Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 K 1295/11
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Streitig ist in erster Linie, ob im Jahr 2009 Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden müssen.
- 2
Der Kläger ist als Bankangestellter nicht selbstständig tätig. Er hat Kapitaleinnahmen aus mehreren in- und ausländischen Quellen.
- 3
Der Kläger gehört der römisch-katholischen Kirche an.
- 4
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 erklärte der Kläger in Zeile 7 der Anlage KAP Kapitalerträge in Höhe von 2.597 €.
- 5
Den in Anspruch genommenen Sparer-Pauschbetrag erklärte er mit 797 €.
- 6
In Zeile 15 erklärte er Kapitalerträge in Höhe von 11.655 €.
- 7
Die Steuerabzugsbeträge erklärte er wie folgt:
Kapitalertragsteuer
395,28 €
Solidaritätszuschlag
21,72 €
Kirchensteuer
0,00 €
angerechnete ausländische Steuern
54,68 €
anrechenbare ausländische Steuern
11,31 €
- 8
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen machte der Kläger auf einem Beiblatt in Höhe von insgesamt 1.782,70 € geltend (Zusammenstellung Bl. 28 FA-Akte).
- 9
Er beantragte in den Zeilen 4 und 5 der Anlage KAP sowohl die Günstigerprüfung, als auch die Überprüfung des Steuereinbehalt für bestimmte Kapitalerträge. Beim Antrag auf Günstigerprüfung trug er handschriftlich den Zusatz ein „a) mit Werbungskosten, b) ohne Werbungskosten“.
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Bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit erklärte der Kläger folgende Werbungskosten:
Fahrten zur Arbeitsstätte an 220 Tagen, einfache Entfernung 3 km
Bekleidung für’s Büro: 884 €
Schuhe: 40 €
Kontoführungsgebühren: 21 €
Autoreparaturen: 320 €
- 11
Gezahlte Kirchensteuer machte der Kläger in Höhe von 966 € als Sonderausgabe geltend.
- 12
In seinem Begleitschreiben zur Steuererklärung beantragte der Kläger:
- 13
„Bezüglich der Einkünfte aus Kapitalvermögen lege ich auf die Günstigerprüfung größten Wert. Mit sind Werbungskosten auf die Kapitaleinkünfte (die nirgendwo in den Formularen eingetragen werden konnten/warum eigentlich nicht?) von insgesamt 1.782,70 € angefallen, auf die nicht so ohne weiteres Verzichtet werden kann. Stellen Sie mir daher anhand von 3 Modellrechnungen zum Vergleich dar, was für mich am günstigsten ist und zwar:
I. Wie bisher Kapitaleinkünfte unter Abzug der Werbungskosten von 1.782,70 € mit meinem aktuellen Steuersatz + Kirchensteuer
II. Pauschale Besteuerung von 25% auf die Kapitaleinkünfte nebst KiSt
III. Aufgrund meines Beschäftigungsstatus (einfacher Arbeitnehmer!) Einbeziehung und Berücksichtigung der Kapitalwerbungskosten von 1.782,70 € als weitere Werbungskosten unter Zuordnung auf die Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (also Zeilen 47 – 49 des Formulars), welche sich statt angegebenen 341 € auf 2.124 € erhöhen würden. Dies gilt insbesondere für den Fall, wenn die Anerkennung von Werbungskosten auf Kapitaleinkünfte unter Modellrechnung I oder II seit 2009 grundsätzlich bzw. aufgrund unklarer oder strittiger Rechtslage bzw. Gesetzgebung nicht mehr möglich ist.“
- 14
Der Beklagte erließ am 29.10.2010 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009, mit dem er bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 920 € ansetzte.
- 15
Bei den Sonderausgaben wurden 83 € erstattete Kirchensteuer abgezogen, so dass ein zu berücksichtigender Betrag von 883 € verblieb
- 16
Die Kapitalerträge abzüglich des Sparerfreibetrages in Höhe von insgesamt 13.451 € wurden gemäß § 32d Abs. 1 EStG besteuert.
- 17
In den Erläuterungen wurde ausgeführt, dass eine Günstigerprüfung durchgeführt wurde; die Prüfung ergab, dass die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif nicht günstiger ist.
- 18
Ausländische Steuer wurde in Höhe von 65 € berücksichtigt.
- 19
Mit seinem dagegen gerichteten Einspruch wehrte der Kläger sich gegen
- 20
-
die Anrechnung erstatteter Kirchensteuer in Höhe von 83 €
-
die Anrechnung ausländischer Steuern nur in Höhe von 65 € an Stelle von 66 €
-
die Durchführung der Günstigerprüfung ohne Berücksichtigung der Werbungskosten.
- 21
Der Beklagte erließ am 11.02.2011 eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wurde.
- 22
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, ausländische Steuern seien in Höhe von 65,99 € angefallen, der Betrag sei auf 66 € aufzurunden.
- 23
Bei der Anlage in NZD seien Sollzinsen von 16,69 NZD (7,60 €) angefallen; die Einkünfte seien um diesen Betrag zu reduzieren.
- 24
Die Nichtberücksichtigung der nachgewiesenen Werbungskosten verstoße gegen das objektive Netto-Prinzip und sei verfassungswidrig. Hierzu seien beim Finanzgericht Münster Klageverfahren anhängig (Az. 6 K 1847/10 E und 6 K 3260/10 F). Das FG Baden-Württemberg habe mit Urteil vom 17.12.2012 – 9 K 1637/10 in seinem Sinne entschieden; auch in seinem Fall liege der individuelle Steuersatz unter 25%.
- 25
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 29. Oktober 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 2011 dahin zu ändern, dass
ausländische Steuern in Höhe von 66 € angerechnet werden,
unter Abzug von Negativ-Zinsen in Höhe von 7,60 € (16,69 NZD) die Zinseinnahmen mit 14.244 € angesetzt werden,
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.775,10 € anerkannt werden.
- 26
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
- 27
Der Beklagte hat es abgelehnt den streitbefangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 im Hinblick auf das unter dem Aktenzeichen VIII R 13/13 anhängige Revisionsverfahren für vorläufig gemäß § 165 AO zu erklären. Er hält die Voraussetzung, dass der individuelle Steuersatz unter 25% liege, im Streitfall nicht für gegeben, da der Grenzsteuersatz auch unter Berücksichtigung der beantragten Werbungskosten höher sei.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Klage ist nicht begründet.
- 29
1. Soweit der Kläger die Berücksichtigung negativer Einnahmen begehrt, kommt dies nicht in Betracht, da die Sollzinsen keine Rückzahlung erhaltener Zinsen und damit negative Einnahmen sind; es kann sich lediglich dem Grunde nach um Werbungskosten handeln. Eine Reduzierung des Ansatzes der Einnahmen um 7,60 € ist daher nicht vorzunehmen.
- 30
2. Die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG wurde vom Beklagten korrekt durchgeführt.
- 31
Die tatsächlichen Werbungskosten sind auch im Rahmen der Günstigerprüfung nicht abzuziehen (§ 20 Abs. 9 S. 1 EStG).
- 32
Wenn im Rahmen der Günstigerprüfung der individuelle Steuersatz anzuwenden ist, bleibt es also gleichwohl bei der Anwendung des § 20 Abs. 9 Satz 1 2. Halbsatz EStG mit der Folge, dass die Werbungskosten nur pauschal mit dem Sparer-Pauschbetrag von 801 € berücksichtigt werden können.
- 33
Das objektive Nettoprinzip steht dem Ausschluss des Werbungskostenabzugs nicht entgegen.
- 34
Der BFH hat mit Urteil vom 8.7.2010 VI R 10/08 (BFHE 230, 352, BStBl II 2011, 32) zum objektiven Nettoprinzip ausgeführt:
- 35
„Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen.
- 36
Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Als besonderen sachlichen Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen hat das BVerfG u.a. Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt (Urteil des BVerfG vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, m.w.N.).
- 37
Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits. Deshalb sind Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß §§ 4, 9 EStG und Existenz sichernde Aufwendungen im Rahmen von Sonderausgaben, Familienleistungsausgleich und außergewöhnlichen Belastungen gemäß §§ 10 ff., 31 f., 33 ff. EStG grundsätzlich steuerlich abziehbar. Im Rahmen des objektiven Nettoprinzips hat der Gesetzgeber des Einkommensteuergesetzes die Zuordnung von Aufwendungen zum betrieblichen bzw. beruflichen Bereich, derentwegen diese Aufwendungen von den Einnahmen grundsätzlich abzuziehen sind, danach vorgenommen, ob eine betriebliche bzw. berufliche Veranlassung besteht (vgl. § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG).
- 38
Das BVerfG hat bisher offen gelassen, ob das objektive Nettoprinzip, wie es in § 2 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommt, Verfassungsrang hat; jedenfalls aber kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 in BVerfGE 122, 210, m.w.N.).“
- 39
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das BVerfG mit Urteil vom 7.12.1999 2 BvR 301/98 (BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162) die beschränkte Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG als mit dem Gleichheitssatz de Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen und führt dazu aus:.
- 40
„Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung "aller Menschen" vor dem Gesetz (Abs. 1) und verbietet jede Benachteiligung oder Bevorzugung wegen persönlichkeitsbedingter Eigenheiten (Abs. 2 und Abs. 3). Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr eine Regelung den Einzelnen als Person betrifft, und umso offener für gesetzgeberische Gestaltungen, je mehr allgemeine, für rechtliche Einwirkungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden.
- 41
Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Diese gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Der Gesetzgeber hat vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung einen - freilich nicht unbegrenzten - Raum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen.
- 42
Steuerrechtliche Regelungen sind so auszugestalten, dass Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Gleichheitssatz fordert nicht eine immer mehr individualisierende und spezialisierende Gesetzgebung, die letztlich die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzuges gefährdet, sondern die Regelung eines allgemein verständlichen und möglichst unausweichlichen Belastungsgrundes. Deshalb darf der Gesetzgeber, wie etwa bei der einkommensteuerlichen Verschonung des Existenzminimums, einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen.
- 43
Der Gesetzgeber legt der Einkommensteuer das sog. Nettoprinzip zugrunde, nach dem nur das Nettoeinkommen, die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen, besteuert wird. Der Gleichheitssatz fordert allerdings nicht, dass der Gesetzgeber stets den gewillkürten tatsächlichen Aufwand berücksichtigt, vielmehr kann es auch genügen, dass er für bestimmte Arten von Aufwendungen nur den Abzug eines in realitätsgerechter Höhe typisierten Betrages gestattet. Dies gilt insbesondere, wenn die Erwerbsaufwendungen die Kosten der allgemeinen Lebensführung i.S. des § 12 EStG berühren und deshalb zur Klarstellung wie zur Vereinfachung in einem unwiderleglichen Regeltatbestand erfasst werden. Dadurch können zugleich Ermittlungen im Privatbereich eingegrenzt werden.
- 44
Gemessen an diesem Maßstab ist § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 in seinen den Beschwerdeführer betreffenden Aussagen mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
...
- 45
Die Fachgerichte haben zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer die private Lebensführung berühren. Aufwendungen für die Lebensführung mindern die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage jedoch auch dann nicht, wenn sie der Förderung der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen dienen (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Zwar unterliegen die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG, soweit das Zimmer ausschließlich beruflich oder betrieblich genutzt wird. Eine Nachprüfung dieser Nutzung durch die Finanzbehörden ist aber wegen des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung und des Schutzes durch Art. 13 GG wesentlich eingeschränkt oder gar unmöglich; einzig der regelmäßige Augenschein in den Wohnräumen (§ 98 f. AO) ohne vorherige Benachrichtigung (vgl. § 197 Abs. 1 S. 1 AO) könnte im Einzelfall zur Aufklärung verhelfen. Deshalb ist die Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer sachlich gerechtfertigt.“
- 46
In seinem Urteil vom 9.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 (BVerfGE 122, 210) hat das BVerfG zur Entfernungspauschale ausgeführt:
- 47
„Unabhängig davon, ob mit einer Steuernorm allein Fiskalzwecke oder auch Förderungs- und Lenkungsziele verfolgt werden, ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen.
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Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits. Deshalb sind Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß §§ 4, 9 EStG und existenzsichernde Aufwendungen im Rahmen von Sonderausgaben, Familienleistungsausgleich und außergewöhnlichen Belastungen gemäß §§ 10 ff., 31 f., 33 ff. EStG grundsätzlich steuerlich abziehbar. Im Rahmen des objektiven Nettoprinzips hat der Gesetzgeber des Einkommensteuergesetzes die Zuordnung von Aufwendungen zum betrieblichen bzw. beruflichen Bereich, derentwegen diese Aufwendungen von den Einnahmen grundsätzlich abzuziehen sind, danach vorgenommen, ob eine betriebliche bzw. berufliche Veranlassung besteht (vgl. § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Dagegen mindern Aufwendungen für die Lebensführung außerhalb des Rahmens von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage; dies gilt gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG auch für solche Lebensführungskosten, "die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen".
...
- 49
Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser hat die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen sind.
- 50
Die Neuregelung findet keine hinreichende sachliche Legitimation in der Qualifikation der Wegekosten als "gemischt" - sowohl beruflich als auch privat - veranlasste Aufwendungen und einer aus dieser Qualifikation folgenden Typisierungskompetenz des Gesetzgebers.
- 51
Der Gesetzgeber ist - verfassungsrechtlich unbedenklich - im Anschluss an die Entscheidung des Senats zur doppelten Haushaltsführung (BVerfGE 107, 27 <50>) davon ausgegangen, dass angesichts der regelmäßig "privaten" Wahl des Wohnorts die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nicht ausschließlich beruflich, sondern auch privat mit veranlasst sind. ...
- 52
Zwar spricht viel dafür, die hier fraglichen Wegekosten tatbestandlich nicht gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG als "Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen", zu bewerten. ...
- 53
Gleichwohl wird aber die Höhe der Wegekosten in erheblichem Maße auch durch individuelle Entscheidungen der Steuerpflichtigen beeinflusst, wozu die Wahl des Verkehrsmittels ebenso gehört wie die Wahl des Wohnorts. Entscheidungen über Auswahl und Beibehaltung oder Wechsel des Wohnorts mögen vielfach unterschiedlichen - insbesondere ökonomischen oder familiären - Zwängen unterliegen. Ihre berufliche (Mit-)Veranlassung tritt jedoch umso stärker zurück, je größer der Stellenwert ist, der den gegen eine möglichst große Arbeitsplatznähe sprechenden Gesichtspunkten beigemessen wird und je länger demzufolge der Arbeitsweg ist.
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Auf der Grundlage einer verfassungsrechtlich auch mit Blick auf das einkommensteuerrechtliche Nettoprinzip unbedenklichen Bewertung der Wegekosten als nicht nur beruflich, sondern auch privat (mit-)veranlasst eröffnen sich dem Gesetzgeber bei deren einkommensteuerrechtlicher Behandlung erhebliche Typisierungsspielräume.“
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Die hier streitigen Aufwendungen für die Unterhaltung eines Depots sind in ihrer Qualität den Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer, Wegekosten oder Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung vergleichbar. Bei all diesen Aufwendungen, bei denen die Einschränkung des objektiven Nettoprinzips als gerechtfertigt angesehen wird, handelt es sich um Aufwendungen, die auch in irgendeiner Form die steuerlich nicht relevante Privatsphäre berühren. Darin liegt die Rechtfertigung für die Berücksichtigung von Aufwendungen in lediglich typisierter Form mit der Folge, dass dem Einzelnen u.U. höhere Aufwendungen entstehen können, die sich dann steuerlich nicht mehr auswirken.
- 56
Auch die Depotgebühren berühren nicht allein die Einkunftssphäre, sondern auch die steuerlich nicht relevante Vermögenssphäre. Depotgebühren fallen unabhängig davon, ob Zinseinkünfte erzielt werden, an.
- 57
Zwar liegt – anders als beim häuslichen Arbeitszimmer – kein Fall vor, in dem es der Finanzverwaltung an den Möglichkeiten mangelt, die berufliche von der privaten Veranlassung abzugrenzen (Urteil des BVerfG vom 7.12.1999 2 BvR 301/98 a.a.O.). Jedoch sind die Aufwendungen untrennbar mit der Vermögenssphäre verwoben; eine abgrenzbare teilweise Zuordnung zur Einkunftssphäre ist regelmäßig nicht möglich.
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Somit verstößt nach den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen auch die Durchbrechung des Nettoprinzips durch die Regelung des § 20 Abs. 9 S. 1 EStG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Wegen der untrennbaren Verquickung der Depotgebühren sowohl mit dem im Depot gehaltenen Kapital selbst als auch den Erträgen daraus ist die Beschränkung des Abzugs von Aufwendungen auf den Sparer-Pauschbetrag des § 20 Abs. 9 EStG gerechtfertigt.
- 59
3. Soweit möglicherweise die ausländische Steuer um 1 € zu niedrig angerechnet worden sein sollte, würde eine Änderung an der KleinbetragsVO scheitern. Gem. § 1 Abs. 1 KBV werden Einkommensteuerbescheide nur dann geändert, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung mindestens 10 € beträgt.
- 60
Mit Urteil vom 16.2.2011 X R 21/10 (BFHE 233, 1, BStBl II 2011, 671) hat der BFH entschieden, dass die KleinbetragsVO in der ab dem Jahr 2002 geltenden Fassung auch insoweit durch § 156 Abs. 1 AO gedeckt ist, als danach nicht nur Änderungen zulasten des Steuerpflichtigen, sondern gleichermaßen Änderungen, die an sich zugunsten des Steuerpflichtigen vorzunehmen wären, unterbleiben, wenn die Abweichungen zu den bisherigen Festsetzungen oder Feststellungen bestimmte Bagatellgrenzen nicht erreichen.
- 61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
- 62
Die Revision wurde im Hinblick auf das bereits anhängige Revisionsverfahren VIII R 13/13 gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
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