Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 K 2213/08


Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

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Streitig ist, ob der Kläger für seine beiden in Polen lebenden Kinder einen Anspruch auf Kindergeld hat.

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Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hat die beiden Kinder S, geboren am 24. Mai 1990 und A, geboren am 24. September 1996. Die beiden Kinder leben zusammen mit seiner Ehefrau, die berufstätig ist, in Polen. Für die Kinder hat die Ehefrau das polnische Kindergeld erhalten. Auf Grund seines Antrages auf Kindergeld vom Februar 2007 hat der Kläger unter Anrechnung des polnischen Kindergeldes von umgerechnet 11,42 € pro Kind von Oktober bis Dezember 2005 Kindergeld erhalten (Bl. 61 Kindergeldakte).

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Hiergegen hat der Kläger Einspruch eingelegt, da er Kindergeld auch ab Januar 2006 beantrage. Im Einspruchsverfahren hat er folgende Lohnsteuerbescheinigungen vorgelegt:

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Von der Firma H in B, gearbeitet vom 1. Januar bis 25. Januar 2006

Ingenieurbüro I, F, gearbeitet vom 1. Februar bis 15. Oktober 2006

Z GmbH & Co. KG, D, gearbeitet vom 23. Oktober bis 17. November 2006

R GmbH, O, gearbeitet vom 31. November bis 31. Dezember 2006

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Weiterhin liegt eine Lohnsteuerbescheinigung für 2007 von der R GmbH vor, wonach er noch bis 16. März 2007 gearbeitet hat. Mit Schreiben vom 28. Februar 2008 hat die Beklagte den Kläger aufgefordert, noch folgende Unterlagen vorzulegen, um über den Anspruch endgültig entscheiden zu können:

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- Aufstellung mit Datumsangaben und Ortsangaben über die tatsächlichen Einsatzstellen der beruflichen Tätigkeit ab Januar 2006 bis lfd.

- Anschriften, wo er entsprechend übernachtet bzw. sich aufgehalten hat

- Angaben, wo die Wochenenden und die Urlaube verbracht wurden

- Nachweis über Erwerbstätigkeit seit 17. März 2007

- Steuerbescheide 2006 und 2007

- Bescheinigung des Finanzamtes über eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 Einkommensteuergesetz -EStG- oder nach § 1 Abs. 3 EStG

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Da keinerlei Unterlagen eingegangen sind, hat der Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2008 den Antrag auf Kindergeld für die Kinder S und A ab Januar 2006 abgelehnt (Bl. 89 Kindergeldakte). Hiergegen ist Einspruch eingelegt worden, der nicht begründet worden ist. Im Einspruchsverfahren hat die Beklagte nochmals die oben aufgeführten Unterlagen angefordert. Nachdem auch während des Einspruchsverfahrens keinerlei Unterlagen eingegangen sind, hat die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen mit der Begründung, dass der Kläger weder einen Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Er habe seinen Wohnsitz bei seiner Familie in Polen. Er halte sich lediglich zu Besuchszwecken in der Wohnung seiner Schwester in W (Deutschland) auf. Dort übernachte er im Zimmer seines Neffen.

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Mit der Klage trägt der Kläger vor, dass er Deutscher mit Wohnsitz im Inland sei. Er unterliege in Deutschland als Arbeitnehmer der Sozialversicherungspflicht, weshalb die Voraussetzung des § 62 EStG vorliegen würden. Seit 17. März 2007 arbeite er bei der Firma A GmbH, K, was sich aus der beigefügten Bestätigung ergebe (Bl. 35 PA). Weiterhin würden die einzelnen Arbeitsverträge vorgelegt (Bl. 46 f. PA). Anfang 2006 sei er auf einer Baustelle in K tätig gewesen, anschließend bis einschließlich März 2006 habe es eine Baustelle in S gegeben. Genaue Adressen könne er nicht mehr eruieren. Ab April 2006 sei er zu einer Baustelle nach W (Österreich) entsandt worden. Aus den vorgelegten Einkommensteuerbescheiden für 2006, 2007 und 2008 (überreicht mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 Bl. 88 PA) gehe hervor, dass er unbeschränkt steuerpflichtig sei, da die Berechnung der Steuer nach dem Splittingtarif erfolgt sei, was die Annahme der unbeschränkten Steuerpflicht indiziere, denn gem. § 50 a Abs. 1 Satz 4 EStG i.V.m. §§ 26 und 32 a Abs. 5 EStG sei das Splittingverfahren bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht anwendbar. § 62 EStG knüpfe entweder an den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht an, selbst wenn kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt gegeben sei. Außerdem werde eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes betreffend Auskunft über Einkommensteuerpflicht überreicht (Schreiben vom 29. März 2010, Bl. 111 PA). Aus den Dienstanweisungen gehe unter DA 62.1 Allgemeines hervor, dass die Feststellungen des Finanzamtes zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht für das Kindergeldverfahren grundsätzlich bindend seien. Habe die Familienkasse ernsthafte Zweifel am Vorliegen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, sei eine Abstimmung mit dem Finanzamt erforderlich. Gegebenenfalls sei eine Bescheinigung gem. § 21 Abs. 4 Finanzverwaltungsgesetz vom zuständigen Finanzamt anzufordern.

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Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 14. Mai 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld unter Berücksichtigung des in Polen gezahlten Kindergeldes für S und A ab Januar 2006 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, dass der Wohnort bzw. gewöhnliche Aufenthalt bisher nicht nachgewiesen worden sei. Als Adresse auf den Lohnsteuerbescheinigungen sei entweder der Betriebssitz des Arbeitgebers oder die Adresse des Schwagers angegeben. Die Wohnung des Schwagers sei keine eigene Wohnung des Klägers. Er halte sich dort zu Besuchszwecken auf und schlafe im Zimmer des Neffen. Der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland sei ebenfalls nicht nachgewiesen. Nach eigenen Angaben habe sich der Kläger ab April 2006 in Wien aufgehalten. Nach dem Arbeitsvertrag für die Tätigkeit ab März 2007 würden Montagearbeiten auch im Ausland anfallen. Wo sich der Kläger konkret aufgehalten habe, sei bisher nicht nachgewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2009 seien die Bescheide über Einkommensteuer 2006 bis 2008 vorgelegt worden. Der Einkommensteuerbescheid entfalte für die Kindergeldfestsetzung keine Bindungswirkung. Denn bei der Festsetzung der Einkommensteuer und der Kindergeldfestsetzung handele es sich um unterschiedliche Verfahren, so dass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes kein Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 Abgabenordnung -AO- darstelle. Das Finanzamt habe zwar eine Auskunft über die Einkommensteuerpflicht erteilt, den Wohnsitz des Klägers habe das Finanzamt aber nicht geprüft.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist nicht begründet.

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Der ablehnende Bescheid vom 14. Mai 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 101 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

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Nach § 62 Abs. 1 EStG hat für Kinder im Sinne des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld, wer

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1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder

2. ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland

a) nach § 1 Abs. 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder

b) nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

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Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes -BFH- ist es erforderlich, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über die Wohnräume verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Abständen - besucht (vgl. BFH-Urteile vom 23. November 1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182 m.w.N.; vom 22. April 1994 III R 22/92, BStBl II 1994, 887; vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2 und vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und einem Wohnsitz. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nach den objektiven Umständen zu beurteilen. Melderechtliche Angaben sind unerheblich.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen hatte der Kläger im Streitzeitraum keinen Wohnsitz im Inland. Die Wohnung des Schwagers ist keine eigene Wohnung des Klägers. Er hält sich dort nur zu Besuchszwecken auf und schläft in dem Zimmer des Neffen. Wann diese Wohnung des Schwagers überhaupt aufgesucht wurde, hat der Kläger nicht vorgetragen, denn aus den vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass er in der ganzen Bundesrepublik bei unterschiedlichen Arbeitgebern tätig war und auf verschiedenen Baustellen gearbeitet hat. Nach eigenen Angaben war er Anfang 2006 auf Baustellen in K, S und W (Österreich).

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Der Kläger hatte auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Aus seinem Vortrag ist nicht ersichtlich, dass er mehr als 6 Monate zeitlich zusammenhängend im Inland gearbeitet hat und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach Polen unterbrochen hat (vgl. BFH-Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BStBl II 1988, 944). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 AO). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 AO ist als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als 6 Monaten anzusehen. Wechselnde Unterkünfte in verschiedenen Wohnungen oder in Wohncontainern auf unterschiedlichen Baustellen würden auch dann ausreichen, wenn der Kläger dabei zwischen mehreren Bundesländern gewechselt haben sollte (BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324).

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Nach eigenen Angaben hielt sich der Kläger Anfang 2006 zunächst auf Baustellen in K und S auf und ab April 2006 in W (Österreich), so dass kein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als 6 Monaten im Geltungsbereich der AO festgestellt werden kann, denn nähere Einzelheiten hat der Kläger nicht vorgetragen. Nach dem Arbeitsvertrag für die Tätigkeit ab März 2007 bei der A GmbH wurde seitens des Arbeitgebers bescheinigt, dass es sich um Montagearbeit handelt und auch ein Einsatz im europäischen Ausland zu erbringen ist. Wo er sich im Einzelnen aufgehalten hat, konnte nach eigenem Vortrag nicht mehr eruiert werden (Schreiben vom 29. April 2009).

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Kann im finanzgerichtlichen Verfahren der Sachverhalt deshalb nicht vollständig aufgeklärt werden, weil der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt, so führt das nicht zu einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast, sondern zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes. Die Mitwirkungspflicht des Klägers bestand vor allem darin, die für die Kindergeldfestsetzung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen und die ihm bekannten Beweismittel anzugeben (§ 90 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Diese Pflicht bestand seit Anhängigkeit der Klage - aber auch schon im Verfahren bei der Beklagten -, zumal der Kläger gerade die deutschen Rechtsvorschriften auf seinen Fall angewendet haben möchte. Er ist ihr aber nicht nachgekommen, weil er keine substantiierten Angaben zu einem Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gemacht hat. Deshalb durfte das Gericht nachteilige Schlussfolgerungen ziehen ( BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462 und Urteil des Finanzgerichts München vom 02. Dezember 2010 - 5 K 1914/10 - ).

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Die Einkommensteuerbescheide 2006 bis 2008 und die Auskunft über die Einkommensteuerpflicht vom 24. März 2010 seitens des Finanzamtes K entfalten für die Kindergeldfestsetzung keine Bindungswirkung. Die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig in kindergeldrechtlicher Hinsicht ist von der Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig im Besteuerungsverfahren unabhängig. Denn bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich um unterschiedliche Verfahren (BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564 und BFH-Beschluss vom 28. September 2007 III S 28/06 (PKH), BFH/NV 2008, 5). Der Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes für die Kindergeldfestfestsetzung nicht bindend.

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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

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