Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 K 2452/10


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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten gemäß § 17 EStG.

2

Der 1943 geborene Kläger hielt bis zum 19. Dezember 2007 100 % der Anteile an den beiden Gesellschaften K Büro- und Datentechnik GmbH mit Sitz in M (nachfolgend kurz: K GmbH M) und K Büro- und Datentechnik GmbH mit Sitz in K (inzwischen umfirmiert in: K ... GmbH, Sitz nunmehr in D; nachfolgend kurz: K GmbH K).

3

Mit notariellen Verträgen „über die Abtretung eines GmbH - Geschäftsanteils nebst einer Gesellschafterversammlung“ sowie privatschriftlichen Anteilskauf- und Übertragungsverträgen, jeweils vom 19. Dezember 2007, übertrug der Kläger seinen Geschäftsanteil an der K GmbH M auf seinen Sohn, Herrn A. K., und seinen Geschäftsanteil an der K GmbH K auf seine Tochter, Frau M. K., zu einem Kaufpreis von jeweils 1 €. Gemäß § 3 Satz 2 der Anteilskauf- und Übertragungsverträge sollte der Kaufpreis „der dauerhaften Ertraglosigkeit der Gesellschaft Rechnung“ tragen. Weiter heißt es in den Anteilskauf- und Übertragungsverträgen, der Gewinn des laufenden Geschäftsjahres (1. Juli bis 31. Dezember 2007) stehe allein dem Käufer zu (§ 1 Ziff. 2). Weder gegen den Verkäufer noch die Gesellschaft seien Insolvenzverfahren eingeleitet worden, noch seien Umstände ersichtlich, die die Einleitung solcher Verfahren in Zukunft rechtfertigen würden (§ 4 Ziff. 4). Die Gesellschaft verfüge über ausreichende Liquidität, um ihre laufenden Verbindlichkeiten begleichen zu können (§ 4 Ziff. 6). Zudem wurde vereinbart, dass alle mit dem jeweiligen Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten mit dessen Übertragung auf den Erwerber übergehen, insbesondere das Gewinnbezugsrecht (Ziff. V. Abs. 2 der notariellen Verträge „über die Abtretung eines GmbH - Geschäftsanteils nebst einer Gesellschafterversammlung“). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Verträge (Bl. 95 – 99, 104 – 107 d. ESt-Akten, Bd. VI) verwiesen.

4

Die beiden Gesellschaften hatten in den Vorjahren ausschließlich Verluste wie folgt erzielt (für die K GmbH Bad Kreuznach war ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Juli zum 30. Juni bestimmt worden):

5

K GmbH M

        

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2002

- 47.067,40 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2003

  - 3.931,57 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2004

- 25.610,39 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2005

- 29.442,99 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2006

- 45.807,16 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2007

- 59.439,21 €

K GmbH K

        

Lt. Bilanz zum 30. Juni 2003

- 26.602,57 €

Lt. Bilanz zum 30. Juni 2004

- 40.356,04 €

Lt. Bilanz zum 30. Juni 2005

- 26.675,41 €

Lt. Bilanz zum 30. Juni 2006

- 35.771,52 €

Lt. Bilanz zum 30. Juni 2007

- 45.140,82 €

Lt. Bilanz zum 31. Dezember 2007 (Rumpfgeschäftsjahr)

- 68.385,99 €

6

Die Bilanz der K GmbH M zum 31. Dezember 2006 weist einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag i.H. von 21.614,51 €, die Bilanz der K GmbH K zum 30. Juni 2007 weist einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag i.H. von 353.564,12 € aus. Das Eigenkapital der K GmbH M betrug zum 31. Dezember 2007 536.679,70 €, das Eigenkapital der K GmbH K betrug zum 31. Dezember 2007 30.538,91 € (vgl. Bilanzakten, Bd. III und Bd. VII und Bl. 119 f. d. ESt-Akten, Bd. VI). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bilanzen der beiden Gesellschaften verwiesen.

7

In ihrer am 18. Dezember 2008 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung für 2007 erklärten die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger Veräußerungsverluste nach § 17 EStG in Höhe von 668.029,00 € (Bl. 167 ESt-Akten, Bd. VI; mit Schreiben vom 4. Februar 2010 auf 735.529,00 € korrigiert, Bl. 171 – 176 ESt-Akten, Bd. VI), die sie wie folgt ermittelt hatten:

8

K GmbH M

        

Geschäftsanteil

127.822,97 €

Steuerliches Einlagekonto gem. § 27 Abs. 2 S. 1 KStG

112.484,00 €

Nachträgl. Anschaffungskosten durch Einzahlungen (verd. Einlagen) am:

        

           29.11.2007

443.315,33 €

           30.11.2007

  74.418,09 €

           18.12.2007

100.000,00 €

./. Kaufpreis

           1,00 €

Gesamt

858.039,42 €

Davon ½ (§ 3 Nr. 40 Buchst. c) EStG)

429.019,71 €

(vgl. Bl. 94 d. ESt-Akten, Bd. VI)

        

K GmbH K

        

Geschäftsanteil

  25.564,59 €

„Verzicht V-Kto. Nahest. Person U. K. 19.12.2007“

  60.453,61 €

Nachträgl. Anschaffungskosten durch Einzahlungen (verd. Einlagen) am:

        

             23.10.2007

  30.000,00 €

             30.11.2007

192.000,00 €

             18.12.2007

  50.000,00 €

          * 19.12.2007

195.000,00 €

             19.12.2007

  60.000,00 €

./. Kaufpreis

           1,00 €

Gesamt

613.017,61 €

Davon ½ (§ 3 Nr. 40 Buchst. c) EStG)

306.508,40 €

* Ausgleichsverbindlichkeit gem. Anteilskauf- und Übertragungsvertrag

        

(vgl. Bl. 171, 174 d. ESt-Akten, Bd. VI)

        

9

Das beklagte Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Veräußerungsverluste im Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 5. Februar 2010 nicht. In den Bescheiderläuterungen heißt es hierzu, es sei von einer unentgeltlichen Übertragung der GmbH-Anteile auszugehen (Bl. 177 ff. d. ESt-Akten, Bd. VI).

10

Hiergegen legten die Kläger unter dem 8. Februar 2010 Einspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführten, die vom Finanzamt vorgenommene Bewertungsmethode sei unzutreffend. Gehe man vom Ertragswert der beiden Unternehmen aus, könnten diese nicht mit mehr als 1 € bewertet werden. Ermittele man als unteren Wert den Zerschlagungswert, ergebe sich auch kein höherer Wert. Insoweit nahmen die Kläger auf selbst erstellte Bilanzen zum 31. Dezember 2007 zu Zerschlagungswerten Bezug, welche einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag der K GmbH M i.H. von 270.252,55 € bzw. ein (positives) Eigenkapital der K GmbH K i.H. von 7.135,73 € ausweisen. Dabei waren der Bewertung stille Lasten in den Sachanlagen und den Vorräten der Unternehmen sowie Rückstellungen für Arbeitnehmerabfindungen zugrunde gelegt worden (Bl. 149 ff., 175 f. d. ESt-Akten, Bd. VI). Wegen der Einzelheiten wird auf die Bilanzen zum 31. Dezember 2007 zu Zerschlagungswerten verwiesen.

11

Eine andere zulässige Bewertungsmethode existiere nicht. Insoweit verweisen die Kläger auf den „IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ (IDW S 1) und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Unternehmensbewertung (Bl. 181, 196 ff. d. ESt-Akten, Bd. VI).

12

Mit Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 202 ff. d. ESt-Akten, Bd. VI).

13

Mit der hiergegen am 4. November 2010 erhobenen Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor, der Beklagte ziehe über die am Ertragswert orientierten Bewertungsverfahren hinaus einen fiktiven unrealistischen Wert als Bemessungsgrundlage heran. Hierzu könne insbesondere auf die Rechtsprechung zur Abfindung im Rahmen von Spruchstellenverfahren verwiesen werden. Dabei sei in der Vergangenheit die Frage gestellt worden, ob in erster Linie auf fundamentalanalytische Methoden (basierend auf dem Ertragswertprinzip) abzustellen sei oder ob eine marktwertorientierte Bewertungsmethode vorzuziehen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in der DAT Altana-Entscheidung die reine Ausrichtung an der Ertragswertmethode im Rahmen fundamentalanalytischer Bewertung hin zu einer marktorientierten Bewertung korrigiert. Dies entspreche dem finanzgerichtlichen Verfahren mit Orientierung grundsätzlich am Marktwert bzw. dem Verkehrswert des Unternehmens. Dieser sei in erster Linie anhand von Verkäufen zu ermitteln. Lägen diese nicht vor, sei der Marktwert nach dem Ertragswert zu ermitteln. Hierbei sei, sofern man den Substanzwert des Unternehmens berücksichtige, als Unterwert der Zerschlagungswert anzusetzen. In einem solchen Fall seien alle wertmindernden Faktoren, einschließlich sonstiger Kosten, die einen Veräußerungserlös senkten, nach der Rechtsprechung des BGH zu berücksichtigen. Ein Wiederbeschaffungswert könne nur dann zu Grunde gelegt werden, wenn der Erwerber zwingend den zu erwerbenden Vermögensgegenstand benötige d.h. ihn erwerben müsse.

14

Der BGH sei bei der Unternehmensbewertung von der ursprünglichen Methode der gemischten Bewertung bereits 1982 abgerückt und habe dies in späteren Entscheidungen konkretisiert. Nach Ansicht des BGH beurteile der Rechtsverkehr den gemeinen Wert eines Unternehmens im Wesentlichen nach seinem finanziellen Zukunftsertrag. Diese Rechtsprechung werde auch übereinstimmend von allen Senaten des BGH vertreten. Insoweit könne die Auffassung des Beklagten keinen Bestand haben, da gerade beim Fremdvergleich von einem fremden Dritten auszugehen sei. Im Vordergrund stehe die Ermittlung, wie sie der Rechtsverkehr vornehme. Diese Frage sei letztendlich eine zivilrechtliche Frage.

15

Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 5. Februar 2010 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 2010 dahingehend zu ändern, dass der Besteuerung negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 735.529,- Euro zugrunde gelegt werden.

16

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

17

Er nimmt auf die Ausführungen in der angegriffenen Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend im Wesentlichen vor, die Rechtsprechung des BGH zur Unternehmensbewertung könne nicht allein den Ausschlag geben. Denn das Verhältnis zwischen Steuerrecht und Zivilrecht werde allgemein dadurch charakterisiert, dass das Zivilrecht gegenüber dem Steuerrecht nicht vorrangig sei, sondern Basis und Ausgangspunkt der steuerlichen Wertung darstelle. Insbesondere bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen stelle sich immer die Frage ihrer steuerrechtlichen Anerkennung. Es sei zu prüfen, ob die Vereinbarung auf einen Leistungsaustausch ausgerichtet sei oder die Parteien sich unter dem Deckmantel eines Vertrags etwas zuwenden wollten. Insoweit seien im Streitfall nochmals die Einzahlungen des Klägers in der Zeit vom 29. November 2007 bis 18. Dezember 2007 in Höhe von ca. 600.000,00 € in die K GmbH M und in der Zeit vom 23. Oktober 2007 bis 19. Dezember 2007 in Höhe von 392.000,00 Euro in die K GmbH K zu thematisieren. Es sei nur schwer vorstellbar und daher aus Sicht des Beklagten nicht nachvollziehbar, dass der Kläger unter diesen Umständen von einer Wertlosigkeit der Anteile ausgegangen sei. Jedenfalls wären solch hohe Einlagen, die für den Kläger verloren seien, bei einer Übertragung an einen Fremden nicht ohne Gegenleistung bewirkt worden.

18

Die Kläger erwidern hierauf noch, auch bei einer Bewertung unter nahen Angehörigen sei auf die üblichen Methoden abzustellen. Ginge man davon ab, verstieße dies gegen Art. 6 GG. Die Frage, ob ein Unternehmer zum Ende seiner Unternehmerlaufbahn unbedingt seinen Namen als „Insolvenzfall“ lesen möchte, sei keine Angelegenheit unter nahen Angehörigen. Der Kläger habe nur das Unternehmen soweit tauglich gemacht, dass es nicht insolvent gehe. Ein Zukunftsertrag sei nicht zu erwarten gewesen. Es sei Aufgabe des Übernehmers gewesen, entsprechende unternehmerische Aktivitäten zu entfalten. Im Übrigen handele es sich um eine auch unter fremden Dritten immer wieder übliche Vorgehensweise, dass der Veräußerer zur Unternehmenssanierung einen Betrag in das Unternehmen einzahle und es dann anschließend für einen symbolischen Preis veräußere.

19

Der Senat hat die Steuerakten (Körperschaftsteuer-, Vertrags- und Bilanzakten) der K GmbH M und der K GmbH K zum Verfahren beigezogen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht angenommen, dass der Kläger die Geschäftsanteile unentgeltlich auf seine Kinder übertragen hat. Die geltend gemachten Verluste können daher mangels Veräußerungen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG steuerlich nicht berücksichtigt werden.

21

1. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Entsprechendes gilt für einen Veräußerungsverlust.

22

Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an einer wesentlichen Beteiligung gegen Entgelt (BFH, Urteil vom 10. November 1998, VIII R 28/97, BFH/NV 1999, 616). Ob eine (entgeltliche) Veräußerung oder eine (unentgeltliche) Schenkung gegeben ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Umstände, insbesondere dem erkennbaren Willen und den Vorstellungen der Parteien (BFH, Urteil vom 5. März 1991, VIII R 163/86, BStBl II 1991, 630).

23

Werden Geschäftsanteile ohne Gegenleistung bzw. zu einem – wie im Streitfall – symbolischen Kaufpreis von z.B. 1 € übertragen, liegt grundsätzlich keine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vor. Etwas anderes gilt in der Regel bei einer Übertragung unter fremden Dritten, wenn die Geschäftsanteile zum Zeitpunkt der Übertragung wertlos waren (BFH, Urteil vom 18. August 1992, VIII R 13/90, BStBl II 1993, 34). Während bei Verträgen zwischen fremden Personen eine widerlegbare tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts spricht, wenn die Werte der den Beteiligten nach dem Vertrag zukommenden Vorteile nicht in einem Missverhältnis zueinander stehen, besteht eine dahingehende Vermutung bei einer Übertragung zwischen nahen Angehörigen allerdings nicht (BFH, Urteil vom 7. März 1995, VIII R 29/93, BStBl II 1995, 693).

24

2. Der Senat ist unter Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon überzeugt, dass der Kläger die Geschäftsanteile nicht im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG an seine Kinder veräußert hat.

25

a) Entgegen der Auffassung der Kläger waren die Geschäftsanteile zum Zeitpunkt der Übertragungen werthaltig.

26

a 1) Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, die – wie die streitgegenständlichen Geschäftsanteile – nicht börsennotiert sind, mit dem gemeinen Wert anzusetzen.

27

Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG i.d. bis zum 12. Dezember 2006 gültigen Gesetzesfassung war der gemeine Wert, wenn er sich nicht aus Verkäufen ableiten ließ, die weniger als ein Jahr zurücklagen, unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. Durch Art. 3 des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 – SEStEG – (BGBl I 2006, 2782) wurde allerdings ein Satz 3 in § 11 Abs. 2 BewG eingeführt, wonach Satz 2 der Vorschrift für ertragsteuerliche Zwecke nicht mehr galt (erst durch das Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 24. Dezember 2008 – ErbStRG – hat der Gesetzgeber § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 wieder aufgehoben). Das von der Finanzverwaltung für die Wertermittlung von Anteilen an Kapitalgesellschaften entwickelte sog. Stuttgarter Verfahren, das maßgeblich auf den Vermögenswert (Substanzwert) des Unternehmens abstellt und vom BFH im Regelfall auch für ertragsteuerliche Zwecke als brauchbares Hilfsmittel bei der Schätzung des gemeinen Werts von nicht börsennotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften angesehen wurde (vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 29. Oktober 2009, X B 100/09, BFH/NV 2010, 205, m.w.N.), kann daher vorliegend keine Anwendung mehr finden (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des Stuttgarter Verfahrens für ertragsteuerliche Zwecke ab dem Veranlagungszeitraum 2007 auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 16/2710 zu Art. 8 Nummer 1).

28

Fraglich erscheint damit, nach welcher Methode der gemeine Wert der streitgegenständlichen Geschäftsanteile geschätzt werden kann. Zwischen den Beteiligten besteht zwar zu Recht dahingehend Einigkeit, dass nicht börsennotierte Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten sind, wobei der Substanzwert als Bewertungsuntergrenze nicht unterschritten werden darf. Während die Kläger jedoch annehmen, als Substanzwert sei der (anteilige) Liquidationswert des Unternehmens maßgeblich, geht der Beklagte unter Berufung auf den Leitfaden der Oberfinanzdirektionen Münster und Rheinland zur Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften für ertragsteuerliche Zwecke vom 15. November 2007 – 4. Fassung, Stand: Januar 2007 – für die Bestimmung des Substanzwertes von dem Fortführungswert des Unternehmens im Sinne eines Reproduktions- bzw. Wiederbeschaffungswertes aus.

29

Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung an. Soweit die Kläger unter Bezugnahme auf den IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) meinen, nur bei Vorliegen eines rechtlichen oder tatsächlichen Zwangs zur Unternehmensfortführung sei auf den Fortführungswert des Unternehmens abzustellen (IDW S 1, Rz. 141), kann dem nicht gefolgt werden. Ob ein rechtlicher oder tatsächlicher „Zwang“ zur Unternehmensfortführung besteht oder das Unternehmen aus anderen Gründen fortgeführt wird, ist nicht entscheidend. Werden Unternehmensanteile übertragen, obwohl das Unternehmen in der Vergangenheit dauerhaft Verluste erwirtschaftet hat, und bestehen wie im Streitfall (vgl. § 4 Ziff. 4 und 6 der Anteilskauf- und Übertragungsverträge, Bl. 95 f. und 104 f. d. ESt-Akten, Bd. VI, und Schriftsatz der Kläger vom 2. Mai 2011, wonach die Einzahlungen des Klägers in die Gesellschaften der Unternehmenssanierung bzw. der Vermeidung eines Insolvenzverfahrens dienen sollten, Bl. 36 d. PA) deutliche Anhaltspunkte dafür, dass das Unternehmen fortgeführt werden soll, ist im Regelfall davon auszugehen, dass wirtschaftlich vernünftig handelnde Vertragsparteien ein Entgelt für die Übertragung zumindest in Höhe derjenigen Aufwendungen vereinbaren, die der Erwerber anderenfalls für die Reproduktion bzw. Wiederbeschaffung der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens leisten müsste. Als Untergrenze der Unternehmensbewertung ist daher der durch die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter abgebildete Substanzwert zugrunde zu legen, was im Übrigen auch der aktuellen Fassung des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG entspricht. Der Liquidationswert kann dagegen nur dann relevant werden, wenn der Erwerber beabsichtigt, das Unternehmen zu zerschlagen.

30

a 2) Soweit der Beklagte hiervon ausgehend im Streitfall positive Substanzwerte der Unternehmen in Höhe von 536.679,70 € (K GmbH M) bzw. in Höhe von 30.538,91 € (K GmbH K) ermittelt hat, lässt dies keine durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.

31

Der Beklagte ist für die Ermittlung der Substanzwerte in nicht zu beanstandender Weise von Ziff. B. 2.2 des Leitfadens der Oberfinanzdirektionen Münster und Rheinland vom 15. November 2007 ausgegangen, wonach sich der Substanzwert eines Unternehmens grundsätzlich aus dem Eigenkapital lt. Handelsbilanz / Steuerbilanz, erhöht um die stillen Reserven, ergibt. Der Einwand der Kläger, nach den vorgelegten Bilanzen zum 31. Dezember 2007 "zu Zerschlagungswerten" (Bl. 149, 152 d. ESt-Akten, Bd. VI) hätten die Sachanlagen nur einen unter dem Buchwert liegenden Verkehrswert von 35.000,00 € (K GmbH M; statt 69.861,51 €, vgl. Bilanzakten, Bd. VII) bzw. von 500,00 € (K GmbH K; statt 913,60 €, vgl. Bilanzakten, Bd. III) gehabt, kann als zutreffend unterstellt werden, ohne dass sich hierdurch an der Werthaltigkeit der Unternehmen etwas ändert. Die lt. den Bilanzen "zu Zerschlagungswerten" vom Buchwert abweichende Bewertung der Vorräte beruht ebenso wie der Ansatz von Rückstellungen für Arbeitnehmerabfindungen auf der im Streitfall nicht zutreffenden Prämisse, dass die Unternehmen liquidiert werden müssen, und kann daher nicht zugrunde gelegt werden. Im Übrigen haben die Kläger gegen die Substanzwertermittlung des Beklagten keine erheblichen Einwendungen vorgebracht, so dass von den ermittelten Werten auszugehen ist.

32

b) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Klage selbst dann keinen Erfolg hätte, wenn die übertragenen Geschäftsanteile – entgegen den vorstehenden Ausführungen – als wertlos anzusehen wären.

33

Werden Geschäftsanteile unter fremden Dritten ohne Gegenleistung bzw. zu einem nur symbolischen Kaufpreis übertragen, liegt zwar gleichwohl im Regelfall eine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vor, wenn die Geschäftsanteile zum Zeitpunkt der Übertragung wertlos waren (BFH, Urteil vom 18. August 1992, VIII R 13/90, BStBl II 1993, 34). Dies gilt jedoch nicht ohne weiteres in gleicher Weise für Übertragungen unter Familienangehörigen. Denn anders als bei fremden Dritten kann bei nahen Angehörigen der Grund für die fehlende Entgeltsvereinbarung auch in den persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten liegen (vgl. BFH, Urteil vom 18. August 1992, aaO, in den Entscheidungsgründen Ziff. 2 a.E.). Dementsprechend wird z.B. bei der Übertragung eines Betriebes oder eines Gesellschaftsanteils von Eltern auf Kinder gegen wiederkehrende Leistungen widerlegbar vermutet, dass Leistung und Gegenleistung nicht wie unter Fremden nach kaufmännischen Gesichtspunkten abgewogen wurden, sondern vielmehr die Rente unabhängig vom Wert der übertragenen Vermögenswerte nach dem Versorgungsbedürfnis der Eltern und/oder nach der Ertragskraft des übertragenen Vermögens bemessen worden ist und insofern familiären, außerbetrieblichen Charakter hat (BFH, Urteil vom 3. Juni 1992, X R 14/89, BStBl II 1993, 23; FG München, Urteil vom 20. September 2006, 6 K 3686/04, in juris). Die Übertragung von wertlosen Geschäftsanteilen unter nahen Angehörigen ohne Gegenleistung kann deshalb nur dann als entgeltlich beurteilt werden, wenn sich nach dem Gesamtbild der Umstände feststellen lässt, dass der Grund für die fehlende Entgeltsvereinbarung ausschließlich in der Wertlosigkeit der übertragenen Anteile liegt sowie Anhaltspunkte für eine unentgeltliche Zuwendung nicht vorliegen (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. November 2003, 2 K 148/99, EFG 2005, 105; FG des Saarlandes, Urteil vom 24. Mai 2005, 1 K 25/01, FGReport 2005, 57).

34

Der Senat geht davon aus, dass die – vermeintliche – Wertlosigkeit der Geschäftsanteile im Streitfall nicht dafür ausschlaggebend war, dass die Vertragsparteien kein Entgelt für deren Übertragung vereinbart haben, sondern vielmehr deren persönliche Beziehungen der Grund für die fehlende Entgeltsvereinbarung waren. Dafür spricht, dass Leistung und Gegenleistung erkennbar nicht in kaufmännischer Weise gegeneinander abgewogen wurden. Insbesondere lassen sich weder dem Sachvortrag der Kläger noch den Akten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Wert der Unternehmen vor der Anteilsübertragung ermittelt wurde. Die Vertragsparteien sind damit nicht in einer Weise verfahren, wie dies unter fremden Dritten üblich gewesen wäre. Wird ein Veräußerungsverlust nach § 17 EStG aufgrund eines Vertrages unter nahen Angehörigen geltend gemacht, so ist auch auf diesen Vertrag die Rechtsprechung des BFH zu den Angehörigenverträgen anwendbar. Bei Aufwendungen aufgrund eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen ist von einer Veranlassung durch die Einkunftserzielung und nicht durch die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten daher grundsätzlich nur auszugehen, wenn die Vereinbarung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zustande gekommen ist und sowohl die inhaltliche Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (FG des Saarlandes, Urteil vom 23. Oktober 2007, 1 K 2346/98, in juris). Unter fremden Dritten erscheint aber auch nicht denkbar, dass der Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft einen Betrag in Höhe von rd. 1,14 Mio. € in diese einzahlt, um seine Geschäftsanteile unmittelbar im Anschluss hieran zu einem Kaufpreis von 1 € zu veräußern.

35

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

36

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der höchstrichterlich bisher nicht geklärten Rechtsfrage zuzulassen, nach welcher Methode der gemeine Wert nicht börsennotierter Anteile an Kapitalgesellschaften in den Veranlagungszeiträumen 2007 und 2008 für ertragsteuerliche Zwecke geschätzt werden kann bzw. ob und gegebenenfalls in welcher Weise – als Liquidations- oder als Fortführungswert – der Substanzwert als Wertuntergrenze zu berücksichtigen ist.

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