Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamburg (4. Kammer) - 4 Ta 18/17
Tenor
Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2017 – 3 BVGa 4/17 – abgeändert:
Der Gegenstandswert für das einstweilige Verfügungs- und Beschlussverfahren wird auf € 10.000,00 festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt.
Gründe
I.
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In dem zugrundeliegenden einstweiligen Verfügungs- und Beschlussverfahren hat der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Unterlassung begehrt, die Aufgaben der Abteilung „O.T.L.“ von Hamburg nach S. zu verlagern und betriebsbedingte Kündigungen oder betriebsbedingte Änderungskündigungen gegenüber den in der vorgenannten Abteilung beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszusprechen, bis zwischen den Beteiligten ein Interessenausgleich zustande gekommen ist oder die Verhandlungen über diesen Interessenausgleich beendet sind (Antrag zu 1.). Hilfsweise hat der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Unterlassung begehrt, die Arbeitsaufgaben „flame retardents“ und „ECHA-Analyse“ von Hamburg nach S. zu verlagern, bis zwischen den Beteiligten ein Interessenausgleich zustande gekommen ist oder die Verhandlungen über diesen Interessenausgleich beendet sind. Ferner hat der Betriebsrat beantragt für jeden Fall der Zuwiderhandlung des Arbeitgebers gegen die Verpflichtung aus dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld von bis zu € 10.000,00 anzudrohen (Antrag zu 2.).
- 2
Das Arbeitsgericht hat die vorgenannten Anträge des Betriebsrats durch Beschluss vom 09. August 2017 abgewiesen.
- 3
Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats haben mit Schriftsatz vom 23. August 2017 die Festsetzung des Gegenstandswerts beantragt. Das Arbeitsgericht hat durch Verfügung vom 25. August 2017 die Beteiligten zur beabsichtigten Gegenstandswertfestsetzung angehört und mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, den Gegenstandswert für das Verfahren auf € 10.000,00 festzusetzen; eine Begründung ist nicht erfolgt. Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert durch Beschluss vom 12. September 2017 auf € 10.000,00 festgesetzt.
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Gegen den den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 13. September 2017 mit schriftlichen Empfangsbekenntnis zugestellten vorgenannten Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats mit Schriftsatz vom 15. September 2017, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt und beantragt, den Gegenstandswert für das Verfahren auf € 20.000,00 festzusetzen. Durch Beschluss vom 10. Oktober 2017 hat das Arbeitsgericht „auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 15. September 2017“ den Wert des Verfahrens auf € 20.000,00 festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der Antrag des Betriebsrats die Sicherstellung seiner Beteiligungsrechte bezweckt habe, so dass er nichtvermögensrechtlicher Art gewesen sei. Der Gegenstandswert sei demgemäß nach Maßgabe von § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen. Dabei sei im Rahmen der Bewertung auf die Bedeutung der Sache für die Beteiligten, sowie den Umfang die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit abzustellen. Die Bedeutung der Angelegenheit ergebe sich dabei nicht ausschließlich aus dem Umstand, dass vorliegend ausschließlich drei Arbeitsplätze betroffen gewesen seien. Daneben habe die hier streitige Maßnahme ganz erhebliche Auswirkungen auch auf andere Betriebe. Zudem weise die Sache auch erhebliche rechtliche Schwierigkeiten auf. Daher sei ein vierfacher Hilfswert angemessen. Dem Beschluss wurde eine Rechtsmittelbelehrung dahingehend beigefügt, dass der Beschluss vom Arbeitgeber mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes € 200,00 übersteigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 182 ff d.A.) Bezug genommen. Der vorgenannte Beschluss wurde den Verfahrensbevollmächtigten des Arbeitgebers mit schriftlichem Empfangsbekenntnis am 16. Oktober 2017 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2017 teilten die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats mit, dass sich ihre Beschwerde erledigt habe (Bl. 191 d.A.).
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Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2017 hat der Arbeitgeber sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2017 eingelegt und beantragt, den Wert des Verfahrens auf € 10.000,00 festzusetzen. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass bereits die Festsetzung des Streitwerts auf € 10.000,00 an der Grenze des billigen Ermessens sei. Für die streitige Berechnung sei zunächst von dem Streitwert entsprechend dem Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 05. April 2016 auszugehen. Danach sei bei einer Betriebsänderung für die Realisierung des Verhandlungsanspruchs vom Hilfswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auszugehen. Er sei im Übrigen befremdet darüber, dass keine seiner beiden Stellungnahmen zur Streitwertfestsetzung vom 12. September 2017 und vom 09. Oktober 2017 vom Arbeitsgericht Hamburg bei seiner Entscheidung berücksichtigt worden sei. Ihm sei damit in zwei Fällen rechtliches Gehör abgeschnitten worden.
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Durch Beschluss vom 01. November 2017 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde des Arbeitgebers nicht abgeholfen und zur Begründung auf die Gründe des Beschlusses vom 10. Oktober 2017 Bezug genommen (Bl. 235 f d.A.).
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Durch Verfügung vom 22. November 2017 ist dem Arbeitgeber und den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Gelegenheit gegeben worden, binnen drei Wochen zum Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 01. November 2017 und zum Beschwerdeverfahren insgesamt Stellung zu nehmen. Die Beteiligten wurden ferner ausdrücklich auf den Beschluss des LArbG Hamburg vom 22. Mai 2008 – 7 Ta 5/08 – hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 hat der Arbeitgeber Stellung genommen und betont, dass die Festsetzung des Gegenstandswertes durch das Arbeitsgericht in Höhe von € 20.000,00 nicht angemessen sei. Auch bei Anwendung der Rechtssätze des Beschlusses des LArbG Hamburg vom 22. Mai 2008 lasse sich der genannte Betrag nicht rechtfertigen. Nach dem zitierten Beschluss des LArbG Hamburg sei maximal der doppelte Hilfswert anzusetzen.
II.
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1. Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist statthaft gemäß §§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß eingelegt. Die Beschwer übersteigt € 200,00. Soweit das Arbeitsgericht im Beschluss vom 10. Oktober 2017 die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung „sofortige Beschwerde“ erteilt hat, war dies unbeachtlich, denn der Arbeitgeber hat mit seinem Schriftsatz vom 18. Oktober 2017 deutlich gemacht, dass er sich gegen den vorgenannten Beschluss des Arbeitsgerichts wehren und damit das Rechtsmittel nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG einlegen will. Damit war die „sofortige Beschwerde“ des Arbeitgebers vom 18. Oktober 2017 als Beschwerde nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG auszulegen.
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2. In der Sache selbst hat die Beschwerde auch Erfolg.
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a) Nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG ist der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art, soweit er nicht bereits feststeht, nach billigem Ermessen zu bestimmen. Da die Beteiligten im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren darüber gestritten haben, ob im Rahmen der §§ 111, 112 BetrVG die Beteiligungsrechte des örtlichen Betriebsrats zu beachten waren bzw. ob diese gewahrt worden sind, handelte es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Nach der Rechtsprechung des LArbG Hamburg (Beschluss vom 22. Mai 2008 – 7 Ta 5/08 – Rn. 15, Juris) ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf das erhebliche ideelle Interesse des antragstellenden Betriebsrats an der Wahrung seiner ihm vom BetrVG zuerkannten Beteiligungsrechte und der dem Betriebsrat zuzurechnenden Bedeutung für die Arbeitnehmer, die aus dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw. einer Versetzung erwächst, sowie der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung des Erfolgs oder Nichterfolgs des vorliegenden Antrags, insbesondere für den Arbeitgeber, jedenfalls der doppelte Hilfswert des § 23 Abs. 3 RVG in Ansatz zu bringen ist. Führt die verzögerte Durchführung der Betriebsänderung zu wirtschaftlichen Belastungen des Unternehmens z.B. durch einen späteren Ablauf von Kündigungsfristen, so kann dies mit einem weiteren Hilfswert berücksichtigt werden. Um die Anzahl der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer zu erfassen, kann auf die Staffel des § 17 Abs. 1 KSchG – bzw. bei bloßem Personalabbau – auf die des § 112 a BetrVG zurückgegriffen werden. Für jede dieser Stufen ist dann der zuvor ermittelte Wert (doppelter oder dreifacher Hilfswert) anzusetzen. Von diesen Rechtsgrundsätzen geht die Beschwerdekammer auch vorliegend aus; der Anregung im Streitwertkatalog wird ausdrücklich nicht gefolgt.
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b) Wendet man die vorstehenden Rechtsgrundsätze vorliegend an, so sind als Gegenstandswert für das vorliegende einstweilige Verfügungs- und Beschlussverfahren zwei Hilfswerte zu je € 5.000,00 anzusetzen. Soweit das Arbeitsgericht vier Hilfswerte in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 als angemessen angesehen hat, reicht der bloße Hinweis, dass die streitige Maßnahme ganz erhebliche Auswirkungen auf andere Betriebe habe und die Sache erhebliche rechtliche Schwierigkeiten aufweise, zur Begründung jedenfalls nicht aus.
III.
- 12
Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten war nicht veranlasst (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG; vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 33 RVG Rz. 26). Dem Arbeitgeber war die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG nicht aufzuerlegen, denn seine Beschwerde hatte Erfolg.
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Referenzen
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- RVG § 23 Allgemeine Wertvorschrift 4x
- BetrVG § 112 Interessenausgleich über die Betriebsänderung, Sozialplan 1x
- BetrVG § 111 Betriebsänderungen 1x
- BetrVG § 112a Erzwingbarer Sozialplan bei Personalabbau, Neugründungen 1x
- § 17 Abs. 1 KSchG 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 33 Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren 6x