Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 96/19
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Fortsetzung eines aufgrund einer Klagerücknahme seines damaligen Prozessbevollmächtigten eingestellten Verfahrens.
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Das Hauptzollamt A setzte mit Bescheid vom 11. Februar 2019 Alkoholsteuer i.H.v. ... € gegen den Kläger fest. Da die Steuerschuld nicht bis zum Fälligkeitstermin beglichen wurde, mahnte der für die Realisierung offener Forderungen des Hauptzollamts A zuständige Beklagte mit Bescheid vom 7. März 2019 (xxx) die offene Summe an und erließ ein Leistungsgebot über zwischenzeitlich entstandene Säumniszuschläge i.H.v. ... €.
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Gegen das Leistungsgebot legte der Kläger am 9. März 2019 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2019 (RBL xxx) zurückwies.
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Erst am 9. Dezember 2019 wandte sich der Kläger an das Finanzgericht mit dem Begehren, Klage "gegen den Verwaltungsakt der Vollstreckung von Säumniszuschlägen" zu erheben.
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Zu einer vom Gericht erbetenen Konkretisierung des Klagebegehrens kam es im Folgenden nicht. Im Januar 2020 legitimierte sich der zwischenzeitlich mandatierte Rechtsanwalt und Steuerberater des Klägers zum Verfahren und nahm Ende Februar 2020 Einsicht in die Gerichts- und Sachakten.
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Am 21. April 2020 nahm der Bevollmächtigte die Klage für den Kläger zurück. Das Gericht stellte das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 27. April 2020 ein.
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Mit Schreiben vom 1. März 2021 mahnte der Beklagte die Zahlung eines Restbetrages von ... €, der sich überwiegend aus Säumniszuschlägen ergab, an und wies auf die Möglichkeit hin, zwei Traktoren des Klägers, an denen ein Pfandrecht des Beklagten bestand, abzuholen.
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Am 9. März 2021 widerrief der Kläger die Klagerücknahme vom 21. April 2020. Der Widerruf sei ausnahmsweise zulässig, da die Rücknahmeerklärung für das Gericht und für den Beklagten als Versehen offenbar gewesen und deshalb nach Treu und Glauben als unwirksam zu behandeln sei. Dabei verwies der Kläger auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 1996 (Az. 8 C 33/95). Es liege ein Fehlverhalten seines damaligen Rechtsanwalts vor. In einem weiteren vor dem Finanzgericht anhängigen Verfahren (4 K 132/20) erklärte der Kläger in einer E-Mail vom 5. Januar 2021, dass sein damaliger Bevollmächtigter von einer Unzuständigkeit des Finanzgerichts Hamburg im hiesigen Verfahren ausgegangen sei und die Klage deshalb zurückgenommen habe. Er, der Kläger, habe daraufhin die Gerichtsgebühren zahlen müssen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. das Verfahren unter Aufhebung des Einstellungsbeschlusses vom 27. April 2020 fortzusetzen,
2. den Bescheid vom 7. März 2019 (xxx) und die Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2019 (RBL xxx) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass die Klagerücknahme vom 21. April 2020 wirksam ist.
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Der Beklagte ist der Ansicht, dass eine Fortführung des Verfahrens nicht gerechtfertigt sei.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Wegen der Einzelheiten wird auf die übersandten Schriftsätze der Beteiligten und die Gerichtsakte sowie die Gerichtsakte des Verfahrens 4 K 132/20 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren (§§ 79a Abs. 4, 90 Abs. 2 FGO).
II.
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Der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens hat keinen Erfolg. Der Kläger hat die Klage durch seinen damaligen Bevollmächtigten am 21. April 2020 wirksam zurückgenommen. Das Verfahren ist damit beendet.
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Der eine Klagerücknahme Erklärende ist grundsätzlich an seine Prozesserklärung gebunden. Eine Klagerücknahme ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht - etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen - angefochten werden. Die FGO sieht aber gleichwohl in § 72 Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich den Fall vor, dass in einem Steuerrechtsstreit nachträglich die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme geltend gemacht wird. Daraus wurde gefolgert, dass der Gesetzgeber entsprechend der Rechtsprechung des BFH vor Inkrafttreten der FGO die Möglichkeit offenhalten wollte, insbesondere in den Fällen, in denen ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger in unzulässiger Weise - etwa durch Drohung, Druck, Täuschung oder auch unbewusste Irreführung - zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden ist, die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme anzunehmen. Der BFH hat nach dem Inkrafttreten der FGO diese Rechtsprechung fortgesetzt und betont, dass es als Verstoß gegen die im Steuerrecht zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes angesehen werden müsste, in derartigen Fällen einen Steuerpflichtigen an seiner Erklärung festzuhalten (FG München, Urteil vom 14. März 2017, 12 K 194/17, juris, Rn. 18 f., m.w.N. zur Rspr. des BFH).
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Einen solchen Ausnahmefall, der zu einer Unwirksamkeit der Klagerücknahme führen würde, hat der Kläger nicht geltend gemacht und ein solcher ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Der vom Kläger insoweit geleistete Vortrag ist oberflächlich, unsubstantiiert und insgesamt wenig glaubhaft. Der Bitte des Gerichts, substantiiert zu den behaupteten Fortsetzungsgründen vorzutragen, ist der Kläger nicht nachgekommen.
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Soweit der Kläger auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 1996 (8 C 33/95) abstellt und vorträgt, dass auch vorliegend die Rücknahmeerklärung für das Gericht und den Beklagten als Versehen offenbar gewesen sei und deshalb nach Treu und Glauben als unwirksam zu behandeln sei, rechtfertigt dies keine Fortsetzung des Verfahrens. Zunächst erscheint der Vortrag einer versehentlichen Klagerücknahme wenig glaubhaft. Ausweislich seiner E-Mail vom 5. Januar 2021 war dem Kläger jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die Rücknahme der Klage bekannt. Hätte diese tatsächlich auf einem Versehen beruht, hätte der Kläger bei lebensnaher Betrachtung wesentlich frühzeitiger die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und nicht erst Anfang März 2021, also eine Woche nachdem der Beklagte Pfändungsmaßnahmen angedeutet hatte. Die Klagerücknahme vom 21. April 2020 beruhte aber jedenfalls nicht auf einem für das Gericht und den Beklagten "erkennbaren" (so BFH, Beschluss vom 12. August 2009, X S 47/08 (PKH), juris, Rn. 19) Versehen des Klägers oder seines Bevollmächtigten. Der Rücknahmeschriftsatz wies zutreffend die Prozessbeteiligten und die entsprechenden Akten- und Geschäftszeichen aus und war hinsichtlich der Klagerücknahme eindeutig formuliert. Die Klagerücknahme war für das Gericht auch nachvollziehbar, da die Klage keine Erfolgsaussichten besaß. Das angegriffene Leistungsgebot war bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung seit Monaten bestandskräftig.
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Auch das Vorbringen des Klägers im Verfahren 4 K 132/20 ist nicht geeignet, zur Unwirksamkeit der Klagerücknahme vom 21. April 2020 zu führen. Im genannten Verfahren hat der Kläger vorgetragen, dass sein damaliger Prozessbevollmächtigter die Klage in der Annahme zurückgenommen habe, beim Finanzgericht Hamburg handele es sich um das unzuständige Gericht. Dieser Vortrag ist ebenfalls wenig glaubhaft. Wenn das Finanzgericht Hamburg unzuständig gewesen wäre, dann wäre es verpflichtet gewesen, die Klage an das zuständige Gericht zu verweisen, was auch jedem Rechtsanwalt bekannt ist. Überdies war die Zuständigkeit des Finanzgerichts Hamburg in der Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2019 zutreffend benannt. Aber selbst wenn der damalige Prozessbevollmächtigte tatsächlich einer rechtlichen Fehleinschätzung unterlegen wäre und deshalb die Klage zurückgenommen worden wäre, wäre die Klagerücknahme deshalb nicht unwirksam.
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Fehleinschätzungen eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters, bei denen es sich nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO um geeignete Bevollmächtigte handelt, und eine hierdurch verursachte Falschberatung und Klagerücknahme können die Fortsetzung eines Verfahrens nicht begründen. Die Ausnahmesituationen, in denen die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme erfolgreich geltend gemacht werden können, beruhen auf der Überlegung, dass andernfalls ein Verstoß gegen die im Steuerrecht zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes vorliegen würden und der Steuerpflichtige deshalb in derartigen Fällen nicht an seiner Erklärung festgehalten werden dürfe. Belange des Vertrauensschutzes sind im Fall einer - wie vorliegend behauptet - (bloßen) Falschberatung durch den selbst gewählten Bevollmächtigten aber nicht berührt. In solch einer Situation überwiegt der Belang der Rechtssicherheit, dass ein beendetes Verfahren auch dauerhaft beendet bleibt. Überdies verdeutlicht § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, dass ein Kläger sich die Fehleinschätzung seines Bevollmächtigten grundsätzlich zurechnen lassen muss. Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist in der Regel nicht unverschuldet, da ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen muss, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH, Beschluss vom 5. März 2014, XII ZB 220/11, juris, Rn. 10). Vorliegend wäre ein Verschulden offensichtlich gewesen, da nicht nur das Gericht durch seine prozessleitenden Verfügungen zum Ausdruck gebracht hatte, dass es sich als zuständig ansieht, sondern sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bei Aufwendung der von einem Rechtsanwalt zu fordernden Sorgfalt auch relativ einfach hätte feststellen lassen.
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Ob das weisungswidrige Handeln eines Prozessbevollmächtigten einen Ausnahmefall darstellt, mit dem die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme geltend gemacht werden kann, kann offenbleiben. Der Kläger hat nicht vorgetragen, seinen Rechtsanwalt angewiesen zu haben, die Klage aufrechtzuerhalten. Vielmehr hat er - ohne dass es hierauf zur Begründung noch ankommen würde - im Telefonat mit dem Berichterstatter am 17. März 2021 erklärt, dass er sich über den Plan seines Rechtsanwalts, die Klage zurückzunehmen, gewundert, ihm aber nicht widersprochen habe.
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Eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 134 FGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO kommt mangels ersichtlicher Wiederaufnahmegründe schließlich nicht in Betracht.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO (vgl. zu den anzusetzenden Gerichtsgebühren FG München, Beschluss vom 23.11.2012, 4 Ko 2150/12, juris, wonach bei einem Urteil über einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach Klagerücknahme die vierfache Wertgebühr unter Anrechnung der nach Klagerücknahme bereits gezahlten zwei Gebühren anzusetzen ist). Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 115 Abs. 2 FGO).
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Referenzen
- §§ 578 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 134 1x
- XII ZB 220/11 1x (nicht zugeordnet)
- 8 C 33/95 2x (nicht zugeordnet)
- 12 K 194/17 1x (nicht zugeordnet)
- 4 K 132/20 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 85 Wirkung der Prozessvollmacht 1x
- FGO § 115 1x
- X S 47/08 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 90 1x
- FGO § 135 1x
- FGO § 79a 1x
- 4 Ko 2150/12 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 155 1x
- FGO § 62 1x