Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Kammer) - 1 Sa 281/06
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 10. August 2006 - 4 Ca 15/06 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten - wie auch in einer Anzahl von Parallelprozessen - darüber, ob der klagenden Partei für die Zeit vom 01.01.2003 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.03.2005 Vergütung in der - gezahlten - Höhe wie nach den bis 31.12.2002 geltenden Vergütungstarifverträgen zum BAT-O oder in der sich aus dem Vergütungstarifvertrag Nr. 7 vom 31.01.2003 ergebenden Höhe zusteht. Die klagweise geltend gemachten Differenzbeträge sind rechnerisch unstreitig.
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Das Arbeitsverhältnis bestand zunächst mit dem Kreiskrankenhaus P. . Der Arbeitsvertrag nahm auf den BAT-O und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung Bezug. Anlässlich des Betriebsüberganges auf die - nicht tarifgebundene - Beklagte wurde zwischen dem Landkreis Uecker-Randow und der Beklagten ein Personalüberleitungsvertrag (Anlage 2 der Klageschrift; gemäß seinem § 12 ausdrücklich als Vertrag zugunsten Dritter mit eigenem Forderungsrecht für die betroffenen Arbeitnehmer) abgeschlossen, dessen § 5 Regelungen über die weitere Anwendung der Tarifverträge auf die Einzelarbeitsverhältnisse enthält. § 5 lautet:
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Tarifliche Regelungen
Die Parteien vereinbaren, dass die bisher auf die Arbeitsverträge Anwendung findenden tarifvertraglichen Regelungen des BAT/O, BMT/GO, seine ergänzenden und ersetzenden tarifvertraglichen Regelungen in der jeweils geltenden Form für 2 Jahre durch den Erwerber auf die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse angewendet werden, soweit bei dem Erwerber keine für die Arbeitnehmer günstigeren Vereinbarungen bestehen.
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Bestehende individualrechtliche Vereinbarungen über die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschriften werden in der Zeit von 2 Jahren ab Betriebsübergang vom Erwerber nicht angegriffen.
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Der Erwerber verpflichtet sich, nach Ablauf der 2-Jahresfrist unter Einbeziehung des Betriebsrates mit der zuständigen Gewerkschaft Verhandlungen über einen Haustarifvertrag aufzunehmen.
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Bis zum Abschluss eines anderweitigen Tarifvertrages gelten die Regelungen gemäß § 5 Abs. 1 und 2 entsprechend fort.
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Aus Anlass von Baumaßnahmen hat die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di zwei - unter Ausschluss der Nachwirkung - befristet vom 01.02.2003 bis 31.01.2005 sowie vom 01.02.2005 bis 31.07.2006 geltende Tarifverträge, deren Hauptgegenstand die Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit mit entsprechender Kürzung der Vergütung - im zweiten Tarifvertrag verbunden mit der Vereinbarung von zwei Einmalzahlungen in Höhe von 450,00 EUR im Februar 2005 und Februar 2006 - abgeschlossen (Anlagen B4 und B5 zur Klageerwiderung). Darüber hinaus sind die Verhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrages bisher ergebnislos geblieben.
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Die klagende Partei ist der Ansicht, dass es sich bei den beiden vorgenannten Tarifverträgen wegen ihres zeitlich und sachlich beschränkten Regelungsgegenstandes nicht um einen "anderweitigen Tarifvertrag" im Sinne des § 5 Abs. 4 des Personalüberleitungsvertrages (PÜV) handele und deshalb gemäß dessen § 5 Abs. 1 die dort vereinbarte dynamische Verweisung auf die jeweiligen Tarifverträge fortgelte.
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Demgegenüber ist die Beklagte der Ansicht, dass - sofern die klagende Partei aus dem PÜV, der - weil die Bezugnahme auf die Tarifverträge auch Nachteile für die Arbeitnehmer einschließe - kein wirksamer Vertrag zugunsten Dritter sei, überhaupt Rechte herleiten könne, die dynamische Verweisung auf die jeweiligen Tarifverträge in § 5 Abs. 1 jedenfalls auf zwei Jahre befristet sei und gemäß § 5 Abs. 4 PÜV lediglich der zwei Jahre nach Betriebsübergang erreichte Status statisch festgeschrieben werde. Hilfsweise beruft sich die Beklagte darauf, dass mit dem Abschluss der beiden Haustarifverträge von 2003 und 2005 die Regelung in § 5 Abs. 1 insgesamt ihre Wirkung verloren habe.
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In allen vom Berufungsgericht am 06.09.2007 entschiedenen Parallelverfahren haben die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Neubrandenburg mit Urteil vom 10.08.2006 und die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Neubrandenburg mit Urteil vom 03.08.2006 die Klage abgewiesen.
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In den Entscheidungsgründen sind beide Kammern zu dem Ergebnis gekommen, dass § 5 PÜV dahin auszulegen sei, dass lediglich für die Dauer von zwei Jahren ab Betriebsübergang eine dynamische Verweisung auf den BAT-O und die ihn ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge, für die Zeit danach aber nur noch eine statische Fortgeltung des nach zwei Jahren erreichten Zustandes gewollt gewesen sei. Dabei hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts ausdrücklich dahinstehen lassen, ob der Personalüberleitungsvertrag als zulässiger Vertrag zugunsten Dritter oder als unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter anzusehen sei, während die 4. Kammer auf diese Frage nicht weiter eingegangen ist.
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Für die Auslegung haben beide Kammern auf die Interessenlage zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unter Berücksichtigung des Informationsschreibens des Personalrats vom 23.03.2000 (Anlage B3 zur Klagerwiderungsschrift) mit der Forderung nach einer "Besitzstandswahrung durch Anwendung des BAT-O und der Zusatztarifverträge für mindestens drei Jahre" und den Kompromisscharakter der getroffenen Vereinbarung mit der an einer dynamischen Fortgeltung des Tarifwerkes eher nicht interessierten Beklagten abgestellt.
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Ferner haben sie auch aus der späteren Handhabung nach dem 01.01.2003 Rückschlüsse auf den Parteiwillen bei Vertragsschluss gezogen, indem sie berücksichtigt haben, dass die Beklagte zwar einerseits die sich aus dem Vergütungstarifvertrag Nr. 7 ergebende Gehaltserhöhung zwar nicht weitergegeben hat, andererseits aber auch die gleichzeitig zu Lasten der Arbeitnehmer getroffenen Veränderungen wie die Verlegung der Gehaltszahlung auf das Monatsende, die Streichung des AZV-Tages und die jährliche Abschmelzung der Jahressonderzuwendung nicht zu Lasten der Arbeitnehmer umgesetzt hat.
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Unterschiedlich haben die beiden Kammern des Arbeitsgerichts die Frage beurteilt, welche Auswirkungen der Abschluss der beiden Tarifverträge von 2003 und 2005 zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di auf einen etwaigen Anspruch der klagenden Partei gehabt hätte. Während die 4. Kammer davon ausgegangen ist, dass diese Tarifverträge wegen ihres begrenzten Regelungsgegenstandes nicht als anderweitige Tarifverträge im Sinne von § 5 Abs. 4 anzusehen wären, hat die 3. Kammer sie als solche anderweitigen Tarifverträge angesehen und daraus eine zusätzliche Begründung zur Verneinung des Anspruches abgeleitet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachstandes und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg Bezug genommen.
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Die Berufung gegen das am 04.09.2006 zugestellte Urteil ist mit gewerkschaftlichem Schriftsatz am 20.09.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, die Berufungsbegründung nach entsprechender Fristverlängerung am 01.12.2006.
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In der Berufungsbegründung trägt die klagende Partei - gleichlautend zu allen dem Berufungsgericht am 06.09.2007 zur Verhandlung vorliegenden Urteilen der 3. und 4. Kammer des Arbeitsgerichts Neubrandenburg - vor: Die vom Gericht vorgenommene Auslegung von § 5 Abs. 4 PÜV sei lebensfremd. Ein Rückfall der Ansprüche nach zwei Jahren auf den Stand beim Betriebsübergang - wie sie nach Auffassung der Beklagten ohne § 5 Abs. 4 hätte erfolgen sollen - sei ohnehin nicht in Betracht gekommen.
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Wenn § 5 Abs. 4 PÜV eine bloß statische Weitergeltung der tariflichen Regelungen nach dem Stand zwei Jahre nach dem Betriebsübergang habe begründen sollen, wäre er überflüssig gewesen. Diese Regelung sei vielmehr als Druckmittel gedacht gewesen, die Betriebsübernehmerin zum Abschluss neuer eigener Tarifverträge zu bewegen. Deshalb habe bei Nichtzustandekommen neuer Tarifverträge gerade das Tarifwerk des BAT-O dynamisch weitergelten sollen. Es möge zwar zutreffen, dass die Beklagte derartige Verpflichtungen nicht habe eingehen wollen, genauso sei aber auch zu berücksichtigen, dass die andere Vertragspartei habe verhindern wollen, dass die Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang schlechter gestellt würden. Das Interesse der Beklagten, das Krankenhaus möglichst günstig zu erwerben, könne nicht Maßstab der Vertragsauslegung sein. Auch die sonstige Handhabung der Arbeitsbedingungen nach dem 01.01.2003 besage für die Auslegung des PÜV nichts, weil der Zeitablauf bis dahin zu kurz gewesen sei und die Beklagte es auch einseitig in der Hand gehabt habe, Fakten zu schaffen.
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Die klagende Partei beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 10.08.2006 aufzuheben und nach dem erstinstanzlichen Schlussantrag zu erkennen, also die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei 2.986,13 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantwortet die Berufung mit umfangreichen Rechtsausführungen. Wegen der Einzelheiten wird auf ihren Schriftsatz vom 31.01.2007 Bezug genommen. Ebenso wird ergänzend auf die Berufungsbegründungsschrift vom 01.12.2006 Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 29.08.2007 hat die Beklagte den Auflösungsvertrag vom 16.09.2004 sowie eine "Ausgleichsquittung" vom 23.08.2007 (Blatt 243 d. A.) vorgelegt, in der es heißt: "Das Arbeitsverhältnis wurde im gegenseitigen Einvernehmen durch Auflösungsvertrag zum 31.03.2005 aufgrund von Inanspruchnahme einer Altersrente beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt sind meine Gehaltsabrechnungen ordnungsgemäß erfolgt. Die Auszahlung der betrieblichen Altersvorsorge erfolgt im August des Kalenderjahres, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wurde. Die Leistungsbescheinigung über den Anspruch der betrieblichen Altersversorgung sowie die Bescheinigung über die Höhe der abgeführten Steuern an das Finanzamt habe ich am 223.08.2007 erhalten. Weitere Ansprüche werden nicht geltend gemacht."
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Für die klagende Partei wurde in der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2007 erklärt, diese Erklärung werde angefochten.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit im Ergebnis zutreffend entschieden.
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Ob dem Arbeitsgericht darin zuzustimmen ist, dass schon die Auslegung des § 5 PÜV zur Verneinung eines Anspruchs auf die erhöhte Vergütung nach dem 01.01.2003 führt, ist fraglich. Die Regelung des § 5, insbesondere die Bedeutung seines Absatzes 4 ist durchaus unklar. So kann schon zweifelhaft sein, ob mit den "Regelungen gemäß § 5 Abs. 1 und 2", die bis zum Abschluss eines anderweitigen Tarifvertrages fortgelten sollen, die in Absatz 1 und 2 angesprochenen tarifvertraglichen Regelungen gemeint sind, oder die Regelungen des Absatzes 1 und 2 als solche.
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Nur im ersteren Fall könnte das insbesondere von der 4. Kammer des Arbeitsgerichts in ihren Entscheidungsgründen angeführte Argument zum Tragen kommen, dass aus der Benutzung des Wortes "fortgelten", das eine bereits bestehende Geltung voraussetze, geschlossen werden könne, dass eine nur statische Fortgeltung der zum Zeitpunkt zwei Jahre nach Betriebsübergang bestehenden Tarifverträge gemeint sei. Gerade wenn die Beklagte ihrerseits darauf hinweist, dass in § 5 Abs. 1 nur davon die Rede sei, dass die Tarifverträge "angewendet" werden, könnte die Benutzung des abweichenden Begriffes "fortgelten" in Absatz 4 dafür sprechen, dass sich letztere eben nicht auf die tariflichen Regelungen des § 5 Abs. 1 und 2 PÜV selbst beziehen soll.
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Auch aus dem Kompromisscharakter des Personalüberleitungsvertrages lässt sich eine eindeutige Auslegung schwerlich herleiten. Wenn der Personalrat im Vorfeld des Betriebsüberganges eine Besitzstandswahrung durch weitere Anwendung der Tarifverträge für mindestens drei Jahre gefordert hat, kann deshalb nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Vereinbarung einer dynamischen Tarifanwendung für zwei Jahre allein wegen einer gegenteiligen Interessenlage der Beklagten eine endgültige zeitliche Begrenzung darstellen sollte und es ausgeschlossen wäre, § 5 Abs. 4 im Sinne einer Verlängerungsmöglichkeit für diesen zeitlichen Rahmen zu interpretieren. Dass Übernehmer von Krankenhäusern auch durchaus bereits sein können, eine längerfristige dynamische Anwendung des Tarifwerkes des BAT-O zu akzeptieren, zeigt zum Beispiel der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.04.2005 (4 AZR 292/04, AP Nr. 35 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag) zugrunde liegende Sachverhalt.
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Soweit das Arbeitsgericht - in Übereinstimmung mit der Argumentation der Beklagten - Rückschlüsse auf die Vertragsauslegung daraus ziehen will, dass die Beklagte auch nach dem 01.01.2003 Leistungen an die Arbeitnehmer erbracht hat, die diesen nach den tarifvertraglichen Regelungen nicht mehr zugestanden hätten (Gehaltszahlung zur Monatsmitte, Gewährung des AZV-Tages, Zahlung der Jahreszuwendungen in der bisherigen Höhe), steht dem das Bedenken entgegen, dass es sich hierbei im Wesentlichen um einseitige Leistungen der Beklagten gehandelt hat. Wenn die Arbeitnehmer diese entgegengenommen, im Falle des AZV-Tages vielleicht sogar selbst beantragt haben, ist schon fraglich, ob dies im Bewusstsein geschehen ist, dass diese Ansprüche nach der aktuellen Tariflage nicht mehr bestanden.
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Gegen die Berücksichtigung der späteren Handhabung für die Auslegung des Vertrages spricht hier auch, dass die einzelnen Arbeitnehmer selbst am Abschluss des Personalüberleitungsvertrages nicht beteiligt waren. Der an sich zutreffende Gedanke, dass man aus einem späteren übereinstimmenden Parteiverhalten Rückschlüsse auf den Parteiwillen bei Vertragsschluss ziehen könne, ist letztlich wohl nur bei einer Identität der Parteien, nicht jedoch bei einem Vertrag zugunsten Dritter tragfähig.
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Andererseits sind auch die in der Berufungsbegründung klägerseitig angeführten weiteren Argumente dafür, dass eine dynamische Verweisung womöglich auch über den Zeitrahmen von zwei Jahren hinaus gewollt gewesen sei, nicht überzeugend. Wenn ausgeführt wird, für eine bloß statische Weitergeltung des zwei Jahre nach Betriebsübergang erreichten Tarifstandes hätte es des § 5 Abs. 4 gar nicht bedurft, weil dies ohnehin schon aus Abs. 1 selbstverständlich sei, so lehrt die Erfahrung, dass es nicht ganz ungewöhnlich ist, dass Parteien - selbst wenn sie bei Abschluss von Verträgen juristischen Rat hinzuziehen - zuweilen überflüssig erscheinende Formulierungen, etwa im Sinne einer bloßen Bekräftigung des bereits Gesagten, benutzen.
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Auch der Gedanke, die dynamische Fortgeltung des Tarifwerkes sei als Druckmittel gegenüber dem neuen Arbeitgeber zum Abschluss eigener Tarifverträge gedacht gewesen, ist nicht zwingend. Dieser Gedanke lässt sich nämlich ebenso gut umdrehen. Die Beklagte verweist in ihrer Berufungsbeantwortung zutreffend darauf, dass die Vereinbarung einer zeitlich unbefristeten Anwendung des Tarifwerks des BAT-O bis zum Abschluss eines Haustarifvertrages auch das Interesse der Arbeitnehmerseite am Abschluss eines solchen begrenzen könnte.
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Der Hinweis der Beklagten auf die im Zuge der Tarifverhandlungen geäußerte Auffassung eines Rechtssekretärs der Gewerkschaft ver.di, dass es auch seiner Ansicht nach keine dynamische Weitergeltung der tariflichen Regelungen gebe (Schreiben vom 26.03.2003, Anlage B6 zur Klagerwiderung), dürfte sowohl in diesem Zusammenhang wie auch im Hinblick auf die oben abgehandelte Problematik der Auslegung des § 5 nicht von wesentlicher Bedeutung sein, da die Gewerkschaft nicht Partei des Personalüberleitungsvertrages war.
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Die Auslegung des in sich unklaren § 5 PÜV kann aber dahinstehen. Ein Anspruch auf eine erneute Erhöhung der monatlichen Vergütung ab 01.01.2003 kann aus ihm schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil es sich insoweit nicht um einen wirksamen Vertrag zugunsten Dritter handelt. Die Berufungskammer folgt insoweit der von der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.04.2005 (4 AZR 292/04, AP Nr. 35 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag) in der Berufungsbeantwortung vorgetragenen Argumentation. In dem genannten Urteil führt das Bundesarbeitsgericht aus:
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"Zwar können durch einen Vertrag keine Lasten für nicht am Vertrag beteiligte Dritte begründet werden (vgl. Senat, 16.02.2000, 4 AZR 14/99, BAG 93, 328 = AP TVG § 2 Nr. 54 II 3b bb der Gründe). Deshalb kann zweifelhaft sein, ob ohne Zustimmung des Arbeitnehmers durch einen Vertrag, an dem er nicht beteiligt war, die dynamische Anwendbarkeit eines Tarifvertrages oder Tarifwerkes vereinbart werden kann. Dagegen spricht nicht nur, dass Tarifverträge i. d. R. auch Pflichten des Arbeitnehmers begründen, die nicht ohne Weiteres i. S. einer Gesamtbewertung von begünstigenden und benachteiligenden Regelungen außer Acht gelassen werden können. Hinzu kommt, dass Tarifverträge auch zu Lasten der Arbeitnehmer geändert werden können und somit die Möglichkeit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eröffnet wird, die arbeitsvertraglich nicht gegeben ist, sondern eine Änderungsvereinbarung oder wirksamen Änderungskündigung bedarf."
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Gerade die vom Bundesarbeitsgericht angesprochene Möglichkeit der Verschlechterung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen hat sich im hier zur Entscheidung vorliegenden Fall verwirklicht, da ab 01.01.2003 zwar einerseits eine Erhöhung der Vergütung als solcher mit dem Vergütungstarifvertrag Nr. 7 erfolgt ist, andererseits zugleich aber auch Änderungen des BAT-O zu Lasten der Arbeitnehmer in Kraft getreten sind.
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Der Gedanke, dass die dynamische Vereinbarung einer Tarifgeltung in einem Personalüberleitungsvertrag keine ausschließlich zugunsten der Arbeitnehmer wirkende Regelung darstellt, sondern deren Rechte für die Zukunft gegenüber der sich nach § 613a BGB ergebenden Fortgeltung der Tarifverträge nach dem Stand bei Betriebsübergang auch durchaus verschlechtern kann, ist also nicht nur rein theoretischer Natur.
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Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, dass Verträge zu Lasten Dritter nicht wirksam geschlossen werden können, entspricht fast allgemeiner Ansicht (so auch: BGH, Urteil vom 12.11.1980, VIII ZR 293/79, BGHZ 78, 369, 374, 375; Erman/Westermann, Kommentar zum BGB, § 328 Rz. 11; Gottwald, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 328 Rz. 188).
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Dem Bundesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass bei Verträgen, die Dritte betreffen und diese sowohl begünstigen also auch belasten, nicht einfach ein Günstigkeitsvergleich angestellt werden kann, wonach bei einem überwiegend für den Dritten günstigen Vertrag dieser als wirksam, bei einem überwiegend belastenden Vertrag dieser als unwirksam anzusehen wäre. Vielmehr ist ein Vertrag zu Lasten Dritter als insgesamt unwirksam anzusehen; "eine Geltung allein der berechtigenden Teile würde dem Sinn der Vereinbarung widersprechen" (Thüsing/Goertz, Anm. zu BAG, AP Nr. 54 zu § 2 TVG).
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Ebenso wenig kann darauf abgestellt werden, dass die klagende Partei mit der Geltendmachung von begünstigenden Ansprüchen aus dem Vertrag den Vertrag insgesamt für sich akzeptiert habe, denn die Unzulässigkeit eines Vertrages zu Lasten Dritter gilt grundsätzlich auch, wenn sich der Dritte mit der Belastung einverstanden erklärt hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27.10.2004, 2 ZBR 150/04, NJW 2005, 444, 445).
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Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 20.04.2005 die Vereinbarung einer fortgeltenden Tarifdynamik in einem Personalüberleitungsvertrag als möglich angesehen hat, liegen hier nicht vor. Zwar liegt es auch hier so wie in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall, dass es sich nicht um eine erstmalige Unterwerfung des Arbeitsverhältnisses unter die Bedingungen eines Tarifvertrages, sondern um die Fortschreibung der bisherigen dynamischen Anwendbarkeit der Tarifverträge trotz des Betriebsüberganges handelt, der sonst aufgrund der Interpretation der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag als bloße Gleichstellungsabrede gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu einer nur mehr statischen Anwendbarkeit der zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges geltenden Tarifverträge führen würde.
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Für die Beantwortung der Frage, ob hierin ein Vertrag zu Lasten der Arbeitnehmer liegt, kann es nicht darauf ankommen, dass ohne den Betriebsübergang bei Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber die vertraglich vereinbarte Tarifdynamik ohne Weiteres weitergelten würde, so dass die Arbeitnehmer im Verhältnis zu ihrem bisherigen Arbeitgeber auch tarifvertragliche Verschlechterungen ohne Weiteres hinnehmen müssten, sondern es kann nur eine Vergleichung mit dem sich aus dem Betriebsübergang ergebenden Rechtszustand ohne den Personalüberleitungsvertrag in Betracht kommen, bei dem die bloß statische Weitergeltung der Tarifverträge zwar einerseits eine Begünstigung der Arbeitnehmer durch tarifvertragliche Verbesserungen ausschließen, andererseits aber auch eine Benachteiligung durch tarifvertragliche Verschlechterungen zu Lasten der Arbeitnehmer vermeiden würde.
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Der entscheidende Gesichtspunkt muss deshalb der vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20.04.2005 unter II 2 der Gründe angeführte Gedanke sein, dass den Mitarbeitern die dynamische Weitergeltung der bisherigen Tarifverträge nicht aufgezwungen werden dürfe, sondern ihnen ein Wahlrecht eingeräumt werden müsse. "Ein Vertrag, der den Mitarbeitern als Dritten das Recht gibt zu wählen, ob ein Tarifwerk weiter angewendet wird oder nicht, begründet keine Verpflichtung oder Belastung des Arbeitnehmers. Gegen seine Wirksamkeit als Vertrag zugunsten Dritter bestehen daher keine Bedenken." (BAG, a. a. O.)
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Ein solches Wahlrecht begründet der zwischen dem Landkreis Uecker-Randow und der Beklagten geschlossene Personalüberleitungsvertrag gerade nicht.
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Weil schon die Unzulässigkeit eines Vertrages zu Lasten Dritter einer dynamischen Fortgeltung des Tarifvertragswerkes des BAT-O und somit einer Anwendung des Vergütungstarifvertrages Nr. 7 ab 01.01.2003 entgegensteht, kommt es letztlich nicht mehr darauf an, ob der von der Beklagten mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossene Tarifvertrag vom 22.01.2003 mit seinem Inkrafttreten ab 01.02.2003 oder jedenfalls der Folgetarifvertrag von 2005 den Anspruch auf die erhöhte Vergütung ausschließen würde.
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Das Berufungsgericht neigt hier allerdings der Auffassung der 4. Kammer des Arbeitsgerichts Neubrandenburg zu, dass diese Tarifverträge wegen ihres zeitlich und inhaltlich begrenzten Regelungsgegenstandes nicht als anderweitige Tarifverträge im Sinne von § 5 Abs. 4 anzusehen wären, weil damit eher ein Tarifvertrag gemeint sein dürfte, der insgesamt an die Stelle des BAT-O oder eines der ihn ergänzenden Tarifverträge treten würde. Die Tarifverträge von 2003 und 2005 enthalten aber gerade keine eigenständigen Regelungen über die Höhe der Vergütung.
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Ob darüber hinaus die von der Beklagten vorgelegte Ausgleichsquittung vom 23.08.2007 dem Anspruch entgegenstünde, erscheint fraglich. Die Erklärung dürfte einer Auslegung als Verzicht auf die bereits rechtshängigen Differenzvergütungsansprüche unter Berücksichtigung von §§ 305c, 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB kaum zugänglich sein. Dies kann aber dahinstehen.
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Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob die Vereinbarung einer dynamischen Fortgeltung eines arbeitsvertraglich in Bezug genommen Tarifwerkes in einem Personalüberleitungsvertrag anlässlich eines Betriebsüberganges ein zulässiger Vertrag zugunsten Dritter oder als Vertrag zu Lasten Dritter unzulässig ist, hat auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.04.2005 grundsätzliche Bedeutung, weil das BAG darin die Zulässigkeit eines derartigen Vertrages nicht ausdrücklich verneint, sondern nur als zweifelhaft bezeichnet hat und der Entscheidung auch nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob das BAG die Voraussetzungen, unter denen es einen derartigen Vertrag für möglich hält, nämlich die Sicherung der bisherigen dynamischen Anwendbarkeit der Tarifverträge trotz des Betriebsüberganges einerseits und die Einräumung eines Wahlrechts für die Arbeitnehmer andererseits als je für sich ausreichend oder als kumulativ erforderlich ansieht.
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Referenzen
- BGB § 613a Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang 1x
- § 2 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 1 und 2 PÜV 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 310 Anwendungsbereich 1x
- 4 Ca 15/06 1x (nicht zugeordnet)
- 4 AZR 14/99 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 PÜV 3x (nicht zugeordnet)
- 2 ZBR 150/04 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln 1x
- 4 AZR 292/04 2x (nicht zugeordnet)
- § 1 TVG 2x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 4 PÜV 3x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 293/79 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x