Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht (1. Senat) - 1 K 106/12

Tenor

Die Klage der Klägerin wird als unzulässig abgewiesen.

Auf die Klage des Klägers werden der Kindergeldaufhebungsbescheid der Familienkasse vom 4. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2012 aufgehoben.

Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte. Von den außergerichtlichen Kosten trägt die Beklagte die des Klägers in vollem Umfang. Die Klägerin hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch auf Kindergeld für ein studierendes, verheiratetes Kind mit Rücksicht auf dessen Unterhaltsansprüche gegenüber dem Ehegatten ausgeschlossen ist.

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Die Kläger sind die Eltern der in 1989 geborenen A. A befindet sich im Erststudium und erhält seit Herbst 2011 ein Deutschland Stipendium in Höhe von monatlich 300 Euro. Seit Februar 2012 ist sie verheiratet. Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger mit Verfügung vom 4. April 2012 ab März 2012 auf. Den dagegen erhobenen Einspruch wies sie gegenüber dem Kläger mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2012 als unbegründet zurück: Unter Berücksichtigung des verfügbaren Nettoeinkommens des Ehegatten und der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes liege ein Mangelfall nicht vor. Bei Einbeziehung des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten belaufe sich das verfügbare Nettoeinkommen der A auf 8.876,97 Euro. Der anteilige Grenzbetrag von 6.670 Euro (10/12 von 8.004 Euro) werde somit um 2.206,97 Euro überschritten.

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Mit der am 3. August 2012 erhobenen Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend: Nach der ab 2012 geltenden Gesetzeslage komme es nicht mehr auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes an. Das Kindergeld sei deshalb unabhängig von der Höhe einer Unterhaltsleistung des Ehegatten bzw. eines Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten zu gewähren. Hilfsweise machen die Kläger geltend, das Deutschland Stipendium müsse wegen seiner besonderen Zwecksetzung bei der Ermittlung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Acht bleiben.

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Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Kindergeldaufhebungsbescheid der Familienkasse vom 4. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

6

Sie verweist auf die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes und die sich daran orientierende Dienstanweisung. Das Deutschland Stipendium sei als Bezug unterhaltsrelevant. Auch bei pauschaler Berücksichtigung von Werbungskosten werde der anteilige Freibetrag nicht unterschritten.

7

Die Kindergeldakte ist beigezogen worden und war Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist, soweit sie auch im Namen der Klägerin erhoben wurde, schon mangels Beschwer unzulässig, da sie nicht in eigener Person kindergeldbezugsberechtigt ist. Eine eigene Beschwer der Klägerin ergibt sich auch nicht unter einkommensteuerlichen Gesichtspunkten. Die Kindergeldfestsetzung ist für die Einkommensbesteuerung nicht bindend. Hinzu kommt, dass die Klägerin in eigener Person kein Einspruchsverfahren durchgeführt hat. Die Einspruchsentscheidung ist allein gegenüber dem Kläger ergangen.

9

Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Dem Kläger steht für seine Tochter A gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) Einkommensteuergesetz (EStG) Kindergeld auch für die Zeit ab März 2012 zu. Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht im Hinblick auf eine möglicherweise bestehende Unterhaltspflicht des Ehegatten der Tochter der Kläger ausgeschlossen. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) früher für erforderlich gehalten wurde, dass sich der Kindergeldberechtigte in einer „typischen Unterhaltssituation“ befinde (Urteil vom 2. März 2000, VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522), ist diese Anforderung („ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal“) in der späteren Rechtsprechung nicht aufrechterhalten worden (vgl. z.B. Urteil vom 17. Juni 2010, III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982; ausdrücklich auch für den Fall eines mögliches Unterhaltsanspruches: Urteil vom 11. April 2013, III R 24/12, zitiert nach juris). Ob ein Kind wegen eigener Einkünfte und/oder Bezüge typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen und deshalb nicht als Kind zu berücksichtigen ist, ist nach der gesetzlichen Regelung nicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 zu ermitteln, sondern war nach der bis 2011 geltenden Gesetzesfassung erst auf einer zweiten Stufe bei der Prüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag überschreiten, zu berücksichtigen (so ausdrücklich BFH, Urteil vom 17. Juni 2010, III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. auch Urteil vom 30. August 2012, III R 43/10, BFH/NV 2013, 26).

10

Nach der seit 2012 geltenden gesetzlichen Regelung kommt es gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für die Festsetzung von Kindergeld auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht mehr an. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung ist Kindergeld nunmehr bei Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes unabhängig von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu gewähren. Damit hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass Kindergeld bei Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes auch dann zu gewähren ist, wenn dem Kind unabhängig von dem Elternunterhalt ausreichende Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes zur Verfügung stehen. Auf die Höhe eines Unterhaltsanspruches gegen den Ehegatten kommt es daher ab 2012 ebenso wenig an wie auf die Höhe der eigenen Einkünfte und Bezüge des in Erstausbildung befindlichen Kindes (vgl. Finanzgericht Münster, Urteil vom 30. November 2012, 4 K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298; so auch Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 13. Juni 2013, 2 K 458/13 (Kg), zitiert nach juris).

11

Die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (Stand 2012), die auf der Grundlage der bisherigen Gesetzeslage unverändert den gegen den Ehegatten des Kindes bestehenden Unterhaltsanspruch in die Beurteilung der Kindergeldberechtigung einbezieht, berücksichtigt weder die zwischenzeitlich erfolgte Rechtsprechungsänderung noch die Änderung des Gesetzes.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten sind hier getrennt zu beurteilen (vgl. BFH, Beschluss vom 13. Dezember 1999 III B 15/99 – juris).

13

Die Revision ist im Hinblick darauf, dass die Entscheidung der bundesweit geltenden Dienstanweisung (DA-FamEStG 31.2.3) widerspricht, gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.


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