Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (3. Senat) - 3 K 1997/17


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Tenor

I. Der Duldungsbescheid vom 31. August 2016 und die Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017 werden aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Klägerin für die Steuerschulden ihres Ehemannes durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden kann.

2

Die Klägerin und ihr Ehemann erwarben mit Vertrag vom 31. Januar 2012 von der … AG (Wohnung-, Gewerbe- und Städtebau AG) zu gleichen Teilen eine Eigentumswohnung in L, K-Straße Hausnummer zum Preis von 80.000 €. Mit notariellem Vertrag vom 6. März 2015 erhielt die Klägerin “unentgeltlich und schenkungsweise“ den Miteigentumsanteil ihres Ehemannes, wobei die in Abteilung III des Grundbuchs eingetragene Buchgrundschuld für die Sparkasse (74.000 €) bestehen blieb und von der Klägerin „zur weiteren Duldung bzw. in dinglicher Haftung übernommen“ wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 6. März 2015 verwiesen.

3

Der Ehemann der Klägerin befindet sich seit 20. März 2015 mit der Zahlung von Steuern (Einkommensteuer 2012 und 2013, Umsatzsteuer 2007, 2009, 2012), steuerlichen Nebenleistungen und Vollstreckungskosten in Verzug. Seinerzeit (März 2015) waren die Steuerbescheide für 2012 noch nicht bestandskräftig, weil über die Einsprüche vom 20. Februar 2015 noch nicht entschieden war.

4

Im Mai 2015 begann der Beklagte mit verschiedenen Vollstreckungsmaßnahmen (Pfändungs- und Einziehungsverfügung bei der Sparkasse vom 5. Mai 2015, Pfändungs- und Einziehungsverfügung an die E GmbH vom 18. November 2015 und vom 25. Januar 2017, Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 31. Juli 2015 an die S AG), die allerdings alle erfolglos blieben. Auch die Vollstreckungsversuche des Vollziehungsbeamten verliefen fruchtlos (fruchtlose Pfändung vom 13. November 2015, am 22. August 2016 verweigerte ihm die Klägerin den Zutritt zur Wohnung). Am 30. November 2016 gab der Ehemann der Klägerin vor dem Finanzamt eine eidesstattliche Versicherung ab. Aus dem dabei abgegebenen Vermögensverzeichnis ergaben sich keine weiteren Vollstreckungsmöglichkeiten.

5

Auf die Ankündigung des Beklagten, die Klägerin mittels Duldungsbescheid nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG) in Anspruch nehmen und die Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils anfechten zu wollen, übersandte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Kaufvertrag vom 31. Januar 2012 und eine Saldenbestätigung der Sparkasse vom 21. April 2016 (Darlehensvaluta 74.000 €, Blatt 57 der Duldungsakte) und machte geltend, damit sei eine wertausschöpfende Belastung nachgewiesen. Die Klägerin habe keine Zuwendung erhalten. Eine Gläubigerbenachteiligung liege nicht vor. Außerdem schlage sie vor, das Verfahren bis zum Abschluss der Veranlagung des Ehemannes der Klägerin für 2012 zurückzustellen, weil der Sachverhalt, der zu einer Nachzahlung führe, noch der Klärung bedürfe. Bisher seien alle Unterlagen, die „den Sachverhalt H. W.“ beträfen, eingereicht worden, um nachzuweisen, dass der Gewinn um die Zahlungen an Herrn W zu kürzen sei. Darüber liege noch keine Entscheidung vor.

6

Mit Bescheid vom 31. August 2016 nahm der Beklagte die Klägerin in Anspruch. Er focht gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 3 Abs. 2 AnfG die Eigentumsübertragung an und machte den gesetzlichen Rückgewähranspruch nach § 11 AnfG in Höhe von 28.500 € geltend. In dem Bescheid wurde u.a. darauf hingewiesen, dass gegen die Steuerbescheide 2012 am 20. Februar 2015 Einspruch eingelegt worden sei und die Steuern daher noch nicht bestandskräftig festgesetzt seien. Die Klägerin werde als Duldungsschuldner nur in Anspruch genommen, sobald und soweit die Einkommensteuer 2012 bestandskräftig festgesetzt sei. Sie werde zu gegebener Zeit durch gesondertes Leistungsgebot zur Leistung aufgefordert.

7

Dagegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 7. September 2016 Einspruch ein und verwies zur Begründung auf die vorausgegangenen Schriftsätze.

8

Wie einer E-Mail der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten an die Vollstreckungsstelle vom 2. November 2016 zu entnehmen ist, waren am 29. August 2016 Einspruchsentscheidungen wegen Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2012 ergangen, gegen die zwar keine Klage erhoben worden war (Ablauf der Klagefrist am 4. Oktober 2016), die aber weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.

9

Der Beklagte übersandte dem Landesamt für Steuern mit Schreiben vom 31. Mai 2017 einen Entwurf der Einspruchsentscheidung (seiner Berichtspflicht wegen einer Anfechtung außerhalb der Insolvenzordnung folgend) und führte u.a. Folgendes aus:

10

Die Steuerfestsetzungen für 2012 stünden zwar auch noch nach der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO. Bestandskräftige Jahressteuerbescheide, die nach § 165 AO vorläufig oder nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, seien hingegen nicht vergleichbar mit den in § 14 AnfG genannten vorläufig vollstreckbaren Urteilen bzw. Vorbehaltsurteilen. Die §§ 164 und 165 AO seien Änderungsvorschriften, die im Festsetzungsbereich der Steuerfestsetzung Wirkung erzielten, auf die Vollstreckbarkeit des Steuerbescheides aber keine Auswirkung hätten.  Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz habe in einem Urteil vom 9. Juni 1987 (2 K 194/85) entschieden, dass aus Steuerbescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, genauso vollstreckt werden könne, wie aus Steuerbescheiden, die ohne einen solchen Vorbehalt ergangen seien. Der Nachprüfungsvorbehalt habe daher keine Auswirkungen auf die Vollstreckbarkeit.

11

Das Landesamt für Steuern äußerte sich zu dieser Rechtsauffassung nicht (siehe Stellungnahme vom 20. Juni 2017, Blatt 114 der Duldungsakte).

12

Mit Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017, zugestellt am 9. August 2017, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die der Duldung zu Grunde liegenden Steuerforderungen ausnahmslos bestandskräftig festgesetzt worden seien. Daher bedürfe es auch nicht mehr eines Vorbehaltes im Sinne des § 14 AnfG. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die der Einspruchsentscheidung beigefügte und aktualisierte Rückstandsaufstellung zum 3. August 2017 verwiesen (Schuldbetrag 86.596,96 €, Blatt 174 der Duldungsakte).

13

Am 11. September 2017 (= Montag) hat die Klägerin Klage erhoben.

14

Ihre Prozessbevollmächtigte trägt vor, sie und der Ehemann der Klägerin befänden sich in Kontakt mit dem Beklagten, um die Änderung der Steuererklärungen zu erreichen. Dies habe Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren. Die der Zwangsvollstreckung zu Grunde liegenden Steuerbescheide 2012 seien noch nicht bestandskräftig. Die Steuererklärungen 2012 seien eingereicht worden. Mit dem Beklagten sei besprochen worden, welche Unterlagen noch nachzureichen seien bzw. welche Belege noch fehlten. Sofern die nachgereichten und noch nachzureichenden Unterlagen anerkannt würden, werde sich kein Nachzahlungsbetrag ergeben. Es bleibe dann keine Forderung, die Grundlage für eine Duldung der Zwangsvollstreckung sein könne.

15

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Duldungsbescheid vom 31. August 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017 aufzuheben.

16

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

17

Er trägt vor, am 18. Oktober 2017 sei zwar eine berichtigte Einkommensteuererklärung für 2012 eingereicht worden. Die Voraussetzungen für eine Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerfestsetzung 2012 lägen hingegen nicht vor, weil die mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 angeforderten Unterlagen (insbesondere Gewinnermittlung für den Betrieb Bewachungsgewerbe und Aufgabebilanzen für alle drei Gewerbebetriebe) bislang von den Steuerpflichtigen nicht eingereicht worden seien. Die in der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2016 erfolgte Einkommensteuerfestsetzung 2012 habe daher weiterhin Bestand. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf das Schreiben des Beklagten an die Prozessbevollmächtigte vom 25. Oktober 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 29. August 2016 verwiesen (Blatt 36-48 der Gerichtsakte).

18

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Blatt 31 und 58 der Gerichtsakte).

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist begründet.

20

Der Duldungsbescheid vom 31. August 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017 ist rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

21

Der Duldungsbescheid und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung sind bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig. Denn mit dem Bescheid wird die Übertragung eines (hälftigen) Miteigentumsanteils an einer Eigentumswohnung auf die Klägerin wegen Steuerrückständen ihres Ehemannes (= Vollstreckungsschuldner) auch wegen Steuern für den Veranlagungszeitraum 2012 angefochten, ohne dass im Bescheid oder in der Einspruchsentscheidung die Vollstreckung davon abhängig gemacht wird, dass die gegen den Vollstreckungsschuldner gerichteten Steuerbescheide endgültig werden, d.h. nicht mehr unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO stehen.

22

Als Gläubiger der im angefochtenen Duldungsbescheid aufgeführten Steuerrückstände des Vollstreckungsschuldners war der Beklagte zwar befugt, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 AnfG die Übertragung des (hälftigen) Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung des Ehemannes der Klägerin auf diese mit Vertrag vom 6. März 2015 durch Erlass eines Duldungsbescheids anzufechten. Den Anfechtungsanspruch nach dem AnfG kann die Finanzbehörde gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 AO durch Duldungsbescheid hoheitlich im Verwaltungsweg durchsetzen (BFH-Beschluss vom 1. Dezember 2005 VII B 95/05, BFH/NV 2006, 701; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Rn. 147; Boeker, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO Rn. 190; Rüsken, in Klein, AO, 13. Aufl., § 191 Rn. 21; Dumke, in Schwarz/Pahlke, AO, § 191 Rn. 69a, jeweils m.w.N.).

23

Nach § 2 AnfG ist zur Anfechtung jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist. Vollstreckbare Schuldtitel sind auch Verwaltungsakte, die zu einer Geldleistung verpflichten, wie Steuerbescheide (BFH-Beschluss vom 9. Februar 1988 VII R 62/86 BFH/NV 1988, 752; BGH-Urteil vom 3. März 1976 VIII ZR 197/74, Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (BGHZ) 66, 91; Boeker, a.a.O, Rn. 191). Auch vorläufig vollstreckbare Schuldtitel berechtigen gemäß § 2 AnfG zur Anfechtung.

24

Wenn aber ein nur vorläufig vollstreckbarer Schuldtitel vorliegt, so ist nach § 14 AnfG in dem Urteil, das den Anfechtungsanspruch für begründet erklärt, die Vollstreckung davon abhängig zu machen, dass die gegen den Schuldner ergangene Entscheidung rechtskräftig oder vorbehaltlos wird. Dies gilt auch für die Anfechtung durch Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO (BFH-Beschluss vom 9. Februar 1988 VII R 62/86, BFH/NV 1988, 752). Steuerbescheide, die zwar bestandskräftig, aber noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 164 Abs. 1 AO), haben ebenfalls nur die Wirkung eines vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels (Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, 1. Juni 1997, S 0370, FMNR312400097, Ziffer 5., juris; so wohl auch BFH-Urteil vom 09. Februar 1988 – VII R 62/86, a.a.O.).

25

Die Vollstreckung ist daher im Duldungsbescheid von der Bestandskraft, Vorbehaltslosigkeit bzw. Endgültigkeit der Steuerfestsetzung abhängig zu machen. Es handelt sich dabei um eine Bedingung (BFH-Urteile vom 31. Mai 1983 VII R 7/81, BStBl II 1983, 545 und vom 9. Februar 1988 VII R 62/86, a.a.O.) im Sinne des § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO (FG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 9 K 1566/14, EFG 2017, 1925). Fehlt diese Bedingung, so hat dies zwar nicht die Nichtigkeit des Duldungsbescheids (vgl. Urteil des Hessischen FG vom 19. Dezember 2000 6 K 1821/95, juris), wohl aber seine Rechtswidrigkeit zur Folge (FG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 9 K 1566/14, a.a.O.).

26

Aus diesem Grund ist im Streitfall der angefochtene Duldungsbescheid vom 31. August 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017, durch den die Übertragung von (hälftigem) Wohnungseigentum auf die Klägerin – auch – wegen Steuerfestsetzungen für 2012 angefochten wird, insgesamt rechtswidrig. Denn eine Vollstreckungsklausel im Sinne des § 14 AnfG war zwar im Duldungsbescheid vom 31. August 2016 in Bezug auf die seinerzeit gerade erst ergangenen (und noch mit Klage anfechtbaren) Einspruchsentscheidungen vom 29. August 2016 (Einsprüche gegen die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheide wegen Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer 2012) enthalten. Diese Vollstreckungsklausel wurde in der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017 aber ausdrücklich aufgehoben mit der Begründung, dass die dem Duldungsbescheid zu Grunde liegenden Steuerforderungen (inzwischen) ausnahmslos bestandskräftig festgesetzt worden seien und es daher keines Vorbehaltes i.S. des § 14 AnfG bedürfe. Eine Vollstreckungsklausel, die sich (auch) auf den (nach wie vor und bis heute noch bestehenden) Vorbehalt der Nachprüfung in den Steuerfestsetzungen für 2012 bezieht, war bzw. ist somit weder im Duldungsbescheid vom 31. August 2016 noch in der Einspruchsentscheidung vom 3. August 2017 enthalten. Eine solche Klausel hielt das beklagte Finanzamt zwar für entbehrlich (siehe Schreiben des Beklagten an das Landesamt für Steuern vom 31. Mai 2017, Blatt 99f. der Duldungsakte), weil das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 9. Juni 1987 (2 K 194/85, bei juris) entschieden habe, dass aus Steuerbescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, genauso vollstreckt werden könne, wie aus Steuerbescheiden, die ohne einen solchen Vorbehalt ergangen seien. In dem genannten Urteil wird allerdings Folgendes ausgeführt:

27

„Allein aus dem Umstand, dass die Steuerbescheide gegen G unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen, ist nicht das Fehlen eines "vollstreckbaren Schuldtitels" (i.S. des § 2 AnfG) abzuleiten. Aus unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheiden kann ebenso vollstreckt werden, wie aus vorbehaltslosen Steuerbescheiden (§§ 218 Abs. 1, 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 AO, Tipke-Kruse, Kommentar zur AO 1977 u. FGO zu " 164 AO Tz. 7). § 10 AnfG ist insoweit nicht anwendbar. Der von der jüngeren Rechtsprechung als unter § 10 AnfG fallend behandelte Vorauszahlungsbescheid (BGHZ 66, 91) ist mit den unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden nicht vergleichbar; letztere Bescheide stellen einen der Regelfälle der Jahresveranlagung dar, wenn eine Außenprüfung möglich ist, während Vorauszahlungsbescheide durch den Jahresbescheid überholt werden können. Im Übrigen hat der Beklagte den Duldungsbescheid unter den Vorbehalt i.S. des § 10 AnfG gestellt.“

28

Dem soeben zitierten letzten Satz ist zu entnehmen, dass der seinerzeit angegriffene Duldungsbescheid eine Vollstreckungsklausel im Sinne des § 10 AnfG (= heute § 14 AnfG) enthielt. Die Frage, wie sich das Fehlen der Vollstreckungsklausel ausgewirkt hätte, war somit nicht entscheidungserheblich. Unabhängig davon ist nicht einleuchtend, weshalb zwischen Vorauszahlungsbescheiden und Steuerbescheiden mit Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 Abs. 1 AO differenziert wird, denn die Festsetzung einer Vorauszahlung ist kraft Gesetzes „stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung“ (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO).

29

Der erkennende Senat ist daher - wie das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (VV vom 1. Juni 1997, S 0370, FMNR312400097, Ziffer 5.) und wohl auch der BFH (Urteil vom 09. Februar 1988 – VII R 62/86, a.a.O.) - der Auffassung, dass auch Steuerbescheide, die zwar bestandskräftig, aber noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 164 Abs. 1 AO), nur die Wirkung eines vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels haben und die Vollstreckung nach § 14 AnfG daher davon abhängig zu machen ist, dass der Vorbehalt der Nachprüfung entweder (wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist, § 164 Abs. 4 Satz 1 AO) entfällt oder (nach   § 164 Abs. 3 AO) aufgehoben wird.

30

Die Rechtswidrigkeit umfasst den gesamten Duldungsbescheid, obwohl ihm nicht nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende, sondern auch formell und materiell bestandskräftige Steuerfestsetzungen zu Grunde liegen. Denn eine Aufteilung nach den zu Grunde liegenden Steuerrückständen kann nicht erfolgen, weil Gegenstand des Duldungsbescheids die Anfechtung der Grundstücksübertragung als solche ist (FG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 9 K 1566/14, a.a.O.).

31

Ob der Vorbehalt der Nachprüfung heute (im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung) entfallen ist, kann offen bleiben (dagegen spricht das im Klageverfahren vorgelegte Schreiben des Beklagten vom 25. Oktober 2017 an den Ehemann der Klägerin bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigte). Denn bei dem Erlass eines Duldungsbescheids handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (BFH-Beschluss vom 24. April 2006 VII B 120/05, BFH/NV 2006, 1609), deren Rechtmäßigkeit nach allgemeinen Grundsätzen zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (= der Einspruchsentscheidung) zu prüfen ist. Dementsprechend ist auch die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Finanzbehörde, einen Duldungsbescheid ohne Vollstreckungsklausel nach § 14 AnfG zu erlassen, im Zeitpunkt der letzten finanzbehördlichen Entscheidung zu überprüfen.

32

Aus der Behandlung einer fehlenden Vollstreckungsklausel nach § 14 AnfG im Rahmen eines zivilrechtlichen Anfechtungsurteils ergibt sich kein Grund dafür, die Rechtmäßigkeit des Duldungsbescheids erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu überprüfen. Denn die aus dem Fehlen der Vollstreckungsklausel nach § 14 AnfG folgende Rechtswidrigkeit führt dazu, dass der rechtswidrige Duldungsbescheid aufzuheben ist; eine Ergänzung des Bescheids um die fehlende Vollstreckungsklausel kommt nicht in Betracht (so auch FG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 9 K 1566/14, a.a.O.). Bei zivilrechtlichen Anfechtungsklagen nach § 13 AnfG ist zwar eine – auch versehentlich – unterbliebene Vollstreckungsklausel dem (zivilgerichtlichen) Urteil, das den Anfechtungsanspruch für begründet erklärt, anzufügen; hierfür ist ein Antrag einer Partei nicht erforderlich und stellt kein teilweises Obsiegen des beklagten Anfechtungsgegners dar (vgl. die Nachweise bei Huber, AnfG, 10. Auflage, 2006, § 14 Rn. 7).

33

Insoweit aber unterscheidet sich das Verfahren zur Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs im Verwaltungswege durch Duldungsbescheid nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO wesentlich vom zivilrechtlichen Verfahren der Anfechtungsklage nach § 13 AnfG. Denn während der Kläger des zivilrechtlichen Anfechtungsverfahrens davon abhängig ist, dass das angerufene Zivilgericht die formellen Voraussetzungen des § 14 AnfG beachtet, setzt die anfechtende Finanzbehörde im Verfahren nach § 191 Abs. 1 Satz 2 FGO ihren Anfechtungsanspruch im Verwaltungsverfahren selbst durch und hat dabei – auch formell – rechtmäßig zu handeln. Das Finanzgericht hat dabei nur die Rechtmäßigkeit des finanzbehördlichen Handelns zu überprüfen, nicht aber selbst die Rechtmäßigkeit dieses Handelns durch eigenes Eingreifen herbeizuführen (so auch FG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 9 K 1566/14, a.a.O.). Hierzu wäre es auch nicht befugt. Denn bei der Vollstreckungsklausel nach § 14 AnfG handelt es sich – wie bereits ausgeführt - um eine Nebenbestimmung in Form der Bedingung. Die Zuständigkeit sowohl für den Erlass des Duldungsbescheides wie auch für den Erlass der Nebenbestimmung liegt allein bei der Finanzbehörde und nicht beim Finanzgericht, das weder Duldungsbescheide nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO noch Nebenbestimmungen für solche Duldungsbescheide erlässt bzw. erlassen darf.

34

Der Senat hat gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden

35

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

36

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

37

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Ob ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Steuerbescheid nur die Wirkung eines vorläufig vollstreckbaren Schuldtitels i.S. des § 14 AnfG hat und welche Rechtsfolge das Fehlen einer Vollstreckungsklausel nach § 14 AnfG nach sich zieht, ist bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden.

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