Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 K 2349/10 Z


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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Zurechnung der Stromentnahmen in den durch sog. Agenturpartner der Klägerin betriebenen Verkaufsstellen.

2

Die Klägerin, eine GmbH, betreibt eine Großbäckerei, die u.a. ihre Produkte bundesweit über Filialen vertreibt. Die Filialen werden mit Teigrohlingen beliefert, die dort für den Verkauf an die Endkunden fertig gebacken werden. Der Vertrieb in den Filialen erfolgt auf der Grundlage sog. Agenturverträge durch Handelsvertreter. Hinsichtlich des Inhalts der – im Wesentlichen identischen – Verträge wird auf die beispielhaft in der Verwaltungsakte befindlichen Verträge (VwA, Bl. 124-131, 202-209, 219-222) Bezug genommen.

3

Mit Bescheid vom 29.07.1999 (VwA, Bl. 24 ff) erteilte das – damals zuständige – Hauptzollamt (HZA) der Klägerin auf ihren Antrag vom 11.05.1999 rückwirkend zum 01.04.1999 die Erlaubnis als Unternehmen des produzierenden Gewerbes steuerbegünstigt Strom gemäß § 9 Abs. 3 StromStG zu beziehen.  Die Erlaubnis erstreckte sich auf alle im Antrag der Klägerin genannten 131 Betriebsstätten/Filialen (vgl. 1. Abs., S. 2 der Erlaubnis; Liste der Filialen s. VwA, Bl. 5-7) und stand unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.

4

Aufgrund von Prüfungsanordnungen vom 14.06.2004 und vom 16.10.2006 fand bei der Klägerin in der Zeit  vom 18.10.2004 bis 04.12.2006 eine Außenprüfung statt, bei der u.a. die rechtlichen Beziehungen der Klägerin zu den jeweiligen Leitern der Verkaufsstellen überprüft worden sind.

5

Im Rahmen einer 2008 für das Jahr 2007 durchgeführten Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass zwar sowohl die Produktionsstandorte der Klägerin als auch die Filialen als Produzierende Gewerbe i.S. des § 2 Nr. 3 StromStG einzuordnen seien. Die Filialen, die von selbständigen Handelsvertretern betrieben würden, seien jedoch rechtlich selbständige Einheiten i.S. des § 2 Abs. 4 StromStG, so dass die Stromentnahmen der Filialen diesen jeweils selbst und nicht der Klägerin zuzuordnen seien (Prüfbericht vom 17.08.2009, Ziffer 3.2.1.2., VwA, Bl. 186, 194).

6

Mit streitgegenständlichem Bescheid 22.09.2010 (VwA, Bl. 92 ff) widerrief das zwischenzeitlich zuständig gewordenen HZA (Beklagter) die der Klägerin erteilte Erlaubnis  mit Wirkung vom 01.10.2010 soweit sie sich auf die steuerbegünstigte Entnahme von Strom durch die Filialen bezog.

7

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13.10.2010 erhobenen Sprungklage, der der Beklagte fristgerecht zugestimmt hat (Gerichtsakte, Bl. 111, 109).

8

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, der streitige Bescheid sei rechtswidrig, da die Einordnung der Handelsvertreter als kleinste rechtliche Einheit die Zurechnung der Stromentnahme zu den Handelsvertretern allein nicht begründen könne.

9

Der Beklagte verkenne, dass § 2 Nr. 4 StromStG keine Zurechnungsnorm für Stromentnahmen beinhalte. In § 2 StromstG würden lediglich einige für die Auslegung des StromStG zentrale Begriffsbestimmungen, die definiert würden, den weiteren Regelungen vorangestellt. Weder nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch nach dem Willen des Gesetzgebers diene § 2 Nr. 4 StromStG dazu, eine Zurechnung von Stromentnahmen vorzunehmen. § 2 Nr. 4 StromStG sei lediglich eine Abgrenzungsnorm.

10

Über die Definition des § 2 Nr. 4 i.V.m. § 2 Nr. 3 StromStG könne zwar eine rechtliche Einheit als taugliches Zuordnungsobjekt einer Stromentnahme definiert werden. Zur Frage, wem die Stromentnahme aber letztlich zuzurechnen sei, schweige die Vorschrift jedoch gänzlich. Die Feststellung, die Filialbetreiber wären selbständig tätig und daher Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG, sei daher nicht geeignet, die Zurechnung der Stromentnahmen zu begründen. Diese Feststellung ermögliche lediglich eine Zurechnung, begründe sie aber nicht.

11

Entscheidend für die Zurechnung sei, wessen betrieblichen Zwecken die Entnahme von Strom diene. In diesem Zusammenhang komme es insbesondere auf die rechtlichen Beziehungen der am Vertrieb der Backwaren beteiligten Personen an.

12

Anders als in den vom BFH entschiedenen „Tankstellenfällen“ (BFH-Urteil vom 30.06.2005, III R 47/03) beschränke sich die Tätigkeit der Verkaufsstellen nicht auf den Vertrieb eines fertigen Produkts. Vielmehr entstehe das seitens der Klägerin vertriebene Produkt erst in den Filialen durch das Fertigbacken der Teiglinge. Dies sei wesentlicher Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolgs der Klägerin, da nur so die Frische des Gebäcks vor Ort gewährleistet sei. Die Klägerin beschränke sich mithin nicht darauf, die Verkaufsstellen zu vermieten. Sie sei darauf angewiesen, vor Ort den letzten Fertigungsschritt der Backwaren vornehmen zu können.

13

Die Tatsache, dass die Agenturpartner ein geringes Nutzungsentgelt für die Verkaufsräume zahlen würden, stehe dieser Qualifikation nicht entgegen. § 12 AO erfordere nicht, dass die Einrichtung insgesamt nur für die Tätigkeit des Unternehmens genutzt werde.

14

Die Tatsache, dass sich die Klägerin für den letzten Schritt nicht der eigenen Arbeitnehmer, sondern der Handelsvertreter vor Ort als Erfüllungsgehilfen bediene, trete vor diesem Hintergrund in seiner Bedeutung zurück. Denn es könne keinen Unterschied machen, ob die Tätigkeit durch weisungsgebundene Arbeitnehmer oder durch vertraglich gebundene Selbständige erfolge.

15

Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Klägerin die Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten der Filialen besitze. Die Klägerin besitze Schlüssel zu sämtlichen Verkaufsstellen und ihre Mitarbeiter seien berechtigt, die Filiale jederzeit zu betreten.

16

Die Klägerin trage auch das wirtschaftliche Risiko des Betreibens der Filialen, da das von den Agenturpartnern zu zahlende Nutzungsentgelt am Umsatz bemessen werde. Erwirtschafte die Verkaufsstelle nur einen geringen oder keinen Umsatz, würden auch keine Zahlungen an die Klägerin erfolgen.

17

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 22. September 2010 (Teilrücknahme der Erlaubnis zum Bezug von steuerbegünstigtem Strom vom 29. Juli 1999) aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

19

Zur Begründung führt er aus, entgegen der Auffassung der Klägerin sei die im Raum stehende Frage, wem die strittigen Stromentnahmen zuzurechnen seien, ausschließlich über den Status der durch Agenturpartner betriebenen Vertriebsstellen als kleinste rechtlich selbständige Einheiten i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG zu beantworten.

20

Hierbei sei das Urteil des Finanzgerichts (FG) Hessen vom 31.01.2007 richtungsweisend. Nach diesem Urteil seien die durch selbständige Gewerbetreibende betriebene Filialen einer Großbäckerei nicht Teil des zum Produzierenden Gewerbe gehörenden Backwarenherstellungsbetriebs. Deshalb seien die Filialen auch nicht von der ihm für seine eigenen betrieblichen Zwecke  erteilten Erlaubnis umfasst. Vielmehr würden diese Filialen ihrerseits kleinste rechtlich selbständige Einheiten darstellen.

21

Nicht entscheidend sei, ob es sich bei den Filialen um Kommissionäre gemäß § 383 HGB oder um Handelsvertreter i.S. des § 84 HGB handele. Auch das FG Hessen habe keine Notwendigkeit einer derartigen Differenzierung für die stromsteuerrechtliche Bewertung eines Unternehmens gesehen, sofern die konkrete vertragliche Ausgestaltung die erforderliche Selbständigkeit einräume.

22

Eine derartige Selbständigkeit ergebe sich aus dem als „Agenturvertrag“ bezeichneten Regelwerk der Klägerin (z.B. VwA, Bl. 124 ff). So seien beispielsweise die Agenturpartner als selbständige Handelsvertreter in der örtlichen Gewerbekartei eingetragen (§ 1 Abs. 3 und 4 des Vertrages) und sie seien verpflichtet, an der Eingangstür der Filiale ihr Firmenschild mit vollständigem Namen und Telefonnummer anzubringen. Für die Nutzung der Verkaufsstätten würden sie eine Umsatzpacht (§ 3 Abs. 2 des Vertrages) zahlen und für ihre Tätigkeit eine Umsatzprovision (§ 7) erhalten.

23

Mit Schriftsatz vom 27.07.2012 (Gerichtsakte, Bl. 152 ff) weist die Klägerin unter Hinweis auf die Kommentierung von Wundrack zu § 2 Nr. 4 StromStG (Bongartz/Wundrack, Kommentar zum StromStG § 2 Rz. 24) u.a. darauf hin, dass die Frage, wem der Stromverbrauch in den Verkaufsstellen zuzurechnen sei, allein anhand der konkreten Vertragsgestaltung und insbesondere der Einflussnahme der Klägerin auf die Tätigkeit der Agenturpartner bzw. deren Eingliederung in den Produktionsprozess der Klägern beurteilt werden könne und müsse. Zum Zwecke der Beurteilung der Einflussnahme und insbesondere zum Nachweis der Vorgabe strenger Qualitätsstandards legte die Klägerin ein Exemplar des sog. „Filialhandbuchs“ vor, auf dessen Inhalt verwiesen wird.

24

Mit weiterem Schriftsatz vom 31.07.2012 weist die Klägerin darauf hin, sie habe zu keinem Zeitpunkt behauptet, die Agenturpartner wären vor dem Hintergrund der formalen Betrachtung des BFH im Urteil vom 02.11.2010, Az. VII R 48/09, keine Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG. Unabhängig davon sei jedoch die Frage zu entscheiden, in wessen Namen die rechtlich selbständige Einheit handle und wem die Stromentnahme zuzurechnen sei. Maßgebend hierfür sei, wem die wirtschaftliche Leistung zuzurechnen sei. Hierfür sei eine wertende Betrachtung des konkreten wirtschaftlichen Sachverhalts notwendig. Betrachtet werden müsse die konkrete Vertragsgestaltung und insbesondere die Einflussnahme der Klägerin auf die Tätigkeit der Agenturpartner bzw. deren Eingliederung in den Produktionsprozess der Klägerin. Zur Beurteilung der Einflussnahme und insbesondere zum Nachweis der Vorgabe strenger Qualitätsstandards werde auf das vorgelegte Filialhandbuch verwiesen. Darin werde die Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und den Agenturpartnern beschrieben und es lasse Rückschlüsse auf die  - nicht vorhandene – eigene wirtschaftliche Leistung der Agenturpartner zu. Die Klägerin benennt im Schriftsatz vom 31.07.2012 ferner einzelne Aspekte, die für die wertende Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen seien. So sei beispielsweise die Klägerin Mieterin der Räumlichkeiten der Verkaufsshops, die Öfen und Tiefkühlschränke stünden im Eigentum der Klägerin, die Agenturpartner würden eine Mindestprovision erhalten, die Öffnungszeiten und Verkaufpreise seien vorgeschrieben usw. Wegen der Aufzählung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 31.07.2012, Gerichtsakte, Bl. 152, 162 ff, verwiesen. Die Klägerin überprüfe die Einhaltung der Vorgaben durch sog. „Store-Cheks“. Zum Beweis des vorstehend beschriebenen Sachverhalts und der Vorgaben werde Herr J. S., der für die Filialen zuständige Mitarbeiter der Klägerin, als Zeuge benannt.

25

Die Klägerin gewähre außerdem den Agenturpartnern eine Zulage von 10,- € pro Stunde für den erforderlichen Personaleinsatz (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 31.07.2012, Gerichtsakte, Bl. 168).

26

Vor dem Hintergrund der gewährten Mindestprovision und der Personalzulage sei ein Unternehmerrisiko bei den Agenturpartnern nicht mehr nennenswert vorhanden. Da die Agenturpartner - wie oben dargestellt - auch keine eigene wirtschaftliche Leistung erbringen würden, sei der Stromverbrauch in den Filialen der Klägerin zuzurechnen.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die mit Textziffern bezeichneten Schriftsätze und sonstigen Unterlagen Bezug genommen, § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Entscheidungsgründe

28

Die Klage ist unbegründet.

29

Das beklagte Hauptzollamt ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den zur Steuervergütung angemeldeten, in den Filialen der Klägerin entnommenen Strom, nicht im Sinne des § 9 Abs. 3 S. 1 StromStG (i.d. für den Streitfall maßgebenden Fassung – jetzt § 9 b Abs. 1 S. 1 StromStG) für – eigene - betriebliche Zwecke entnommen hat. Das HZA hat die gemäß § 9 Abs. 4 StromStG auch für die Filialen erteilte Erlaubnis deshalb zu Recht widerrufen.

1.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 StromStG a. F. (im Folgenden StromStG) unterliegt Strom einem ermäßigten Steuersatz, wenn er – u.a. -  von Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für betriebliche Zwecke entnommen wird und nicht nach Absatz § 9 Abs. 1 StromStG von der Steuer befreit ist.

31

Wer nach Absatz 3 begünstigten Strom entnehmen will, bedarf gemäß § 9 Abs. 4 StromStG der Erlaubnis. Die Erlaubnis wird auf Antrag unter Widerrufsvorbehalt Personen erteilt, gegen deren steuerliche Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen.

32

Im Streitfall hat der Beklagte die am 29.07.1999 auch für die Betriebsstätten der Klägerin erteilte und unter Widerrufsvorbehalt stehende Erlaubnis zu Recht gemäß § 130 Abs. 1 i.V.m. § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO teilweise, nämlich soweit sie die Betriebsstätten umfasste, zurückgenommen.

33

1.1.  Rücknahme gemäß § 130 Abs. 1 i.V.m. § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO

34

Die Vorschrift des § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO  bildet nach st. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs über ihren Wortlaut hinaus auch eine Rechtsgrundlage für den Widerruf eines mit einem Widerrufsvorbehalt versehenen und als rechtswidrig erkannten begünstigenden Verwaltungsakts (BFH-Urteil vom 30.11.2004, VII R 41/03, BFH/NV 2005, 636; BFH-Urteil vom 30.11.1982, VIII R 9/80, BStBl. II 1983, 187)

1.2.

35

Die im Juli 1999 erteilte Erlaubnis war rechtswidrig, soweit sie auch die Betriebsstätten bzw. Filialen der Klägerin in die Erlaubnis einbezogen hat.

36

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass sowohl die Klägerin selbst als auch die einzelnen Filialen „Unternehmen des Produzierenden Gewerbes“  im Sinne des StromStG sind. Streitig ist allein die Frage, ob für den in den Filialen entnommenen Strom das Tatbestandsmerkmal  „Entnahme des Stroms zu betrieblichen Zwecken“ von der Klägerin erfüllt wurde bzw. wird.

1.2.1.

37

Gemäß § 9 Abs. 3 StromStG wird die Steuervergünstigung gewährt, wenn der Strom von einem  „Unternehmen des Produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG für betriebliche Zwecke entnommen“ wird. Die teleologische Auslegung des Tatbestandsmerkmals „von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG für betriebliche Zwecke entnommen“ ergibt, dass die Steuervergünstigung nur dann gewährt wird, wenn der Strom für die eigenen betrieblichen Zwecke des Unternehmens entnommen wird.

38

Insofern weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass nicht allein die Frage, ob ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. des § 9 Abs. 3 StromStG vorliegt, entscheidend sein kann, sondern – im zweiten Schritt – maßgebend ist, wem die Stromentnahme zuzurechnen ist. Gerade für diese Frage hat der Gesetzgeber jedoch durch die Definition in § 2 Nr. 4 StromStG – auf den § 2 Nr. 3 StromStG Bezug nimmt – eine Regelung getroffen.

39

Durch die Definition des Unternehmens in § 2 Nr. 4 StromStG als „kleinste rechtlich selbständige Einheit“ wird zugleich diejenige Unternehmenseinheit definiert, die Zuordnungsobjekt für die ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit und damit für die Einordnung in die Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes ist.

40

Entscheidende Frage ist mithin zunächst, ob die von Agenturpartnern betriebenen Filialen „rechtlich selbständige Einheiten“ i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG sind. Ist diese Frage zu bejahen, ist der in der jeweiligen Einheit für betriebliche Zwecke entnommene Strom auch dieser Einheit zuzurechnen. Nur die Entnahme des Stroms zu den Zwecken dieser „kleinsten rechtlich selbständigen Einheit“ ist nach § 9 Abs. 3 StromStG begünstigt.

41

Das StromStG enthält  in § 2 Nr. 4 StromStG einen eigenen, legal definierten Begriff des Unternehmens (Wundrack in Bongartz, Kommentar zum StromStG § 9 Rz. 41; ebenso Rüsken, „Praxishinweise“ zum Urteil des BFH vom 01.11.2010, BFH/PR 2011, 246 ff).

42

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist bei der Definition der  „kleinsten rechtlich selbständigen Einheit“ auf eine rein formale Betrachtungsweise abzustellen. Maßgebend ist allein die rechtliche Selbständigkeit eines Unternehmens. Dies entspricht, so der BFH, den Wertungen des Gesetzgebers, der aus Gründen der Praktikabilität  und um eine Kongruenz mit dem Unternehmensbegriff der Klassifikation der Wirtschaftzweige herzustellen, eine Lösung gefunden  hat, die zu einem effektiven Verwaltungsvollzug beitrage (BFH-Urteil vom 30.11.2004, VII R 41/03, BFH/NV 2005, 636; BFH-Beschluss vom 15.09.2006, VII B 234/05, BFH/NV 2007, 278; BFH-Beschluss vom 31.01.2008, VII B 79/07, BFH/NV 2008, 1013).

43

In seinem Urteil vom 02.11.2010, Az. VII R 48/09, (nv, Leitsätze in BFH/PR 2011, 246 ff) hat der BFH zur Frage der rechtlichen Selbständigkeit Folgendes ausgeführt:

44

„Verpachtet ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes von ihm errichtete Verkaufsstellen an Personen, die keine Angestellten des Unternehmens sind, sondern auf Provisionsbasis im Rahmen einer selbständigen und eigenverantwortlichen Handelsvertretertätigkeit u.a. Produkte des Unternehmens veräußern sowie Eigengeschäfte ausführen, kann das Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für die Stromentnahmen in den Verkaufsstellen keine Stromsteuervergünstigungen nach § 9 Abs. 3 und § 10 Abs. 1 StromStG erhalten. Unternehmen im Sinne des § 2 Nr. 4 StromStG ist der verpachtete Geschäftsbetrieb. Für diese Beurteilung ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Pächter im eigenen oder fremden Namen auftreten und in ein Vertriebsnetz und Verkaufskonzept eingebunden sind.“

1.2.2.

45

In Anwendung dieser Entscheidung, von der bisher allerdings nur die Leitsätze veröffentlicht worden sind, kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass im Streitfall Zuordnungsobjekt der Steuervergünstigung die Filialen sind und nicht der Betrieb der Klägerin.

46

Die – im Wesentlichen bei allen Vertragspartnern inhaltsgleichen Agenturverträge – beinhalten u.a. folgende Regelungen:

47

1. Der Agent wird als selbständiger Handelsvertreter mit seinem eigenen Gewerbe tätig (vgl. § 1 Ziffer 3 und 4 Agenturvertrag (Rb-Akte, Bl. 124).

2. Der Agent ist während der Laufzeit des Vertrages berechtigt, für weitere Auftraggeber tätig zu werden, soweit er nicht ein Geschäft der Backwarenbranche betreibt.

3. Die Klägerin überlässt die – i.d.R. angemieteten – Geschäftsräume dem Agenturpartner, der hierfür eine Umsatzpacht entrichtet (§ 3 des Vertrages Rb-Akte, Bl. 126).

4. Die Klägerin trägt die anfallenden Stromkosten. Etwaige Reparaturkosten trägt der Agent anteilig. Die Reinigungskosten trägt der Agent (§ 3 Ziffer 5 und 6 des Vertrages, Rb-Akte, Bl. 126).

5. Der Agent ist Betreiber der Filiale. Bezüglich seiner Mitarbeiter ist er verpflichtet, durch ordnungsgemäße Auswahl und Überwachung des Personals ... die ordnungsgemäße Führung des Verkaufsbetriebes zu überwachen und sicherzustellen (§ 4 Ziffer 2 des Vertrages, Rb-Akte, Bl. 126).

6. Der Agent erhält eine Umsatzprovision (§ 7 des Vertrages, Rb-Akte, Bl. 127).

7. Der Vertrag läuft auf unbestimmte Zeit und endet durch Kündigung einer der Vertragsparteien bzw. durch Kündigung des Mietvertrages des Vermieters der Geschäftsräume (§ 8 des Vertrages (Rb-Akte, Bl. 128).

48

Nach dieser inhaltlichen Gestaltung der Agenturverträge ergibt sich, dass die Agenturpartner im Rahmen einer eigenständigen Handelsvertretertätigkeit in gepachteten Geschäftsräumen auf Provisionsbasis tätig geworden sind bzw. werden. Verkauft werden die Produkte der Klägerin sowie – je nach Filiale – weitere Produkte Dritter. Die Anwendung der oben zitierten Entscheidung des Bundesfinanzhofes führt aufgrund der vorliegenden Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis, dass die jeweilige Filiale als kleinste rechtlich selbständige Einheit i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG anzusehen ist. Damit ist – ausgehend von der Intention des Gesetzgebers, dass das Unternehmen als kleinste rechtlich selbständige Einheit Zuordnungsobjekt für die Steuervergünstigung ist - die in und  durch die Filiale erfolgte Stromentnahme dieser und nicht der Klägerin zuzurechnen.

49

Die Tatsache, dass die Umsätze aus dem Verkauf der Teigwaren täglich an die Klägerin gemeldet und von dieser auch versteuert worden sind, ändert nichts an der stromsteuerrechtlichen Beurteilung der rechtlichen Selbständigkeit der Filialen. Der BFH ist in dem o.g. Urteil vom 02.11.2010 einer umsatzsteuerlichen Gleichstellung entgegengetreten und hat hierzu ausgeführt:

50

„Für die stromsteuerrechtliche Beurteilung als kleinste rechtlich selbständige Einheit und für die Einstufung als Unternehmen ist es nicht erforderlich, dass diese Einheit aus handels- oder steuerrechtlichen Gründen Bücher führt und Bilanzen erstellt. Der stromsteuerrechtliche Unternehmensbegriff ist nicht deckungsgleich mit dem umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensbegriff oder dem Begriff der Betriebsstätte in § 12 AO.“

51

Dass die Filialen in ein Vertriebsnetz und ein Verkaufskonzept mit – wie von der Klägerin dargestellt – strikten Vorgaben eingebunden sind, ist nach Auffassung des erkennenden Senats auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung des BFH für den Streitfall ebenfalls nicht entscheidend. Denn die von der Klägerin dargelegten Aspekte der Einflussnahme der Klägerin auf die Ausgestaltung des Filialbetriebes durch die Agenturpartner – die der Senat als wahr unterstellt – ist nach Ansicht des Senats  eine Frage der Einbindung in das Verkaufskonzept der Klägerin, die nicht zu einer anderen Beurteilung der oben dargelegten vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Agenturpartner führt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Agenturpartner aufgrund der konkreten Gestaltung der Agenturverträge rechtlich selbständig tätig werden.

52

Vor diesem Hintergrund sah der Senat auch keine Veranlassung für den Erlass eines Beweisbeschlusses aufgrund der im Schriftsatz vom 31.07.2012 beantragten Vernehmung des für die Filialen zuständigen Mitarbeiters der Klägerin, Herrn J. S. Nicht entscheidend für den Streitfall ist ferner, ob die Agenturpartner – wie die Klägerin meint – ein nur geringes Unternehmerrisiko tragen, weil sie eine Mindestprovision erhalten würden und für den erforderlichen Personaleinsatz eine Zulage bekommen könnten (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 31.07.2012, Provisionssystem 2012, Gerichtsakte, Bl. 168). Für die Berücksichtigung des Gesichtspunktes „Unternehmerrisiko“ bietet das Gesetz – soweit es über die Frage der rechtlichen Selbständigkeit hinausgeht – keinen Anhaltspunkt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31.01.2008, a.a.O.).

53

Die – im Einzelfall – gewährte Zulage ändert im Übrigen nichts an der Tatsache, dass der Agenturpartner für das einzustellende Personal eigenverantwortlich als Arbeitgeber zuständig ist.

2.

54

Die Revision wird gemäß §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof anhängige Revision, Az. VII R 64/11, zur Frage der Definition des Begriffs „kleinste rechtlich selbständige Einheit“ zugelassen.

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