Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht (1. Senat) - 1 K 1/13

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 15. April 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2011 wird geändert. Es werden weitere Kinderbetreuungskosten in Höhe von 2/3 von 1.137 € jeweils zur Hälfte wie Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt und die Einkommensteuer wird entsprechend niedriger festgesetzt. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist für die Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob von den Klägern im Streitjahr 2009 getragene Kinderbetreuungskosten als erwerbsbedingt im Sinne des § 9c Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG 2009 (EStG) anzusehen sind.

2

Die Kläger sind Ehegatten und Eltern eines im September 2002 geborenen Sohnes (A). Im Streitjahr wurden sie zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2009 arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld, ihr vormaliges Arbeitsverhältnis war zum 31. Dezember 2008 aufgelöst worden. Im Laufe des Streitjahres bemühte sie sich mittels zahlreicher Bewerbungen durchgängig um eine erneute Anstellung, auf die vorgelegte Zusammenstellung der Bewerbungsbemühungen nebst Anlagen wird Bezug genommen. Im Oktober 2009 erhielt die Klägerin eine Stellenzusage, seit Anfang 2010 ist sie wieder erwerbstätig.

3

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2009, die am 4. Februar 2011 beim Beklagten einging, machten die Kläger Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1.869 € (voller Betrag) geltend, im Laufe des Klageverfahrens wurden die geltend gemachten Kosten auf 1.917 € erhöht. Die Kosten waren dadurch verursacht, dass A in den Monaten Januar bis August 2009 ganztags im Kindergarten und in den Monaten September bis Dezember 2009 in einer Schülerbetreuung (Verlässliche Grundschule) untergebracht war. Auf die seitens der Kläger vorgelegte Aufstellung nebst Zahlungsnachweisen wird Bezug genommen.

4

Der Besuch des Kindergartens erfolgte auf der Grundlage einer Betreuungsvereinbarung der Kläger mit dem Träger des Kindergartens, die im Streitjahr durch eine „Ordnung für den Kindergarten“ näher ausgestaltet war. Danach erfolgte die Aufnahme eines Kindes - in der Reihenfolge einer Warteliste - grundsätzlich für ein „Kindergartenjahr“, das am 1. August begann und am 31. Juli des Folgejahres endete. Nach Beginn des Kindergartenjahres konnten Kinder nur aufgenommen werden, wenn freie Plätze vorhanden waren (Ziffer 3.3 und 3.4 der Ordnung). Die Betreuungsvereinbarung verlängerte sich um ein weiteres Kindergartenjahr, wenn nicht bis zum 31. Mai eine Abmeldung des Kindes erfolgte (Ziffer 3.8). Eine vorzeitige Kündigung des Vertrages durch die Erziehungsberechtigten war nur in Ausnahmefällen möglich (Ziffer 3.10). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die „Ordnung für den Kindergarten“ vom 20. Mai 2010 Bezug genommen, die - zwischen den Beteiligten unstreitig - in den hier maßgeblichen Punkten inhaltlich mit der im Streitjahr geltenden identisch ist. Der Träger des Kindergartens hätte die Arbeitslosigkeit eines Erziehungsberechtigten nicht als Ausnahmefall i.S.d. Ziffer 3.10 der Ordnung anerkannt, der zur vorzeitigen Kündigung der Betreuungsvereinbarung berechtigt hätte.

5

Der Unterbringung in der Verlässlichen Grundschule lag eine Vereinbarung mit der Stadt als Schulträgerin zugrunde. Danach war die Betreuung des Kindes an den Besuch der Schule gekoppelt, die Vereinbarung galt für das gesamte Schuljahr 2009/2010 und endete grundsätzlich mit dessen Ablauf. Eine vorzeitige Beendigung der Betreuungsvereinbarung war während des laufenden Schuljahres nur bei Vorliegen wichtiger Gründe möglich. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vereinbarung Bezug genommen. Hauptkriterium für die Aufnahme in die Schülerbetreuung stellte die - ggf. beiderseitige Erwerbstätigkeit - der Elternteile dar, wobei die Stadt als Erwerbstätigkeit auch die Arbeitslosigkeit eines Elternteils ansah, sofern dieser bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend gemeldet war. Regelmäßig war die Nachfrage nach Betreuungsplätzen in der Schülerbetreuung der Grundschule so hoch, dass der Bedarf nicht gedeckt werden konnte. Die Plätze wurden stets zum Beginn eines Schuljahres vollständig vergeben. Eine Platzzusage im bereits laufenden Schuljahr war daher nur möglich, wenn die Betreuung eines anderen Kindes vorzeitig endete.

6

Der Beklagte erkannte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zunächst gar keine Kinderbetreuungskosten an. Im Erläuterungsteil des Einkommensteuerbescheides vom 11. März 2011 wurde dies damit begründet, dass nicht beide Elternteile erwerbstätig gewesen seien.

7

Die Kläger legten gegen diesen Bescheid am 17. März 2011 Einspruch ein. Die Klägerin sei durchgehend arbeitslos gemeldet gewesen und habe daher den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stehen müssen. Daher habe sie auch die Betreuung ihres Sohnes sicherstellen müssen, darauf werde im Merkblatt der Arbeitsagentur sogar ausdrücklich hingewiesen. Unabhängig davon habe sich die Klägerin durchgehend eigeninitiativ um einen neuen Arbeitsplatz beworben. A habe daher schon deshalb untergebracht werden müssen, damit die Klägerin im Falle einer erfolgreichen Bewerbung die neue Stelle auch zeitnah hätte antreten können.

8

Der Beklagte änderte den Einkommensteuerbescheid unter dem 15. April 2011. Grundsätzlich seien Kinderbetreuungskosten, die während einer Arbeitslosigkeit anfielen, nicht erwerbsbedingt. Etwas anderes gelte nur, wenn eine Erwerbstätigkeit durch die Arbeitslosigkeit vorübergehend unterbrochen werde. Dann könnten Kinderbetreuungskosten auch für den Zeitraum dieser Unterbrechung anerkannt werden. Entsprechend den Ausführungen in Rz. 23 und 24 des BMF-Schreibens vom 19. Januar 2007 IV C 4 - S 2221-2/07 (BStBl I 2007, 184) könne von einer solchen unschädlichen Unterbrechung der Erwerbstätigkeit jedoch längstens für einen Zeitraum von vier Monaten ausgegangen werden. Da der Beklagte versehentlich davon ausging, dass die Klägerin noch bis einschließlich Januar 2009 erwerbstätig gewesen war, berücksichtigte er in dem Änderungsbescheid Kinderbetreuungskosten für die Monate Januar bis Mai 2009 in Höhe von (5/12 von 1869 € =) 780 € (voller Betrag). Der weitergehende Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2011 zurückgewiesen.

9

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer am 16. Juni 2011 beim Gericht eingegangenen Klage. Sämtliche im Streitjahr angefallenen Kinderbetreuungskosten seien als erwerbsbedingt anzuerkennen. Das gelte auch mit Blick auf die Arbeitslosigkeit der Klägerin, denn die Kosten seien im Zusammenhang mit den Bemühungen der Klägerin um einen neuen Arbeitsplatz angefallen.

10

Die Kl beantragen (sinngemäß),

den Einkommensteueränderungsbescheid 2009 vom 15. April 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2011 zu ändern, weitere Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1.137 € (voller Betrag) jeweils zur Hälfte bei den Klägern zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2009 entsprechend niedriger festzusetzen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Eine weitergehende Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten komme nicht in Betracht, insoweit sei der Bekl an die Vorgaben des BMF-Schreibens vom 19. Januar 2007 gebunden. Der Gesetzgeber sei außerdem grundsätzlich berechtigt, die Abzugsmöglichkeit von Kinderbetreuungskosten im Rahmen einer typisierenden Vereinfachung auf solche Fallkonstellationen zu beschränken, in denen typischerweise Betreuungskosten zwangsläufig anfielen. Daraus eventuell entstehende Härten hätten betroffene Steuerpflichtige hinzunehmen (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 III R 80/09, BFHE 238, 76, BStBl II 2012, 816).

13

Wegen des weiteren Beteiligtenvorbringens wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Einkommensteuerakte des Beklagten war beigezogen und Gegenstand des Verfahrens.

14

Mit Beschluss vom 1. Juli 2011 hat der Senat auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet, dieser Beschluss ist am 3. Januar 2013 aufgehoben worden.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt die Kläger in ihren Rechten, er ist daher im tenorierten Umfang zu ändern. Die im Streitjahr angefallenen Kinderbetreuungskosten sind dem Grunde nach bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen.

16

1.) Gem. § 9c Abs. 1 EStG konnten Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes im Sinne des § 32 Absatz 1, die wegen einer Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen anfielen, bei Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten oder wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande waren, sich selbst zu unterhalten, in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen, höchstens 4.000 Euro je Kind, bei der Ermittlung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit wie Betriebsausgaben abgezogen werden. Im Fall des Zusammenlebens der Elternteile war erforderlich, dass beide Elternteile erwerbstätig waren. Die Vorschrift galt gem. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG sinngemäß für den Werbungskostenabzug bei den Überschusseinkünften.

17

Betreuungsaufwendungen fallen „wegen einer Erwerbstätigkeit“ des Steuerpflichtigen an, wenn sie durch die Erwerbstätigkeit veranlasst sind. Eine Zwangsläufigkeit der Aufwendungen wird ebenso wenig vorausgesetzt wie ihre Notwendigkeit, Angemessenheit, Üblichkeit oder Zweckmäßigkeit; eine private Mitveranlassung - insbesondere durch die elterliche Entscheidung für Kinder, die eine Betreuung erst erforderlich macht, aber auch durch die Entscheidung über die organisatorische Ausgestaltung der Kinderbetreuung - ist typisch und für die Frage der Abzugsfähigkeit nicht schädlich (vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 32. A., § 9 c EStG Rz. 10). Denn bei § 9c EStG handelt es sich um eine staatliche Förderung von Betreuungskosten, die zwangsläufig den Bereich der privaten Lebensführung berührt. In Absatz 1 der Vorschrift hat der Gesetzgeber bei erwerbsbedingten Betreuungskosten gerade ungeachtet der privaten Mitveranlassung den Betreuungsaufwand dem Bereich der Einkünfteermittlung zugeordnet. Soweit die Norm den Abzug „wie Betriebsausgaben“ bzw. „wie Werbungskosten“ fingiert, rechtfertigt dies keine Einschränkung bei der Beurteilung der betrieblichen oder beruflichen Veranlassung des Betreuungsaufwandes; aufgrund des objektiven Nettoprinzips ist eine Differenzierung zwischen „echten“ und „unechten“ (fingierten) Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht zulässig (vgl. Hey in NJW 2006 S. 2001 ff. zu § 4 f EStG).

18

Insofern genügt wie bei „regulären“ Betriebsausgaben oder Werbungskosten ein objektiver tatsächlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen (vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 32. A., § 9 c EStG Rz. 10; Schmieszek in Bordewin/Brandt § 9 c EStG Tz. 64). Ein solcher Zusammenhang kann auch dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige aktuell zwar keine berufliche Tätigkeit ausübt, die Aufwendungen aber im Hinblick auf eine angestrebte Tätigkeit anfallen. Voraussetzung für den Abzug solcher Werbungskosten oder Betriebsausgaben ist ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Aufwand und Einkunftserzielung, der dann zu bejahen ist, wenn sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass der Steuerpflichtige den Entschluss, Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart zu erzielen, endgültig gefasst hat (vgl. Köhler in Bordewin/Brandt § 9 EStG Tz. 255). Ob das der Fall ist, ist auf der Grundlage einer Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei kann auch dem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der (neuen) Erwerbstätigkeit indizielle Bedeutung zukommen. Da aber stets eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, handelt es sich nur um ein Kriterium von mehreren. Entgegen der im BMF-Schreiben vom 19. Januar 2007 IV C 4-S 2221-2/07 (BStBl I 2007, 184) vertretenen Auffassung existiert keine zeitliche Höchstgrenze bis zur (Wieder-)Aufnahme einer Berufstätigkeit, mit deren Überschreiten eine Erwerbsbedingtheit von Kinderbetreuungskosten zwingend und ohne weiteres zu verneinen wäre. Zwar mag mit zunehmender Zeitdauer der Begründungsaufwand steigen, der erforderlich ist, um den tatsächlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Betreuungskosten mit der (neuen) Erwerbstätigkeit darzulegen und zu beweisen; allein der Zeitablauf schließt einen solchen Zusammenhang aber nicht von vornherein aus (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 12. Oktober 2011 7 K 2296/11 E, EFG 2012, 832; Heinicke in Schmidt, EStG, 32. A., § 9c Rz. 8; Heger in Blümich, EStG und KStG, § 9c EStG Rz. 32; Steiner in Lademann, EStG, § 9c Rz. 24; a.A. - zulässige Typisierung - Krömker in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 9c EStG Rz. 12; wohl auch - allerdings ohne Begründung - Pust in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 9c Rz. 125; unklar Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 10. A., § 9c Rz. 24 und Rz. 16).

19

2.) Davon ausgehend ist hier der erforderliche tatsächliche und wirtschaftliche Zusammenhang zwischen den angefallenen Kosten für die Kinderbetreuung und einer (beabsichtigten) Einkunftserzielung der Klägerin gegeben.

20

a.) Die Klägerin war von Januar bis Dezember 2009 arbeitslos und hat sich das ganze Jahr hindurch um eine neue berufliche Tätigkeit bemüht, zum Januar 2010 hatten diese Bemühungen auch Erfolg. Die geltend gemachten Kinderbetreuungskosten stehen in einem tatsächlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufnahme dieser neuen Tätigkeit. Denn ohne die Unterbringung ihres Kindes zunächst im Kindergarten und sodann in der Verlässlichen Grundschule wäre dessen Betreuung in den berufsbedingten Abwesenheitszeiten der Klägerin nicht sichergestellt gewesen. Da nicht abzusehen war, ob und ggf. wann eine Bewerbung der Klägerin Erfolg haben würde, musste diese im gesamten Jahr 2009 damit rechnen, dass solcher Betreuungsbedarf kurzfristig entstehen konnte. Aus diesem Grunde konnte die Klägerin zum einen die Betreuungsvereinbarung mit dem Kindergarten nicht vorzeitig kündigen, zumal dessen Träger bestätigt hat, dass eine vorzeitige Kündigung aufgrund der eingetretenen Erwerbslosigkeit der Klägerin ohnehin nicht akzeptiert worden wäre. Zum anderen blieb der Klägerin nichts anderes übrig, als für August 2009 die Betreuungsvereinbarung mit dem Kindergarten zu verlängern und ab September eine Betreuungsvereinbarung mit der Verlässlichen Grundschule abzuschließen. Angesichts der stets aufrecht erhaltenen Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle musste die Klägerin zu jedem Zeitpunkt den Betreuungsbedarf sicherstellen. Das wäre ihr aber für den Fall einer - ggf. gegen den Willen des Trägers des Kindergartens unter Umständen zwangsweise durchzusetzenden - Kündigung der Betreuungsvereinbarung mit dem Kindergarten „unterjährig“ kurzfristig nicht möglich gewesen. Insofern bestand eine Warteliste, so dass unsicher gewesen wäre, ob A nach einer Kündigung kurzfristig wieder einen Platz erhalten hätte. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Unterbringung in der Verlässlichen Grundschule. Deren Trägerin hat mitgeteilt, dass die Nachfrage nach Betreuungsplätzen zu Beginn des Schuljahres regelmäßig so hoch gewesen sei, dass der Bedarf nicht habe gedeckt werden können, und dass eine Platzzusage im laufenden Schuljahr nur dann möglich gewesen sei, wenn die Betreuung eines anderen Kindes vorzeitig beendet worden sei. Die Klägerin konnte also nicht sichergehen, später einen Betreuungsplatz für A zu erhalten, wenn sie nicht sofort zum Schuljahresbeginn eine Betreuungsvereinbarung abschloss.

21

b.) Dieser Sichtweise steht das vom Beklagten angeführte BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 III R 80/09 (BFHE 238, 76; BStBl II 2012, 816) nicht entgegen. Mit dieser Entscheidung hat der BFH zunächst in grundsätzlicher Hinsicht erkannt, dass es verfassungsgemäß sei, den Abzug von Kinderbetreuungskosten vom Vorliegen bestimmter persönlicher Anspruchsvoraussetzungen (sog. Zwangsläufigkeitsgründe) abhängig zu machen. Ferner stehe dem Gesetzgeber bei der Auswahl der maßgeblichen Gründe ein gewisser Typisierungsspielraum insofern zu, als die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten dem Grunde nach auf solche Lebenssituationen beschränkt werden könne, in denen typischerweise davon ausgegangen werden könne, dass eine Fremdbetreuung von Kindern erforderlich sei. Davon ausgehend hat der BFH in dem genannten Urteil die Berücksichtigung der dort geltend gemachten Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG a.F. abgelehnt, weil die Ausbildung der dortigen Klägerin im Streitjahr nicht „tatsächlich durchgeführt“ worden sei. Der BFH hat sich - soweit ersichtlich - allerdings bislang nicht dazu geäußert, ob „wie Werbungskosten“ abzugsfähige Kinderbetreuungskosten auch im Hinblick auf eine erst beabsichtigte Erwerbstätigkeit abzugsfähig sein können, wenn - wie hier - ein hinreichend enger wirtschaftlicher und tatsächlicher Zusammenhang zwischen der beabsichtigten Tätigkeitsaufnahme und den Betreuungskosten festgestellt werden kann. Im Fall „regulärer“ Werbungskosten ist allgemein anerkannt, dass sich auch vorweggenommene Werbungskosten einkommensmindernd auswirken, sofern festgestellt werden kann, dass sie durch die jeweilige - künftige - Einkunftserzielung veranlasst sind. Wie bereits oben dargelegt, besteht keine Veranlassung, das im Hinblick auf fingierte Werbungskosten anders zu sehen. Überdies besteht - ausgehend davon, dass die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten aus dem Gebot der Herstellung der horizontalen Steuergleichheit mit Kinderlosen folgt (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 III R 80/09, BFHE 238, 76; BStBl II 2012, 816) - im Fall der Erwerbslosigkeit jedenfalls dann auch faktisch eine Zwangsläufigkeitssituation, die derjenigen vergleichbar ist, die bei der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit besteht, wenn die Möglichkeit der Aufnahme der künftigen Tätigkeit davon abhängt, dass die Fremdbetreuung der Kinder geregelt ist. Es besteht kein Unterschied, ob die Fremdbetreuung durch die Fortsetzung der Tätigkeitsausübung oder durch deren erstmalige Aufnahme veranlasst ist. In beiden Fällen entstehen die Betreuungskosten nur deshalb, weil allein die im vorhinein geregelte Fremdbetreuung der Kinder dem Elternteil die Erwerbstätigkeit erst ermöglicht, während dem Kinderlosen eine jederzeitige Tätigkeitsaufnahme auch ohne diese Kosten möglich wäre.

22

c.) Der angefochtene Bescheid ist dementsprechend zu ändern, es sind weitere Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1.137 € (voller Betrag) jeweils zur Hälfte bei den Klägern zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2009 entsprechend niedriger festzusetzen. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass gem. § 9c Abs. 1 Satz 1 EStG lediglich 2/3 des vollen Betrages bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens in Ansatz zu bringen sind, was zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist. Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.

23

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 (analog), 711 Zivilprozessordnung.

24

Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Zwar betrifft die Entscheidung ausgelaufenes Recht, denn seit dem Veranlagungszeitraum 2012 sind Kinderbetreuungskosten gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG 2012 nur noch als Sonderausgaben abziehbar, ohne dass es noch auf die Frage ankommt, ob die Betreuung erwerbsbedingt erfolgt ist. Angesichts der Vielzahl der Fälle, in denen die entschiedene Rechtsfrage Bedeutung erlangen kann, hält der Senat die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aber dennoch für gegeben.


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