Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Kammer) - 2 Sa 153/07

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Schwerin - 1 Ca 2629/06 - wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass

a) das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 04.04.2006, zugegangen am 05.04.2006, nicht aufgelöst worden ist;

b) das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 10.04.2006, zugegangen am 10.04.2006, nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 03.09.1998 geregelten Arbeitsbedingungen als Angestellter in der Abteilung CD-Bedrucken bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung. Der Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten als Angestellter für ein monatliches Bruttogehalt von 2.000,00 € beschäftigt. Er wurde im November 2005 als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der Beklagten gewählt. Hinsichtlich des Konfliktes, der der Kündigung voranging, wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichtes Schwerin - 1 Ca 2629/06 - vom 22.02.2007 Bezug genommen.

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Eine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist sowie auf Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges hat das Arbeitsgericht durch das vorbezeichnete Urteil abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt.

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In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es stehe fest, dass der Kläger in den Teilbetriebsversammlungen vom 23.03.2006 wiederholt geäußert habe, durch den Geschäftsführer der Beklagten Herrn O. wie auch den Vorstandsvorsitzenden genötigt worden zu sein, eine Erklärung abzugeben, mit der er auf das Sitzungsgeld verzichte sowie, dass Herr O. ihm Abzocke unterstellt habe. Weiter habe er danach geäußert, dass der Umgang durch Herrn O. und weitere Mitglieder des Aufsichtsrates beleidigend, nötigend und unter der Gürtellinie sei. Auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit rechtfertigten diese Äußerungen die fristlose Kündigung des Klägers. Er habe als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine besondere Position innegehabt. Auch wenn er seinen Äußerungen vorangestellt habe, dass er sich nun als Mitarbeitervertreter äußere, rechtfertige dies nicht die Schwere seines Verstoßes. Schwerwiegend sei auch, dass der Kläger seine Vorwürfe in den weiteren Teilbetriebsversammlungen wiederholt habe, obwohl er von Herrn O. darauf hingewiesen sei, dass ihm arbeitsrechtliche Konsequenzen bevorstünden. Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

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Dieses Urteil ist dem Kläger am 03.05.2007 zugestellt worden. Er hat dagegen Berufung eingelegt, die mit Begründung am 04.06.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist.

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Der Kläger beanstandet die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichtes. Auch müsse berücksichtigt werden, dass die einzelnen Versammlungen unmittelbar aufeinander gefolgt seien. Eine schwerwiegende Belastung des Betriebsfriedens liege nicht vor. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichtes habe es lediglich eine gewisse Aufregung unter den Mitarbeitern gegeben. Bei der Beurteilung der Äußerungen des Klägers müsste auch die Auseinandersetzung der Parteien betreffend der Rechte und Pflichten eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat berücksichtigt werden. Diese Vorgeschichte streife das Arbeitsgericht nur am Rande. Die Ausführungen des Klägers müssten als Reaktion auf die von ihm mehrfach vergeblichen Versuche, ein klärendes Gespräch über die Angelegenheit zu führen, verstanden werden.

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Er beantragt:

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1. a) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 04.04.2006, zugegangen am 05.04.2006, nicht aufgelöst worden ist;

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b) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 10.04.2006, zugegangen am 10.04.2006, nicht aufgelöst worden ist;

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2. die beklagte Partei zu verurteilen, die klägerische Partei für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1. zu den im Arbeitsvertrag vom 03.09.21998 geregelten Arbeitsbedingungen als Angestellter in der Abteilung CD-Bedruckung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen;

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3. die Beklagte Partei zu verurteilen, an die klägerische Partei 20.375,83 € brutto Arbeitsvergütung für die Monate April, Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober, November, Dezember 2006 und Januar 2007 nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 ZPO auf 2.091,57 seit dem 11.05.2006, auf 1.959,28 € seit dem 01.06.2006, auf 1956,41 € seit dem 01.07.2006, auf 1.868,15 € seit dem 01.08.2006, auf 1.869,80 € seit dem 01.09.2006, auf 1.955,41 € seit dem 01.10.2006, auf 2.326,10 € seit dem 01.11.2006, auf 2.337,29 € seit dem 01.12.2006, auf 1.994,50 € seit dem 01.01.2007 und auf 2.017,32 € seit dem 01.02.2007 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

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Sie tritt der angefochtenen Entscheidung bei.

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Die Äußerungen des Klägers in den Teilbetriebsversammlungen seien von mehreren Zeugen bestätigt worden. Eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers könne grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Die Äußerungen des Klägers stellten eine grobe Beleidigung dar. Auch wenn es im Aufsichtsrat zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sein sollte, berechtige dies den Kläger nicht zu derartigen Angriffen. Dem Kläger sei auch die beleidigende Wirkung seiner Ausführung bewusst geworden. Der Kläger habe mit seinen Äußerungen nicht allein gegen seine Pflichten aus dem Aufsichtsratsverhältnis, sondern auch aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen.

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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet.

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Entgegen der ersten Instanz ist das Landesarbeitsgericht der Auffassung, dass die angegriffenen Kündigungen vom 04. und 10.04.2006 wegen der Äußerungen des Klägers bei den Teilbetriebsversammlungen am 23. März 2006 unwirksam sind. Das Verhalten des Klägers stellt weder einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB dar, noch rechtfertigt es eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Kündigungsschutzgesetz.

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1. Das Landesarbeitsgericht geht auf Grund der überzeugenden Beweiswürdigung durch das Arbeitsgericht wie dieses davon aus, dass der Kläger in den Teilbetriebsversammlungen geäußert hat, er sei durch den Geschäftsführer der Beklagten und den Aufsichtsratsvorsitzenden genötigt worden, eine Erklärung abzugeben, in der er auf das Sitzungsgeld verzichtet sowie, dass der Geschäftsführer ihm Abzocke unterstellt habe. Weiter hat er geäußert, dass der Umgang durch Herrn O. und weitere Mitglieder des Aufsichtsrates beleidigend, nötigend und unter der Gürtellinie sei.

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Wie die erste Instanz geht das Gericht davon aus, dass derartige Äußerungen, wenn sie nicht zutreffen, grundsätzlich geeignet sind, eine fristlose bzw. eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch Besonderheiten des Einzelfalles in der Vorgeschichte der Äußerungen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen.

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2. Die Äußerungen des Klägers stehen in einem Zusammenhang der Aufsichtsratssitzung am 17.02.2006, dessen Mitglied der Kläger auf Grund der Wahl vom 24.11.2005 war. Diese Äußerung ist erforderlich geworden, weil der Kläger der Beschlussfassung über die Bestellung eines Wirtschaftsprüfers zum Abschlussprüfer des Jahresabschlusses im Umlaufverfahren widersprochen hat. Es ist möglich, dass bei diesem Widerspruch des Klägers auch das für ihn außerordentlich hohe Sitzungsgeld pro Aufsichtsratssitzung (nach den Erklärungen der mündlichen Verhandlung 3.000,00 € pro Sitzung) maßgebend gewesen ist. Ebenso ist es aber möglich, dass der Kläger die Aufsichtsratssitzung deshalb gewollt hat, weil ihm auf Grund mangelnder Erfahrung das Verfahren nicht geläufig war. Aus dem Schreiben des Klägers vom 22. Februar 2006 (Bl. 125 d. A.) geht hervor, dass sich der Kläger in der Sitzung vom 24.01.2006 nicht ausreichend informiert gefühlt hat, was er möglicherweise in der zweiten Aufsichtsratssitzung im Zusammenhang mit der Bestellung des Wirtschaftsprüfers noch einmal zur Sprache bringen wollte.

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Gerade da beide Möglichkeiten, einerseits eine gewisse Begehrlichkeit hinsichtlich der Aufsichtsratsvergütung und andererseits eine ehrliches Informationsbedürfnis des unerfahrenen Klägers bestanden haben, war die Äußerung des Geschäftsführers der Beklagten: "Herr M., ich möchte Ihnen nicht unterstellen, dass sie die Aufsichtsratssitzung nur wegen des Sitzungsgeldes einberufen haben", ungehörig. Diese Äußerung enthält diesen Vorwurf, wenn auch in einer sprachlich eleganten Form.

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Unterstellt man nun mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten zu Gunsten des Klägers, dass dieser die zweite Aufsichtsratssitzung nicht aus finanziellen Gründen gewollt hat, so war seine tiefe Kränkung über diesen Vorwurf gerechtfertigt. Im normalen Arbeitsleben ist der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber dem Kläger weisungsberechtigt. Als Mitglied des Aufsichtsrates hat der Kläger die Aufgabe, das Verhalten des Vorstandes zu überwachen. Deshalb steht dem Geschäftsführer der Beklagten eine derartige Äußerung insbesondere in Anwesenheit der anderen Aufsichtsratsmitglieder nicht zu. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, der Geschäftsführer der Beklagten schätze insgesamt ein offenes Wort, hätte der Geschäftsführer eine derartige Äußerung gegenüber einem wichtigen Aktionärvertreter in einer Aufsichtsratssitzung nicht gemacht. Angesichts dieser Äußerung und der Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden, dass er auf sein Sitzungsgeld verzichtet, hatte der Kläger tatsächlich keine andere Möglichkeit, als einen entsprechenden Verzicht abzugeben. Anderenfalls hätte er "sein Gesicht verloren".

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So ist nachzuvollziehen, dass der Kläger diesen ganzen Vorgang als außerordentlich kränkend empfunden hat. Hierfür spricht auch sein Schreiben vom 22. Februar 2006 an den Aufsichtsratsvorsitzenden (Anlage K 15 zum Schriftsatz vom 17.07.2006 - Bl. 124 d. A.). Auch ist bei der Vorgeschichte zu berücksichtigen, dass der Wunsch des Klägers nach einem Treffen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Aufsichtsratsmitglieder untereinander und mit der Geschäftsführung von diesem abgelehnt worden ist (Bl. 122, 123 d. A.).

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3. Bei dieser Würdigung der Vorgeschichte erscheinen die Äußerungen des Klägers, auch wenn sie immer noch über das Ziel hinausschießen, in einem deutlich milderen Licht. Wie bereits ausgeführt, besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass der Kläger die Aufsichtsratssitzung aus sachlichen Gründen gewollt hat. Dann musste er das Verhalten des Geschäftsführers und des Aufsichtsratsvorsitzenden als beleidigend empfinden. Dass er seine Äußerungen nicht mit der gleichen sprachlichen Gewandtheit gemacht hat, zu der der Geschäftsführer der Beklagten in der Lage war, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen. Die Aufsichtsratssitzung vom 17.02.2006 lag erst wenige Wochen zurück. Die Ablehnung eines Gespräches durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgte mit Schreiben vom 14. März 2006, also 9 Tage vor den Teilbetriebsversammlungen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sowohl auf Grund mangelnder rechtlicher Erfahrung als auch auf Grund verständlicher emotionaler Aufgewühltheit zu einer geschickteren Wortwahl möglicherweise nicht in der Lage gewesen ist.

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4. Entgegen der Auffassung des Vertreters der Beklagten, wie er sie in der mündlichen Verhandlung vom 15.08.2007 geäußert hat, bestand kein Anlass, der Beklagten durch einen gerichtlichen Hinweis vor der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben bzw. ihr nach der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatznachlass zu gewähren. Der Ablauf der Aufsichtsratssitzung vom 17.02.2006 ist auf Seite 5 des unstreitigen Tatbestands der erstinstanzlichen Entscheidung geschildert worden. Einwendungen gegen diesen Tatbestand sind weder in Form eines Tatbestandsberichtigungsantrages noch in sonstiger Form erhoben worden. Für die Beklagte konnte es auch nicht überraschend sein, dass das Gericht die Vorgeschichte bei den Äußerungen des Klägers mit in die Würdigung des Sachverhaltes einbezieht. Der Kläger hat seine Berufung unter anderem damit begründet, dass seinen Worten nicht die Bedeutung und die Qualität beigemessen werden dürfte, wie es das Arbeitsgericht getan hätte. Dabei sei insbesondere die Auseinandersetzung in der Aufsichtsratssitzung zu berücksichtigen. Damit hatte die Beklagte ausreichend Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

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5. Der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung in Höhe von 20.375,83 € brutto für die Monate April 2006 bis Januar 2007 stehen dem Kläger in der geltend gemachten Form nicht zu. Unstreitig sind dem Kläger in der fraglichen Zeit Lohnersatzleistungen in Form von Arbeitslosengeld zugeflossen. Deren Höhe konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 15.08.2007 nicht beziffern. Da die Höhe der Abzüge nicht feststehen, konnte ihm der Anspruch insgesamt nicht zuerkannt werden.

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6. Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäß den Grundsätzen, die das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27.02.1985 GS 1/84 aufgestellt hat.

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7. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 64 Absatz 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO.

28

Zur Zulassung der Revision gemäß § 72 Absatz 2 ArbGG bestand kein Anlass.

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