Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (5. Senat) - 5 K 1717/13
Tenor
I. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 27.05.2013 wird der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2009 vom 07.12.2012 dahingehend geändert, dass der Ertrag aus der Teilauflösung einer Rückstellung in Höhe von 75.068,- € unter Anwendung des sogenannten Progressionsvorbehalts von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland freigestellt wird.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist, ob der Gewinn aus der Auflösung einer Rückstellung der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland unterliegt.
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Die Klägerin ist die mit Gesellschaftsvertrag vom ....1995 gegründete B Holding GmbH & Co. KG (Bl. 1 ff. Vertragsakten). Im Streitjahr 2009 war Komplementärin der Gesellschaft die B Holding-Verwaltungs-GmbH; Kommanditist war Herr K. B. Die Gewinnermittlung erfolgte nach § 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Klägerin war Alleingesellschafterin der B Internationale ...gesellschaft mbH (im Folgenden: B Internationale) mit einem Stammkapital von 60.000,- € und der B-GmbH, deren Stammkapital 1.100.000,- € betrug (Bl. 40 ff. Vertragsakten). Im Streitjahr bestand zwischen der Klägerin (als Organträgerin) und den beiden Tochtergesellschaften (als Organgesellschaften) eine ertragsteuerliche Organschaft auf der Basis von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (Bl. 56 ff., 62 ff. Vertragsakten).
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Im Rahmen einer vom 07.12.2011 bis 07.05.2012 bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften sowie die Gewerbe- und Umsatzsteuer für die Jahre 2006 bis 2009 stellte der Prüfer u.a. fest, dass die B Internationale eine Betriebsstätte in Belgien unterhalten hatte, die – seiner Beurteilung nach – im Jahr 2000 aufgelöst worden sei. Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch Rückstellungen, die auf die Tätigkeit der Betriebsstätte zurückzuführen waren. Im Jahr 2009 wurde eine Rückstellung in Höhe von 75.068,- € teilweise aufgelöst (vgl. Bl. 22 Ziffer 1.4, Bl. 27 Einspruchsakte). Der Prüfer vertrat die Auffassung, die feste Geschäftseinrichtung, die zuvor sowohl nach § 12 der Abgabenordnung (AO) als auch nach Art. 5 DBA-Belgien Grundlage für die Zuweisung des Besteuerungsrechts zum Betriebsstättenstaat Belgien gewesen sei, habe seit dem Jahr 2000 nicht mehr bestanden. Nach der Betriebsstättenauflösung seien die Aktiva und Passiva dem Stammhaus zuzuordnen, sodass ergebniswirksame Änderungen in den Folgejahren nur noch dem Stammhaus zugerechnet werden könnten. Der Prüfer gelangte zu dem Ergebnis, mangels einer im Zeitpunkt der Teilauflösung der Rückstellung im Jahr 2009 in Belgien bestehenden Betriebsstätte sei der insoweit entstandene Ertrag der B Internationale in Deutschland zuzurechnen und damit der deutschen Besteuerung zu unterwerfen.
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Die Klägerin vertrat die Ansicht (Schreiben vom 30.05.2012 und vom 20.07.2012), der Ertrag aus der Teilauflösung der während der Zeit des Bestehens der ausländischen Betriebsstätte gebildeten Rückstellung sei der ehemaligen Betriebsstätte zuzurechnen und damit in Belgien zu versteuern. Zur Begründung verwies sie darauf, dass es sich dabei um sog. nachträgliche Betriebsstätteneinkünfte handele, für deren Zuordnung auf das sog. Veranlassungsprinzip abzustellen sei (Bl. 1 ff., 8 ff. Einspruchsakte).
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Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers und unterwarf mit Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2009 vom 07.12.2012 den Ertrag aus der Teilauflösung der Rückstellung der deutschen Besteuerung (Bl. 31 ff. Feststellungsakten). Laut von der Klägerin eingereichten Unterlagen war der Betrag tatsächlich auch in Belgien versteuert worden (Bl. 58-76 Einspruchsakte).
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Der dagegen am 20.12.2012 eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 27.05.2013 als unbegründet zurück gewiesen (Bl. 13 ff., 94 f. Einspruchsakte). Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, das Veranlassungsprinzip sei ungeeignet ein Besteuerungsrecht zuzuweisen, jedenfalls werde es insofern nach den abkommensrechtlichen Regelungen durch das Betriebsstättenprinzip überlagert. Die Regelung des Art. 7 Abs. 1 DBA-Belgien ebenso wie der Betriebsstättenbegriff des Art. 5 Abs. 1 DBA-Belgien seien gegenwartsbezogen formuliert. Dies habe zur Folge, dass eine Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebstätte nur dann in Betracht komme, wenn die Betriebstätte im Zeitpunkt der Gewinnrealisierung noch bestehe. Fehle es – wie im Streitfall – zum Zeitpunkt des Entstehens der Einkünfte an einer aktiven Betriebsstätte in Belgien, seien die nachträglichen Einkünfte ausschließlich dem Stammhaus zuzurechnen. Mit der Auflösung der ausländischen Betriebsstätte seien zudem sämtliche Aufgaben und Lasten auf das deutsche Stammhaus übergegangen, sodass diesem auch die Einnahmen zuzuordnen seien. Danach seien die nachträglichen Einkünfte aus der Teilauflösung der Rückstellung nicht in Belgien, sondern in der Bundesrepublik Deutschland zu versteuern. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen Bezug genommen.
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Am 20.06.2013 erhob die Klägerin dagegen Klage. Sie vertritt die Auffassung, der Ertrag aus der Teilauflösung der während der Zeit des Bestehens der ausländischen Betriebsstätte gebildeten Rückstellung sei der (aufgelösten) belgischen Betriebsstätte zuzurechnen und gemäß Art. 7 Abs. 1 DBA-Belgien in Belgien zu versteuern. In der Bundesrepublik Deutschland sei der Gewinn nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien von der Besteuerung freizustellen. Zur Begründung wiederholt die Klägerin, dass es sich insoweit um sog. nachträgliche Betriebsstätteneinkünfte handele, für deren Zuordnung auf das sog. Veranlassungsprinzip abzustellen sei. Dieser in großen Teilen des Schrifttums vertretenen Auffassung folge auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH), die im Zusammenhang mit der Zuordnung nachträglicher Betriebsstätteneinkünfte im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen ebenfalls auf das Veranlassungsprinzip abstelle. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere den Urteilen des BFH vom 28.10.2009 (Az.: I R 99/08 und I R 28/08), seien nachträgliche Einkünfte auch dann der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen, wenn diese nicht mehr existiere.
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Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 27.05.2013 den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2009 vom 07.12.2012 dahingehend zu ändern, dass der Ertrag aus der Teilauflösung einer Rückstellung in Höhe von 75.068,- € unter Anwendung des sogenannten Progressionsvorbehalts von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland freigestellt wird.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die in der Einspruchsentscheidung dargelegten Gründe. Ergänzend führt er aus, das Veranlassungsprinzip sei - im Gegensatz zum Betriebsstättenprinzip - nicht gesetzlich definiert. Die von der Klägerin angeführten Urteile zeigten, dass die Gerichte mangels einer für das Veranlassungsprinzip geltenden Rechtsgrundlage auf die Vorschriften der §§ 24, 34d und 49 EStG hätten zurückgreifen müssen. Für die Zuweisung des Besteuerungsrechts seien jedoch vorrangig die Regelungen des entsprechenden DBA anzuwenden. Erst wenn diese Regelungen das Besteuerungsrecht einem Staat zuwiesen oder das DBA nicht anwendbar sei, könne auf nationale Vorschriften zurück gegriffen werden.
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Ein Besteuerungsrecht des Königreiches Belgien lasse sich aus Art. 7 DBA-Belgien nicht herleiten, da diese Regelung nach ihrem Wortlaut eine zum Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bzw. Einkünfteerzielung bestehende Betriebsstätte voraussetze. Die für die Zuordnung der im Betriebsstättenstaat zu versteuernden Einkünfte besondere Regelung des Art. 7 Abs. 2 DBA-Belgien gelte nur, wenn eine aktive Betriebsstätte tatsächlich vorhanden sei. Denn Ziel der Aufteilung sei es, der Betriebsstätte den Teil des Gewinns des Gesamtunternehmens zuzuordnen, den sie nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs erwirtschaftet habe, allerdings nur solange, wie die Betriebsstätte auch tatsächlich existiere. Fehle es hieran, seien die nachträglichen Einkünfte ausschließlich dem Stammhaus zuzurechnen.
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Der Verweis der Klägerin auf die Urteile des BFH vom 28.10.2009 (Az.: I R 99/08 und I R 28/08) gehe fehl, da der streitgegenständliche Sachverhalt – die Aufgabe einer einzelnen Betriebsstätte – mit den den Urteilen des BFH zugrunde liegenden Sachverhalten - nämlich einer Verlegung des gesamten Betriebes – nicht vergleichbar sei. Denn bei einer Betriebsverlegung würden die Aktiva und Passiva der Verlegung folgen, während bei der Aufgabe einer Betriebsstätte die Aktiva und Passiva vom Stammhaus übernommen würden. Für die Trennung der Einkünfte und der Wirtschaftgüter würde die Betriebsstätte (nur) während ihres Bestehens als unabhängig behandelt werden, rechtlich liege aber ein Betrieb vor. Zudem habe der BFH in den genannten Urteilen auch nur in einem obiter dictum Stellung bezogen zur weiteren Versteuerung im Wegzugsland und das auch nur soweit die beschränkte Steuerpflicht betroffen gewesen sei.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2009 vom 07.12.2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 27.05.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Unrecht hat der Beklagte die infolge der Teilauflösung der Rückstellung entstandenen nachträglichen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterworfen, denn aufgrund der Bestimmungen des DBA-Belgien steht insoweit dem Königreich Belgien das Besteuerungsrecht zu.
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1. Zwar ist der infolge der Teilauflösung der Rückstellung entstandene Ertrag in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich steuerpflichtig.
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Aufgrund des nach deutschem Ertragsteuerrecht geltenden Welteinkommensprinzips (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 1 Abs. 2 KStG) sind die von einer Personengesellschaft als Einheit der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit erzielten Einkünfte auch dann im Inland steuerpflichtig, wenn sie durch eine Betriebsstätte im Ausland erzielt werden. Da die Klägerin mit der B Internationale, welche die Betriebsstätte in Belgien inne hatte, einen Beherrschungs- und Kooperationsvertrag abgeschlossen hat, sind die der B Internationale gebührenden Erträge nach §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Satz 1 KStG der Klägerin als Organträgerin zuzurechnen.
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2. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch aufgrund abkommensrechtlicher Bestimmungen - hier des DBA-Belgien - daran gehindert, von diesem Besteuerungsrecht Gebrauch zu machen.
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a) Die Bestimmungen des DBA-Belgien sind vorliegend anzuwenden. Der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens gemäß Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 DBA-Belgien ist eröffnet; die B Internationale als "Inhaberin" der aufgelösten Betriebsstätte ist in der Bundesrepublik Deutschland ansässig und daher nach Art. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 DBA-Belgien auch persönlich abkommensberechtigt.
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b) Die Bestimmungen des DBA-Belgien weisen im Streitfall das Besteuerungsrecht dem Königreich Belgien zu. Dabei kann nach Ansicht des Senats offen bleiben, ob im Streitjahr tatsächlich noch eine Betriebsstätte in Belgien bestanden hat.
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(1) Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 DBA-Belgien können Gewinne eines Unternehmens nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Ein Besteuerungsrecht des anderen Vertragsstaats besteht nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. DBA-Belgien nur dann, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt (sog. Betriebsstättenprinzip). Übt der Unternehmer im anderen Vertragsstaat eine Tätigkeit mittels einer Betriebsstätte aus, so hat dieser nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien ein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne, die der Betriebstätte zugerechnet werden können (sog. Betriebsstättenstaat). Gemäß Art. 7 Abs. 2 DBA-Belgien sind der Betriebsstätte alle Gewinne zuzurechnen, die die Betriebsstätte hätte erzielen können, wenn sie die gleiche oder ähnliche Tätigkeit als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte. Dabei kommt es für die abkommensrechtliche Abgrenzung der Betriebsstätteneinkünfte auf das der jeweiligen Betriebsstätte tatsächlich zuzuordnende Vermögen und das in ihr erwirtschaftete Ergebnis an (sog. Veranlassungsprinzip vgl. BFH-Urteile vom 28.10.2009 - I R 99/08, BStBl II 2011, 1019 Rn. 27 und I R 28/08, BFH/NV 2010, 432, Rn. 57 und 59 mit Verweis auf BFH-Urteil vom 17.08.2008 - I R 7/06, BStBl II 2009, 464, und vom 26.02.2014 - I R 56/12, BStBl II 2014, 703). Entscheidend für die Zuordnung von Einkünften ist demnach nicht ein zeitlicher, sondern der wirtschaftliche Zusammenhang mit der Betriebsstätte. Der Betriebsstätte sind demzufolge alle Einkünfte zuzurechnen, die ihr in wirtschaftlicher Hinsicht gebühren (BFH-Urteil vom 28.10.2009 - I R 99/08, a.a.O.).
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(2) So hat der BFH im Zusammenhang mit der Realisierung von stillen Reserven mit Urteilen vom 28.10.2009 (I R 99/08, BStBl II 2011, 1019, und I R 28/08, BFH/NV 2010, 432) entschieden, dass für den Fall, dass ein nachträglich entstandener Gewinn einer vormaligen Betriebsstätte zugerechnet werden kann, das Besteuerungsrecht bei dem Staat verbleibt, in dem die Betriebsstätte belegen war. Der Zuordnung des nachträglich entstandenen Gewinns stehe auch nach den Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens nicht entgegen, dass die Betriebsstätte zum Zeitpunkt der Realisierung des Gewinns nicht mehr bestanden habe (BFH-Urteile vom 28.10.2009 - I R 99/08, a.a.O., Rn. 27 und I R 28/08, a.a.O., Rn. 59). Entscheidend sei lediglich, dass das Wirtschaftsgut, mit dem die später nachträglichen Betriebsstätteneinkünfte realisiert würden, einer vormaligen bestehenden Betriebsstätte zugerechnet werden könne (ebenso Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.03.1992 – 3 K 2007/90, EFG 1992, 382 f., Vogel , in Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 5. Aufl. 2008, vor Art. 6-22 Rn. 8).
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Mit Urteil vom 26.02.2014 (I R 56/12, BStBl II 2014, 703) hat der BFH zudem entschieden, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit einer später im außereuropäischen Ausland noch zu errichtenden festen Betriebsstätte bei der Ermittlung der inländischen Einkünfte nicht zum Betriebsausgabenabzug führen, da der Aufwand durch die in Aussicht genommene Tätigkeit im Ausland veranlasst sei. Schon die zielgerichtete Mittelverwendung - so der BFH - begründe auf der Grundlage einer wertenden Zuordnung einen vorrangigen Veranlassungszusammenhang zur Betriebsstätte, der die Zuordnungsfrage endgültig regele. Entscheidend sei der Umstand, dass die Aufwendungen angefallen seien, um diesen Objektbezug herzustellen. Eine veranlassungsbezogene Zuordnung setze einen konkreten Objektbezug nicht zwingend voraus (BFH-Urteil vom 26.02.2014 - I R 56/12, a.a.O., Rn. 20).
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3) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall steht das Besteuerungsrecht für die aus der Teilauflösung der Rückstellung entstandenen nachträglichen Betriebsseinnahmen dem Königreich Belgien zu. Denn die nachträglichen Betriebseinnahmen sind nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien der in Belgien gelegenen, später (wohl) aufgelösten Betriebsstätte i.S. des Art. 5 Abs. 1 DBA-Belgien zuzurechnen. Die die nachträglichen Betriebseinnahmen „verursachende“ Rückstellung war der belgischen Betriebsstätte noch zu einem Zeitpunkt zugeordnet worden, zu dem diese noch existierte. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
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(aa) Nach Auffassung des Senats kann die zur Realisierung von stillen Reserven entwickelte Rechtsprechung des BFH auf den Streitfall übertragen werden. Denn sowohl im Fall der Realisierung stiller Reserven als auch bei Gewinn erhöhender Auflösung einer Rückstellung liegen (nachträgliche) Einkünfte infolge der Veränderung eines in der Bilanz des Unternehmens anzusetzenden Wertes eines bestimmten Wirtschaftsguts vor. Ob die nachträglichen Betriebsstätteneinkünfte dadurch entstehen, dass sich der Wertansatz eines aktiven Wirtschaftguts erhöht oder dadurch, dass sich der Wertansatz eines passiven Wirtschaftgutes mindert, spielt vor dem Hintergrund der bei beiden Vorgängen eintretenden Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Rolle. Der Senat vermag insoweit einen eine unterschiedliche Behandlung der Sachverhalte rechtfertigenden sachlichen oder wirtschaftlichen Unterschied nicht zu erkennen.
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(bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten setzt die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 DBA-Belgien – ebenso wie die weitgehend identische Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OECD-MA vor der Reform des OECD Musterabkommens im Jahre 2010 – für die Zuordnung der Einkünfte nicht voraus, dass die Betriebsstätte zur Zeit der Realisierung der (nachträglichen) Einkünfte noch besteht (so ausdrücklich zu Art. 7 DBA-Belgien BFH-Urteil v. 28.10.2009 – I R 99/08, a.a.O.; zuletzt BFH-Urteil vom 26.02.2014 - I R 56/12, a.a.O., m.w.N., Rn 21; a.A. Wassermeyer, Doppelbesteuerung Kommentar, Stand März 2014, Art. 7 MA Rn. 178). Insbesondere lässt sich aus dem Wortlaut des Art. 7 DBA-Belgien nicht ableiten, dass die Betriebsstätte zur Zeit der Realisierung der nachträglichen Betriebsstätteneinkünfte noch bestehen muss. Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 DBA-Belgien sprechen für die Zuordnung von Unternehmensgewinnen davon, dass der Unternehmer die Tätigkeit über eine im anderen Vertragsstaat belegene Betriebsstätte ausübt. Nach Ansicht des Senats kann hieraus gerade nicht auf das Erfordernis geschlossen werden, für die Zuweisung der Einkünfte zu dem anderen Vertragsstaat (Betriebsstättenstaat) müsse die Betriebsstätte im Zeitpunkt der Realisierung nachträglicher, ihr wirtschaftlich zugehörender Einkünfte noch (weiter) bestehen. Denn im Gegensatz zu einer sprachlichen Einschränkung in zeitlicher Hinsicht ("solange") lässt die in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 2. HS DBA-Belgien verwendete eindeutige Formulierung "insoweit" für die Zuweisung des Besteuerungsrechtes hinsichtlich einer ausländische Betriebsstätte einen kausalen Zusammenhang genügen. Eine andere Betrachtung würde das DBA - zumindest teilweise - aushöhlen. Insbesondere ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nichts anderes aus dem sog. Betriebsstättenprinzip. Denn das Betriebsstättenprinzip trifft keinerlei Aussage dazu, nach welchen Kriterien die Zurechnung von Einkünften und Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte vorzunehmen ist. Diese Zuordnung folgt – wie vorstehend ausgeführt – nach ständiger Rechtsprechung des BFH ausschließlich anhand des sog. Veranlassungsprinzips unter Anwendung wirtschaftlich-funktionaler Grundsätze (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.2014 - I R 56/12, a.a.O., m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Rechtsprechung des BFH nicht auf die Fälle der Auflösung der (Geschäftsleitungs-) Betriebsstätte durch Verlegung des ganzen Betriebes beschränkt. Ob die „Auflösung“ der Betriebsstätte aufgrund einer Betriebsverlegung im Ganzen erfolgt oder lediglich eine einzelne Betriebsstätte eines Unternehmens aufgelöst wird, ist nach der im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen geltenden wirtschaftlich-funktionalen Betrachtungsweise unerheblich.
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c) Die Zuweisung des Besteuerungsrechts an das Königreich Belgien hat nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 DBA-Belgien zur Folge, dass der Ertrag aus der Teilauflösung der Rückstellung in der Bunderepublik Deutschland von der Besteuerung freizustellen ist. Gemäß Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Belgien i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist er lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen (sog. Progressionsvorbehalt).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird zur Rechtsfortbildung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
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Referenzen
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- I R 99/08 1x (nicht zugeordnet)
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- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
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- FGO § 115 1x
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- §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Satz 1 KStG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- EStG § 49 Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte 1x
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- Urteil vom Bundesfinanzhof (1. Senat) - I R 56/12 1x
- § 1 Abs. 2 KStG 1x (nicht zugeordnet)
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- EStG § 1 Steuerpflicht 1x
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- FGO § 155 1x
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