Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 14/19

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen.

2

Der Kläger erwarb mit Vertrag vom ... 2008 mit Wirkung zum 1. Januar 2009 den Gastronomiebetrieb "A ..." in der X-Straße ... in Hamburg zu einem Kaufpreis von ... €. Zuvor war er als Betriebsleiter eines anderen B-Restaurants tätig gewesen. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 des Vertrags war der Verkäufer verpflichtet, den Kläger im Zeitraum ab der Vertragsunterzeichnung bis zum 31. Dezember 2018 umfassend in die Betriebsabläufe einzuarbeiten. Als Gegenleistung für die Einarbeitung war vom Kläger an den Verkäufer ein Betrag von ... € zu zahlen (§ 8 Abs. 3 Satz 2). Dieser Betrag wurde bei Unterzeichnung des Vertrags fällig und sollte auf den Kaufpreis in voller Höhe angerechnet werden (§ 8 Abs. 3 Satz 3). Nach § 8 Abs. 3 Satz 4 des Vertrags verzichtete der Kläger auf eine Rückforderung der ... €, falls die Betriebsübernahme aus einem Grund scheitern sollte, den er allein oder überwiegend allein zu vertreten hat. Die ... € wurden unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung vom Kläger gezahlt. In der Abrechnung des Verkäufers vom 17. Februar 2009 werden ... € vom Kaufpreis als "Anzahlung Oktober 08" abgezogen.

3

Das Restaurant in der X-Straße ... hat einen Gastraum mit etwa 85 Sitzplätzen und einen Außenbereich mit etwa 60 Sitzplätzen, der etwa ab Mai genutzt wird. Neben zwei Festangestellten (einem Koch und einem Betriebsleiter) wurden in den Streitjahren 2009 bis 2011 ca. 16 Aushilfen beschäftigt. Der Kläger ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich und setzte bis 2013 ein älteres PC-gestütztes Kassensystem ein, das von dem Vorbesitzer übernommen worden war. In den Streitjahren 2009 bis 2011 wurden in dem Restaurant fast ausschließlich Barumsätze erzielt.

4

Ende 2013 bis Anfang 2016 führte der Beklagte bei dem Kläger mit Unterbrechungen eine Betriebsprüfung für die Streitjahre durch. Der Betriebsprüfer beanstandete, dass in den Buchführungsunterlagen keine Z-Bons enthalten gewesen seien. Die vorgelegten maschinellen Ausdrucke enthielten unvollständige bzw. fehlerhafte Angaben, wie den Namen des Vorbesitzers des Restaurants, kein vollständiges Datum (Jahreszahl fehlte), keine Uhrzeit, keine fortlaufende Nummerierung, keine Angaben über den Zahlungsweg und keine Angaben zu Stornos. Obwohl Kellnerkonten in der Registrierkasse eingerichtet sein sollten, hätten Ausdrucke über diese Konten nicht vorgelegen. Organisationsunterlagen zur Kasse wie Bedienungsanleitung, Programmieranleitung, Programmierprotokolle hätten nicht vorgelegt werden können. Die auf einem USB-Stick ausgehändigten Kassendaten seien nicht lesbar gewesen; auch nach Aufforderung seien keine maschinell verwertbaren Daten zur Verfügung gestellt worden. Die vom Kläger erklärten Bareinnahmen, Umsatzerlöse und der Wareneinkauf seien mittels der Summarischen Risikoprüfung auf Plausibilität hin überprüft worden. Die Prüfung der Tageskasseneinnahmen habe bei der Zweitziffernuntersuchung eine Gegenwahrscheinlichkeit von 100 % ergeben. Die Überprüfung der Tageseinnahmen anhand der logarithmischen Normalverteilung habe erkennen lassen, dass die erklärten Zahlen deutlich von der zu erwartenden Verteilungskurve abwichen. Die vorgelegten Buchführungsdaten für den Wareneinkauf und für die Erlöse seien durch einen Zeitreihenvergleich überprüft worden. Entgegen der Erwartung verliefen die aus diesen beiden Positionen erstellten Kurven nicht parallel, sondern wiesen erhebliche Gegenläufigkeiten (Wareneinkauf sinkt, Erlöse steigen) bzw. Ablösungen (Wareneinkauf bleibt unverändert, Erlöse steigen) auf. Darüber hinaus stiegen bzw. fielen die Erlöse ungleich stärker, als der dazugehörige Wareneinkauf.

5

Aufgrund dieser Feststellungen verwarf der Betriebsprüfer die Buchführung als nicht ordnungsgemäß und nahm eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. Die Kassendaten seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf natürlichem Wege zustande gekommen. Der Prüfer ermittelte den Rohgewinnaufschlagssatz auf Basis der vorgelegten Buchführungsdaten in Höhe des 80 %-Quantils. Daraus ergab sich ein Rohgewinnaufschlagsatz von 228 %, der zu einem Mehrgewinn in 2010 von ... € (... € zzgl. ... € USt) und in 2011 von ... € (... € zzgl. ... € USt) führte. Für 2009 blieb es bei dem erklärten Rohgewinnaufschlagsatz von 235 %, eine Hinzuschätzung erfolgte nicht.

6

Der Kläger habe im Jahr 2009 einen Betrag in Höhe von ... € als Betriebsausgabe in Form von Fortbildungskosten geltend gemacht. Dabei handele es sich um die im Kaufvertrag vereinbarten Kosten für die Einarbeitung. Dieser Betrag sei aber ausweislich eines Kontoauszugs bereits in 2008 gezahlt worden und könne nicht im Jahr 2009 als Betriebsausgabe anerkannt werden. Diese Kosten könnten auch nicht als Teil des Kaufpreises berücksichtigt, aktiviert und über die Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Es handele sich um die Vergütung einer eigenständigen Leistung des Verkäufers.

7

Ergänzend wird auf den (geänderten) Bericht über die Außenprüfung vom 6. April 2016 sowie die Auswertungen der Summarischen Risikoprüfung Bezug genommen.

8

Der Beklagte erließ auf der Grundlage der Feststellungen der Betriebsprüfung am 26. April 2016 geänderte Steuerbescheide und setzte die Einkommensteuer für 2009 auf ... €, für 2010 auf ... € und für 2011 auf ... €, die Umsatzsteuer für 2010 auf ... € und für 2011 auf ... € sowie den Gewerbesteuermessbetrag für 2009 auf ... €, für 2010 auf ... € und für 2011 auf ... € fest.

9

Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 26. Mai 2016 Einsprüche ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) in Höhe eines Teilbetrags von insgesamt ... €. Mit Bescheid vom 13. Juni 2016 lehnte der Beklagte eine AdV der angefochtenen Bescheide ab. Das Gericht wies einen dementsprechenden Eilantrag des Klägers mit Beschluss vom 31. Oktober 2016 (2 V 202/16) als unbegründet zurück.

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Der Beklagte wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 24. Februar 2017 als unbegründet zurück.

11

Am 27. März 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Der Beklagte sei bereits nicht zur Schätzung befugt gewesen, weil die Buchhaltung keine erheblichen Mängel aufgewiesen habe. Im Rahmen der Betriebsprüfung habe er, der Kläger, alle Ausdrucke und Daten zur Verfügung gestellt, die aus dem veralteten Kassensystem, das auf einer Technik aus dem Jahr 1996 gestammt habe, zu generieren gewesen seien. Ein anderes Dateiformat habe das System nicht herstellen können. Das System habe Bons und Tagesausdrucke als physische Ausdrucke zugelassen. Diese seien im Rahmen der Aufbereitung der Buchführung ausgedruckt und mit den Kassenbelegen im Rahmen der Prüfung ausgehändigt worden. Dass die ausgedruckten Tagessummenbons noch den Namen des Vorbesitzers auswiesen, resultiere aus der fehlenden Umstellung des Kassensystems. Sie enthielten jedoch die Bezeichnung "A X-Straße ..." und seien damit seinem Betrieb zuordenbar. Auch der formelle Mangel einer fehlenden Jahreszahl auf den Tagesbons werde durch die tägliche Erfassung der Erlöse im Kassenbericht und den Abgleich mit dem Barbestand im Betrieb nicht zu einem materiellen Fehler. Von dem Vorbesitzer seien ihm keine Handbücher oder sonstige Organisationsunterlagen für die Kasse übergeben worden.

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Er, der Kläger, wende sich zudem gegen eine Schätzungsbefugnis als Ergebnis der vom Beklagten vorgenommenen Summarischen Risikoprüfung. Ein IT-Fachprüfer seines Prozessbevollmächtigten habe selbst eine Summarische Risikoprüfung auf der Grundlage der Buchhaltungsunterlagen vorgenommen. Danach weise die vom Beklagten vorgenommene Risikoprüfung gravierende Mängel auf. So ergebe sich aus dem als Anlage K 18 vorgelegten Bericht, dass die Zweitstellenanalyse des Beklagten durch den Benford-Test nicht aussagekräftig sei. Bei den von ihm, dem Kläger, erzielten Umsätzen zwischen ... € und ... € könne die Benford-Verteilung der zweiten Ziffer nicht der erwarteten Kurve entsprechen. Auch müsse die Abhängigkeit der Ergebnisse vom Wochentag berücksichtigt werden. Die Wochentage Freitag bis Samstag wiesen wesentlich höhere Ergebnisse aus. Dies führe zwangsläufig zu Abweichungen der Benford-Verteilung sowie beim Chi-Quadrat-Test.

13

Die Hinzuschätzung sei auch der Höhe nach ohne Grundlage.

14

Anhaltspunkte dafür, dass die erklärten Erlöse nicht mit den tatsächlich erzielten Einnahmen übereinstimmten, seien nicht ersichtlich. So habe er, der Kläger, in dem gesamten Prüfungszeitraum ausreichende Gewinne für seine Lebensführung erwirtschaftet. Eine von seinem Prozessbevollmächtigten durchgeführte Geldverkehrsrechnung sei unauffällig gewesen. Die von ihm, dem Kläger, erklärten Rohgewinnaufschlagsätze von 235 % in 2009, von 213 % in 2001 und von 201 % in 2011 bewegten sich im Rahmen der Werte der Richtsatzsammlung.

15

Das Restaurant falle in die Kategorie der Systemgastronomie, bei der der Wareneinsatz überdurchschnittlich hoch sei, weil große Portionen zu günstigen Preisen angeboten würden. Zudem handele es sich um einen kleineren Betrieb der Kette, bei dem Synergieeffekte entfielen. Dass die Wareneinkäufe und Umsatzerlöse nicht linearer verliefen, sei normal und habe verschiedene Gründe. So seien der Verzehr und die Umsätze vom jeweiligen Gästeaufkommen zu den unterschiedlichen Tageszeiten abhängig. Die Umsatzanteile für Frühstück, Mittagstisch, Mittagstischangeboten und Abendessen sowie von Gästen, die nur Getränke konsumierten, variierten. Dies habe zur Folge, dass auch der Wareneinsatz jeweils unterschiedlich verlaufe. Schwankungen ergäben sich auch aus der Wetterabhängigkeit des Geschäfts.

16

Der Anteil des Umsatzes am Mittagstisch habe unterschiedliche Auswirkungen auf das Verhältnis von Umsatz und Wareneinsatz. Im Mittagstisch würden zudem Getränke zu sehr günstigen Preisen abgegeben und Sonderaktionen durchgeführt. Schwund und Verderb in unterschiedlicher Größenordnung wirkten sich auf den Wareneinsatz aus. Im Jahr 2011 habe der EHEC- Skandal stattgefunden, der zu einer vermehrten Entsorgung von Rohkost geführt habe.

17

Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht immer selbst vor Ort sei. Die unterschiedliche Präsenz habe Auswirkungen auf den Wareneinsatz. Dieser sei effektiver, wenn der Kläger im Betrieb sei. Schwankungen entstünden auch aus Qualitätsunterschieden bei den Lieferanten und einer erheblichen Verderblichkeit frischer Ware. Darüber hinaus seien die Qualität der Waren und die Tagesform der Mitarbeiter ausschlaggebend. Qualitätsprobleme mit Preisnachlässen und/oder Gutscheinen gegenüber Kunden entwickelten sich nicht proportional zu den Erlösen.

18

Zudem sei der nicht-lineare Verlauf der Wareneinsätze und der Umsatzerlöse auch darauf zurückzuführen, dass Umsätze und Wareneinsätze nicht gleichlaufend erfasst bzw. getätigt worden seien. Eine tägliche Zuordnung der Wareneinsätze zu den Umsatzerlösen sei nicht möglich. Durch die fehlende monatliche Erfassung des Warenbestandes ergäben sich zwangsläufig gegenläufige Entwicklungen bei einzelnen Monaten zwischen Umsatz und Wareneinsatz. In der Anlage K 19 würden die Auswirkungen einer monatlichen Erfassung des Warenbestandes dargestellt. Auch falle in Monaten mit 5 Wochenenden in der Regel verhältnismäßig weniger Wareneinsatz an. Der Beklagte habe nur die Rechnungen der Firma C in Bezug auf den Lieferungszeitpunkt berücksichtigt. Deshalb komme es in einigen Monaten zu unrealistischen Rohgewinnaufschlagsätzen.

19

Der sinkende Rohgewinnaufschlagsatz 2010 bis 2011 habe vielfältige Ursachen. Im Frühjahr 2011 habe der EHEC-Skandal erhebliche Auswirkungen auf die Rohgewinnaufschlagsätze der Gastronomie gehabt. Aus einer Auflistung der Einkaufspreise der Hauptkostenträger (Anlage K 20) ergebe sich, dass insbesondere in 2011 die Einkaufspreise erheblich gestiegen seien, während die Preise der Speisekarte erst ab August 2011 angehoben worden seien.

20

Für ihn, den Kläger, habe der Servicegedanke in Vordergrund gestanden. Ihm sei es darauf angekommen, dass sein Betrieb genügend Liquidität erwirtschafte und dass die Gäste zufrieden seien.

21

Der Beklagte berücksichtige nicht, dass die Verwendung des Zeitreihenvergleichs als Grundlage für eine Schätzung nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur unter engen Voraussetzungen zulässig sei. Ein interner Betriebsvergleich für die Jahre 2009 bis 2014 (Anlage K 22) ergebe, dass die vom Beklagen vorgenommenen Umsatzhinzuschätzungen weder vom Betrag her noch in Bezug auf die Rohgewinnaufschlagsätze erzielt worden seien.

22

Die Kürzung der Betriebsausgaben um die Kosten der Einarbeitung von ... € sei rechtswidrig. Diese Kosten seien im Zusammenhang mit dem Erwerb des Betriebs angefallen.

23

Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2011, die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2009 bis 2011 und die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011, alle vom 26. April 2016 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2017, aufzuheben.

24

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

25

Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Die Buchführung des Klägers sei in den Streitjahren nicht ordnungsgemäß gewesen, so dass die Voraussetzungen für eine Hinzuschätzung vorgelegen hätten. Die auf einem USB-Stick überreichten Daten seien systembedingt für den Prüfer nicht auslesbar gewesen. Die Schätzung sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Sie sei maßvoll und liege unter dem Mittelwert der Richtsatzsammlung. Dies zeige, dass damit alle möglichen Unsicherheiten zugunsten des Klägers berücksichtigt worden seien. Insbesondere sei die Preisentwicklung in die Schätzung mit eingeflossen. Erhebliche Preissteigerungen hätten sich aus den Unterlagen zudem nicht ergeben. Die Einkaufspreise hätten vielmehr bis 2011 innerhalb einer kleinen Bandbreite geschwankt und hätten sich erst 2011 insgesamt erhöht, was dann zu einer Preiserhöhung des Klägers geführt habe. Auch wenn der BFH in einem Eilverfahren die Schätzung anhand des Zeitreihenvergleichs kritisch gesehen habe, sei eine Schätzung unter Heranziehung der Richtsatzsammlung zulässig. Der Zeitreihenvergleich habe erhebliche Gegenläufigkeiten bzw. Ablösungen ergeben. Dies lasse den Schluss zu, dass die Buchhaltungsdaten manipuliert worden seien. Zudem entwickelten sich die Erlöse steigend oder fallend stärker als die dazugehörigen Wareneinkäufe und es habe zwischen den einzelnen Monaten erhebliche Schwankungen bei den Rohgewinnaufschlagsätzen gegeben.

26

In einem Erörterungstermin am 6. September 2018 haben die Beteiligten eine übereinstimmende Erledigungserklärung abgegeben. Der Kläger hatte sich einen Widerruf bis zum 14. September 2018 vorbehalten, den er am 12. September 2019 ausgeübt hat. Auf den Inhalt des Protokolls über den Erörterungstermin wird ergänzend Bezug genommen.

27

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Juni 2019 gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Einzelrichter übertragen.

28

Dem Gericht haben die Rechtsbehelfsakte und die BP-Arbeitsakten zu der Steuernummer ... vorgelegen, sowie die Gerichtsakte des Eilverfahrens (2 V 202/16). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der in diesem Verfahren vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

29

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

I.

30

Über die Klage ist durch Urteil zu entscheiden. Der Rechtsstreit hat sich nicht vorher erledigt. Die Beteiligten haben zwar im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 6. September 2018 den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hatte sich aber den Widerruf der Erledigungserklärung bis zum 14. September 2018, 12.00 Uhr, Eingang bei Gericht, vorbehalten. Ein solcher Widerruf ist am 12. September 2018 bei Gericht eingegangen. Damit ist die Erledigungserklärung des Klägers nicht wirksam geworden. Ihre Wirksamkeit stand unter der aufschiebenden Bedingung, dass innerhalb der vorbehaltenen Frist kein Widerruf ausgeübt wird. Ein solcher Vorbehalt ist als sogenannte innerprozessuale Bedingung zulässig (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 FGO Rn. 18 m.w.N.). Damit liegen keine übereinstimmenden Erledigungserklärungen vor, ist die im Erörterungstermin verkündete Kostenentscheidung obsolet geworden und sind die Beteiligten nicht an die im Termin erfolgten Zusagen gebunden.

31

Ausweislich des Protokolls über den Erörterungstermins erklärte der Beklagte auf Vorschlag des Gerichts, er werde den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2009 dahingehend ändern, dass ein Firmenwert in Höhe von ... € aktiviert werde und der Beginn der Abschreibungszeit am 1. Januar 2009 liege. Die Bescheide für 2010 und 2011 sollten nach den Erklärungen der Beteiligten bezüglich der Hinzuschätzungen unverändert bleiben. Diese Erklärungen waren ausweislich des Sinnzusammenhangs des Protokolls davon abhängig, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, was indes nicht erfolgt ist. Dieses Verständnis haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 4. September 2019 ausdrücklich bestätigt.

II.

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Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2011, die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2009 bis 2011 und die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten.

33

Der Beklagte geht zutreffend davon aus, dass die streitgegenständliche Schätzung der Umsatzerlöse dem Grunde (1) und der Höhe (2) nach rechtmäßig ist; zudem sind die vom Kläger für die Einarbeitung an den Verkäufer gezahlten ... € in den Streitjahren nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen (3).

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1. a) Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO bestimmt, dass § 162 AO entsprechend gilt, so dass dem Finanzgericht eine eigene Schätzungsbefugnis zukommt. Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nicht nach §158 AO zugrunde gelegt werden können. Danach sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Nur wenn die Würdigung des Sachverhalts ergibt, dass eine formell ordnungsgemäße Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist, kann das Ergebnis der Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 14. Dezember 2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; vom 24. Juni 1997, VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51; BFH, Beschluss vom 14. August 2018, XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1).

35

Für die Prüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls maßgebend (BFH, Urteil vom 14. Dezember 2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921). Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (vgl. BFH, Urteile vom 17. November 1981, VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430; vom 26. Oktober 1994, X R 114/92, BFH/NV 1995, 373; vom 7. Juni 2000, III R 82/97, BFH/NV 2000, 1462; vom 14. Dezember 2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; BFH, Beschluss vom 14. August 2018, XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1). Ob im Einzelfall nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung. Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen (BFH, Urteile vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; vom 14. Dezember 2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; BFH, Beschluss vom 12. Juli 2017, X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204).

36

Wer sich einer elektronischen Registrierkasse bedient, muss neben den sogen. Z-Bons auch eine lückenlose Dokumentation zur Kassenprogrammierung aufbewahren. Das Fehlen einer solchen Dokumentation steht in seinen Auswirkungen auf die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der Eröffnung der Schätzungsbefugnis dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse bzw. dem Fehlen täglicher Protokolle über das Auszählen einer offenen Ladenkasse gleich. In allen drei Fällen lässt der formelle Mangel zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre (BFH, Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl. II 2015, 743). Maßgeblich für eine Hinzuschätzung ist somit, dass die Verletzung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung dazu führt, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen geboten wird (BFH, Beschluss vom 14. August 2018, XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1). Eine zusätzliche Feststellung materieller Buchführungsmängel ist in solchen Fällen für die Begründung einer Schätzungsbefugnis nicht erforderlich (BFH, Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl. II 2015, 743).

37

b) Die Buchführung des Klägers war in den Streitjahren formell nicht ordnungsgemäß, sondern wies gravierende Mängel auf. Sie kann deshalb der Besteuerung nicht in Gänze zugrunde gelegt werden, so dass eine Hinzuschätzung geboten ist. Die Kassenbuchführung weist schwerwiegende Mängel auf. Der Kläger tätigte in den Streitjahren ganz überwiegend Bargeschäfte. Deshalb kommt der Kassenbuchführung eine besondere Bedeutung zu.

38

aa) Die Buchführung muss nach § 145 Abs. 1 AO so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Aufzeichnungen sind so vorzunehmen, dass der Zweck, den sie für die Besteuerung erfüllen sollen, erreicht wird (§ 145 Abs. 2 AO). Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Aufzeichnungen dürfen gemäß § 146 Abs. 4 AO nicht in der Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist.

39

bb) Der Kläger hat ein PC-gestütztes Kassensystem genutzt. Die Daten der Kassenaufzeichnungen konnten nicht auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft werden. Zwar hat der Kläger gemäß der nach § 147 Abs. 6 AO bestehenden Verpflichtung die Daten dem Betriebsprüfer auf einem USB-Stick zur Verfügung gestellt. Jedoch konnten die Daten nicht lesbar gemacht werden. Wer aufzubewahrende Unterlagen in Form einer Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern vorlegt, ist nach § 147 Abs. 5 AO verpflichtet, diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um die Unterlagen lesbar zu machen. Ein Programm, um die Daten lesbar zu machen, hat der Kläger trotz Aufforderung nicht zur Verfügung gestellt. Unabhängig davon, ob er überhaupt dazu in der Lage gewesen ist, führt die Nichtvorlage von lesbaren Kassendaten zu einem gravierenden Buchführungsmangel. Die Regelungen des § 147 Abs. 5 und 6 AO wurden durch Gesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl. I 2000, 1433) eingeführt, so dass der Kläger sich darauf hat einstellen können.

40

Darüber hinaus liegt ein formeller Mangel der Buchführung auch darin, dass die Organisationsunterlagen für das benutzte Kassensystem nicht vorgelegt werden konnten. Handbücher, Programmierprotokolle, die nachträgliche Änderungen dokumentieren, und weitere derartige Unterlagen sind nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO als sonstige Organisationsunterlagen aufbewahrungspflichtig (BFH-Urteil vom 25.03.2015 X R 20/13, BStBl. II 2015, 743). Das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation der Kassenprogrammierung stellt nach den obigen Darlegungen schon für sich allein einen gravierenden Buchführungsmangel dar, der eine Schätzungsbefugnis begründet. Der Kläger wird nicht dadurch entlastet, dass es sich um ein älteres Kassensystem aus 1996 handelte und dass er dieses von dem Vorbesitzer übernommen hat. Auch in diesem Fall obliegt es ihm, dafür Sorge zu tragen, dass er die entsprechenden Unterlagen vorlegen kann und insbesondere über Programmierprotokolle vorgenommene Änderungen nachverfolgt werden können. Auf die Organisationsunterlagen kann auch nicht verzichtet werden, weil die vom Kläger verwendete elektronische Kasse trotz ihrer Programmierbarkeit ausnahmsweise keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet hat. Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht und eine Unveränderbarkeit der Programmierung wird selbst vom Kläger nicht behauptet.

41

Schließlich konnte die Vollständigkeit und Richtigkeit der Kassenführung auch nicht auf der Grundlage der Z-Bons geprüft und festgestellt werden.

42

Nach den nicht widersprochenen Feststellungen des Prüfers befanden sich in der Buchführung keine nach § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO aufzubewahrende Z-Bons. Die nach den Angaben des Klägers nachträglich im Zusammenhang mit der Aufbereitung der Buchführung erstellten maschinellen Ausdrucke enthielten nicht die erforderlichen Angaben. Den vorgelegten Ausdrucken konnte nicht entnommen werden, ob es sich um einen Zwischenbon oder einen Tagesendsummenbon handelt. Die Vollständigkeit konnte nicht festgestellt werden, denn die Ausdrucke waren nicht fortlaufend nummeriert. Zudem enthielten sie keine Angaben zu Stornos, kein vollständiges Datum und liefen auf den Namen des Vorbesitzers. Zwar wäre der falsche Name auf den Ausdrucken allein noch kein Kriterium, die Tauglichkeit der Unterlagen zu verwerfen. Die anderen Mängel, insbesondere die fehlenden vollständigen Daten, die fehlende fortlaufende Nummerierung und die fehlenden Angaben zu Stornos, machen die Ausdrucke aber derart wenig aussagekräftig, dass sie im Ergebnis gänzlich fehlenden Z-Bons gleichzustellen sind.

43

2) Da die Buchführung der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden kann, liegen die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. Das Gericht folgt im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO) im Ergebnis der (Hinzu-)Schätzung von Umsatzerlösen des Beklagten und sieht sie als maßvoll und sachgerecht an.

44

aa) Im Rahmen der Schätzung können Tatsachenfeststellungen auch mit einem geringeren Grad an Überzeugung getroffen werden, als dies in der Regel geboten ist. Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit verringert sich dabei so weit, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf. Das gewonnene Schätzungsergebnis muss aber schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH, Beschluss vom 13. Oktober 2003, IV B 85/02, BStBl. 2004, 25). Die Auswahl zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes bzw. des Finanzgerichts. Ermessensleitend ist dabei das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen (BFH, Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl. II 2015, 743).

45

bb) Im vorliegenden Fall hat der Beklagte seine Schätzung auf der Grundlage des höchsten Rohgewinnaufschlagsatzes des 80 %-Quantils eines Jahres vorgenommen und den so ermittelten Prozentsatz (228%) für die Jahre 2010 und 2011 angewendet. Diese Methode führt denklogisch immer zu einem Mehrergebnis, auch wenn dies durch die Bereinigung von Extremwerten in der Höhe geringer ausfällt. In der Rechtsprechung des BFH wird eine solche Schätzungsmethode kritisch gesehen und sie ist danach jedenfalls nur unter engen Voraussetzungen unter Berücksichtigung aller betrieblichen Besonderheiten zulässig (vgl. BFH, Beschluss vom 12 Juli 2017, X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204; BFH, Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BStBl. II 2015, 743), während im Schrifttum vor allem Autoren, die in der Finanzverwaltung tätig sind, die Quantilsschätzung für eine sachgerechte Schätzungsmethode halten (vgl. z.B. Schumann/Wähnert, Stb 2012, 535; Becker, DStR 2016, 1430, 1435). Auch der Kläger hat methodische Einwände gegen die Quantilsschätzung des Beklagten geltend gemacht.

46

cc) Die gegen die Quantilsschätzung geltend gemachten Einwände können vorliegend dahingestellt bleiben. Das Gericht wendet diese Methode für seine eigene Schätzung nicht an, hält den für die Jahre 2010 und 2011 vom Beklagten angewandten Rohgewinnaufschlagsatz von 228 % und die auf dieser Grundlage erfolgten Schätzung der betrieblichen Erlöse von ... € netto in 2010 (Mehrerlös: ... € netto) und ... € netto in 2011 (Mehrerlös: ... € netto) aber aus anderen Gründen für sachgerecht und maßvoll.

47

(1) Eine verlässliche Schätzung auf der Grundlage eines inneren Betriebsvergleichs nach anderen Methoden ist vorliegend nicht möglich.

48

Das Speisenangebot des Restaurants des Klägers ist sehr vielfältig und die Relevanz der einzelnen Warengruppen bei der Einnahmeerzielung ist schwer bis gar nicht ermittelbar. Hinzu kommt, dass der Kläger auch Mittagstische mit günstigeren Preisen für Speisen und Getränke im Angebot hatte und nach seinen Angaben in den Streitjahren Sonderaktionen durchgeführt hat. Damit scheidet eine verlässliche betriebsinterne Ausbeutekalkulation (für Speisen und Getränke) aus.

49

Eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung ist vorliegend nicht durchführbar. Die Vermögenszuwachsrechnung und Geldverkehrsrechnung beruhen auf dem Grundgedanken, dass ein Steuerpflichtiger während eines bestimmten Zeitraums so viele Einkünfte - aus welcher Quelle auch immer - erzielt haben muss, wie er während dieses Zeitraums an Vermögen gebildet und an Werten verbraucht hat. Um diesen Grundgedanken zu verwirklichen, müssen im Wege der Verprobung die Geldflüsse innerhalb des Haushalts des Steuerpflichtigen nachvollzogen werden (BFH, Urteil vom 8. November 1989, X R 178/87, BStBl. II 1990, 268; FG Hamburg, Urteil vom 5. März 2018, 3 K 205/15, EFG 2018, 1081). Die Anwendung dieser Schätzungsmethode setzt voraus, dass das Finanzamt bzw. des Finanzgericht in der Lage sind, die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen (BFH, Urteil vom 28. Mai 1986, I R 265/83, BStBl. II 1986, 732; FG Hamburg, Urteil vom 5. März 2018, 3 K 205/15, EFG 2018, 1081). Im Streitfall kann die Höhe der Mehrerlöse des Klägers nicht anhand einer Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung geschätzt werden, denn dafür müssten die Vermögenszuwächse und Geldflüsse innerhalb des gesamten Haushalts überprüft werden. Dazu ist das Gericht anhand der ihm vorliegenden Steuerakten nicht imstande. Der Kläger hat diesbezüglich auch keine substantiierten Angaben gemacht und belegt.

50

(2) Eine Schätzung kann aber auf der Grundlage eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen durchgeführt werden. Darin werden die Betriebsergebnisse zahlreicher von der Finanzverwaltung geprüfter Betriebe unterschiedlicher Gewerbeklassen ausgewertet. Sie bietet somit verlässliche Anhaltspunkte für die erzielten und erzielbaren Rohgewinnaufschlagsätze. Für Gast-, Speise- und Schankwirtschaften lagen die Rohgewinnaufschlagsätze im Jahr 2010 und 2011 zwischen 186 und 400 % (gewichteter Mittelwert 257 %). Im Jahr 2009 lagen die Sätze zwischen 170 und 335 % (gewichteter Mittelwert 233%).

51

Der Kläger hat nach seinen Erklärungen im Jahr 2009 einen Rohgewinnaufschlagssatz von 235 %, im Jahr 2010 von 213 % und im Jahr 2011 von 201 % erzielt. Er liegt somit in allen Jahren im Rahmen der Bandbreite der Sätze der Richtsatzsammlung, im Jahr 2009 sogar über dem Mittelwert, während die erklärten Werte in 2010 und 20[1]1 rückläufig sind und weit unter dem Mittelwert (257 %) der Richtsatzsammlung liegen. Deren Werte sind in 2010 und 2011 sogar deutlich gegenüber 2009 gestiegen. Der Rückgang der erklärten Rohgewinnaufschlagsätze ist auffällig und vom Kläger nicht hinreichend nachvollziehbar erläutert worden. Er deutet vielmehr darauf hin, dass der Kläger nicht alle Einnahmen erfasst hat und der Rohgewinnaufschlagssatz eigentlich höher lag.

52

Der Kläger hat seinen Betrieb erst zum Beginn des Jahres 2009 eröffnet. Auch wenn er bereits vorher Erfahrungen in der Geschäftsführung einer B-Filiale hatte, wäre es eher zu erwarten gewesen, dass der Rohgewinnaufschlagsatz wegen einer Einarbeitungsphase und der sich zunehmend optimierenden betrieblichen Abläufe im Erstjahr schlechter ausfällt, als in der Folgezeit. Jedenfalls hätte der Rohgewinnaufschlagsatz bei nur gleichbleibender Weiterbewirtschaftung - unabhängig von einer ggf. nicht sehr intensiven Beobachtung des Betriebsergebnisses -, über die Jahre in etwa gleichbleiben müssen, sofern keine Besonderheiten vorgelegen haben. Dass sich betriebliche Abläufe wesentlich verändert haben, in einem Jahr verstärkt Rabattaktionen angeboten worden sind oder sich in anderer Weise Veränderungen bei den Verzehrgewohnheiten seiner Gäste (z. B. starker Anstieg beim Mittagstisch) ergeben haben, behauptet auch der Kläger nicht. Er benennt Rabattaktionen, Mittagstisch bzw. Frühstück, Qualität und Tagesform der Mitarbeiter, Schwund sowie Verderb in unterschiedlichen Größenordnungen, Wetterabhängigkeiten allgemein als Gründe für die Abweichungen zwischen Wareneinsatz und Umsatzerlösen über den gesamten Streitzeitraum. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Struktur des Betriebes seit 2009 wesentlich geändert hat, ergeben sich daraus nicht.

53

Soweit der Kläger für das Jahr 2011 auf den sogen. EHEC-Skandal verweist und damit eine erhöhte Vernichtung von Rohkostwaren sowie enorme Auswirkungen auf die Rohgewinnaufschlagsätze in der Gastronomie geltend macht, kann dies den in 2011 gegenüber 2010 nochmals gesunkenen Rohgewinnaufschlagsatz nicht erklären. Zum einen fehlt es an einer nachvollziehbaren Quantifizierung der angeblich vernichteten Rohkostwaren. Zum anderen ist ausweislich der Richtsatzsammlung 2011 - trotz EHEC-Skandals - kein Rückgang der Rohgewinnaufschlagsätze in der Gastronomie zu verzeichnen.

54

Die vom Kläger mit der Anlage K 20 für einzelne Warengruppen geltend gemachten Erhöhungen bei den Lebensmittelpreisen von 2009 auf 2010 und 2011 (Putensteak 170 g.; Schweine-Oberschale 170 g.; Schweine-Rückensteak 180 g., Hüftsteak südamerikanisch 180 g.; H-Sahne 30 % 1000 ml.; Mehl 630+ PT 25 kg.; Räucherlachs; Pommes Frites) machen durch einen erhöhten Wareneinsatz verringerte Rohgewinnaufschlagsätze nicht hinreichend plausibel. Zum einen werden die Eingangspreise nur für einen Teil der Waren aufgezeigt, deren Anteil am Gesamtumsatz zudem unklar bleibt, und gewichtige Warengruppen (etwa Getränke) fehlen. Aus den Tabellen und Grafiken des Klägers kann deshalb nicht hinreichend verlässlich auf einen gestiegenen Wareneinsatz geschlossen werden. Zum anderen sind die Preise schwankend und zum Teil zwischenzeitlich auch wieder stark gesunken (etwa für Mehl im Zeitraum September 2009 bis September 2010) oder lange Zeit gleich geblieben (für Pommes Frites von Januar 2009 bis März 2011). Ab etwa Frühjahr/Mitte 2011 ist zwar in den aufgeführten Warengruppen fast durchgängig ein Preisanstieg zu verzeichnen. Ab August 2011 hat der Kläger nach eigenen Angaben aber seine Preise erhöht, womit Preissteigerungen beim Wareneinkauf aufgefangen werden konnten.

55

Soweit der Kläger auf die von ihm für 2009 bis 2014 ermittelten Rohgewinnaufschlagsätze verweist (215 % für 2012, 196 % für 2013 und 220 % für 2014) ist dies nicht hinreichend aussagekräftig für die in den Streitjahren erzielbaren Sätze und wirft ebenfalls Fragen der Plausibilität auf.

56

Der Wert von 228 % als anzuwendender Rohgewinnaufschlagsatz liegt noch weit unter dem gewichteten Mittelwert der Richtsatzsammlung (257 %) und unter dem vom Kläger für 2009 selbst erklärten - und damit erzielbaren - Wert von 235 %; Letzterer übersteigt sogar den Mittelwert der Richtsatzsammlung 2009 (233 %). Damit werden im Ergebnis zugunsten des Klägers großzügig alle Unsicherheiten berücksichtigt, die eine Abweichung vom Mittelwert nach unten gebieten könnten, wie etwa die Besonderheiten der Systemgastronomie (große Portionen zu günstigen Preisen, Mittagstische und Sonderaktionen), fehlende Synergieeffekte, Qualitätsunterschiede und schwankende Verderbe sowie Preisanstiege für einzelne Warengruppen.

57

3. Der vom Kläger für die Einarbeitung an den Verkäufer gezahlte Betrag von ... € ist in den Streitjahren nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen.

58

a) Ein sofortiger Abzug als Betriebsausgabe (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG) in 2009 oder später scheidet aus. Die Verpflichtung des Verkäufers zur Einarbeitung des Klägers bis Ende 2018 stammt aus § 8 Abs. 3 Satz 1 des Kaufvertrages vom ... 2008. Der dafür vom Kläger geschuldete Betrag von ... € war sofort nach Vertragsunterzeichnung fällig und ist ausweislich eines Kontoauszugs des Klägers auch am ... November 2008 überwiesen worden. Ein sofortiger Betriebsausgabenabzug kommt somit nur im Jahr 2008 in Form von vorweggenommen Betriebsausgaben in Betracht (vgl. dazu etwa Loschelder in Schmidt, EStG 38. Aufl. 2019, § 4 EStG Rn. 484).

59

b) Mit dem Betrag von ... € ist auch kein zu aktivierendes und abzuschreibendes (§ 7 Abs. 1 Satz 1 EStG) Wirtschaftsgut angeschafft worden. Es liegen keine Anschaffungskosten im Sinne von § 255 des Handelsgesetzbuches (HGB) vor.

60

Nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Anschaffungskosten alle Aufwendungen, die unter anderem geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben, ihn also von der fremden in die eigene Verfügungsmacht zu überführen. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die Nebenkosten des Erwerbs, die alle im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Anschaffungsvorgang verbundenen Kosten umfassen (vgl. BFH, Urteile vom 19. April 1977, VIII R 44/74, BStBl. II 1977, 600; vom 20. April 2011, I R 2/10, BStBl. II 2011, 761; vom 2. September 2014, IX R 50/13, BStBl. II 2015, 260). Nicht entscheidend ist, ob diese Nebenkosten bereits vor oder im Zeitpunkt des Erwerbs oder erst im Anschluss hieran als Folgekosten des Erwerbsvorgangs entstehen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Juni 1978, GrS 1/77, BStBl. II 1978, 620; BFH, Urteile vom 3. Juli 1997, III R 114/95, BStBl. II 1997, 811; vom 2. September 2014, IX R 50/13, BStBl. II 2015, 260).

61

Allerdings können Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts nur solche Kosten sein, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten dessen Beschaffung tatsächlich zuzuordnen sind. Hierzu ist ein bloßer kausaler oder zeitlicher Zusammenhang mit der Anschaffung nicht ausreichend. Vielmehr kommt es auf die Zweckbestimmung der Aufwendungen an (finaler Begriff der Anschaffungskosten, vgl. BFH, Urteile vom 13. Oktober 1983, IV R 160/78, BStBl. II 1984, 101; vom 2. September 2014, IX R 50/13, BStBl. II 2015, jeweils m.w.N.).

62

Mit den streitgegenständlichen Aufwendungen von ... € ist kein besonderer Vermögensgegenstand, etwa in Form des Geschäfts- oder Firmenwerts, erworben worden, sondern sie sind vom Kläger für eine im Kaufvertrag geregelte zusätzliche besondere Leistung des Verkäufers - die Einarbeitung des Klägers - geleistet worden. Auch wenn die Einarbeitung im Zusammenhang mit dem Erwerb des Betriebs stand und der dafür geschuldete Betrag von ... € nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Kaufvertrags in voller Höhe auf den Kaufpreis von ... € angerechnet werden sollte, stellte er nach seiner Zweckbestimmung die Vergütung einer eigenständigen besonderen Leistung des Verkäufers dar und war nicht Teil des Preises für die veräußerten Wirtschaftsgüter. Dieser Preis verminderte sich vielmehr um die anzurechnenden ... € mit dem wirksamen Zustandekommen des Kaufvertrags, der nach § 5 Abs. 3 des Vertrags unter mehreren aufschiebenden Bedingungen stand. Der Umstand, dass der Verkäufer in seiner Rechnung vom 17. Februar 2009 einen Betrag von ... € als "Anzahlung Oktober 2008" aufgeführt hat, womit offenbar der für die Einarbeitung geschuldete Betrag gemeint ist, obwohl dieser erst im November 2008 geleistet worden ist, ändert nichts an dieser Beurteilung. Entscheidend für die Einordnung als Gegenleistung für eine besondere Leistung des Verkäufers sind die Regelungen im Kaufvertrag. Zudem zeigt die Regelung in § 8 Abs. 3 Satz 4 des Kaufvertrags, wonach der Kläger auf eine Rückforderung des Betrags verzichtet, wenn er ein Scheitern der Betriebsübernahme zu vertreten hat, dass der Betrag von ... € nicht für die Anschaffung der betrieblichen Wirtschaftsgüter gezahlt werden sollte.

III.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

64

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO).

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