Urteil vom Finanzgericht Hamburg (5. Senat) - 5 K 175/18

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob ein Steuerpflichtiger, der lediglich als Dienstleister eine Zollanmeldung abgibt und allein deshalb als Zollschuldner im Jahr 2018 (Streitjahr) Einfuhrumsatzsteuer schuldet, die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen kann.

2

Am 7. Februar 2018 meldete die Klägerin in Form einer Einzelzollanmeldung vor Gestellung in eigenem Namen und für Rechnung der A ..., B, Türkei (im Folgenden: A) die Waren "USB-Sticks (Warennummer 85235910000)" und "Powerbanks (Warennummer 85076000900)" mit einem Gesamtgewicht von 19,50 kg und einem Einfuhrumsatzsteuerwert in Höhe von insgesamt 1.199 € zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr bei dem Hauptzollamt C, Zollamt D, an. Hierfür reichte die Klägerin eine Handelsrechnung der A an die E GmbH, F, Bundesrepublik Deutschland, vom 26. Januar 2018 ein. Des Weiteren übermittelte die Klägerin eine Warenverkehrsbescheinigung A.TR. für die Ware vom 26. Januar 2018 und einen Frachtbrief vom 27. Januar 2018 für den Transport der Ware von der A an die E GmbH. Als Lieferbedingung war der Incoterm DDP sowie "geliefert verzollt" angegeben. Die Klägerin erklärte, die Einfuhrumsatzsteuer könne für alle Waren in voller Höhe als Vorsteuer abgezogen werden.

3

Das Hauptzollamt C, Zollamt D, nahm am selben Tag die Zollanmeldung an, überließ die angemeldeten Waren zum freien Verkehr und erließ ebenfalls am 7. Februar 2018 einen abschließenden Steuerbescheid, mit dem es gegenüber der Klägerin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 227,81 € festsetzte. Die Klägerin zahlte die Einfuhrumsatzsteuer.

4

Die Waren gelangten nicht zu der E GmbH und sind unauffindbar.

5

Am 9. Mai 2018 reichte die Klägerin ihre Umsatzsteuer-Voranmeldung für März 2018 ein, in der sie die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machte und die eine zu leistende Vorauszahlung auswies. Der Beklagte erließ am 22. August 2018 einen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2018, wobei er die erklärte Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 227,81 € nicht berücksichtigte. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.

6

Hiergegen legte die Klägerin am 29. August 2018 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 6. September 2018 zurückwies.

7

Am 18. September 2018 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

8

Die Klägerin behauptet, die E GmbH habe die Ware erwerben und zu Werbezwecken bei ihren Kunden einsetzen wollen. Die E GmbH habe jedoch gewollt, dass der türkische Lieferant den Zollspediteur mit der Zollabwicklung beauftrage. Der Geschäftsführer der E GmbH habe G, einen früheren Mitarbeiter der Klägerin, diesbezüglich angesprochen, der die Klägerin eingeschaltet habe. Der Geschäftsführer der E GmbH, der für das Geschäft zuständig gewesen sei, lebe mittlerweile in der Türkei. Sie, die Klägerin, sei dann von der A mit der Zollanmeldung beauftragt worden. Es sei geplant gewesen, dass die Klägerin der A für die Verzollung einen Betrag in Höhe von ca. 35 € sowie die verauslagte Einfuhrumsatzsteuer hätte in Rechnung stellen sollen. Eine Rechnung für die Abgabe der Zollanmeldung und für die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer habe die Klägerin der A letztlich jedoch nicht gestellt. Sie, die Klägerin, habe die Einfuhrumsatzsteuer schließlich getragen und sich letztlich auch nicht bemüht, die Gegenleistung für die Serviceleistung zu erhalten.

9

Die Ware sei zwar nach der Zollabfertigung in D auf österreichischem Gebiet entladen worden, allerdings nie bei der E GmbH angekommen. Der Fahrer des LKW habe mitgeteilt, er hätte die Ware bei einem anderen Spediteur in D in Österreich hinterlegt. Der Verbleib der Ware habe nicht aufgeklärt werden können. Die Ware sei allerdings an der Abfertigungsstelle gestellt worden.

10

Die Klägerin meint, die Einfuhrumsatzsteuer sei bei ihr als Vorsteuer zu berücksichtigen. Die Klägerin habe zwar keine Verfügungsmacht über die eingeführten Gegenstände gehabt und lediglich eine Dienstleistung, nämlich die Erledigung der Grenzformalitäten, erbracht. Allerdings sei die von der Rechtsprechung vorgesehene Voraussetzung einer Verfügungsmacht über die eingeführte Ware für den Vorsteuerabzug nicht erforderlich und stehe dieser Erfordernis nicht im Einklang mit dem Unionsrecht. Die Einfuhrumsatzsteuer entstehe nach Zollrecht ohne Verfügungsmacht, was auf den Vorsteuerabzug zu übertragen sei. Der Einfuhrumsatz sei gegenüber dem Lieferumsatz wesensverschieden. Bei der Einfuhr komme es lediglich darauf an, dass ein Gegenstand in einen Mitgliedstaat gelange. Die Einfuhr sei ein bloßer Realakt. Unerheblich sei, ob ein Rechtsgeschäft zugrunde liege, ob eine Leistung gegen Entgelt oder unentgeltlich oder durch einen Steuerpflichtigen oder eine Privatperson ausgeführt werde. Werde dies anders gesehen, werde die Logistikbranche, die lediglich die Zollanmeldung als Dienstleistung erbringe und die die Einfuhrumsatzsteuer als Zollanmelder schulde, systematisch von dem Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ausgeschlossen. Dies verstoße gegen den Neutralitätsgrundsatz im Mehrwertsteuerrecht.

11

Ferner sei die Einfuhrumsatzsteuer im Rahmen ihrer Tätigkeit als Dienstleister entstanden und im Übrigen in ihre Kosten eingeflossen. Die Einfuhrumsatzsteuer gehöre zu den Kosten der Einfuhr und sei in den Preis ihrer Ausgangsleistung (Erledigung der Grenzformalitäten) eingegangen. Dabei sei allerdings schon fraglich, ob die allgemeine Kostenformel für den Vorsteuerabzug überhaupt auf die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer anwendbar sei, da sich die Kostenformel nur auf den Realakt der warenbezogenen Grenzüberschreitung und des nachfolgenden Eingangs der Ware in den Wirtschaftskreislauf beziehe. Die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr sei jedoch unabhängig von jeder Verfügungsmacht.

12

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, festgestellt, dass der Steuerschuldner zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs entweder Verfügungsmacht haben oder die Einfuhrkosten tragen müsse. Damit bestehe ein Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin. Wolle man hieran zweifeln, müsse insoweit nochmals ein Vorabentscheidungsersuchen erfolgen.

13

Da sie, die Klägerin, im Ergebnis die Einfuhrumsatzsteuer nicht auf die A habe abwälzen können, beträfen alle hier zu berücksichtigenden Umstände ausschließlich den von ihr, der Klägerin, allein bewirkten Einfuhrumsatz. Dieser liege nach noch ganz herrschender Meinung darin, dass sie im eigenen Namen eine Zollanmeldung zur Überlassung der Nicht-Unionsware in den zollrechtlich freien Verkehr abgebe, mit deren Annahme durch das Hauptzollamt die Ware den zollrechtlichen Status von Unionswaren erhalte. Mangels Abwälzung der Einfuhrumsatzsteuer auf die A und Heranziehung der A durch das Hauptzollamt als Gesamtschuldnerin gebe es im Streitfall noch nicht einmal einen nebensächlichen privatrechtlichen Vorteil eines Dritten. Auch die Entscheidung des EuGH vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, belege daher die Berechtigung der Klägerin zum Vorsteuerabzug.

14

Der indirekte Vertreter im Zollrecht könne entgegen der herrschenden Meinung nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer im Mehrwertsteuerrecht sein, so dass eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften für Zölle im Mehrwertsteuerrecht in diesem Fall nicht möglich sei. Auch sei keine deutsche Einfuhrumsatzsteuer entstanden, da die Ware allenfalls in Österreich in den Wirtschaftskreislauf gelangt sei, als der Frachtführer den Karton mit der Ware auf österreichischem Gebiet einem anderen Spediteur übergeben habe. Es genüge aber für den Vorsteuerabzug, dass die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer als solche als die geschuldete bzw. entstandene Einfuhrumsatzsteuer für den Vorsteuerabzug angesehen werde. Derjenige, demgegenüber die Einfuhrumsatzsteuer in einem Steuerbescheid festgesetzt worden sei, müsse die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen können. Der Steuerbescheid begründe danach die Steuerschuld und sei als Grundlagenbescheid zu verstehen.

15

Die Klägerin hat am 7. November 2019 eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2018 eingereicht, die die hier im Streit stehende Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berücksichtigte und einen Erstattungsanspruch auswies. Der Beklagte stimmte der Steuererklärung zu. In der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2020 hat er zu Protokoll einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2018 erlassen, in dem er die Einfuhrumsatzsteuer nicht als Vorsteuer berücksichtigte. Nachfolgend hat der Beklagte einen entsprechenden schriftlichen Umsatzsteuerbescheid für 2018 übermittelt, der das Datum "8. Juli 2020" trägt.

16

Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2018 in der Fassung der Bescheide vom 24. Juni 2020 bzw. 8. Juli 2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 227,81 € niedriger festgesetzt wird.

17

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

18

Der Beklagte meint, ein Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer komme mangels Verfügungsmacht der Klägerin an der Ware nicht in Betracht. Die Einfuhrumsatzsteuer habe keinen Eingang in den Preis der Umsätze gefunden, die die Klägerin im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erbringe.

19

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten wird auf die Protokolle des Erörterungstermins vom 5. November 2019 und der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2020 verwiesen.

...

Entscheidungsgründe

I.

20

Gegenstand des Verfahrens ist der Umsatzsteuerbescheid 2018 in der Fassung der Bescheide vom 24. Juni 2020 bzw. 8. Juli 2020.

21

Dieser Umsatzsteuerbescheid 2018 ist gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden. Er ersetzte die Festsetzung der Umsatzsteuer durch die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 vom 7. November 2019, die als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand und der der Beklagte nach § 168 Satz 2 AO zugestimmt hatte.

22

Die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 wiederum war zuvor ebenfalls gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für März 2018 ersetzte (vergleiche - vgl. - Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 3. Juli 2014, V R 32/13, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 246, 264, Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2017, 666, juris Randnummer - Rn. - 11 mit weiteren Nachweisen - m. w. N. -).

23

Dass infolge der Zustimmung des Beklagten zu der Umsatzsteuerjahreserklärung die Beschwer der Klägerin zunächst entfallen war, steht der Anwendung des § 68 FGO bezogen auf die Änderungsfestsetzung vom 24. Juni 2020 bzw. 8. Juli 2020 nicht entgegen. Zwar muss für die Anwendung des § 68 FGO die gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt gerichtete Klage zulässig (gewesen) sein (Herbert in Gräber, FGO, 9. Auflage - Aufl. - 2019, § 68 Rn. 60). Allerdings müssen Sachurteilsvoraussetzungen - wie im Streitfall die Beschwer - grundsätzlich erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen, sofern nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt (BFH, Beschluss vom 20. November 2018, IV B 44/18, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2019, 120, juris Rn. 13 m. w. N.). Insoweit genügt es, wenn die Beschwer - wie hier - durch den Änderungsbescheid wieder hergestellt wird.

II.

24

Die Klage ist zulässig.

25

Insbesondere fehlt es nicht an einer Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) als Sachurteilsvoraussetzung. Zum maßgebenden Zeitpunkt (I.) lag die Klagebefugnis vor. Auch wenn der Beklagte dem Begehren infolge seiner Zustimmung zur Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 (zunächst) abhalf, wurde die Klagebefugnis infolge der Änderungsfestsetzung vom 24. Juni 2020 bzw. 8. Juli 2020 wieder hergestellt.

III.

26

Die Klage ist unbegründet. Die Festsetzung der Umsatzsteuer 2018 ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abzug der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 227,81 € als Vorsteuer.

27

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG kann der Unternehmer die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG eingeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen.

28

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH erfordert eine Einfuhr "für sein Unternehmen", dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht (vgl. auch Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn. 436, Stand Juni 2018). Daran fehlt es zum Beispiel (z. B.), wenn ein ausländischer Unternehmer einem inländischen Unternehmer einen Gegenstand zur Nutzung überlässt, ohne ihm die Verfügungsmacht an dem Gegenstand zu verschaffen. Der BFH hat dieses Merkmal unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH dahingehend präzisiert, dass die für den Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG maßgebliche Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten dann vorliegt, wenn die Einfuhrumsatzsteuer Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen findet, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefert bzw. erbringt (BFH, Urteil vom 11. November 2015, V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, juris Rn. 14 und 19 m. w. N.).

29

2. Der EuGH hat zuletzt mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 (Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814) entschieden, dass Art. 168 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der Europäischen Union - ABl. - L 347 vom 11. Dezember 2006, Seite - S. - 1) der Gewährung eines Rechts auf Vorsteuerabzug an einen Importeur entgegensteht, wenn dieser nicht in der gleichen Weise wie ein Eigentümer über die Gegenstände verfügt und wenn die vorgelagerten Einfuhrkosten nicht vorhanden sind oder nicht in den Preis der einzelnen Ausgangsumsätze oder in den Preis der vom Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelieferten Gegenstände und erbrachten Dienstleistungen einfließen.

30

Mit dieser Entscheidung hat der EuGH deutlich gemacht, dass Personen, die Gegenstände einführen, an denen sie keine Verfügungsmacht haben (EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814 Rn. 46: "ohne sie zu besitzen"), und ohne dass der Wert der Güter selbst zu den preisbildenden Kosten der Umsätze des Steuerpflichtigen gehört, grundsätzlich nicht die Kosten der Einfuhr als Vorsteuer abziehen können. Ein Vorsteuerabzugsrecht besteht allerdings auch in einem solchen Fall, wenn die Kosten der Einfuhr in den Preis der einzelnen (also bestimmten) Ausgangsumsätze oder als allgemeine Kosten in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit liefert bzw. erbringt, einfließen (vgl. EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814 Rn. 46).

31

3. Auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze des EuGH kann die Klägerin die Einfuhrumsatzsteuer im Streitfall nicht als Vorsteuer abziehen.

32

a) Der Klägerin steht keine Verfügungsmacht über die von ihr angemeldeten Waren zu. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

33

b) Die Einfuhrumsatzsteuer hat zudem im Streitfall keinen Eingang in den Preis eines bestimmten Ausgangsumsatzes der Klägerin gefunden.

34

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Der für das Recht auf Vorsteuerabzug erforderliche Zusammenhang zwischen einem Eingangsumsatz und einem Ausgangsumsatz ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 168 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG, wonach der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Die Formulierung "verwendet werden" in dieser Bestimmung zeigt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur entsteht, wenn die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, zusammenhängen, und dass dabei der vom Steuerpflichtigen letztlich verfolgte Zweck unerheblich ist (EuGH, Urteil vom 27. September 2001, Cibo Participations, C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 6. April 1995, BLP, C-4/94, EU:C:1995:107, Rn. 19, jeweils zum entsprechenden Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. L 145 vom 13. Juni 1977, S. 1; vgl. zur Entsprechung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG mit der Richtlinie 2006/112/EG auch EuGH, Urteil vom 3. Juli 2019, Universität Cambridge, C-316/18, EU:C:2019:559, Rn. 17). Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer ist demnach nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814, Rn. 42 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 28 m. w. N.).

35

Die Kostenelemente müssen in der Regel entstanden sein, bevor der Steuerpflichtige die besteuerten Umsätze ausführt, denen sie zuzurechnen sind. Dies ergibt sich aus dem Grundprinzip des Mehrwertsteuersystems, wonach die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind, und dem oben beschriebenen Grundsatz, nach dem ein Recht auf Vorsteuerabzug nur entsteht, wenn die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit besteuerten Umsätzen zusammenhängen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Juni 2000, Midland Bank, C-98/98, EU:C:2000:300, Rn. 29 f.; EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814, Rn. 41).

36

bb) Im Streitfall fehlt ein derartiger direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit bestimmten Ausgangsumsätzen der Klägerin. Die Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 227,81 € ist nicht Kostenelement eines bestimmten Ausgangsumsatzes der Klägerin.

37

Als bestimmter Ausgangsumsatz kommt im Streitfall die Serviceleistung "Erledigung der Zollformalitäten" in Betracht.

38

Diese Dienstleistung stellt schon keinen Ausgangsumsatz dar, der der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer nachgelagert ist. Die Dienstleistung selbst löst die hier in Rede stehende Einfuhrumsatzsteuer erst aus. Nur weil die Klägerin gerade diese Dienstleistung erbrachte, schuldete sie die Einfuhrumsatzsteuer nach § 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG neben der A gemäß Art. 77 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269 vom 10. Oktober 2013, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2016/2339 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016, ABl. L 354, S. 32; im Folgenden: UZK) als Gesamtschuldnerin (Art. 84 UZK).

39

Ob im Streitfall Anlass besteht, von dem Grundsatz abzuweichen, nach dem die Ausgangsumsätze den Eingangsumsätzen nachgelagert sein müssen, kann offen bleiben. Jedenfalls ist die Einfuhrumsatzsteuer kein Kostenelement der genannten Dienstleistung und erfüllt damit auch nicht die zwingende Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Im Ergebnis ist die Einfuhrumsatzsteuer tatsächlich nicht in den Preis eines gegenüber der A erbrachten Ausgangsumsatzes eingegangen.

40

Soweit die ursprüngliche Vereinbarung die Inrechnungstellung der Serviceleistung nebst Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer vorsah, kann im Ergebnis unentschieden bleiben, ob - im Fall der Grundlage der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten - die verauslagte Einfuhrumsatzsteuer in den Preis des Ausgangsumsatzes eingegangen sein könnte, obgleich die Klägerin "für Rechnung" der A tätig wurde.

41

Denn jedenfalls sind die Klägerin und die A vor dem Hintergrund des Verschwindens der Ware nach der Zollanmeldung zumindest stillschweigend und im Ergebnis übereinstimmend von der ursprünglichen Vereinbarung über die Vergütung der Serviceleistung und über die Erstattung der verauslagten Einfuhrumsatzsteuer abgerückt. Da eine Rechnung üblicherweise zeitnah zur Erledigung der Zollformalitäten erstellt werden wird und im Streitfall die Klägerin keine Rechnung ausstellte, ist davon auszugehen, dass sich diese Vorgänge in Bezug auf das Abrücken von der ursprünglichen Vereinbarung in Zeitnähe zur Serviceleistung der Klägerin noch im Jahr 2018 abgespielt haben. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin die Einfuhrumsatzsteuer bereits in der im Mai 2018 eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für März 2018 geltend machte.

42

Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem genannten bestimmten Ausgangsumsatz kann auch nicht unter Anwendung der Rechtsgrundsätze des EuGH angenommen werden, wonach ein Vorsteuerabzugsrecht grundsätzlich selbst dann erhalten bleibt, wenn bezogene Dienstleistungen später aufgrund von Umständen, die von dem Willen des Steuerpflichtigen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwendet werden (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 12. November 2020, ITH Comercial Timisoara, C-734/19, EU:C:2020:919, Rn. 34). Dass die Klägerin im Streitfall auf die Geltendmachung des Anspruchs auf Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der A verzichten musste, ist nicht ersichtlich. Es ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass die Klägerin das Verschwinden der Ware verschuldet hat und die Gegenleistung für ihre Serviceleistung nebst Erstattung der verauslagten Einfuhrumsatzsteuer nicht hätte durchsetzen können.

43

Besteuert die Klägerin ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten, ist ein bestimmter Ausgangsumsatz (Dienstleistung der Klägerin) mangels Vereinnahmung eines Entgelts bereits schon nicht entstanden.

44

c) Die Einfuhrumsatzsteuer ist auch nicht als etwaiger Bestandteil der allgemeinen Preise der Gegenstände oder Dienstleistungen, die die Klägerin im Rahmen ihrer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt, abzugsfähig.

45

aa) Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und - als solche - Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814, Rn. 43 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 14. September 2017, Iberdrola, C-132/16, EU:C:2017:683, Rn. 29 m. w. N.).

46

Ob ein solcher Zusammenhang der Kosten der Einfuhr mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen vorliegt, entscheidet das nationale Gericht (EuGH, Beschluss vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814, Rn. 44). Wie sich aus dem Beschluss des EuGH vom 8. Oktober 2020, Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814, Rn. 17 in Verbindung mit (i. V. m.) Rn. 44, ergibt, ist nicht allein entscheidend, wer tatsächlich die Einfuhrumsatzsteuer zahlt.

47

bb) Besteht ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Dienstleistungen, die dem Steuerpflichtigen erbracht werden, und dessen wirtschaftlicher Gesamttätigkeit, hat der Steuerpflichtige grundsätzlich das Recht, die Vorsteuer für diese Dienstleistungen abzuziehen, auch wenn ein Dritter von diesen Dienstleistungen profitiert. Voraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht des Steuerpflichtigen in einem solchen Fall ist allerdings, dass der Vorteil, der dem Dritten durch diese Dienstleistungen entsteht, gegenüber dem Bedarf des Steuerpflichtigen nur als nebensächlich anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785, Rn. 28 m. w. N.). Der Vorteil, der dem Dritten entsteht, kann nur dann als nebensächlich eingestuft werden, wenn er sich aus einer Dienstleistung ergibt, die im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen liegt (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785, Rn. 30 m. w. N.).

48

Des Weiteren kann der Steuerpflichtige die Vorsteuer für Ausgaben insoweit nicht abziehen, als diese Ausgaben nicht für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze, sondern für die Zwecke der Umsätze eines Dritten getätigt wurden. Hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, einen Teil der Ausgaben, die für die ihm erbrachten Dienstleistungen angefallen sind, dem Dritten in Rechnung zu stellen, spricht dies zwar dafür, dass sich dieser Teil der Ausgaben auf den Umsatz des Dritten und nicht auf den Umsatz des Steuerpflichtigen bezieht. Indes sind zur Bestimmung des Umfangs des Vorsteuerabzugsrechts vom nationalen Gericht alle Umstände, unter denen die Ausgangsumsätze ausgeführt wurden, zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785, Rn. 45 bis 47). Hierfür ist insbesondere die wirtschaftliche und geschäftliche Realität, die ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, zu beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2020, Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785, Rn. 47, 41 f. m. w. N.).

49

cc) Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze besteht im Streitfall für die Klägerin kein Recht, die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen.

50

Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Einfuhrumsatzsteuer im Streitfall überhaupt zu den allgemeinen Aufwendungen der Klägerin gehört und - als solche - ein Kostenelement der von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen ist (so wohl Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn. 439, Stand Juni 2018).

51

Jedenfalls steht einem Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin entgegen, dass der Vorteil, der der A durch die Dienstleistung der Klägerin entsteht, für die A nicht nur nebensächlich ist. Unter Berücksichtigung aller Umstände bezieht sich die hier in Rede stehende Einfuhrumsatzsteuer, deren Abzug als Vorsteuer begehrt wird, vorrangig auf einen Umsatz der A, was die Dienstleistung der Klägerin überlagert.

52

Die Klägerin hat die Einfuhrumsatzsteuer für Zwecke der besteuerten Umsätze der A gezahlt, nämlich für eine Lieferung der A an die E GmbH. Die A musste für die in Rede stehende Zollanmeldung eine im Zollgebiet der Union ansässige Person beauftragen, da sie selbst mangels Ansässigkeit im Zollgebiet der Union gemäß Art. 170 Abs. 2 UZK die Zollanmeldung nicht abgeben durfte. Ohne die Klägerin als indirekte Vertreterin hätte die A einen derartigen Umsatz überhaupt nicht ausführen können. Bei einer Gesamtwürdigung treten ein eigenes Interesse der Klägerin und der insoweit allenfalls bestehende Zusammenhang der Einfuhrumsatzsteuer mit der allgemeinen wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Klägerin gegenüber dem Zusammenhang der Einfuhrumsatzsteuer mit dem bestimmten Ausgangsumsatz, dem Lieferumsatz der A, zurück. Auch angesichts des Verhältnisses des Betrags der Gegenleistung der E GmbH für die Lieferung der Waren seitens der A (1.199 €), der ohne die Dienstleistung der Klägerin nicht hätte durchgeführt werden können, zu dem Betrag, den die Klägerin für ihre Dienstleistung in Rechnung zu stellen beabsichtigte (35 €), ist der Vorteil, der der A aufgrund der Dienstleistung der Klägerin entstand, für die A als nicht nur nebensächlich einzustufen.

53

d) Die vorstehenden Ausführungen stehen im Einklang mit der Systematik der Umsatzsteuer.

54

aa) Durch die Einfuhrumsatzsteuer wird die Umsatzsteuerbelastung mit einer Lieferung vergleichbarer Gegenstände im Inland hergestellt (Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 174 Rn. 12, Stand November 2014). Eine derartige Anpassung ist notwendig, um Wettbewerbsnachteile der inländischen bzw. Wettbewerbsvorteile der drittländischen Wirtschaft zu vermeiden. Dies geschieht dadurch, dass die Steuerbelastung der Exportware dem Steuerniveau vergleichbarer inländischer Waren angepasst wird, indem die Ware bei ihrer Ausfuhr von der Steuer des Ausfuhrlandes entlastet und bei ihrer Einfuhr mit der Umsatzsteuer des Einfuhrlandes belastet wird (sogenannter Grenzausgleich; Zimmermann in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 11 Rn. 3, Stand Lfg. 9/15 - XII/15). Sinn und Zweck der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer bei der Einfuhr von Gegenständen ist demnach die umsatzsteuerliche Gleichstellung eingeführter Gegenstände mit den im Inland hergestellten gleichen oder gleichartigen Waren (Möller in Wäger, UStG, 2020, § 11 UStG Rn. 3; so auch schon Flick in Rau/Dürrwächter, UStG, § 11 Rn. 5 f., Stand August 1996).

55

Die Einfuhrumsatzsteuer bezieht sich danach auf eine bestimmte Ware, die physisch in das umsatzsteuerliche Inland gelangt, und grundsätzlich gerade nicht auf etwaige selbständige Dienstleistungen im Zusammenhang mit dieser oder in Bezug auf diese Ware, sofern diese Dienstleistungen nicht Bestandteil der Bemessungsgrundlage nach § 11 Abs. 3 UStG sind.

56

In Bezug auf den Neutralitätsgrundsatz ist darauf hinzuweisen, dass durch die Regelung über den Vorsteuerabzug der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH, Urteil vom 3. Juli 2019, Universität Cambridge, C-316/18, EU:C:2019:559, Rn. 22 m. w. N.).

57

bb) Systematisch ist die Einfuhrumsatzsteuer für vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer, die den Gegenstand in das Inland liefern oder an die der Gegenstand im Inland geliefert wird, neutral.

58

aaa) Trägt der Abnehmer/Empfänger der Ware die Einfuhrumsatzsteuer, kann er die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG geltend machen.

59

bbb) Trägt der Versender der Ware die Einfuhrumsatzsteuer, ergibt sich aus der Regelung des § 3 Abs. 8 UStG in Verbindung mit (i. V. m.) § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, dass der Versender eine im Inland steuerbare Lieferung an den Abnehmer erbringt und hierfür Umsatzsteuer schuldet. Die Lieferung erfolgt im Inland, weil der Versender - im Streitfall die A - im Zeitpunkt der Überführung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitzt. Der Versender kann dann die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen, weil er die Einfuhrumsatzsteuer als vertretene Person ebenfalls (gesamtschuldnerisch mit dem indirekten Vertreter) schuldet (§ 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG, Art. 77 Abs. 3 UZK) und dieser Gegenstand für Zwecke seiner (dann) besteuerten Umsätze verwendet wird.

60

Die Neutralität der Umsatzsteuer wird in dem Fall eines vorsteuerabzugsberechtigten ausländischen Unternehmers verfahrensrechtlich durch die Abgabe einer Umsatzsteuererklärung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 UStG erreicht. Hierfür muss sich der ausländische Unternehmer in der Bundesrepublik Deutschland bei dem für ihn zuständigen Finanzamt registrieren lassen. Das zuständige Finanzamt bestimmt sich gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 1 der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit für die Umsatzsteuer im Ausland ansässiger Unternehmer (Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung - UStZustV -, BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4 [24], zuletzt geändert durch Art. 9 der Verordnung vom 12. Juli 2017, BGBl I 2017, 2360). Im Streitfall ist für die A das Finanzamt H zuständig (§ 1 Abs. 1 Nr. 30 UStZustV).

61

Im Rahmen der Umsatzsteuererklärung hat der Versender die Lieferung an seinen Abnehmer als Umsatz zu besteuern und kann zugleich die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuerbetrag abziehen. Wurde die Einfuhrumsatzsteuer ggf. von einer niedrigeren Bemessungsgrundlage als dem Veräußerungsentgelt erhoben, wird durch die Verlagerung des Orts der Lieferung in das Inland erreicht, dass der Umsatz mit der Steuer belastet wird, die für die Lieferung im Inland in Betracht kommt (Abschn. 3.13 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses - UStAE -).

62

cc) Die im Streitfall erfolgte Versagung des Vorsteuerabzugs entspricht dem Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer (Gleichstellung mit der Lieferung vergleichbarer Gegenstände im Inland) sowie der Systematik des Umsatzsteuerrechts, insbesondere dem Neutralitätsgrundsatz.

63

aaa) Kommt der ausländische Unternehmer seinen Verpflichtungen - auch zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung - nach, so ist für ihn - wie für einen inländischen Lieferer - die Neutralität der Umsatzsteuer gewahrt. Auf der einen Seite muss er zwar den inländischen Umsatz an seinen Abnehmer besteuern, auf der anderen Seite kann er aber die Einfuhrumsatzsteuer - in der Regel in gleicher Höhe - als Vorsteuer abziehen.

64

bbb) Kommt der ausländische Unternehmer seinen Verpflichtungen zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung hingegen nicht nach und kann die Klägerin den Vorsteuerabzug nicht selbst geltend machen, so müsste der ausländische Unternehmer jedenfalls zivilrechtlich infolge der vereinbarten Lieferbedingung DDP der Klägerin die Einfuhrumsatzsteuer, die die Klägerin gezahlt hat, erstatten. Dann wäre der ausländische Unternehmer zwar wirtschaftlich mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet. Die Neutralität des Umsatzsteuersystems wäre dann aber nur deshalb nicht gewahrt, weil der ausländische Unternehmer seinen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.

65

ccc) Könnte die Klägerin die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen, so wäre diese Systematik gestört.

66

(1) Ein zweifacher Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer, das heißt (d. h.) sowohl durch den ausländischen Unternehmer als Lieferer als auch durch die Klägerin als Dienstleisterin, widerspricht dem System der Umsatzsteuer.

67

(2) Macht die Klägerin als Dienstleisterin die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend, so ist der ausländische Unternehmer entsprechend der zivilrechtlich vereinbarten Lieferbedingung DDP nur in dem Fall wirtschaftlich mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet, in dem er seinen Verpflichtungen zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung nachkommt.

68

(a) Kommt der ausländische Unternehmer seinen Verpflichtungen zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung nach, könnte er die Einfuhrumsatzsteuer bei bereits geltend gemachtem Vorsteuerabzug der Klägerin nicht abziehen. Der ausländische Unternehmer hätte den Umsatz an den inländischen Abnehmer zu besteuern und wäre mit der entsprechenden Umsatzsteuer belastet.

69

Dies entspricht zwar wirtschaftlich der Lieferbedingung, die der ausländische Unternehmer mit dem inländischen Abnehmer vereinbart hat. Es führt aber dazu, dass die Neutralität des Umsatzsteuersystems für den ausländischen Unternehmer nicht gewahrt ist. Seine Lieferung ist dann nicht mit einer inländischen Lieferung gleichgestellt. Der ausländische Unternehmer führt zwar eine Lieferung an den inländischen Abnehmer aus, der gelieferte Gegenstand bleibt aber aus Sicht des ausländischen Unternehmers mit Einfuhrumsatzsteuer belastet.

70

(b) Macht die Klägerin als Dienstleisterin die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend und verletzt der ausländische Unternehmer seine umsatzsteuerrechtlichen Pflichten, ist der ausländische Unternehmer hingegen wirtschaftlich nicht mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nichtabgabe einer Mehrwertsteuererklärung - ihre Abgabe würde die Mehrwertsteuererhebung und deren Kontrolle durch die Steuerbehörde ermöglichen - die genaue Erhebung der Steuer verhindert und demzufolge das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Frage stellt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 2018, Dobre, C-159/17, EU:C:2018:161, Rn. 41).

71

Weil der ausländische Unternehmer seine umsatzsteuerrechtlichen Pflichten in diesem Fall verletzt, meldet er keinen umsatzsteuerpflichtigen Umsatz an. Da die Klägerin als bloße Dienstleisterin die Einfuhrumsatzsteuer bereits von der Steuerverwaltung erstattet bekäme, würde sie die Einfuhrumsatzsteuer nicht gegen den ausländischen Lieferer geltend machen. Der ausländische Lieferer müsste dann nicht die Einfuhrumsatzsteuer der Klägerin erstatten und hätte somit keine Einfuhrumsatzsteuer zu tragen. Der Gegenstand würde dann - der Systematik der Einfuhrumsatzsteuer zuwider - unbelastet von der Steuer des Einfuhrlandes in den Wirtschaftskreislauf im Inland gelangen, da die Einfuhrumsatzsteuer der Klägerin erstattet worden wäre.

72

Infolge seiner Pflichtverletzung hätte der ausländische Unternehmer einen wirtschaftlichen Vorteil. Er könnte die Ware um die Umsatzsteuer günstiger im Inland anbieten, da er mit der Einfuhrumsatzsteuer in diesem Fall nicht belastet wird. Ein Interesse des ausländischen Unternehmers an der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung, obwohl er hierzu verpflichtet ist, ist in diesem Fall nicht erkennbar.

73

dd) Die oben beschriebene Systematik (III.3.d]bb] und III.3.d]cc]) entspricht auch dem Unionsrecht.

74

Die A als ausländischer Lieferer ist Steuerpflichtiger gemäß Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG, da sie mit den Waren handelte.

75

Der Ort der Lieferung liegt gemäß Art. 32 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG im Inland. Danach gelten der Ort der Lieferung, die durch den Importeur bewirkt wird, der gemäß Art. 201 als Steuerschuldner bestimmt oder anerkannt wurde, sowie der Ort etwaiger anschließender Lieferungen als in dem Mitgliedstaat gelegen, in den die Gegenstände eingeführt werden, falls der Ort, von dem aus die Gegenstände versandt oder befördert werden, - wie im Streitfall -  in einem Drittgebiet oder in einem Drittland liegt.

76

Die A als verfügungsberechtigter Lieferer ist gemäß Art. 168 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG berechtigt, die Mehrwertsteuer für die Einfuhr der Gegenstände vom Betrag der von ihr geschuldeten Steuer abzuziehen, da zwischen ihrem Eingangsumsatz (Auftrag an die Klägerin, die Zollanmeldung durchzuführen) und ihrem Ausgangsumsatz (Lieferung der Waren an die E GmbH) ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die A ist in dem Steuerbescheid vom 7. Februar 2018 als die vertretene Person (indirekte Vertretung) benannt und demnach Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer, die durch die Zahlung seitens der Klägerin auf die Gesamtschuld (s. § 422 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) entrichtet wurde. Die A kann sich diesen Steuerbescheid von der Klägerin aushändigen lassen, um die formellen Voraussetzungen des Art. 178 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG zu erfüllen.

77

4. Die von der Klägerin im Übrigen vorgebrachten Argumente tragen nicht ihr Begehren, selbst die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen zu können.

78

a) Ob die Waren in die Republik Österreich oder in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurden, ist für die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin unerheblich, da schon die materiellen Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug der Klägerin nicht vorliegen. Es fehlt im Streitfall an einer Verfügungsmacht der Klägerin über die Gegenstände (III.3.a]) bzw. an einem Zusammenhang zwischen einem Eingangsumsatz bzw. der hier in Rede stehenden Einfuhrumsatzsteuer und bestimmten Ausgangsumsätzen bzw. der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Klägerin (III.3.b] und III.3.c]).

79

b) Die Klägerin kann auch nicht allein schon deshalb die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, weil die Einfuhrumsatzsteuer ihr gegenüber mit Steuerbescheid festgesetzt wurde.

80

aa) Zum einen ist der Steuerbescheid kein Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO, der für die Vorsteuerabzugsberechtigung bindend wäre. Im Übrigen weist der von der Zollverwaltung im Streitfall übersandte Steuerbescheid gemäß Art. 77 Abs. 3 UZK sowohl die Klägerin als auch die A als Gesamtschuldner der Einfuhrumsatzsteuer aus.

81

bb) Zum anderen ist der Steuerbescheid gemäß Art. 178 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG allenfalls eine formelle Bedingung für den Vorsteuerabzug. Für den Vorsteuerabzug ist jedoch entscheidend, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2016, Senatex, C-518/14, EU:C:2016:691, Rn. 38 m. w. N.). Im Streitfall fehlt es schon an den materiellen Voraussetzungen eines Vorsteuerabzugs (III.3.a], III.3.b], III.3.c]).

82

cc) Es kommt im Streitfall auch nicht darauf an, ob das Tatbestandsmerkmal "entstandene Einfuhrumsatzsteuer" in § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG und das Tatbestandsmerkmal "geschuldet" in Art. 168 Buchst e der Richtlinie 2006/112/EG in der Weise auszulegen sind, dass zu deren Erfüllung der Abgabenbescheid des Hauptzollamtes ausreichend oder maßgebend ist.

83

Im vorliegenden Fall scheitert ein Recht der Klägerin auf Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer bereits daran, dass die Klägerin unter Zugrundelegung der vorstehend ausgeführten Rechtsgrundsätze schon keine Gegenstände oder Dienstleistungen für die Zwecke ihrer besteuerten Umsätze verwendet (III.3.a], III.3.b], III.3.c]). Es ist im vorliegenden Fall danach nicht entscheidend, ob sich der Begriff "geschuldet" auf eine rechtlich durchsetzbare Steuerschuld bezieht und somit voraussetzt, dass der Steuerpflichtige zur Zahlung des Mehrwertsteuerbetrags, den er als Vorsteuer abziehen möchte, verpflichtet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 29. März 2012, Véleclair, C-414/10, EU Rn. 20).

84

dd) Im Übrigen ist die Auslegung der Klägerin, sie sei schon aufgrund der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer ihr gegenüber als Steuerschuldnerin und damit zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt, auch deshalb nicht zwingend, weil bei der Einfuhr gemäß Art. 201 der Richtlinie 2006/112/EG die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet wird, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt. Für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt sich dies gemäß § 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG nach einer sinngemäßen Anwendung der Vorschriften für Zölle. Diese Regelungen weisen aber darauf hin, dass die Klägerin und die A als Gesamtschuldner der Einfuhrumsatzsteuer anzusehen sind (Art. 77 Abs. 3 i. V. m. Art. 84 UZK).

IV.

85

Im Streitfall bedarf es keines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, ABl C 202 vom 7. Juni 2016, S. 47).

86

Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug erfordert Verfügungsmacht oder einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangsumsätzen und der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen. Der EuGH hat hierfür in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2020 (Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814) die sogenannte "Kostenformel" verwendet und seinen Beschluss nach Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABl. L 265 vom 29. September 2012) erlassen. Danach kann der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt. Weiteren Klärungsbedarfs durch den EuGH bedarf es danach im Streitfall nicht.

V.

87

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

88

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen.

89

Der BFH hat mit Urteil vom 11. November 2015 (V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, juris Rn. 14 und 19 m. w. N.) zwar bereits entschieden, unter welchen Voraussetzungen seiner Ansicht nach die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abgezogen werden kann und das Merkmal der Verfügungsmacht unter Berücksichtigung der sogenannten "Kostenformel" präzisiert. Nach den Entscheidungen des EuGH vom 8. Oktober 2020 (Weindel, C-621/19, EU:C:2020:814) und vom 1. Oktober 2020 (Vos Aannemingen, C-405/19, EU:C:2020:785) erscheint jedoch eine erneute höchstrichterliche Entscheidung geboten.

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