Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 22/18

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Einreihung von getrockneten Rinderohren und Dörrfleisch.

2

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 und 15. April 2016 beantragte der Kläger die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (vZTAe) für verschiedene getrocknete Schlachtnebenerzeugnisse, die er für genießbar i.S.d. Position 0210 KN hält. Vorliegend geht es um getrocknete Rinderohren und Dörrfleisch, das von der Speiseröhre des Rindes abgeschabt wird (im Folgenden: die Waren). Die Waren sind als Zwischenmahlzeit für Hunde bestimmt und für den Einzelverkauf oder den Großhandel aufgemacht (Verpackung mit bzw. ohne Etikett). Die Lieferantin des Klägers kauft die Waren, die bei der Schlachtung von Rindern in indischen Lebensmittelbetrieben anfallen, im frischen Zustand an. Sie werden enthaart, gereinigt und trocknen ohne weitere Zusätze in der Sonne. Bei der Einfuhr riechen sie streng.

3

Mit vZTA XXX-1 vom 2. Dezember 2016 reihte der Beklagte die Rinderohren, in Plastiksäcken ohne Etikett mit einem Inhalt von 50 bzw. 100 Stück verpackt, als "Waren tierischen Ursprungs, anderweit weder genannt noch inbegriffen, andere als in den Codenummern 0511 1000 000 bis 0511 9985 200 genannt, ungenießbar" in die TARIC-Unterposition 0511 9985 900 ein. Mit vZTA XXX-2 vom 5. Dezember 2016 reihte der Beklagte das Dörrfleisch, in Plastiksäcken mit Etikett und einem Inhalt von 1 bis 5 kg verpackt, in dieselbe Unterposition ein.

4

Mit Schreiben vom 2. Januar 2017 legte der Kläger gegen die vZTAe Einspruch ein. Die Waren seien als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse (Position 0210 KN), hilfsweise als Zubereitungen von der zur Fütterung verwendeten Art (Position 2309 KN) einzureihen. Nach der Rechtsprechung des BFH (VII R 65/13) zu getrockneten Schweineohren, die als Tierfutter verwendet würden, verlören Schlachtnebenerzeugnisse auch dann nicht generell ihre Eignung zum menschlichen Verzehr, wenn sie in einem Betrieb getrocknet worden seien, der die Anforderungen des deutschen Lebensmittelrechts nicht erfülle. Vielmehr müssten Umstände hinzutreten, die zum Verderb der Ware führten (z.B. Fäulnis oder Schimmel). Dies treffe auf die Waren nicht zu. Sie würden sowohl vor der Ausfuhr als auch bei der Einfuhr veterinärrechtlich untersucht. Sie seien lediglich lebensmittelrechtlich zur menschlichen Ernährung ungeeignet. Dörrfleisch würde auch als Snack für den menschlichen Verzehr angeboten. Nach der Rechtsprechung des BFH könne sich die Ungenießbarkeit nicht aus der Verwendung als Tierfutter ergeben. Auch das EuGH-Urteil vom 28. April 2016, C-233/15 (Oniors Bio) zwinge nicht zu diesem Schluss. Das technische Verfahren für die Zubereitung der Ölmischung, um das es in jenem Verfahren gegangen sei, sei zur Lebensmittelherstellung ungeeignet gewesen, da eine Verunreinigung mit einem Vergällungsmittel nicht habe ausgeschlossen werden können. Die mangelnde Eignung zum menschlichen Verzehr habe daher schon dem Herstellungsverfahren innegewohnt, was vorliegend gerade nicht der Fall sei.

5

Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Januar 2018 (xxx-1 + xxx-2) wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Von Kapitel 2 KN würden Schlachtnebenerzeugnisse erfasst, sofern sie genießbar, also zum menschlichen Ernährung geeignet, seien. Nach Anmerkung 1 Buchst. a) zu Kapitel 2 KN gehörten ungenießbare Waren der Position 0201 bis 0208 und 0210 nicht zum Kapitel 2 KN. Sie würden der Position 0511 KN zugewiesen, sofern sie keine über das Kapitel 5 hinausgehende Be- oder Verarbeitung erfahren hätten.

6

Das Urteil des BFH vom 7. Juli 2015 (VII R 65/13) behandele die Prüfung der (Un-)Genießbarkeit nach dem UStG. Für die zolltarifliche Einreihung sei auf das EuGH-Urteil Oniors Bio abzustellen, wonach für die Frage der (Un-)Genießbarkeit alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalles heranzuziehen seien. Danach sei auf die Angaben des Veterinärs, die Angaben in Transportbescheinigungen, die Materialbezeichnung (z. B. K3-Material), die Herstellerbezeichnung, die Zulassung des Herstellers, die Aufmachung und den tatsächlichen Verwendungszweck abzustellen.

7

Nach den ergänzenden Angaben der Klägerin handele es sich um Futtermittel, bei dem sich die Transportbedingungen nach dem Standard für Futtermittel richteten. Auch im Gemeinsamen Veterinärdokument für die Einfuhr würde die Ware als Futtermittel deklariert. Aus dem genannten EuGH-Urteil werde deutlich, dass es nach der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 verboten sei, gesundheitsschädliche oder für den menschlichen Verzehr ungeeignete Waren als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Dieser Hinweis des EuGH finde sich auch in den Erläuterungen zur Position 0511 KN wieder. Danach würden von dieser Position neben den ungenießbaren Waren auch die für die menschliche Ernährung ungeeigneten Erzeugnisse erfasst. Nach diesen Kriterien seien die Waren als für die menschliche Ernährung ungeeignete Erzeugnisse anzusprechen.

8

Die hilfsweise begehrte Einreihung als Futtermittel der Position 2309 KN komme nicht in Betracht. Der Verlust der Eignung zum menschlichen Verzehr durch Trocknung reiche nicht aus, um eine Ware dem Kapitel 23 KN zuzuweisen. Dies ergebe sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1125/2006. Allein durch das Trocknen verlören die Waren nicht die wesentlichen Merkmale der Ausgangsstoffe, wie dies die Anmerkung 1 zu Kapitel 23 KN verlange. Da keine Mischung verschiedener Nährstoffe zur Fütterung vorlägen, scheide auch eine Einreihung als Zubereitung von der zur Fütterung verwendeten Art der Position 2309 KN aus.

9

Mit der am 22. Februar 2018 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er beruft sich auf seinen vorgerichtlichen Vortrag. Außerdem komme es nach der Rechtsprechung des BFH zur Einreihung getrockneter Schlachtnebenerzeugnisse für die Einreihung in Kapitel 2 KN allein darauf an, ob die Ware genießbar, d. h. für den menschlichen Verzehr geeignet, sei. Dies sei nach objektiven Merkmalen und Eigenschaften der Waren zu bestimmen. Dabei könne nicht auf das nationale Lebensmittelrecht, auf hygienerechtliche Vorschriften oder den Verwendungszweck abgestellt werden. Seien die Schlachtnebenerzeugnisse nicht von vornherein, z. Bsp. durch Fäulnis, verdorben, werde ihre Ungenießbarkeit nicht dadurch begründet, dass sie in einem Betrieb außerhalb der Lebensmittelkette getrocknet würden. Die Waren seien bei Beginn der Trocknung, einem klassischen Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln, frisch. Ansonsten könne der Kläger sie nicht als Futtermittel importieren. Sie seien nach den objektiven Eigenschaften zum Verzehr durch Menschen geeignet, da es sich um Fleisch handele und die Ohren grundsätzlich essbar seien. Das zum Umsatzsteuerrecht ergangene Urteil des BFH müsse auch für die Tarifierung gelten. Das EuGH-Urteil Oniors Bio stehe der Einreihung in Kapitel 2 KN nicht entgegen.

10

Aus dem Beschluss des BFH vom 23. Oktober 2018 (VII R 36/17) ergebe sich, dass genusstaugliche Waren durch Verarbeitung in einem nicht dem deutschen Lebensmittelrecht entsprechenden Betrieb nicht automatisch ihre Eignung zum menschlichen Verzehr verlören. Außerdem sei zur Beurteilung der Genießbarkeit auf die objektiven Eigenschaften und nicht auf den Verwendungszweck der Ware abzustellen.

11

Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der vZTAe XXX-1 vom 2. Dezember 2016 und XXX-2 vom 5. Dezember 2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Januar 2018 (xxx-1 + xxx-2), zu verpflichten, ihm vZTAe zu erteilen, mit der die Waren jeweils in die Unterposition 0210 9959 KN, hilfsweise in die Position 2309 KN eingereiht werden.

12

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

13

Er beruft sich auf seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus: Dem Urteil des BFH VII R 65/13 stehe das EuGH-Urteil Oniors Bio entgegen. Ein ungeeignetes Herstellungsverfahren könne ein Kriterium bei der Frage der Genießbarkeit von Lebensmitteln sein. Um die Genießbarkeit getrockneter Lebensmittel sicherzustellen, müssten für jedes Lebensmittel angepasste technische und hygienische Trocknungsbedingungen eingehalten werden. Dies sei bei den Waren nicht der Fall. Bei ihnen könne kein Konsument sicher sein, ob sie genießbar seien und keine Gefahr für die Gesundheit darstellten. Diese Sicherheit sei aber eine notwendige Eigenschaft von genießbaren Lebensmitteln. Nach dem EuGH-Urteil Oniors Bio stehe die Möglichkeit einer Kontamination der Genusstauglichkeit im Wege. Nach dem Urteil des EuGH in den Rs. C-288/09 und C-289/09 seien auch die Verbraucherabsichten zu berücksichtigen. Auch die Beurteilung durch nationale Lebensmittelbehörden sei ein relevanter Aspekt. Hier würden die Waren in den Veterinärdokumenten des Exportlandes als "dog chew" bezeichnet und bei der Einfuhr als Tierfutter angemeldet. Außerdem sei das Dörrfleisch eindeutig als Hundefutter aufgemacht und rieche sehr unangenehm.

14

Sowohl der Wortlaut des Kapitels 2 KN als auch die Erläuterungen zum Kapitel 2 HS unterschieden in der maßgeblichen englischen Fassung zwischen unsuitable (ungenießbar) und unfit for human consumption (nicht für die menschliche Ernährung geeignet). Es müsse daher neben den z.B. durch Fäulnis oder Ungezieferbefall ungenießbar gewordenen Waren auch Waren geben, die aus anderen Gründen nicht für die menschliche Ernährung geeignet seien. Nach den Erläuterungen zur Position 0511 9985 KN werde auch auf "nicht geeignet eingestuft/klassifiziert" abgestellt. Daher seien die dargestellten weiteren Kriterien zu beachten.

15

Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des BFH VII R 36/17 führe zu keinem anderen Ergebnis. Unter Berücksichtigung aller relevanter Umstände seien die Waren nicht genießbar.

16

Die Auffassung des Beklagten werde auch durch Zolltarifauskünfte der USA, Polens und Irlands gestützt. Hieraus ergebe sich, dass es für die Einreihung in die Position 0511 KN ausreichend sei, dass die Erzeugnisse nicht für die menschliche Ernährung bestimmt seien. In Österreich gehe die unterschiedliche Einreihung von getrockneten Rinderohren in die Position 0511 KN und Schweineohren in die Position 0210 darauf zurück, dass die Rinderohren unangenehm röchen und die Schweineohren der Verordnung (EG) Nr. 1125/2006 unterfielen.

...

Entscheidungsgründe

I.

17

Im Einverständnis der Beteiligten (...) ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79a Abs. 3, Abs. 4 FGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II.

18

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.

19

1. Die Klage bleibt als Verpflichtungsklage zulässig, auch wenn die vZTAe, deren Neuerteilung begehrt wird, nur drei Jahre gültig sind (Art. 33 Abs. 3 UZK) und daher mit Ablauf des 3. bzw. 6. Dezember 2019 (unten 2. e) ungültig wurden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bleibt eine Verpflichtungsklage auf Neuerteilung einer vZTA zulässig für den Zeitraum, in dem die vZTA gültig ist. Eine vZTA ist nämlich ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der sich durch Zeitablauf nur für die Zukunft erledigt. Art. 34 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269, 1, berichtigt durch ABl. 2016 L 267, 2; Unionszollkodex - UZK) regelt ausdrücklich, dass der rückwirkende Verlust der Wirksamkeit einer vZTA nicht möglich ist (FG Hamburg, Urteil vom 24. November 2017, 4 K 75/15, juris, Rn. 18 m.w.N.; bestätigt für die Anfechtungsklage durch BFH, Urteil vom 19. November 2019, VII R 12/18, juris, Rn. 17, 14). Der Rechtschutzsuchende muss so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn die Verwaltung von Anfang an rechtmäßig gehandelt hätte. Sie hätte dann - die Rechtsposition des Klägers als zutreffend unterstellt - vZTAe mit dem begehrten Inhalt erteilt und diese vZTAe wären bis zum 3. bzw. 6. Dezember 2019 gültig. Dieses Ergebnis - nicht mehr, aber auch nicht weniger - muss der Kläger mit seiner Klage erreichen können.

20

2. Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Die Ablehnung von vZTAen, mit denen die Waren jeweils in die Unterposition 0210 9959 KN eingereiht werden, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er einen Anspruch auf solche vZTAe, die gemäß Art. 33 Abs. 1 UZK erteilt werden, hat (§ 101 Satz 1 FGO).

21

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der Kombinierten Nomenklatur festgelegt sind (EuGH, Urteil vom 18. Juni 2020, Hydro Energo, C-340/19, Rn. 34; Urteil vom 6. September 2018, Kreyenhop & Kluge, C-471/17, Rn. 36; Urteil vom 20. November 2014, Rohm Semiconductor, C-666/13, Rn. 24; Urteil vom 17. Juli 2014, Sysmex, C-480/13, Rn. 29 m.w.N.; BFH, Beschluss vom 28. April 2014, VII R 48/13, juris, Rn. 29).

22

Darüber hinaus sind insbesondere die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur und die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) maßgebende, wenn auch nicht rechtsverbindliche Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen (EuGH, Urteil vom 9. Juni 2016, MIS, C-288/15, Rn. 23; Beschluss vom 19. Januar 2005, SmithKline Beecham, C-206/03, Rn. 26; Urteil vom 20. November 2014, Rohm Semiconductor, C-666/13, Rn. 25; Urteil vom 17. Juli 2014, Sysmex, C-480/13, Rn. 30 m.w.N.; BFH, Urteil vom 4. November 2003, VII R 58/02, juris, Rn. 9; Urteil vom 30. Juli 2003, VII R 40/01, juris, Rn. 12). Dasselbe gilt für die Tarifavise zum HS (EuGH, Beschluss vom 19. Januar 2005, Smithkline Beecham, C-206/03, Rn. 24 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 19. November 1975, Rs. 38/[75], Nederlandse Spoorwegen, Slg. 1975, 1439, Rn. 24). Im Gegensatz zu den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, die in allen EU-Vertragssprachen gleichermaßen verbindlich sind (Art. 55 Abs. 1 EUV), sind die Erläuterungen und die Avise zum HS nur in englischer und französischer Sprache authentisch (Bender in Wäger, UStG, 2020, Anh. 2, Rn. 90, 91 ff.).

23

Nach diesem Maßstab handelt es sich bei den Waren um genießbare Schlachtnebenerzeugnisse, getrocknet, von Rindern, andere als Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, der Unterposition 0210 9959 von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif vom 23. Juli 1987 (ABl. L 256, 1; Kombinierte Nomenklatur - KN) in der bei Erlass der vZTAe gültigen Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1754 (ABl. L 285, 1), die bis zum Ende ihrer jeweiligen Gültigkeit (unten e) unverändert geblieben ist (siehe Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602, ABl. L 273, 1).

24

a) Die getrockneten Rinderohren und das Dörrfleisch, die unstreitig Schlachtnebenerzeugnisse darstellen, sind genießbar i.S.d. Position 0210 KN.

25

Das Kapitel 2 KN erfasst neben Fleisch "genießbare Schlachtnebenerzeugnisse" (edible meat offal / abats comestible). Position 0210 KN wiederholt den Wortlaut der Kapitelüberschrift und ergänzt sie um die Behandlungsformen "gesalzen, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert".

26

Der Begriff der Genießbarkeit wird weder in der KN noch im HS definiert. Auslegungshilfen bieten die Anmerkung 1 a) zu Kapitel 2 KN und die Erläuterungen zu Kapitel 2 HS. Nach der Anmerkung 1 a) zu Kapitel 2 KN gehören nicht zu Kapitel 2 die Waren der Positionen 0201 bis 0208 und 0210, die ungenießbar (unfit or unsuitable for human consumption / impropres à l'alimentation humaine) sind. Die englischen und französischen Fassungen dieser Anmerkung sind identisch mit den entsprechenden Fassungen der Anmerkung 1 a) zu Kapitel 2 HS. Nach den Allgemeinen Erläuterungen zum Kapitel 2 HS gehören zu diesem Kapitel nicht Fleisch und Schlachtnebenerzeugnisse unsuitable or unfit for human consumption / impropres à l'alimentation humaine. Dies wird mit "zur menschlichen Ernährung nicht geeignet" übersetzt (ErlKN Rn. 02.0). Die genannten englischen und französischen Ausdrücke unfit or unsuitable for human consumption bzw. impropres à l'alimentation humaine werden damit einmal mit "ungenießbar" (Anmerkung 1 a zu Kapitel 2 KN) und einmal mit "zur menschlichen Ernährung nicht geeignet" (Erläuterungen zum Kapitel 2 HS, ErlKN Rn. 02.0) übersetzt. Da die deutsche Fassung der KN - anders als die deutsche Fassung der Erläuterungen zum HS - rechtlich verbindlich ist, kommt der Bezeichnung "zur menschlichen Ernährung geeignet" in der Übersetzung der Erläuterungen zum Kapitel 2 HS keine eigenständige Bedeutung zu. Das wenig aussagekräftige Zwischenergebnis ist damit, dass nach der Anmerkung 1 a) zu Kapitel 2 KN und den Erläuterungen zu Kapitel 2 HS Schlachtnebenerzeugnisse genießbar sind, wenn sie nicht ungenießbar sind.

27

Anders als der Beklagte meint, hat der Umstand, dass in der englischen Fassung der Erläuterungen zum Kapitel 2 HS (general, 2. Absatz, entspricht ErlKN 02.0) zwischen unsuitable und unfit for human consumption unterschieden wird, keine inhaltliche Bedeutung. Die französische Fassung der Erläuterungen zum Kapitel 2 HS enthält eine solche Differenzierung nämlich nicht. Dort (considerations generales) ist nur von impropres à l'alimentation humaine (2. Absatz) die Rede. Da beide Sprachfassungen gleich verbindlich sind (Art. 20 Abs. 3 HS-Übereinkommen, s. a. Bender, ZfZ 2016, 29, 31), kann nicht davon ausgegangen werden, dass die in der englischen Fassung vorgenommene Differenzierung eine inhaltliche Bedeutung hat. Im Übrigen ist schon die englische Fassung der Erläuterungen zum Kapitel 2 HS sprachlich nicht konsistent. Im ersten Absatz der Allgemeinen Erläuterungen zum Kapitel 2 HS wird nämlich das französische propres à l'alimentation humaine lediglich mit suitable for human consumption - ohne fit - übersetzt.

28

Eine aussagekräftige Auslegungshilfe bietet dagegen die in den Erläuterungen zu Kapitel 2 HS vorgenommene Gruppierung von Schlachtnebenerzeugnissen nach ihren typischen Verwendungszwecken. Nach der deutschen Übersetzung dieser Erläuterungen (ErlKN Rn. 03.0 ff.) gehören zur ersten Gruppe von Schlachtnebenerzeugnissen solche, die hauptsächlich zur menschlichen Ernährung verwendet werden. Als Beispiele werden Köpfe und Teile davon - einschließlich Ohren -, Füße, Schwänze, Herzen, Zungen, Nierenzapfen, Saumfleisch, Bauchnetz, Schlunde und Thymusdrüsen genannt. Die zweite Gruppe betrifft Schlachtnebenerzeugnisse, die nur zur Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse verwendet werden. Als Beispiele werden Gallenblase, Nebenniere und Plazenta genannt. Die dritte Gruppe bezeichnet solche, die sowohl zur Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse als auch zur menschlichen Ernährung verwendet werden. Beispielhaft finden Leber, Niere, Lunge, Hirn, Bauchspeicheldrüse, Milz, Rückenmark, Eierstöcke, Gebärmutter, Hoden, Euter, Schild- und Hirnanhangdrüse Erwähnung. Die vierte Gruppe, in der beispielhaft Häute genannt werden, dienen der menschlichen Ernährung oder zu anderen Zwecken, wie der Herstellung von Leder.

29

Weiter heißt es, dass die zur ersten Gruppe gehörenden Schlachtnebenerzeugnisse, frisch, gekühlt, gefroren, gesalzen, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert, im Kapitel 2 bleiben, außer in den Fällen, in denen sie, da verdorben und zur menschlichen Ernährung nicht geeignet, der Position 0511 HS zuzuweisen sind (ErlKN Rn. 08.0).

30

Aus dieser Aufzählung von Schlachtnebenerzeugnissen und typischen Verwendungszwecken folgt zum einen, dass es ausschließlich auf die ernährungsphysiologische Eignung der Waren ankommt, von Menschen verzehrt zu werden. Dies entspricht dem allseits bekannten Auslegungsgrundsatz, dass für die Tarifierung die objektiven Wareneigenschaften von zentraler Bedeutung sind. Da die Einreihung in die Position 0210 KN durch das Harmonisierte System vorgegeben ist und es sich hierbei um einen völkerrechtlichen Vertrag von nahezu universeller Geltung handelt, dürfen bei der Frage, ob eine Ware zur Ernährung geeignet ist, regionale Essgewohnheiten, zumal sich diese im Laufe der Zeit verändern können, keine Rolle spielen. Es ist daher unerheblich, ob getrocknete Rinderohren und Dörrfleisch von der Speiseröhre des Rindes heutzutage in der EU (oder anderenorts) tatsächlich von Menschen verzehrt werden.

31

Aus der dargestellten Kategorisierung der Schlachtnebenerzeugnisse in vier Gruppen wird zum anderen deutlich, dass das HS in Bezug auf die hier einschlägige erste Gruppe - Ohren und Schlunde - von einem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgeht. Solche Waren gelten als zur menschlichen Ernährung verwendet, außer sie sind verdorben und zur menschlichen Ernährung nicht geeignet. Das Verdorbensein ist dabei ein Beispiel für die fehlende Genießbarkeit der Ware, weil es nur in der französischen Fassung der Erläuterungen (étant avariés) vorkommt. Es müsste damit konkrete Anhaltspunkte geben, dass derartige Waren, die ausdrücklich auch getrocknet sein dürfen, nicht zur menschlichen Ernährung geeignet sind. Keine Rolle spielt hierbei die konkrete Bestimmung als Tierfutter. Nach der Allgemeinen Anmerkung 1 zu Kapitel 2 KN werden nämlich Schlachtnebenerzeugnisse, die zu menschlichem Verzehr geeignet sind, nicht dadurch ungeeignet zu menschlichem Verzehr, dass sie zum Herstellen von Tierfutter bestimmt sind.

32

Die hier vorgenommene Umschreibung des Begriffes "genießbar" i.S.d. Position 0210 KN steht im Einklang mit dem Urteil des BFH vom 7. Juli 2015 (VII R 65/13) zu getrockneten Schweineohren und dem Beschluss vom 23. Oktober 2018 (VII R 36/17) zu Herzen, Lefzen, Pansen- und Maulfleisch, Schlundfleisch, Truthahn- und Geflügelfleisch. Anders als der Beklagte meint, sind diese Entscheidungen, die zur Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes ergangen sind, uneingeschränkt auf die im vorliegenden Fall inmitten stehende Frage nach der Genießbarkeit i.S.d. Position 0210 KN anwendbar. Die Anwendbarkeit des ermäßigten Umsatzsteuersatzes, um die es in jenen Entscheidungen ging, richtet sich nämlich ausschließlich nach zollrechtlichen Gesichtspunkten (so ausdrücklich BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 9; Beschluss vom 23. Oktober 2018, VII R 36/17, juris, Rn. 8), weil die lfd. Nr. 2 von Anlage 2 UStG auf "Fleisch und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse" des Kapitels 2 KN verweist (s. Bender, in Wäger, UStG, 2020, Anh. 2, Rn. 57).

33

Diese Entscheidungen stehen - wie der BFH zutreffend ausführt (Beschluss vom 23. Oktober 201[8], VII R 36/17, juris, Rn. 10) - nicht im Widerspruch zum Urteil des EuGH vom 28. April 2016 in der Rechtssache C-233/15 (Oniors Bio). Im Tenor dieses Urteils hat der EuGH zunächst lediglich auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass alle Aspekte der objektiven Wareneigenschaften zu berücksichtigen seien. Im weiteren geht es um die Bedeutung der Warenbeschreibung in der Zollanmeldung und um die Ergebnisse einer Warenuntersuchung, die den angemeldeten Wareneigenschaften widersprechen. Dieser Teil des Tenors der Entscheidung ist für den vorliegenden Fall irrelevant, da die Wareneigenschaften unstreitig sind.

34

Der BFH bezieht sich ebenfalls auf die oben beschriebene Kategorisierung von Schlachtnebenerzeugnissen in den Erläuterungen zum Kapitel 2 HS (BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 10). Die lebensmittelrechtliche Einordnung der Waren ist genauso wenig von Belang (so ausdrücklich BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 12; Beschluss vom 23. Oktober 201[8], VII R 36/17, juris, Rn. 9; EuGH, a.a.O., Rn. 52) wie die Trocknung in einem Betrieb, von dem - wie auch hier - unbekannt ist, ob er den Anforderungen des deutschen Lebensmittelrechts genügt (BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 14). Es müssten vielmehr sonstige - hier nicht gegebene - Umstände wie Fäulnis, Schimmel oder ein sonstiges Verderben vorliegen, damit die Ware als ungenießbar einzustufen ist (BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 14; Beschluss vom 23. Oktober 201[8], VII R 36/17, juris, Rn. 13).

35

b) Auf dieser rechtlichen Grundlage sind die hier in Rede stehenden getrockneten Rinderohren und das Dörrfleisch von der Speiseröhre des Rindes genießbar i.S.d. Position 0210 KN und damit nicht anders zu behandeln, als die Schlachtnebenerzeugnisse, die Gegenstand der beiden genannten Entscheidungen des BFH waren.

36

Die bereits erwähnten Erläuterungen zu Kapitel 2 HS gehen davon aus, dass Teile des Kopfes und des Schlundes hauptsächlich zur menschlichen Ernährung verwendet werden. Die konkrete Verwendung als Lebensmittel ist irrelevant. Es sind keine Gründe ersichtlich, die die ernährungsphysiologische Eignung von getrockneten Rinderohren und von Dörrfleisch vom Schlund des Rindes, von Menschen verzehrt zu werden, in Frage stellen, zumal diese auch vermischt mit anderen Lebensmitteln, etwa als Zutat von Würsten, konsumiert werden könnten.

37

Die Trocknung allein beeinträchtigt die Verzehreignung nicht (so ausdrücklich zu genießbaren Schweineohren: Verordnung (EG) Nr. 1125/2006, Anhang Nr. 1 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1179/2009, Nr. 204). Es deutet auch nichts auf Fäulnis, Schimmel oder eine Kontamination hin. Nach der Warenbeschreibung wurden die Waren gereinigt, enthaart und im frischen Zustand getrocknet. Aus der Akte ergibt sich kein Hinweis, dass die bei der Erteilung der vZTAe vorliegenden Warenmuster verfault oder verschimmelt gewesen seien. Der Kläger muss auch nicht nachweisen, dass die für Lebensmittel geltenden Grenzwerte eingehalten worden sind. Dies widerspräche der oben beschriebenen Allgemeinen Erläuterung 1 zu Kapitel 2 KN. Wenn Schlachtnebenerzeugnisse nämlich zum Herstellen von Tierfutter bestimmt sind und also solche zur Einfuhr in die EU angemeldet werden, erfüllen sie gerade nicht die Voraussetzungen für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln. Die bloße Möglichkeit der Kontamination ist nicht relevant, solange die Waren nicht wie im EuGH-Urteil Oniors Bio als möglicherweise kontaminiert angemeldet wurden. Nur mit dieser Konstellation hat sich dieses Urteil befasst. Auch die anderen vom Beklagten vorgebrachten Gesichtspunkte, nämlich die Angaben des Veterinärs, die Bezeichnung und Zulassung des Herstellers, die Aufmachung und der tatsächliche Verwendungszweck der Waren sind nicht zu berücksichtigen.

38

Die Eignung als Nahrungsmittel wird schließlich nicht durch den strengen Geruch der Waren infrage gestellt. Auch andere getrocknete Lebensmittel, wie etwa Stock- oder Klippfisch, entfalten einen strengen Geruch und werden erst genusstauglich, wenn sie über längere Zeit in Wasser eingelegt worden sind.

39

Auch der Umstand, dass in den Erläuterungen zur Unterposition 0511 9985 KN zwischen einerseits ungenießbaren und andererseits für die menschliche Ernährung nicht geeignet eingestuften/klassifizierten toten Tieren der in Kapitel 1 KN erfassten Arten unterschieden wird, hat für den vorliegenden Fall keine Bedeutung. Abgesehen davon, dass in dieser Erläuterung die Abgrenzung der Position 0511 KN zum Kapitel 1 KN und nicht zu dem hier in Rede stehenden Kapitel 2 KN angesprochen wird, steht die Möglichkeit, dass tote Tiere, z. Bsp. weil sie überfahren worden sind, als für ungenießbar erklärt werden, obwohl sie nach ihren objektiven Beschaffenheitsmerkmalen noch genießbar wären, der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Um derartige Tiere geht es hier nämlich nicht.

40

c) Innerhalb der Position 0210 KN sind die Waren als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse, getrocknet, von Rindern, andere als Zwerchfellpfeiler (Nierenzapfen) und Saumfleisch, der Unterposition 0210 9959 KN zuzuweisen.

41

d) Mangels Veränderung der wesentlichen Merkmale des Ausgangsstoffes scheidet eine Einreihung als zubereitetes Futter i.S.d. Kapitels 23 KN aus (vgl. BFH, Urteil vom 7. Juli 2015, VII R 65/13, juris, Rn. 15).

42

e) Die rückwirkend neu zu erteilenden vZTAe sind gemäß Art. 33 Abs. 3 UZK drei Jahre ab ihrer Wirksamkeit, mithin bis zum 3. bzw. 6. Dezember 2019, gültig. Diese Frist berechnet sich nach Art. 55 Abs. 2 UZK i.V.m. Art. 3 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 (FristenVO). Da die ursprünglichen vZTAe am 2. bzw. 5. Dezember 2016 wirksam wurden, begann die Dreijahresfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 2 Buchst. c Satz 1 FristenVO am Folgetag, also dem 3. bzw. 6. Dezember 2016, 0:00 Uhr. Sie endete am Dienstag, dem 3. Dezember 2019, bzw. Freitag, dem 6. Dezember 2019, jeweils 24:00 Uhr (Art. 3 Abs. 2 Buchst. c Satz 1 FristenVO).

III.

43

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 151 Abs. 3, 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 ZPO.

44

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben, da es um die Anwendung der Rechtsprechung des BFH auf einen Einzelfall geht.

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