BFHE 238, 499; BFH, Urteil vom 13.07.1994, I R 38/93, BFHE 175, 496; Rüsken, in: Klein, § 236 AO, Rz. 1). Die Zinsregelung des § 236 Abs. 1 AO folgt damit für Steuererstattungen und Steuervergütungen der Intention des § 291 BGB, der letztlich einen allgemeinen Rechtsgedanken formuliert, der auch in Bezug auf öffentlich-rechtliche Geldforderungen zum Tragen kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2006, 2 B 36/05, NVwZ 2006, 605). Der Steuerpflichtige erhält Erstattungszinsen als Gegenleistung dafür, dass er dem Steuerfiskus Kapital überlassen hat, zu dessen Leistung er nicht verpflichtet war (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO, Rz. 5). Während die Verzinsung nach § 237 AO bezweckt, einen Ausgleich zwischen den Zinsvorteilen des Steuerpflichtigen und dem Zinsverlust des Steuergläubigers zu erzielen (vgl. BFH, Urteil vom 25.04.2013, V R 29/11, BFHE 241, 298), ist die Zinsvorschrift des § 236 AO auf einen Ausgleich zwischen den Zinsvorteilen des Steuergläubigers und dem Zinsverlust des Steuerpflichtigen ausgerichtet.

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Die Zinspflicht nach § 236 AO wird ausgelöst durch die Herabsetzung der festgesetzten Steuer bzw. durch die Gewährung einer Steuervergütung infolge der Inanspruchnahme des Gerichts; der angestrengte Rechtsstreit muss für die Herabsetzung der Steuer und die nach § 236 AO zu verzinsende Steuererstattung kausal gewesen sein (vgl. BFH, Urteil vom 29.08.2012, II R 49/11, BFHE 238, 499). Allerdings entsteht der Zinsanspruch nicht bereits mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit, sondern - in den Fällen des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO - erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bzw. mit Unanfechtbarkeit des Bescheides, durch den sich der Rechtsstreit nach Rechtshängigkeit gemäß § 236 Abs. 2 AO erledigt hat (BFH, Urteil vom 29.08.2012, II R 49/11, BFHE 238, 499). Erst mit diesen Entscheidungen ist der Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz den Anspruch auf Prozesszinsen knüpft (§ 38 AO).

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Im Streitfall sind die Voraussetzungen eines weiteren Anspruchs der Klägerin auf Prozesszinsen für die Zeit der Vollziehungsaufhebung nicht gegeben.

18

Vorliegend hat sich der Rechtsstreit in Sachen Steueranmeldung vom ... erledigt, nachdem das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom ... die von der Klägerin angefochtene Steueranmeldung über ... EUR aufgehoben hatte. Durch die Erledigung der Hauptsache aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Beteiligten wurde die Rechtshängigkeit beendet (§ 66 FGO). Da die Klägerin die angemeldete Steuer am 22.12.2011 - also einen Tag nach Rechtshängigkeit der Klage - entrichtete und das beklagte Hauptzollamt die Steuer am 19.06.2017 zurückzahlte, wäre eigentlich der Zeitraum vom 22.12.2011 bis 19.06.2017, also volle 65 Monate (§ 238 AO), zu verzinsen. Bei dieser Betrachtung bliebe freilich unberücksichtigt, dass die Klägerin die angemeldete Steuer während dieses Zeitraumes nicht durchgängig gezahlt hatte, sondern am 19.05.2014 erstattet bekam und erst am 24.12.2014 wieder entrichtete. Der erkennende Senat verkennt insoweit nicht, dass die Zahlung im Mai 2014 durch das beklagte Hauptzollamt nicht erfolgte in Erledigung des Rechtsstreits um die angefochtene Steueranmeldung, sondern in Umsetzung des Beschlusses des Finanzgerichts Hamburg vom ..., mit dem das Gericht die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung aufgehoben hatte. Diese (Rück-)Zahlung des beklagten Hauptzollamtes stellt daher keine Erstattung im Sinne des § 236 Abs. 1 AO dar. Der erkennende Senat hält indes dafür, dass der Zinsvorschrift des § 236 AO die gesetzgeberische Erwägung zugrunde liegt, dem Steuerpflichtigen einen Zinsanspruch nur für den bzw. die Zeiträume einzuräumen, in denen er die streitige Steuerforderung auch tatsächlich entrichtet hat. Diese Einschränkung der Zinsberechnung ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Vorschrift des § 236 Abs. 1 AO selbst, wo der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt hat, dass, ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung beginnt (§ 236 Abs. 1 Satz 2 AO). Nichts anderes muss für den Fall gelten, dass der Steuerpflichtige die von ihm entrichtete Steuer - gleich aus welchen Gründen - vom Steuergläubiger zurückerhält. Wird die Steuer zurückgezahlt, werden dem Steuerpflichtigen sein Kapital und die damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten nicht weiter vorenthalten; der Zweck der Vorschrift, einen Ausgleich für das vorenthaltene Kapital zu gewähren, entfällt mit der Rückerstattung der Steuer. So verhält es sich dann auch hier:

19

Die Klägerin hat die angemeldete Steuer erstmals am 22.12.2011 und - nachdem das beklagte Hauptzollamt die Steuer am 19.05.2014 erstattete - ein weiteres Mal am 24.12.2014 entrichtet; beide Zahlungen lösten jeweils den Beginn des Zinslaufs nach § 236 Abs. 1 BGB aus, der zum einen - ausgelöst durch die Rückzahlung der Steuer infolge des AdV-Beschlusses - am 19.05.2014 und zum anderen - mit der Erstattung der Steuer im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - am 19.06.2017 endete. Lediglich für diese beiden Zeiträume kann die Klägerin Prozesszinsen beanspruchen und sind ihr diese vom beklagten Hauptzollamt mit Bescheid vom ... festgesetzt worden.

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Folgende Überlegung bestätigt die vom Senat präferierte Auslegung des § 236 Abs. 1 AO: Wäre der Klägerin in Bezug auf die in Rede stehende Steueranmeldung vom 14.12.2011 bereits vor Klageerhebung aufgrund eines Antrags nach § 69 FGO Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht gewährt worden, die vom Bundesfinanzhof erst nach Rechtshängigkeit der Hauptsache aufgehoben worden wäre mit der Folge, dass die Klägerin auch erst nach diesem Zeitpunkt die Steuer (erstmals) entrichtet hätte, so würde die Verzinsung auch erst nach § 236 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem Tag dieser Zahlung beginnen. Entsprechend der Intention der Zinsvorschrift, einen Ausgleich zwischen den Zinsvorteilen des Steuergläubigers und dem Zinsverlust des Steuerpflichtigen herbeizuführen, kann es keinen Unterschied machen, ob dem Steuerpflichtigen die Aussetzung der Vollziehung bereits vor Rechtshängigkeit gewährt wird, die dann im Verlauf der Rechtshängigkeit der Hauptsache entweder durch das Finanzgericht selbst oder im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens durch den Bundesfinanzhof aufgehoben wird, oder ob der Steuerpflichtige - so wie hier - einen Antrag nach § 69 FGO auf Aufhebung der Vollziehung erst nach Rechtshängigkeit der Hauptsache stellt, dem vom Finanzgericht zunächst stattgegeben, der vom Bundesfinanzhof später unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt wird.

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Der Klägerin ist zuzugeben, dass ihr das beklagte Hauptzollamt die Steuer infolge des AdV-Beschlusses des Senats nicht erstattet hat, um ihren Erstattungsanspruch aus dem Steuerschuldverhältnis durch Zahlung zum Erlöschen zu bringen; die (vorübergehende) Rückzahlung der Steuer hatte insoweit keine Tilgungsfunktion und ihr sollte auch insoweit keine solche zukommen. Mit der (vorübergehenden) Rückzahlung hat das beklagte Hauptzollamt vielmehr lediglich den AdV-Beschluss des Senats umgesetzt und der Klägerin insoweit vorläufig die Steuer erstattet. Allerdings irrt die Klägerin, wenn sie meint, dass sie Zinsen nach § 236 AO bis zu dem Zeitpunkt des (endgültigen) Erlöschens des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auch insoweit beanspruchen könne, als sie keine Liquiditätseinbußen erlitten habe. Insbesondere lässt sich ein solches Verständnis nicht der Regelung des § 233 Satz 1 AO entnehmen, die lediglich besagt, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Mit dieser Formulierung knüpft das Gesetz vielmehr an die Verwirklichung der Tatbestände an, die in der Abgabenordnung im Einzelnen normiert sind, wie namentlich die Verzinsungstatbestände des § 236 AO. Dass ein Zinsanspruch gestützt auf die Regelung des § 236 AO freilich voraussetzt, dass der Steuerpflichtige den zu erstattenden Betrag auch tatsächlich (durchgängig) entrichtet hat, hat der Senat bereits oben dargelegt.

22

Die vom erkennenden Senat befürwortete Auslegung des § 236 AO stellt keine unzulässige teleologische Reduktion der Vorschrift dar. Die teleologische Reduktion ist das Spiegelbild zur Analogie (Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO, Rz. 382). Während bei der Analogie das Gesetz über seinen möglichen Wortsinn hinaus ausgedehnt wird, zielt die teleologischen Reduktion darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken (BFH, Urteil vom 19.07.2018, IV R 39/10, BFHE 262, 149; BFH, Urteil vom 12.12.2007, X R 31/06, BFHE 219, 498; BFH, Urteil vom 17.10.2001, III R 3/01, BFHE 197, 85). Eine teleologische Reduktion ist allerdings nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis, zu einem der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis oder zu einem so unsinnigen Ergebnis führen, dass es vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann (vgl. BFH, Urteil vom 11.04.2013, III R 11/12, BFHE 241, 124; BFH, Urteil vom 19.07.2018, IV R 39/10, BFHE 262, 149): Eine teleologische Reduktion kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der weite Wortlaut der Vorschrift Folge einer bewussten rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers ist (BFH, Urteil vom 17.10.2001, III R 3/01, BFHE 197, 85). Die Frage nach der Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion stellt sich freilich nicht, wenn - wie hier - die einschränkende Auslegung im Wortlaut der Vorschrift bereits angelegt ist. Der Gesetzgeber hat in § 236 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich geregelt und klargestellt, dass die Verzinsung, ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, mit dem Tag der Zahlung beginnt. Dieser ausdrücklichen Regelung hat der Senat den grundsätzlichen Willen des Gesetzgebers entnommen, dass dem Steuerpflichtigen ein Zinsanspruch nur für den Zeitraum eingeräumt werden soll, in dem er die streitige Steuerforderung auch tatsächlich entrichtet hat. Besteht somit keine Divergenz zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck, bedarf es einer teleologischen Reduktion des § 236 AO nicht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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