Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamburg (8. Kammer) - 8 TaBV 12/15

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10.08.2015 (29 BV 22/15) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle.

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Die Beteiligte zu 1 (i.F.: Arbeitgeberin) ist ein Einzelhandelsunternehmen, welches bundesweit ca. 450 Filialen betreibt, die jeweils als eigenständige Betriebe organisiert sind. In mehr als 100 Filialen bestehen Betriebsräte. Die Unternehmenszentrale befindet sich in Hamburg. Der Beteiligte zu 2 (i.F. GBR) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat, der gemäß § 47 V BetrVG auf 40 Personen verkleinert wurde.

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Mit E-Mail vom 22.04.2015 (Anl. Ast. 5, Bl. 46 d.A.) teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsausschuss des GBR (i.F.: GBA) mit, dass die Absicht bestehe, das Workforce-Management-Programm „A.“ von der Firma E. einzuführen. „A.“ ist ein webbasiertes Programm zur Unterstützung des gesamten Personaleinsatzes. Es umfasst die Personaleinsatzplanung, die Personalbedarfermittlung und das Zeitmanagement im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Zeiterfassung und Zeitbewertung der Arbeitgeberin. Mit dem Programm sollen Personalressourcen effizient eingesetzt und Über- und Unterbesetzungen verhindert werden. „A.“ soll monatlich alle für Entgeltabrechnung der Mitarbeiter notwendigen Zeitdaten an DATEV übermitteln und zu Beginn die Stammdaten der Mitarbeiter aus DATEV übernehmen. Das Programm soll bundesweit einheitlich für alle Betriebe der Arbeitgeberin eingeführt werden. Die Serverkapazitäten sollen im Rechenzentrum des Anbieters zentral angelegt und zur Verfügung gestellt werden. In allen Filialen sollen neue Zeiterfassungsterminals installiert werden. Wegen der Funktionalität des Systems im Einzelnen wird auf die Anlage Ast 1 (Bl. 8-21 d.A.) Bezug genommen. In der E-Mail vom 22.04.2015 bat die Arbeitgeberin den GBA um Rückmeldung, im welcher Gruppe die diesbezüglichen Verhandlungen geführt werden können.

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Die Arbeitgeberin übermittelte dem GBR sämtliche ihr zur „A.“ zur Verfügung stehenden Informationen zur Grundfunktionalität des Programms und zu den von ihr veranlassten firmenspezifischen Anpassungen. Der Anbieter stellte das Programm am 22.04.2015 des GBR sowie am 17.05.2015 auf einer Betriebsräteversammlung den Mitgliedern der örtlichen Betriebsräte vor.

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Mit E-Mail vom 25.06.2015 (Anl. Ast 2, Bl. 22 d.A.) forderte die Arbeitgeberin den GBA auf, „eine angemessen kleine Verhandlungsgruppe“ zu nennen, mit der die Arbeitgeberin in Verhandlung treten könne. Gleichzeitig drohte die Arbeitgeberin, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären, falls der GBR sich selbst als Verhandlungspartner benennen würde.

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Der GBR teilte mit E-Mail vom 14.07.2015 (Anl. Ast 3, Bl. 23 d.A.) mit, er betrachte die Verhandlungen nicht als gescheitert und lud die Arbeitgeberin zur nächsten GBR-Sondersitzung am 30. oder 31.07.2015 zur Aufnahme von Verhandlungen ein. Als alternative Termine wurden der 21., 22. oder 23.07.2015 angeboten. Mit E-Mail vom 16.07.2015 (Anl. Ast 4, Bl. 24 d.A.), auf deren Wortlaut Bezug genommen wird, erklärte die Arbeitgeberin die Verhandlungen für gescheitert und kündigte an, das Einsetzungsverfahren einzuleiten, was mit Schriftsatz vom 24.07.2015, welcher am 27.07.2015 beim Arbeitsgericht einging, geschah.

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Wegen des Streitstandes im Übrigen wird auf die Feststellungen des Arbeitsgerichts unter I des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

8

Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin als unzulässig abgewiesen. Für die Einsetzung einer Einigungsstelle fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis, da die Arbeitgeberin gar nicht versucht habe, mit dem Gesamtbetriebsrat zu verhandeln. Wegen der Einzelheiten wird auf Abschnitt II des Beschlusses (Bl. 54 – 55 d.A.) Bezug genommen.

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Der am 10.08.2015 verkündete Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 14.08.2015 zugestellt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ging am 28.08.2015 bei Gericht ein und wurde sogleich begründet.

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Die Arbeitgeberin meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht das Rechtsschutzinteresse für den Antrag verneint. Das Rechtsschutzinteresse für einen Gestaltungsantrag wie § 100 ArbGG, sei regelmäßig gegeben, solange die erstrebte Gestaltungswirkung noch erfolgen könne. Das sei der Fall, da sich die Beteiligten nach wie vor nicht auf die Einsetzung einer Einigungsstelle geeinigt hätte. Das Scheitern von Verhandlungen sei keine zwingende Voraussetzung für die Einsetzung einer Einigungsstelle.

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Das erforderliche Rechtsschutzinteresse könne auch aus anderen Gründen vorliegen. Eine grundsätzliche Verhandlungspflicht vor dem Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Betriebspartner könnten autonom darüber entscheiden, ob sie es für sinnvoll erachten, Verhandlungen mit der Gegenseite aufzunehmen oder nicht. Die Arbeitgeberin habe aufgrund Erfahrungen in der Vergangenheit davon ausgehen können, dass Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat als solche nicht erfolgversprechend seien. Das vom Gesamtbetriebsrat für seine gegenteilige Behauptung angeführte Beispiel stelle eine Ausnahme dar. Nach dem von der Arbeitgeberin im Einzelnen dargestellten bisherigen zeitlichen Ablauf, insbesondere der fehlenden Festlegung des Gesamtbetriebsrats zu seiner Zuständigkeit sei ohne eine Einigungsstelle nicht mit einer zügigen Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens zu rechnen gewesen. Die Einigungsstelle sei im Hinblick auf unterschiedliche Anforderungen der Gerichte an vorangegangene Verhandlungen jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Beschwerde (Bl. 85 – 110 d.A.) und den ergänzenden Schriftsatz vom 13.10.2015 (Bl. 129 – 135 d.A.) Bezug genommen.

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Die Arbeitgeberin beantragt,

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1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10.08.2015 (29 BV 22/15) abzuändern und den VRiLAG S. zum Vorsitzenden der Einigungsstelle zum dem Thema „Einführung und Anwendung des Zeiterfassungs- und Personalplanungssystems Workforce Management A.“ zu stellen;

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2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei festzusetzen.

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Der Gesamtbetriebsrat beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Auf die Beschwerdeerwiderung (Bl. 115 – 128 d.A.) wird Bezug genommen.

II.

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Die Beschwerde ist gemäß § 100 II 1 ArbGG statthaft. Sie ist auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.

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Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht als unzulässig abgewiesen. Letztlich kann dahinstehen, ob die Unzulässigkeit des Antrags auf dem Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses beruht – so das Arbeitsgericht – oder darauf, dass der Antrag der Arbeitgeberin in entsprechender Anwendung von § 242 BGB als treuwidrig zu bewerten ist, wovon die Beschwerdekammer ausgeht. Keinesfalls geht es im vorliegenden Verfahren um die Zuständigkeit der Einigungsstelle. Im Einzelnen:

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1. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, für einen Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Gericht fehle das Rechtsschutzinteresse, entspricht überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. die Nachweise auf S. 7 des angefochtenen Beschlusses). Zuletzt hat das Bundesarbeitsgericht in einem Beschluss vom 18.03.2015 (7 ABR 4/13, Tz 17) ausgeführt, für die Bildung einer Einigungsstelle nach § 99 ArbGG [jetzt 100 ArbGG] fehle grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 I 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen hätten.

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2. Dass die Arbeitgeberin den Gesamtbetriebsrat nicht zu Verhandlungen über die Einführung von „A.“ eingeladen hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Weder die Aufforderung an den Gesamtbetriebsrat, zu seiner Zuständigkeit für das Mitbestimmungsverfahren Stellung zu nehmen, noch die Aufforderung, „eine angemessen kleine Verhandlungsgruppe“ zu benennen, stellen Einladungen zu Verhandlungen dar.

22

a) Die Frage der Zuständigkeit des GBR (in Abgrenzung zu den örtlichen Betriebsräten), ist eine Vorfrage für Verhandlungen. Die Klärung dieser Frage im Vorfeld von Verhandlungen wird regelmäßig sinnvoll sein. Die Aufforderung, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, stellt jedoch keine – konkludente – Einladung zu Verhandlungen dar. Eine Reaktion auf die Zuständigkeitsfrage ist auch keine Voraussetzung für eine Einladung zu Verhandlungen. Letztlich liegt es zunächst im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zu prüfen, welcher Betriebsrat für bestimmte Regelungen zuständig ist und diesen zu Verhandlungen einzuladen.

23

b) Die Aufforderung an den GBR, „eine angemessen kleine Verhandlungsgruppe“ zu benennen, welche die Arbeitgeberin sogleich mit der Drohung verband, die Verhandlungen andernfalls für gescheitert zu erklären, stellt ebenfalls keine Einladung zu Verhandlungen dar. Ob der GBR über eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit in seiner Gesamtheit mit dem Arbeitgeber verhandeln möchte oder einen oder mehrere Vertreter für diese Aufgabe benennt, ist eine Entscheidung über die Geschäftsführung des GBR. Die Arbeitgeberin ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt befugt, hier Vorgaben zu machen. Die Ansicht der Arbeitgeberin, dass solche Verhandlungen vom Ansatz her aussichtslos sind, bindet den GBR nicht. Sie ist auch nicht zwingend, zumal die Arbeitgeberin selbst einräumt, in der Vergangenheit eine Angelegenheit mit dem GBR als Plenum geregelt zu haben.

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3. Die Beschwerdekammer folgt der Arbeitgeberin allerdings, soweit diese die Ansicht vertritt, bei dem Antrag nach § 100 ArbGG handele es sich um eine Gestaltungsklage, bei der sich das Rechtsschutzinteresse regelmäßig bereits daraus ergibt, dass die begehrte Gestaltung bei bestehender Möglichkeit noch nicht erfolgt sei.

25

Die Frage, ob eine Betriebspartei die Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Gericht verlangen kann, ohne zuvor versucht zu haben, mit der Gegenseite zu verhandeln, bleibt aber eine Frage der Zulässigkeit des Antrags.

26

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin geht es im vorliegenden Fall nicht um die Begründetheit eines Einsetzungsantrags. Die Prüfung, ob ein Einsetzungsantrag begründet ist, beschränkt sich auf die Fragen, ob ein Mitbestimmungsecht besteht und ob es dem Beteiligten Betriebsrat zusteht. Dass die Einführung des Workflow-Managements zumindest unter dem Gesichtspunkt von § 87 I Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats liegt – jedenfalls nach den im vorliegenden Verfahren vorgetragenen Tatsachen – sehr nahe und ist in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer von der Vertreterin des Gesamtbetriebsrats nicht in Frage gestellt worden.

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Ein Einsetzungsantrag ist jedoch in entsprechender Anwendung von § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu bewerten, wenn er gestellt wird, ohne zuvor Verhandlungen mit der Gegenseite versucht zu haben (ebenso: LAG Hamm v. 14.05.2014 – 7 TaBV 21/14 – Tz 36). Der Verhandlungsanspruch über mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten ergibt sich aus § 74 I 2 BetrVG. Die Auffassung der Arbeitgeberin, es liege in ihrem Ermessen, mit dem jeweiligen Betriebsrat zu verhandeln oder sogleich die Einigungsstelle anzurufen, widerspricht dieser zwingenden Rechtsnorm. In der mündlichen Verhandlung hat die Arbeitgeberseite allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass es bedenklich wäre, wenn die Arbeitsgerichte anhand objektiver Kriterien zu beurteilen versuchten, ob betriebliche Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. In dieser Frage kommt jeder Betriebspartei ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Den Arbeitsgerichten obliegt lediglich eine Missbrauchskontrolle (vgl. LAG Hamm, a.a.O.).

28

Ein Missbrauch der Möglichkeit, die Einigungsstelle anzurufen, liegt zweifelsfrei vor, wenn der Antragsteller zuvor überhaupt nicht versucht hat, mit der Gegenseite zu verhandeln. So liegt der Fall hier. Die Arbeitgeberin hat dem nach ihrer Ansicht zuständigen Mitbestimmungsorgan zu keinem Zeitpunkt Verhandlungen angeboten. Sie hat sich vielmehr auf den Versuch beschränkt, in betriebsverfassungsrechtswidriger Weise auf die Geschäftsführung des Gesamtbetriebsrats Einfluss zu nehmen.

III.

29

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (vgl. BAG v. 02.10.2007 – 1 ABR 59/06 – NZA 08, 372, Tz 11; Matthes/Spinner in Germelmann u. a. ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 84 Tz 31).

IV.

30

Gegen die vorliegende Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig (§ 100 II 4 ArbGG)

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